Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorsteuerabzug bei echtem Factoring?
Leitsatz (NV)
Es ist ernstlich zweifelhaft, ob bei einem Factor, der das echte und unechte Factoring betreibt, zwischen einem unternehmerischen Bereich (unechtes Factoring) und einem nichtunternehmerischen Bereich (echtes Factoring) zu unterscheiden ist und ob der Factor mit dem echten Factoring -- jedenfalls unter besonderer Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls -- Umsätze an den sog. Anschlußkunden erbringt.
Normenkette
UStG 1991 §§ 1-2, 14 Abs. 3, § 15; FGO § 69; EWGRL 388/77 Art. 13 Teil B Buchst. d Nr. 3
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Antragstellerin und Beschwerdegegnerin (Antragstellerin) ist Rechtsnachfolgerin der Kraftfahrzeuge-Factoring GmbH & Co. KG (im folgenden: Factoring KG). Sie gehört zusammen mit der M-GmbH (im folgenden: M) zur Firmengruppe T. M importierte in den Streitjahren Fahrzeuge der Marke X und vertrieb sie über ein eigenes Händlernetz auf dem deutschen Markt. Die Factoring KG übernahm für sie das Factoring- und Finanzierungsgeschäft.
Mit Factoringvertrag vom 27. Juni 1991 verpflichtete sich die Factoring KG gegenüber M, deren Forderungen gegenüber den Händlern aus Fahrzeuglieferungen innerhalb eines jeweils zuvor von ihr festgelegten Rahmens anzukaufen und die darüber hinausgehenden Forderungen mit Rückgriffsrecht gegen M zu verwalten. Für die angekauften Forderungen übernahm sie das Ausfallrisiko ohne Rückgriffsrecht gegen M. Der Delkrederefall galt als eingetreten bei Ausfall der Zahlung durch die Händler 150 Tage nach Fälligkeit der jeweiligen Rechnung. Ferner verpflichtete sich die Factoring KG zur Führung der Debitorenbuchhaltung und zur Übersendung von Unterlagen an M, die dieser Einblick in den Stand der jeweiligen Abnehmer-Geschäftsbeziehungen ermöglichten. Der Gegenwert (Nennbetrag der Forderungen) der innerhalb einer Kalenderwoche angekauften Forderungen war der M unter Abzug der vereinbarten Gebühren am dritten Bankarbeitstag der folgenden Woche zu vergüten. Als Gegenleistung waren eine Factoringgebühr von 2 % und eine Delkrederegebühr von 1 % der Nennbeträge der übernommenen Forderungen vereinbart. Ferner verpflichtete sich M zur Zahlung von Zinsen, deren Bemessungsgrundlage der tägliche Debitorenstand der Händler bei der Factoring KG sein sollte. Der Zinssatz sollte 1,8 % über dem Zinsdurchschnittsatz liegen, den die Factoring KG für ihre Refinanzierung zu zahlen hatte.
Die Factoring KG vertrat die Auffassung, sie erbringe an M auch insoweit steuerpflichtige Leistungen, als sie das Ausfallrisiko für die angekauften Forderungen übernommen hatte (echtes Factoring), und stellte M diese Leistungen mit den entsprechenden Gebühren und Zinsen in Rechnung. Dementsprechend machte sie auch den Vorsteuerabzug für die damit zusammenhängenden Eingangsumsätze geltend.
Nach Durchführung einer Betriebsprüfung versagte der Antragsgegner und Beschwerdeführer (das Finanzamt -- FA --) der Antragstellerin insoweit den Vorsteuerabzug und nahm die Antragstellerin für die in diesem Zusammenhang in Rechnung gestellte Umsatzsteuer gemäß §14 Abs. 3 des Umsatzsteuergesetzes (UStG 1991/1993) in Anspruch (Umsatzsteueränderungsbescheide für 1991 und 1993 vom 11. April 1997 und für 1992 vom 17. April 1997). Gegen den Umsatzsteueränderungsbescheid für 1991 hat die Antragstellerin Sprungklage erhoben und gegen die Umsatzsteueränderungsbescheide für 1992 und 1993 Einspruch eingelegt. Gleichzeitig hat sie die Aufhebung der Vollziehung der Änderungsbescheide beantragt.
Das Finanzgericht (FG) gab dem Antrag in vollem Umfang statt (Beschluß des FG vom 22. September 1997, veröffentlicht in Entscheidungen der Finanzgerichte -- EFG -- 1997, 1560).
Hiergegen wendet sich das FA mit der -- vom FG zugelassenen -- Beschwerde. Das FA trägt vor, aufgrund der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) bestünden keine ernstlichen Zweifel daran, daß die Antragstellerin, soweit sie die Forderungen der M aufgekauft habe, an diese keine entgeltliche Leistungen ausgeführt habe und insoweit nicht Unternehmerin sei.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist unbegründet.
1. Die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes soll auf Antrag ausgesetzt werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides bestehen (§69 Abs. 2 und 3 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --). Ernstliche Zweifel bestehen, wenn bei Prüfung der Sach- und Rechtslage erkennbar wird, daß aus gewichtigen Gründen Unsicherheit oder Unentschiedenheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung von Tatfragen besteht und sich bei abschließender Klärung dieser Fragen der Verwaltungsakt als rechtswidrig erweisen könnte (BFH-Beschluß vom 16. Oktober 1991 I B 227/90, I B 228/90, BFH/NV 1992, 341).
2. Entgegen der Auffassung des FA ist ernstlich zweifelhaft, ob die Rechtsvorgängerin der Antragstellerin das Factoringgeschäft im Rahmen ihres Unternehmens getätigt und insoweit Umsätze an die M erbracht hat.
Nach §2 Abs. 1 Satz 1 UStG 1991/1993 ist Unternehmer, wer eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbständig ausübt. Das Unternehmen erfaßt die gesamte gewerbliche oder berufliche Tätigkeit des Unternehmers (§2 Abs. 1 Satz 2 UStG 1991/1993). Gewerblich oder beruflich ist jede nachhaltige Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen, auch wenn die Absicht, Gewinn zu erzielen, fehlt (§2 Abs. 1 Satz 3 UStG 1991/1993).
Die Rechtsvorgängerin der Antragstellerin war unstreitig eine Unternehmerin i.S. des §2 Abs. 1 UStG 1991 /1993. Der Wortlaut des §2 Abs. 1 UStG 1991/1993 gibt auch keinen Anhalt dafür, daß ihr Unternehmen nicht die Factoringtätigkeit erfassen könnte.
Allerdings hat der BFH entschieden, daß nur derjenige Unternehmer ist, der nachhaltig Umsätze gegen Entgelt ausführt (so z.B. BFH-Urteil vom 6. Mai 1993 V R 45/88, BFHE 171, 138, BStBl II 1993, 564, m.w.N.), daß der Factor, der das volle Ausfallrisiko für die von ihm angekauften Forderungen übernimmt (sog. echtes Factoring), an seinen Vertragspartner (hier: M) keine entgeltlichen Umsätze erbringt (BFH-Urteil vom 10. Dezember 1981 V R 75/76, BFHE 134, 470, BStBl II 1982, 200) und daß ein Steuerpflichtiger, der auf dem Gebiet der Vermietung und des echten Factoring tätig ist, mit dem Factoring nicht im unternehmerischen Bereich tätig wird, soweit der Factor keine steuerbaren Leistungen an seinen Vertragspartner erbringt (BFH-Urteil vom 11. Februar 1993 V R 57/88, BFH/NV 1994, 506).
Nicht entschieden hat der BFH aber bislang, ob auch bei einem Factor, der -- wie im Streitfall -- einen Teil der ihm abgetretenen Forderungen mit Rückgriffsrecht gegen den sogenannten Anschlußkunden (hier: M) verwaltet (unechtes Factoring) und einen Teil der Forderungen ohne Rückgriffsrecht ankauft (echtes Factoring), ebenfalls zwischen einem unternehmerischen Begriff (unechtes Factoring) und nichtunternehmerischen Bereich (echtes Factoring) zu unterscheiden ist.
Im übrigen ist die dem BFH-Urteil in BFHE 134, 470, BStBl II 1982, 200 zugrundeliegende Auffassung, daß im Fall des echten Factoring nur der Anschlußkunde an den Factor einen Umsatz (im Geschäft mit Geldforderungen gemäß §4 Nr. 8 Buchst. c UStG 1991/1993) tätige, der Factor aber mit der Verwaltung und Einziehung der ihm abgetretenen Forderungen keinen Umsatz an den Anschlußkunden ausführe, nicht unwidersprochen geblieben (vgl. Forgách, Der Betrieb 1988, 2377; Stadie in Rau/Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, §2 Anm. 220 f.). Der BFH hat sich bislang noch nicht zu der Ansicht geäußert, seine Rechtsprechung stehe im Widerspruch zu Art. 13 Teil B Buchst. d Nr. 3 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) und dem Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vom 25. Mai 1993 Rs. C-18/92 (Bally, Slg. 1993, I-2871); Art. 13 Teil B Buchst. d Nr. 3 der Richtlinie 77/388/EWG nehme -- jedenfalls in der englischen Fassung -- das Factoring ausdrücklich von der Steuerfreiheit der dort genannten Umsätze aus; im übrigen ähnelten die Leistungen eines Factors denen eines Kreditkarteninstituts, das nach Ansicht des EuGH an den Händler eine Dienstleistung erbringe, wenn es aufgrund einer Vereinbarung mit dem Händler die Schulden von dessen Kunden (Kreditkarteninhaber) begleiche. Der BFH hat sich auch noch nicht mit der Frage auseinandergesetzt, ob es dem Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer widerspricht, wenn der Vorsteuerabzug für die Kosten der Einziehung von Kundenforderungen verloren geht, weil die Kundenforderungen zur Einziehung auf einen Factor übertragen werden.
Hinzu kommt im Streitfall, daß M trotz des Verkaufs der Kundenforderungen an ihrer baldigen Einziehung deshalb ein Interesse behielt, weil sie andernfalls für die fälligen Forderungen noch bis zu 150 Tage lang den vereinbarten Zins zahlen mußte. Außerdem war die Factoring KG auch nach dem Ankauf der Kundenforderungen verpflichtet, der M Einblick in die Geschäftsunterlagen und Geschäftsbeziehungen zu den Kunden zu gewähren. Auch aus diesem Grunde kommt ernstlich in Betracht, daß die Factoring KG mit der Verwaltung und Einziehung der ihr übertragenen Forderungen -- trotz der Übernahme des Ausfallrisikos -- an M eine steuerpflichtige Leistung erbrachte.
Fundstellen
Haufe-Index 67435 |
BFH/NV 1998, 1273 |
BB 1999, 144 |