Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufhebung der Vollziehung des Widerrufs einer zollrechtlichen Lagerbewilligung
Leitsatz (NV)
1. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Fristveräumnis infolge unüblich verzögerten Postlaufs einer mit Postzustellungsurkunde übermittelten Rechtsmittelschrift.
2. Der Zulässigkeit der nach Art. 1 Nr. 3 BFHEntlG zugelassenen Beschwerde steht nicht entgegen, daß das Rechtsmittel nicht auf Gründe gestützt ist, die zu seiner Zulassung geführt haben.
3. Im gerichtlichen Verfahren der Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung, das auf einen ermessensgebundenen Verwaltungsakt bezogen ist, findet nur eine Ermessenskontrolle statt.
4. Die Bewilligung eines Zollagers kann ohne Ermessensfehler wegen fehlender Vertrauenswürdigkeit des Lagerinhabers (seines gesetzlichen Vertreters) widerrufen werden. Dessen - auch nicht rechtskräftige - Verurteilung wegen ins Gewicht fallender strafrechtlicher Vorwürfe vermag das für die Bewilligung vorausgesetzte Vertrauen zu erschüttern.
5. Die Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung wegen unbilliger Härte darf nicht unabhängig von den Erfolgsaussichten des Rechtsmittels in der Hauptsache gewährt werden.
Normenkette
FGO § 56 Abs. 1, § 69 Abs. 3 S. 1, Abs. 2 S. 2, § 114 Abs. 1 S. 2, Abs. 3; BFHEntlG Art. 1 Nr. 3; ZG § 42 Abs. 2; AZO § 88 Abs. 4 S. 2
Tatbestand
Der Antragsgegner (das Hauptzollamt - HZA -) hatte der Antragstellerin zur Durchführung erstattungsrechtlich begünstigter Ausfuhrgeschäfte mit Fleisch widerruflich ein offenes Zollager als Erstattungslager mit Lagerstätten u.a. bei einem Dritten in N und A bewilligt. Nachdem der alleinige Geschäftsführer der Antragstellerin mit - nicht rechtskräftigem - Urteil vom . . . vom Landgericht wegen Subventionsbetruges bei Fleischausfuhren zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden war, widerrief das HZA die Lagerbewilligung, weil die erforderliche Vertrauenswürdigkeit nicht mehr gegeben sei. Gegen diese Verfügung erhob die Antragstellerin nach erfolglos gebliebener Beschwerde Klage, über die noch nicht entschieden ist. Sie beantragte ferner beim Finanzgericht (FG), die Vollziehung des Widerrufs der Bewilligung hinsichtlich der Lagerstätten N und A auszusetzen und eine einstweilige Regelung zu treffen, die die (zollagerungsbedingte) Anwendung des Erstattungssatzes für Frischfleisch und die - einstweilige - Vorfinanzierung ermöglicht.
Dem Antrag gab das FG durch Aufhebung der Vollziehung der Widerrufsverfügung und durch eine Regelung für die einstweilige Benutzung des widerrufenen Zollagers statt. Bei überschlägiger Beurteilung - so das FG - sprächen erhebliche Gründe dafür, daß die Zollbehörde ihr Ermessen nicht in der gebotenen Weise ausgeübt habe. Eine Reihe von Umständen lasse auch eine andere Beurteilung der Vertrauenswürdigkeit im Rahmen der Ermessensausübung zu; aus diesem Grunde führe die Verneinung der Vertrauenswürdigkeit nicht zwangsläufig zum Widerruf der Lagerbewilligung. Die in dem mit der Revision angegriffenen Strafurteil gegen . . . festgestellten Tatsachen beträfen mehr als vier Jahre zurückliegende Vorgänge. Auch wenn die Beurteilung zum Nachteil der Antragstellerin ausfalle, sei damit noch nicht über den Widerruf entschieden. Bei der Ermessensausübung müßten daneben insbesondere alle Umstände berücksichtigt werden, die bei Aufrechterhaltung des Lagers das öffentliche Interesse beeinträchtigen könnten, bei einer Aufhebung aber dem Lagerinhaber zum Nachteil gereichten. Dessen bedürfe es um so mehr, als es sich um die Lagerung - in Drittbetrieben - zur Ausfuhr für die vorschußweise Zahlung oder Vorfinanzierung der Erstattung, nämlich um ein Verfahren handele, das gegenüber der normalen Zollgutlagerung eine Reihe von Besonderheiten aufweise (Kautionsstellung; zwingend erforderliche zollamtliche Mitwirkung bei Ein- und Auslagerungen). Diese Umstände legten es nahe, an die Vertrauenswürdigkeit geringere Anforderungen als etwa sonst bei einem offenen Zollager zu stellen. Sie ließen zur Zeit auch keine ins Gewicht fallende Gefährdung des öffentlichen Interesses durch eine Aufrechterhaltung des Lagers und die weitere Abwicklung der Ausfuhr von Erstattungswaren über dieses Lager besorgen. Um so weniger hätte darauf verzichtet werden dürfen, die Nachteile in Betracht zu ziehen, die der Antragstellerin durch den Widerruf drohten (Erstattung nur für Gefrierfleisch anstelle der höheren Erstattung für Frischfleisch). Zumindest bedeute die Vollziehung des Widerrufs für die Antragstellerin eine unbillige Härte.
Die Regelung über die einstweilige Benutzung des offenen Zollagers für Erstattungswaren - so führt das FG weiter aus - rechtfertige sich, weil durch bloße Vollziehungsaufhebung kein angemessener vorläufiger Rechtsschutz gewährt werde. Letztere verbiete es lediglich der Behörde, die Rechtsfolgen des Widerrufs geltend zu machen; ungeachtet der Aufhebung der Vollziehung würden die Waren zu einem nicht bewilligten Zollager abgefertigt. Deshalb sei zusätzlich eine einstweilige Regelung notwendig, die auch rechtlich möglich erscheine, gleich, ob im Rahmen der Aufhebung der Vollziehung oder als daneben tretende Anordnung.
Gegen diesen Beschluß richtet sich die vom HZA eingelegte Beschwerde. Zur Begründung macht das HZA geltend, ein Aussetzungsgrund sei nicht gegeben. Das FG habe zu Unrecht ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Widerrufs angenommen. Es habe die Grenze zwischen unbestimmtem Rechtsbegriff - Vertrauenswürdigkeit - und Ermessensausübung auf der Rechtsfolgenseite verkannt und bloße Zweifel an der Beurteilung der Vertrauenswürdigkeit durch die Verwaltung auf die Rechtsfolgenseite übertragen. Das Vertrauen der Verwaltung in den Antragsteller sei die entscheidende Voraussetzung für die Bewilligung; sei es nicht mehr gegeben, so müsse die Bewilligung widerrufen werden. Das gelte erst recht bei Erstattungslagern. Da das Vertrauen nicht teilbar sei, sei es auch nicht angängig, zwischen Lagerstätten des Lagerinhabers und ,,Fremdlagern" zu unterscheiden. Für die Annahme einer unbilligen Härte sei kein Raum. Es sei nicht dargetan, daß wirtschaftliche Nachteile - wie eine Existenzgefährdung - drohten, die nur schwer wiedergutzumachen seien. Der Umstand, daß die Antragstellerin vorläufig nicht am Vorfinanzierungsverfahren teilnehmen könne, sei die gesetzliche Folge des Widerrufs.
Die Beschwerdeschrift vom 16. Juni 1989 ist ,,mit Postzustellungsurkunde" an das FG gesandt worden und dort zwei Tage nach Ablauf der Beschwerdefrist eingegangen (am Freitag, 23. Juni 1989). Hinsichtlich der Versäumung der Frist beantragt das HZA, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren: die am 19. Juni 1989 gegen 14.30 Uhr in N eingelieferte Sendung - Brief mit Postzustellungsurkunde - sei im Bereich der Post fehlgeleitet worden. Das HZA hat eine postamtliche Auskunft vorgelegt, aus der sich ergibt, daß ein entsprechend eingelieferter Brief mit Postzustellungsauftrag am 20. Juni 1989 in M zur Zustellung hätte vorliegen müssen.
Die Antragstellerin hält einen Wiedereinsetzungsgrund nicht für gegeben und die Beschwerde auch deshalb für unzulässig, weil hinsichtlich der Beschwerdeangriffe - Fehlen der Aussetzungsvoraussetzungen - das Rechtsmittel nicht zugelassen worden sei. Hilfsweise trägt die Antragstellerin im wesentlichen vor, der angefochtene Widerruf sei nicht auf Tatsachen gestützt. Eine strafgerichtliche Verurteilung, noch dazu eine nicht rechtskräftige, könne als solche nicht Grundlage einer Widerrufsentscheidung sein. Nachprüfbare Ermessenserwägungen lägen nicht vor. Im übrigen sei auch der Aussetzungsgrund der unbilligen Härte gegeben. Sie - Antragstellerin - sei von der eigenen Teilnahme am Erstattungsverkehr ausgeschlossen, wobei es besonders um die Erlangung der erheblich höheren Erstattungssätze für Frischfleisch gehe. Ohne diese Möglichkeit sei sie - Antragstellerin - wettbewerbsunfähig.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
a) Sie ist zwar verspätet, nach Ablauf der Beschwerdefrist (§ 129 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -), eingelegt worden, doch ist dem HZA Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, weil dieses ohne Verschulden verhindert war, die Beschwerdefrist einzuhalten (§ 56 Abs. 1 FGO). Die Fristversäumnis ergab sich durch unüblich verzögerten Postlauf. Gegen Ende der Rechtsmittelfrist hatte das HZA bei Inanspruchnahme der Post eine Beförderungsart zu wählen, die - unter Berücksichtigung des normalen Postlaufs - die Einhaltung der Frist gewährleistete (ständige Rechtsprechung; z. B. Bundesfinanzhof - BFH -, Beschlüsse vom 29. April 1976 IV R 17/76, BFHE 119, 212, 214, BStBl II 1976, 626 und vom 22. Mai 1985 IV R 242/84, BFH/NV 1985, 46). Dieser Verpflichtung hat das HZA genügt, obgleich es sich für den Postzustellungsauftrag - einen für die Übermittlung behördlicher Rechtsmittelschriften ungewöhnlichen Weg - entschieden hatte. Nach dem Vortrag des HZA und der davon vorgelegten Ablichtung der Absendeverfügung hält der Senat es für glaubhaft (§ 56 Abs. 2 Satz 2 FGO; vgl. auch Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl. 1987, § 56 Anm. 52), daß die Beschwerdeschrift am 19. Juni 1989 vor Dienstschluß (,,ca. 14.30 Uhr") als einfacher Brief - mit Postzustellungsauftrag (§ 39 der Postordnung - PO - vom 16. Mai 1963, BGBl I 1963, 341, in der Fassung der Verordnung vom 10. März 1986, BGBl I 1986, 343) - in N zur Post gegebnen worden ist. Nach der gleichfalls vorgelegten postamtlichen Auskunft hätte ein derart eingelieferter Brief am 20. Juni 1989 in M zur Zustellung vorliegen müssen. Damit ist zwar, wie die Antragstellerin zutreffend ausführt, noch nicht bestätigt, daß der Brief noch am 20. Juni 1989 zugestellt worden wäre. Es ist jedoch davon auszugehen, daß die Post Postzustellungsaufträge wegen ihrer besonderen Bedeutung grundsätzlich beim nächsten Zustellgang ausführt (Florian/Weigert, Kommentar zur PO, § 39 Anm. 8). Das bedeutet, daß die Sendung normalerweise wenn nicht noch am 20., so jedenfalls am 21. Juni 1989 - beides Arbeitstage -, mithin fristgerecht, zugestellt worden wäre. Ist - wie hier - die übliche Postlaufzeit überschritten, so kommt es auch nicht mehr darauf an, auf welchen Gründen die Verzögerung beruhte (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 13. Aufl., § 56 FGO Tz. 4).
b) Auch im übrigen bestehen gegen die Zulässigkeit der Beschwerde keine Bedenken. Die Ansicht der Antragstellerin, die Beschwerde sei unzulässig, weil sie nicht auf den Grund gestützt worden ist, dessentwegen das FG die Beschwerde zugelassen hat (Art. 1 Nr. 3 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs), trifft nicht zu. Im Revisionsverfahren gilt - nach erfolgter Zulassung der Revision - der Grundsatz der Vollrevision. Entsprechendes gilt für die zugelassene Beschwerde gegen einen Beschluß nach § 69 Abs. 3 FGO (vgl. auch Gräber/Koch, a. a. O., § 69 Anm. 194, Ruban, a. a. O., § 115 Anm. 46), zumal diese Beschwerde keiner Begründung bedarf und ein Rechtsmittelführer, der seine Beschwerde auf andere Gründe als diejenigen stützt, die zur Zulassung der Beschwerde geführt haben, nicht schlechtergestellt werden darf als ein Beschwerdeführer, der ohne Begründung eine Überprüfung der angefochtenen Entscheidung anstrebt. Der Zulässigkeit der Beschwerde steht schließlich auch nicht entgegen, daß der Zulassungsgrund - die grundsätzliche Bedeutung hinsichtlich der Frage, ob neben der Aufhebung der Vollziehung des Widerrufs der Lagerbewilligung eine einstweilige Regelung für das betroffene Dauerrechtsverhältnis erfolgen kann - nicht die Auslegung von § 69 FGO, sondern eine andere Rechtsfrage betrifft (BFH, Beschluß vom 28. November 1977 GrS 4/77, BFHE 124, 130, BStBl II 1978, 229; Senat, Beschluß vom 1. September 1987 VII B 86/87, BFH/NV 1987, 813), hier eine solche über die Ausgestaltung des vorläufigen Rechtsschutzes.
2. Die Beschwerde ist auch begründet.
a) Die Ansicht der Vorinstanz, bei summarischer Prüfung ergäben sich ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Widerrufsverfügung (§ 69 Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 FGO), weil erhebliche Gründe für einen Ermessensfehler der Verwaltung sprächen, vermag der Senat nicht zu teilen. Der im Hauptverfahren angefochtene Widerruf der Lagerbewilligung ist wie diese selbst ein rechtsgestaltender, ermessensgebundener Verwaltungsakt (vgl. § 88 Abs. 4 Satz 2 der Allgemeinen Zollordnung - AZO -; dazu Senat, Urteil vom 24. November 1987 VII R 138/84, BFHE 152, 289, 291, BStBl II 1988, 364). Rechtgestaltende Verwaltungsakte sind der Aufhebung der Vollziehung zugänglich (Senat, Beschluß vom 18. Juli 1968 VII B 41/67, BFHE 93, 215, BStBl II 1968, 743; vgl. auch BFH, Beschluß vom 6. Dezember 1979 IV B 32/79, BFHE 129, 300, 303, BStBl II 1980, 427). Im Verfahren der Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung, das auf einen ermessensgebundenen Verwaltungsakt bezogen ist, darf das Gericht im Hinblick auf die Ermessensausübung durch die Verwaltungsbehörde jedoch nur prüfen, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder ob von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist (§ 102 FGO; BFH, Beschluß vom 7. Juli 1976 I B 93/75, BFHE 119, 232, BStBl II 1976, 628; Gräber/Koch, a. a. O., § 69 Anm. 95). Bei Anlegung dieses Prüfungsmaßstabes kann ein Ermessensfehler nicht festgestellt werden.
Der Antragstellerin war ein offenes Zollager, auch in Lagerstätten in einem dritten Lagerbetrieb (Sammellager, vgl. § 89 Abs. 3 AZO), bewilligt, und zwar für die Inanspruchnahme der Vorfinanzierung nach der Verordnung (EWG) Nr. 565/80 (VO Nr. 565/80) des Rates über die Vorauszahlung von Ausfuhrerstattungen für landwirtschaftliche Erzeugnisse vom 4. März 1980, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften - ABlEG - L 62/5 (zu der damit verbundenen Anwendung der Zollvorschriften über die Zollgutlagerung Schneider in Bail/Schädel/Hutter, Zollrecht, G IV Rz. 32). Zollager werden nur Personen bewilligt, die ,,nach dem Ermessen der Zollverwaltung" vertrauenswürdig sind, § 42 Abs. 2 des Zollgesetzes. Diese Regelung steht in Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht über Zollager (vgl. Olbertz in Regul, Gemeinschaftszollrecht, 1. Aufl. 1982, S. 1093). Sie ist mithin auch im Rahmen von Art. 5 VO Nr. 565/80, der ein Zollagerverfahren voraussetzt, von Bedeutung; eine zusätzliche Voraussetzung für die Anwendung des Gemeinschaftsrechts wird damit, anders als in dem vom Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in der Rechtssache 39/70 entschiedenen Fall (Urteil vom 11. Februar 1971, EuGHE 1971, 49, 58), nicht aufgestellt. Es ist nicht als Ermessensfehler zu beanstanden, daß das HZA die Lagerbewilligung wegen fehlender Vertrauenswürdigkeit widerrufen hat. Ist der Lagerinhaber nicht mehr vertrauenswürdig, so ist der Entzug der Ausübungsbewilligung zumindest vertretbar (Senat in BFHE 152, 289, 294). Die Vertrauenswürdigkeit wird beurteilt ,,nach dem Ermessen der Zollverwaltung". Der Senat hat diese Beurteilung dem Bereich des verwaltungsmäßigen Ermessens zugeordnet (Urteil vom 22. Mai 1968 VII 17/63, zitiert in BFHE a. a. O.; vgl. auch Schwarz/Wockenfoth, Zollgesetz, Teil D Rz. 68). - Bei dieser rechtlichen Wertung konnte das HZA, ohne sein Ermessen zu überschreiten oder den Ermessenszweck zu verfehlen, die Bewilligung widerrufen, nachdem der Geschäftsführer der Antragstellerin, wenn auch nicht rechtskräftig, wegen Subventionsbetruges im Zusammenhang mit Fleischausfuhren zu einer (zur Bewährung ausgesetzten) Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt worden war. Dafür bedurfte es entgegen der Meinung der Antragstellerin keiner weiteren - eigenen - Tatsachenfeststellungen durch das HZA. Allein die Tatsache dieser Verurteilung war geeignet, das für die Lagerbewilligung vorausgesetzte Vertrauen der Verwaltung zu erschüttern. Der Umstand, daß die der Verurteilung zugrunde liegenden Vorfälle schon einige Jahre zurücklagen, hinderte das HZA nicht, die Verurteilung des Geschäftsführers als Widerrufsgrund heranzuziehen, nachdem diese ausgesprochen war. Auch die Besonderheiten des der Antragstellerin bewilligten Lagerverkehrs schlossen die Berücksichtigung dieses Grundes nicht aus. Es ist zwar richtig, daß es gerade bei einem offenen Zollager in besonderem Maße auf die Vertrauenswürdigkeit des Lagerinhabers ankommt, doch ändert dies nichts daran, daß die Vertrauenswürdigkeit eine Grundvoraussetzung für die Bewilligung jedes Zollagers ist. Selbst wenn es sich bei dem Lager der Antragstellerin - bewilligt übrigens als offenes Zollager - um ein Verschlußlager gehandelt hätte, wäre dessen Widerruf wegen einer auf einschlägigen Vorwürfen beruhenden, ins Gewicht fallenden Verurteilung des Lagerinhabers oder seines Vertreters nicht ermessensfehlerhaft. Die Möglichkeit einer Abänderung des Strafurteils zugunsten des . . . steht der Berücksichtigung der Verurteilung als Widerrufsgrund gleichfalls nicht entgegen. Anders wäre es nur, wenn nach den Umständen des Einzelfalls mit Sicherheit oder wenigstens hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Freispruch zu erwarten wäre. Für eine solche Annahme reicht es indessen nicht aus, daß das Strafurteil und die zugrunde liegenden Feststellungen ,,mit umfangreichen und nicht von vornherein von der Hand zu weisenden Revisionsrügen angegriffen ist". Durfte das HZA aber mit der Verurteilung als solcher das Vertrauen in die Lagerinhaberin als erschüttert ansehen, so konnte es ohne Ermessensfehler allein aus diesem Grunde die Bewilligung - insgesamt - widerrufen. Auf weitere Ermessenserwägungen kam es entgegen der Ansicht des FG nicht an.
An diesem Ergebnis würde sich auch dann nichts ändern, wenn die ,,Vertrauenswürdigkeit" des Lagerinhabers als unbestimmter Rechtsbegriff zu beurteilen wäre. Da die Verwaltung die Vertrauenswürdigkeit nach ihrem Ermessen zu beurteilen hat, stände ihr ein besonders weiter Beurteilungsspielraum zu, der sich dadurch rechtfertigt, daß sie das Risiko ungerechtfertigter Ausnutzung des Zollagers trägt (vgl. Bail/Schädel/Hutter, a. a. O., B/42-46 Rz. 6). Dieser Beurteilungsspielraum wäre nicht dadurch überschritten, daß die Vertrauenswürdigkeit im Hinblick auf eine entsprechende - auch nicht rechtskräftige - Verurteilung verneint wird.
Fällt die rechtliche Prüfung des im Hauptverfahren geltend gemachten Anspruchs somit zum Nachteil der Antragstellerin aus, so scheidet auch unter Berücksichtigung der vom Bundesverfassungsgericht (Beschluß vom 25. Oktober 1988 2 BvR 745/88, BVerfGE 79, 69, 75) entwickelten Grundsätze vorläufiger Rechtsschutz - wegen ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts - aus.
b) Der weitere Aussetzungsgrund - unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte - liegt gleichfalls nicht vor. Der Senat läßt offen, ob auch insoweit nur eine Ermessenskontrolle in Betracht kommt (vgl. Gräber/Koch, a. a. O., Anm. 121). Auch bei weitergehender Prüfung kann dieser Aussetzungsgrund hier nicht anerkannt werden. Er steht zwar selbständig neben dem ersten Aussetzungsgrund - ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit -, doch gilt gleichwohl, daß eine Aufhebung der Vollziehung wegen unbilliger Härte nicht unabhängig von den Erfolgsaussichten des Rechtsmittels in der Hauptsache gewährt werden darf. Die Aufhebung der Vollziehung scheidet vielmehr aus, wenn Rechtmäßigkeitszweifel fast ausgeschlossen sind (BFH, Beschluß vom 19. April 1968 IV B 3/66, BFHE 92, 314, 319, BStBl II 1968, 538). Solche Zweifel muß der Senat indessen nach dem Ergebnis der Ermessenskontrolle unter dem Gesichtspunkt ernstlicher Zweifel verneinen (vorstehend Buchst. a).
Unabhängig davon setzt die Anerkennung einer unbilligen Härte voraus, daß der Betroffene seine wirtschaftliche Lage im einzelnen vorträgt und glaubhaft macht (BFH, Beschluß vom 9. Mai 1969 III B 4/67, BFHE 96, 117, 120, BStBl II 1969, 547). Die Antragstellerin hat sich jedoch nur auf die - ihrer Ansicht nach existenzbedrohenden - finanziellen Nachteile berufen, die ihr durch den Entzug des Lagers entstehen (Versagung der Vorfinanzierung; Verhinderung der Inanspruchnahme der höheren Erstattung für Frischfleisch). Zusätzlicher Ausführungen über die Auswirkungen dieser Nachteile auf die wirtschaftliche Lage der Antragstellerin hätte es - gegebenenfalls - um so mehr bedurft, als der Antragstellerin trotz Widerrufs der Lagerbewilligung die (freilich weniger günstige) Möglichkeit der - unmittelbaren - Ausfuhr von Frischfleisch spätestens 60 Tage nach Ausfuhrabfertigung, auch mit Vorschußzahlung (Art. 4 Abs. 1 und 3, Art. 22 der Verordnung (EWG) Nr. 3665/87 - VO Nr. 3665/87 - der Kommission über gemeinsame Durchführungsvorschriften für Ausfuhrerstattungen bei landwirtschaftlichen Erzeugnissen vom 27. November 1987, ABleG L 351/1), und die der Abwicklung ihrer Geschäfte über Zollager Dritter (mit sechsmonatiger Lagerfrist; Art. 28 Abs. 5 VO Nr. 3665/87) verbleibt.
3. Mit der Verneinung von Aussetzungsgründen wird auch die vom FG getroffene Regelung über die einstweilige Benutzung des widerrufenen offenen Zollagers gegenstandslos. Das gilt jedenfalls, soweit diese Regelung als eine solche ,,im Rahmen der AdV" anzusehen ist. Der Senat braucht mithin nicht zu entscheiden, ob im Hinblick auf eine lediglich auf die Vollziehbarkeit des angefochtenen rechtsgestaltenden Verwaltungsakts beschränkte Wirkung der Aufhebung der Vollziehung (dazu Senat, Beschluß vom 20. April 1971, VII B 114/70, BFHE 101, 494, 496, BStBl II 1971, 402) eine derartige Regelung zwecks Gewährleistung umfassenden vorläufigen Rechtsschutzes notwendig wäre oder ob sie sich etwa deshalb erübrigte, weil die maßgebende Erstattungsregelung (Art. 5 Abs. 1 VO Nr. 565/80) möglicherweise nur auf die - bei Aufhebung der Vollziehung nicht ausgeschlossene - Abfertigung zum Zollager abstellt.
Die vom FG getroffene Regelung hat aber auch dann keinen Bestand, wenn sie als selbständige einstweilige Anordnung (,,daneben") erlassen worden sein sollte. Insoweit fehlt es aus den Gründen zu Nr. 1 a jedenfalls an einem Anordnungsanspruch (§ 114 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 FGO, § 920 Abs. 1 und 2 der Zivilprozeßordnung). Im übrigen ist der Erlaß einer einstweiligen Anordnung auch an einen Anordnungsgrund, damit an noch strengere Voraussetzungen gebunden als die Aufhebung der Vollziehung (vgl. z. B. BFH, Beschluß vom 14. April 1987 GrS 2/85, BFHE 149, 493, 498, BStBl II 1987, 637). Liegen noch nicht einmal deren Voraussetzungen vor, so sind die der einstweiligen Anordnung erst recht nicht gegeben. Ob auch § 114 Abs. 5 FGO einer einstweiligen Regelung entgegensteht, kann unentschieden bleiben.
Fundstellen
Haufe-Index 416864 |
BFH/NV 1990, 473 |