Entscheidungsstichwort (Thema)
Ablehnung der Änderung des einen AdV-Antrag bescheidenden Beschlusses (§ 69 Abs. 3 Satz 5 FGO)
Leitsatz (NV)
1. Durch Art. 3 § 7 Abs. 2 VGFGEntlG ist die Befugnis der Gerichte, Beschlüsse über Anträge nach § 69 Abs. 3 FGO von Amts wegen zu ändern oder aufzuheben, nicht berührt worden; eingeschränkt wurde die Möglichkeit des Stpfl., die Änderung oder Aufhebung zu beantragen.
2. Zur tatbestandsmäßigen Voraussetzung in Art. 3 § 7 Abs. 2 VGFGEntlG: "wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände".
3. Genügt die Begründung eines Änderungsantrages gemäß Art. 3 § 7 Abs. 2 VGFGEntlG nicht den tatbestandsmäßigen Anforderungen, so kann es gerechtfertigt sein, insoweit von einer amtswegigen Änderung (§ 69 Abs. 3 Satz 5 FGO) im Hinblick darauf abzusehen, daß anderenfalls dem Entlastungszweck des VGFGEntlG entgegengewirkt würde.
Normenkette
FGO § 69 Abs. 3 S. 5; VGFGEntlG Art. 3 § 7 Abs. 2
Tatbestand
Die Klägerin, Revisionsklägerin und Antragstellerin (Klägerin), die inzwischen ihre gewerbliche Tätigkeit eingestellt hat und sich in Liquidation befindet, betrieb in den Streitjahren (1976 bis 1982) ein ... unternehmen, das ausschließlich für die Firma X GmbH auf dem Werksgelände der Firma X AG tätig war. Nach ihren Angaben setzte die Klägerin hierbei einen Subunternehmer namens Y, Inhaber Z, ein. Auf Grund der entsprechenden Rechnungen machte die Klägerin für die Streitjahre Vorsteuer geltend.
Im Oktober 1982 wurde bei der Klägerin mit einer Außenprüfung begonnen, bei der Zweifel an der Existenz der Firma Y aufkamen, so daß die Steuerfahndung eingeschaltet wurde. Diese gelangte zu dem Ergebnis, daß die Firma nicht existiere und daß eine Person namens Z nicht ermittelt werden könne, so daß folgende in Abrechnungspapieren der Firma Y ausgewiesene Vorsteuerbeträge nicht abziehbar seien: ...
Der Beklagte, Revisionsbeklagte und Antragsgegner (das Finanzamt -- FA --) folgte dem und setzte durch -- gemäß § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) -- geänderte Bescheide (betr. Umsatzsteuer 1976 bis 1981) bzw. durch erstmaligen Bescheid (betr. Umsatzsteuer 1982) vom 14. Juli 1983 die Umsatzsteuer für die Streitjahre wie folgt fest: ... Im Einspruchsverfahren ermäßigte das FA durch Änderungsbescheid vom 9. Februar 1984 -- gemäß § 164 Abs. 2 AO 1977 -- die Festsetzung der Umsatzsteuer 1982 auf ... DM. Im übrigen wies es die Einsprüche als unbegründet zurück.
Die Klage wurde vom Finanzgericht (FG) mit der Begründung abgewiesen, die Klägerin könne auf Grund der umstrittenen Abrechnungspapiere den Vorsteuerabzug nicht in Anspruch nehmen, weil die Urkunden keine ausreichende Leistungsbeschreibung i. S. von § 15 Abs. 1 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1973/1980 enthielten.Ü
ber die Revision der Klägerin hat der erkennende Senat noch nicht entschieden.
Während des Revisionsverfahrens beantragte die Klägerin die Vollziehung der Umsatzsteuerfestsetzungen 1976 bis 1982 im umstrittenen Umfange auszusetzen bzw. aufzuheben. Dieser Antrag wurde vom Senat mit Beschluß vom 4. Dezember 1987 V S 9/85 (BFH/NV 1988, 466) abgelehnt.
Mit Schriftsatz vom 16. Januar 1990 hat die Klägerin beantragt, unter Aufhebung des zitierten Beschlusses die Vollziehung der Umsatzsteuerbescheide für die Streitjahre auszusetzen bzw. aufzuheben.
Zur Begründung macht die Klägerin geltend, der erneute Antrag sei zulässig, weil sich die Erfolgsaussichten verbessert hätten (§ 69 Abs. 3 Satz 5 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --). Es sei ihr inzwischen gelungen, den Rechnungsaussteller in ... ausfindig zu machen. Dieser habe vor einem Notar erklärt, daß er die Rechnungen ergänze und daß er sie, die Klägerin, zur Durchführung der Ergänzung im einzelnen ermächtige. Damit reichten nunmehr die Leistungsbeschreibungen für die Inanspruchnahme des Vorsteuerabzuges aus. Auch die übrigen Voraussetzungen des Vorsteuerabzuges seien erfüllt.
Der Zulässigkeit des Antrages stehe nicht Art. 3 § 7 Abs. 2 des Gesetzes zur Entla stung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit (VGFGEntlG) entgegen, wonach eine Beschlußänderung oder -aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände möglich sei. Die diesbezüglichen Voraussetzungen lägen sämtlich vor.
Außerdem macht die Klägerin Einwendungen gegen die Gründe des im ursprünglichen Verfahren erlassenen Beschlusses (BFH/NV 1988, 466) geltend.
Entscheidungsgründe
Dem Antrag der Klägerin, den Senatsbeschluß (in BFH/NV 1988, 466) zu ändern, muß der Erfolg versagt bleiben. Entgegen der Annahme der Klägerin sind die Voraussetzungen aus Art. 3 § 7 Abs. 2 VGFG EntlG für eine Beschlußänderung auf Antrag nicht erfüllt. Der erkennende Senat hält es ferner nicht für gerechtfertigt, den Beschluß von Amts wegen zu ändern.
1. Die Voraussetzungen aus Art. 3 § 7 Abs. 2 VGFGEntlG sind im vorliegenden Fall nicht gegeben.
a) Gemäß § 69 Abs. 3 Satz 5 FGO können Beschlüsse über Anträge nach § 69 Abs. 3 Satz 1 FGO jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Dies ist dahin zu verstehen, daß eine Änderung entweder auf Antrag des Steuerpflichtigen oder von Amts wegen durch das Gericht vorgenommen werden darf (vgl. Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 69 Anm. 199).
Seit der Inkraftsetzung des Art. 3 § 7 Abs. 2 VGFGEntlG kann jeder Beteiligte die Änderung oder Aufhebung eines Beschlusses nach § 69 Abs. 3 FGO wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen. Hierdurch ist die Befugnis der Gerichte, entsprechende Beschlüsse zu ändern oder aufzuheben, nicht berührt worden (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs -- BFH vom 17. März 1982 VII B 113/81, unter 2., BFHE 135, 252, BStBl II 1982, 413). Eingeschränkt wurde dagegen die Möglichkeit des Steuerpflichtigen, die Änderung oder Aufhebung zu beantragen, und zwar durch die Festlegung zusätzlicher Voraussetzungen in Art. 3 § 7 Abs. 2 VGFGEntlG (vgl. BFH-Beschlüsse vom 18. April 1986 IV B 127/85, BFH/NV 1986, 482, und in BFHE 135, 252, BStBl II 1982, 413, unter 2.).
Nichts Gegenteiliges ergibt sich aus der Bemerkung im BFH-Beschluß vom 23. Juni 1985 I S 4/84, unter 1. (BFH/NV 1987, 385), wo es in Beziehung auf die beiden erörterten Vorschriften heißt, dies bedeute, daß die am Steuerprozeß Beteiligten bereits gestellte und abgelehnte Aussetzungsanträge grundsätzlich wiederholen könnten. Wie im BFH-Beschluß vom 23. Juli 1990 IV B 60/89 (BFH/NV 1991, 699) hierzu dargelegt ist, betrifft die wiedergegebene Bemerkung ausschließlich Fälle, in denen die Voraussetzungen des Art. 3 § 7 Abs. 2 VGFGEntlG erfüllt sind.
b) Das Vorbringen der Klägerin im vorliegenden Verfahren erfüllt weder die erste noch die zweite alternative Voraussetzung aus Art. 3 § 7 Abs. 2 VGFGEntlG.
aa) Die geänderten Leistungsbeschreibungen in den umstrittenen Rechnungen und die mit den Änderungen zusammenhängenden weiteren von der Klägerin geltend gemachten Tatsachen stellen keine veränderten Umstände i. S. des Art. 3 § 7 Abs. 2 VGFGEntlG dar, d. h. die diesbezüglichen Tatsachen und Beweismittel sind nicht erst nach dem Erlaß des Senatsbeschlusses vom 4. Dezember 1987 (in BFH/NV 1988, 466) entstanden.
Dies ergibt sich aus der Kopie eines Schreibens der Klägerin vom 6. März 1986 an das FA, welche die Klägerin mit Schriftsatz vom 12. August 1988 im Revisions verfahren eingereicht hat. Bereits in dem an das FA gerichteten Schreiben aus dem Jahre 1986 sind diejenigen behaupteten Vorgänge im wesentlichen dargelegt, auf welche die Klägerin im vorliegenden Verfahren ihr Änderungsbegehren stützt, nämlich: der Umstand, daß die Klägerin Z in ... ermittelt habe; dessen notariell beglaubigte Ermächtigung der Klägerin, die Leistungsbeschreibung in den umstrittenen Rechnungen zu ergänzen; der Vollzug der Ergänzung seitens der Klägerin. Auch die durch die Klägerin ihrer Antragsschrift vom 16. Januar 1990 beigefügten Anlagen sind nicht später als im Frühjahr 1987 entstanden.
Angesichts dessen braucht der Senat nicht darauf einzugehen, ob der Änderung der Leistungsbeschreibungen in den umstrittenen Rechnungen durch die Klägerin überhaupt umsatzsteuerrechtlich Bedeutung zukommt, und bejahendenfalls, ob dies für die Streitjahre anzunehmen wäre oder für den Veranlagungszeitraum, in dem die Änderung stattgefunden hat.
Es liegen ferner keine veränderten Umstände in Gestalt neuerer Rechtsprechung vor, welche die Erfolgsaussichten der Klägerin verbessern könnten.
bb) Bei der gebotenen summarischen Prüfung können die erörterten Tatsachen und Beweismittel ferner nicht als solche Umstände i. S. des Art. 3 § 7 Abs. 2 VGFG EntlG angesehen werden, die im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemacht worden sind.
Die Klägerin hat nicht ausdrücklich behauptet, im ursprünglichen Verfahren ohne ihr Verschulden daran gehindert gewesen zu sein vorzubringen, daß sie auf Grund einer durch Z erteilten Ermächtigung die Leistungsbeschreibungen in den umstrittenen Rechnungen ausreichend ergänzt habe. Derartiges ergibt sich ferner nicht auf Grund der jetzigen Aktenlage, insbesondere in Beziehung auf den Inhalt des Schreibens der Klägerin an das FA vom 6. März 1986, in dem die Ergänzung der Leistungsbeschreibungen im wesentlichen dargestellt ist (siehe oben).
Der Senat kommt insoweit zu dem Ergebnis, daß es der Klägerin, die ein Verschulden ihres Prozeßbevollmächtigten wie eigenes Verschulden zu vertreten hat (§ 155 FGO i. V. m. § 85 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung -- ZPO --), bei Beachtung der gebotenen Sorgfalt möglich gewesen wäre, dem Senat ihr Schreiben an das FA vom 6. März 1986 (siehe oben) nicht erst im Jahre 1988, sondern bereits 1986 in Kopie vorzulegen oder sonstwie inhaltlich zu vermitteln, so daß der Senat es in seinem Beschluß vom 4. Dezember 1987 (BFH/NV 1988, 466) hätte berücksichtigen können. Für diese Würdigung sprechen folgende Umstände:
Am 12. März 1988 gingen beim Senat mehrere Schriftsätze der Klägerin ein, die teils das Revisionsverfahren, teils das ursprüngliche Verfahren wegen Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung (V S 9/85) betreffen. Unter diesen befand sich ein -- für das ursprüngliche Verfahren (V S 9/85) bestimmter -- Schriftsatz vom 20. Februar 1986, in dem davon die Rede ist, daß die Kopie eines neuen Antrages an das FA zur Kenntnisnahme überreicht werde sowie vorläufig als Muster für die dem FA übersandten 262 ergänzten Rechnungen die Rechnung vom 1. Februar 1982, die durch das FG in dem mit der Revision angefochtenen Urteil beispielhaft angeführt worden war. Beigefügt war dem Schriftsatz jedoch nur eine Kopie der ergänzten Rechnung vom 1. Februar 1982, nicht die im Schriftsatz erwähnte Kopie eines neuen an das FA gerichteten Antrages.
Zu den erwähnten Schriftsätzen gehörte ferner ein ebenfalls das ursprüngliche Verfahren (V S 9/85) betreffender Schriftsatz vom 6. März 1986, in dem u. a. ausgeführt ist, es werde "auf den Schriftsatz in der Haupt sache vom heutigen Tage" verwiesen, der "hiermit auch zum Vortrag in dieser Sache" gemacht werde. Schließlich befand sich unter den Eingängen vom 12. März 1986 ein das Revisionsverfahren betreffender Schriftsatz vom 6. März 1986, an dessen Ende auf den "Schriftsatz vom heu tigen Tage" verwiesen ist, "in dem der Erfolg der Bemühungen der Klägerin dargestellt" sei, "den Aussteller der Rechnungen aufzuspüren und die Rechnungen zu ergänzen".
Hierauf ist es zurückzuführen, daß der Senat in seinem das ursprüngliche Verfahren betreffenden Beschluß vom 4. Dezember 1987 V S 9/85 (BFH/NV 1988, 466) lediglich mit einer kurzen Bemerkung eingegangen ist (unter II 2 a aa letzter Absatz).
Die Klägerin hat zwar später im Revisionsverfahren mit Schriftsatz vom 12. August 1988 eine Kopie des erwähnten Schreibens an das FA vom 6. März 1986 vorgelegt. Sie hat jedoch weder hierbei noch in ihrer Antragsschrift vom 16. Januar 1990 Umstände dargelegt, denen zu entnehmen wäre, es könne weder ihr noch ihrem Prozeßbevollmächtigten als Verschulden angelastet werden, daß der Senat über die im vorliegenden Verfahren geltend gemachten Umstände nicht bereits während des Verfahrens V S 9/85 hinreichend informiert worden sei, mindestens durch die rechtzeitige Mit übersendung der Kopie des an das FA gerichteten Schreibens vom 6. März 1986.
Schließlich kann sich die Klägerin nicht mit Erfolg darauf berufen, daß sie im ursprünglichen Verfahren Umstände in Gestalt von ihr günstiger Rechtsprechung ohne Verschulden nicht geltend gemacht habe (Art. 3 § 7 Abs. 2 VGFGEntlG). Insoweit hält der Senat die Ausführungen der Klägerin teils für unzutreffend und im übrigen für unerheblich. Zum Hinweis der Klägerin auf das BFH-Urteil vom 7. Oktober 1987 X R 60/82 (BFHE 151, 233, BStBl II 1988, 34) ist zu bemerken, daß der Beschluß des Senats im ursprünglichen Verfahren V S 9/85 (BFH/NV 1988, 466) keinen Widerspruch zum zitierten Urteil aufweist, auch nicht insoweit, als der Senat auf seine Rechtsprechung zur Scheinfirma eingegangen ist (unter II 3 b erster Absatz). Das zitierte Urteil hat ausdrücklich darauf hingewiesen, daß seiner Auffassung die Senatsrechtsprechung zur Scheinfirma nicht entgegenstehe.
2. Der Senat hält es nicht für gerechtfertigt, seinen im ursprünglichen Verfahren ergangenen Beschluß (BFH/NV 1988, 466) gemäß § 69 Abs. 3 Satz 5 FGO von Amts wegen zu ändern. Eine amtswegige Änderung auf Grund der von der Klägerin im vorliegenden Verfahren geltend gemachten Umstände, die den Anforderungen des Art. 3 § 7 Abs. 2 VGFGEntlG nicht genügen (siehe oben), würde dem Entlastungszweck des VGFGEntlG zuwiderlaufen (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung -- Finanzgerichtsordnung, 14. Aufl., § 69 FGO Tz. 34 dritter Absatz). Sonstige für eine Änderung sprechende Gründe vermag der Senat nicht zu erkennen. Soweit der Senat in seinem Beschluß auf die Frage der Wahrscheinlichkeit eingegangen ist, ob Z überhaupt existiert (unter II 3 b), ist zu bemerken, daß zwar die Klägerin inzwischen für die Existenz sprechende Gründe vorgebracht hat. Andererseits ist vom FA substantiiert geltend gemacht worden, daß der verwendete Reisepaß gefälscht sei.
Fundstellen