Leitsatz (amtlich)
1. Auch bei einer von Anfang an unzulässigen Klage wird durch die übereinstimmenden Erledigungserklärungen der Beteiligten der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt.
2. Wegen der Unzulässigkeit der Klage hat jedoch in einem solchen Fall der Kläger gemäß § 138 Abs. 1 FGO die Kosten des Klage- und Revisionsverfahrens zu tragen, auch wenn der Rechtsstreit dadurch erledigt wurde, daß der Verwaltungsakt in der beantragten Form erlassen bzw. bekanntgegeben wurde.
Normenkette
FGO § 138 Abs. 1-2
Tatbestand
Streitig war, ob der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), die Kommanditistin einer KG war und 1970 aus ihr ausgeschieden ist, als Gesamtrechtsnachfolgerin ihrer am 30. Juni 1965 verstorbenen Mutter, die Kommanditistin derselben KG war, die berichtigten einheitlichen Gewinnfeststellungsbescheide der KG für 1964 und 1965 persönlich bekanntzugeben waren, die nach dem Ausscheiden aus der KG erlassen worden sind.
Die Klägerin war seit 1961 an der KG ... als Kommanditistin beteiligt. Weitere Kommanditistin war u. a. die Mutter der Klägerin gewesen, die am 30. Juni 1965 verstorben ist. Ihre Alleinerbin war die Klägerin. Mit Gesellschaftsvertrag vom 26. Oktober 1965 übernahm die Klägerin auch den Gesellschaftsanteil ihrer Mutter. Die Klägerin ist aufgrund des Vertrages vom 31. Dezember 1970 aus der KG ausgeschieden. Am 25. November 1971 ergingen berichtigte einheitliche Gewinnfeststellungsbescheide der KG für die Jahre 1964 bis einschließlich 1967 und vorläufige einheitliche und gesonderte Gewinnfeststellungsbescheide für die Jahre 1968 und 1969.
Diese Bescheide sind der KG, vertreten durch die persönlich haftende Gesellschafterin als Zustellungsvertreter gemäß § 219 Abs. 1 AO zugestellt worden. Der Klägerin wurden von allen diesen Bescheiden nur Auszüge bekanntgegeben. Am 25. Februar 1973 beantragte die Klägerin die vollständige Bekanntgabe der angeführten Bescheide. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) lehnte das mit Schreiben vom 15. März 1973 ab. Am 26. März 1973 erhob die Klägerin Verpflichtungsklage mit dem Antrag, das FA zu verurteilen, alle seit ihrem Ausscheiden aus der KG ergangenen einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellungsbescheide, sofern und soweit sie davon berührt werde, vollständig bekanntzugeben. Die Verpflichtungsklage wurde vom FG als unzulässig abgewiesen. Gegen dieses Urteil legte die Klägerin Revision ein.
Daneben beantragte die Klägerin am 15. Mai 1973 in ihrer Eigenschaft als Gesamtrechtsnachfolgerin ihrer Mutter die Bekanntgabe der nach ihrem Ausscheiden aus der KG am 25. November 1971 ergangenen berichtigten einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellungsbescheide der KG für die Jahre 1964 und 1965. Am 6. August 1973 erhob die Klägerin wiederum Verpflichtungsklage. Sie trug vor, das FA habe auf ihren Antrag vom 15. Mai 1973 nicht reagiert. Es habe ihr bis jetzt auszugsweise Abschriften dieser Feststellungsbescheide übersandt, die lediglich ihre eigenen Anteile ausgewiesen hätten, nicht hingegen die Anteile ihrer Mutter. Inzwischen sei sie vom Veranlagungsfinanzamt für die Einkommensteuer ihrer verstorbenen Mutter für die Jahre 1964 und 1965 in Anspruch genommen worden. Die Klägerin beantragte sinngemäß, das FA zu verurteilen, ihr in ihrer Eigenschaft als Gesamtrechtsnachfolgerin nach ihrer Mutter die berichtigten einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellungsbescheide der KG vom 25. November 1971 für die Jahre 1964 und 1965 bekanntzugeben. Das FA beantragte, die Klage abzuweisen.
Das FG wies die Klage wegen Bekanntgabe der Gewinnfeststellungsbescheide als unzulässig ab. Es führte aus, es handle sich im vorliegenden Fall um eine Verpflichtungsklage, nämlich die Klage auf Verurteilung zum Erlaß eines unterlassenen Verwaltungsaktes im Sinne des § 40 Abs. 1 FGO. Dieser Verpflichtungsklage mangele es im Streitfall an der Sachurteilsvoraussetzung des erfolglosen Vorverfahrens. Für eine Verpflichtungsklage, die sich auf Vornahme eines unterlassenen Verwaltungsaktes richte, sei gemäß § 44 Abs. 1 FGO die vorherige erfolglose Durchführung des Beschwerdeverfahrens vorgeschrieben. Denn gemäß § 230 Abs. 2 AO sei als außergerichtlicher Rechtsbehelf die Beschwerde gegeben, wenn geltend gemacht werde, daß über einen gestellten Antrag auf Erlaß einer Verfügung binnen angemessener Frist sachlich nicht entschieden worden sei. Hier sei nicht nur keine Beschwerdeentscheidung ergangen, sondern es habe auch keine ergehen können, da die Klägerin keine Beschwerde eingelegt habe.
Mit der Revision beantragte die Klägerin, das angegriffene Urteil aufzuheben und das FA zu verurteilen, die berichtigten einheitlichen Gewinnfeststellungsbescheide der KG für 1964 und 1965 bekanntzugeben, die nach ihrem Ausscheiden aus der KG erlassen worden sind. Die Klägerin vertritt die Meinung, das FG habe zu Unrecht ein Vorverfahren für erforderlich gehalten. § 230 Abs. 2 AO komme hier nicht zur Anwendung. Denn es gehe weder um den Erlaß einer Verfügung noch um einen Akt, der auf Antrag hätte erlassen oder abgelehnt werden können. Die Ablehnung der begehrten Bekanntgabe sei jedenfalls formlos anläßlich des Versuchs einer außergerichtlichen Beilegung des Rechtsstreits erfolgt.
Mit Schreiben vom 20. November 1973 - nach Einlegung der Revision - teilte die Klägerin mit, das FA habe ihr am 20. November 1973 alle Verfügungen, deren Bekanntgabe sie mit diesen Verfahren verfolge, vollständig bekanntgegeben. Sie erkläre deshalb die Hauptsache für erledigt und beantrage, die Kosten des Verfahrens dem FA aufzuerlegen. Nach wie vor bleibe aber beantragt, das angefochtene Urteil des FG aufzuheben.
Mit Schriftsatz vom 30. Juli 1974 erklärte auch das FA den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt. Es beantragt, die Kosten des Verfahrens der Klägerin aufzuerlegen, da die Klage unzulässig gewesen sei.
Entscheidungsgründe
Der Rechtsstreit ist in der Hauptsache erledigt.
a) Der Senat teilt zwar die Auffassung der Vorinstanz, daß die Klage gemäß § 44 FGO nicht zulässig war. Denn es handelt sich um einen Fall, in dem der außergerichtliche Rechtsbehelf der Beschwerde gegeben war und das erfolglos durchgeführte Vorverfahren über den außergerichtlichen Rechtsbehelf als Sachurteilsvoraussetzung der Klage fehlte. Es kann dabei dahingestellt bleiben, ob das FA den Antrag der Klägerin vom 15. Mai 1973, ihr die nach ihrem Ausscheiden aus der KG ergangenen einheitlichen Gewinnfeststellungsbescheide für 1964 und 1965 bekanntzugeben, ausdrücklich abgelehnt oder nicht über ihn entschieden hat. Denn im ersteren Fall wäre die Beschwerde nach § 230 Abs. 2 AO gegeben gewesen und im letzteren Fall die Beschwerde nach § 230 Abs. 1 AO.
b) Klägerin und Beklagter haben aber nunmehr im Revisionsverfahren übereinstimmend die Hauptsache für erledigt erklärt. Der Zusatzantrag der Klägerin, die Vorentscheidung aufzuheben, stellt keine Einschränkung ihrer Erledigungserklräung dar, sondern beinhaltet im Ergebnis lediglich das, was rechtlich die Erledigung der Hauptsache im Revisionsverfahren zur Folge hat, nämlich, daß das Urteil des FG gegenstandslos oder wirkungslos wird. Der Zusatzantrag der Klägerin ist also dahin gehend umzudeuten (vgl. Göppinger, Die Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache, Stuttgart 1958, S. 170 und S. 304). Durch die übereinstimmenden Erledigungserklärungen ist der Senat als Revisionsgericht nicht mehr befugt, den Rechtsstreit sachlich zu entscheiden, weil ein Sachantrag nicht mehr rechtshängig ist. Es obliegt ihm lediglich noch, gemäß § 138 FGO über die Kosten des beendigten Verfahrens zu entscheiden. Die Gründe hierfür sind folgende:
Nach der grundlegenden Entscheidung des V. Senats des BFH vom 15. Februar 1968 V B 46/67 (BFHE 91, 514, BStBl II 1968, 413), mit der sich der V. Senat der Rechtsprechung des BVerwG angeschlossen hat, wird durch die übereinstimmenden Erledigungserklärungen der Beteiligten der Rechtsstreit - entsprechend § 91a ZPO - auch im finanzgerichtlichen Verfahren in der Hauptsache als erledigt angesehen, unabhängig davon, ob tatsächlich eine Erledigung der Hauptsache eingetreten ist. Dieser Auffassung haben sich alle Senate des BFH angeschlossen. In der Entscheidung ist ausgeführt, aufgrund der von beiden Parteien übereinstimmend abgegebenen Erklärung, daß die Hauptsache erledigt sei, hatte das Gericht von der Erledigung der Hauptsache auszugehen und nicht nachzuprüfen, ob tatsächlich eine Erledigung stattgefunden habe. Das muß auch dann gelten, wenn die Klage von vornherein unzulässig war. Die Zulässigkeit der Klage ist keine Voraussetzung der Zulässigkeit der Erledigungserklärung (siehe Göppinger a. a. O., S. 163). Die beiderseitigen Erledigungserklärungen haben prozeßbeendigende Wirkung. Sie stellen eine Prozeßvereinbarung dar, durch die die Parteien den Streitgegenstand der Entscheidungsbefugnis des Gerichts entziehen und damit die Rechtshängigkeit beenden (vgl. Rosenberg/Schwab, Zivilprozeßrecht, 11. Auflage § 133 II 1; Habscheid in Festschrift für Lent S. 161). Diese Dispositionsbefugnis über die Beendigung des Rechtsstreits haben die Parteien nicht nur im Zivilprozeß, sondern auch im verwaltungsgerichtlichen bzw. finanzgerichtlichen Verfahren (vgl. BVerwG-Entscheidung vom 7. Juni 1968 IV B 165, 67, BVerwGE 30, 27 f.). Von diesem Ergebnis ist auch der I. Senat des BFH in seiner nicht veröffentlichten Entscheidung vom 13. September 1972 I B 29/72 ausgegangen. Die eingetretene Erledigung der Hauptsache bewirkt, daß das Urteil des FG gegenstandslos geworden ist. Eines besonderen Ausspruches darüber bedarf es nicht.
Zweifelhaft ist, ob die Rechtslage anders zu beurteilen wäre, wenn nur die Klägerin die Hauptsache für erledigt erklärt und das FA weiterhin die Zurückweisung der Revision beantragt hätte (vgl. hierzu Göppinger a. a. O., S. 112 und Habscheid a. a. O., S. 169). Das BVerwG hat den Standpunkt vertreten, daß auch bei einer unzulässigen Klage durch die einseitige Erledigungserklärung des Klägers die hauptsache für erledigt erklärt werden kann, wenn ein erledigendes Ereignis eingetreten ist (vgl. BVerwG-Urteil vom 14. Januar 1965 I C 68.61, BVerwGE 20, 147). Ob diese Auffassung auch für das finanzgerichtliche Verfahren, das in § 138 FGO eine von § 161 VwGO abweichende Kostenregelung besitzt, übernommen werden kann, braucht im vorliegenden Fall nicht entschieden zu werden. Bei übereinstimmender Erledigungserklärung des Klägers und des Beklagten wird jedenfalls von den Gerichten allgemein angenommen, daß die Hauptsache ohne Nachprüfung durch das Gericht als erledigt gilt.
Da also der Rechtsstreit in der Hauptsache als erledigt anzusehen ist, hat das Gericht nur noch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden. Der Senat ist jedoch der Auffassung, daß die Unzulässigkeit der Klage auch bei übereinstimmender Erledigungserklärung der Beteiligten bei der Kostenentscheidung nicht bedeutungslos ist (ebenso Göppinger, a. a. O., S. 163). Für die Kostenentscheidung im finanzgerichtlichen Verfahren käme an sich § 138 Abs. 2 FGO in Betracht. Denn der Rechtsstreit wurde dadurch erledigt, daß der beantragte Verwaltungsakt erlassen, genauer ausgedrückt, die Verwaltungsakte, wie beantragt, der Klägerin vollständig bekanntgegeben wurden. Danach hätte das FA nach § 138 Abs. 2 FGO die Kosten des Verfahrens zu tragen. Der Senat ist jedoch der Auffassung, daß bei einer unzulässigen Klage § 138 Abs. 1 FGO anzuwenden ist, wonach die Kostenentscheidung nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes zu treffen ist. Die Begründung hierfür ergibt sich aus dem Zusammenhang der Vorschrift des § 138 Abs. 2 Satz 1 FGO mit dem Gesamtinhalt der in § 138 FGO zum Ausdruck gelangten Rechtsnormen. Nach § 138 Abs. 1 FGO soll über die Kosten eines in der Hauptsache erledigten Rechtsstreits grundsätzlich unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes entschieden werden. Das bedeutet, daß der Kostenentscheidung der mutmaßliche Ausgang des Rechtsstreits im Falle seiner Nichterledigung zugrunde zu legen ist. Von diesem Grundsatz will auch die in § 138 Abs. 2 Satz 1 FGO getroffene Regelung keine Ausnahme machen. Sie beruht vielmehr auf der Erwägung, daß in den Fällen, in denen die Behörde von sich aus dem Klagebegehren stattgibt, regelmäßig davon ausgegangen werden kann, daß die Klage ohne diese Abhilfe zum Erfolg geführt hätte (vgl. BFH-Urteil vom 3. Februar 1970 VII K 13/68, BFHE 98, 328, BStBl II 1970, 328, und BFH-Beschluß vom 7. Juli 1972 III B 49/71, BFHE 106, 416, BStBl II 1972, 955). Da aber die Klage eines Steuerpflichtigen nur dann Erfolg haben kann, wenn die Klage zulässig war, ist § 138 Abs. 2 Satz 1 FGO von seinem Grundgedanken her bei unzulässigen Klagen nicht anwendbar. Denn nach dem Sach- und Streitstand hätte der Kläger bei seiner unzulässigen Klage nur unterliegen können. Das Nachgeben des FA - aus welchen Gründen dies auch erfolgt sein mag -, das zu der außergerichtlichen Erledigung geführt hat, kann an diesem Ergebnis nichts ändern. Es würde auch dem Grundgedanken des § 44 FGO, unnötige, nicht genügend vorbereitete gerichtliche Verfahren nach Möglichkeit zu vermeiden, gerade im vorliegenden Falle widersprechen, die Kostenregelung des § 138 Abs. 2 FGO anzuwenden. Danach hat die Klägerin nach § 138 Abs. 1 FGO die Kosten des Klage- und des Revisionsverfahrens zu tragen. Für die Kosten eines Vorverfahrens, wenn ein solches stattgefunden hätte, könnten die obigen Gesichtspunkte allerdings nicht gelten.
Fundstellen
Haufe-Index 70678 |
BStBl II 1974, 749 |
BFHE 1975, 175 |