Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Wiedereinsetzung bei mangelhafter Führung des Fristenkontrollbuchs
Leitsatz (NV)
Im Fristenkontrollbuch muß der Fristablauf für jede einzelne Sache vermerkt sein. Die Aufnahme der Anforderung der Prozeßvollmacht ersetzt einen gesonderten Vermerk über den Ablauf der Revisionsbegründungsfrist auch dann nicht, wenn das Ende beider Fristen auf denselben Tag fällt.
Die Erledigungsvermerke im Fristenkontrollbuch müssen eine Datumsangabe enthalten, damit ein Abgleich mit dem Postausgangsbuch möglich ist.
Normenkette
FGO § 56 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) legte durch seinen steuerlichen Berater A gegen das am 27. August 1984 zugestellte Urteil des Finanzgerichts (FG) Revision ein. Die Geschäftsstelle des erkennenden Senats bat A mit Schreiben vom 18. Oktober 1984 u. a., bis zum 29. Oktober 1984 eine Prozeßvollmacht des Klägers für das Verfahren vor dem Bundesfinanzhof (BFH) zu übersenden. A legte diese Vollmacht mit einem am 30. Oktober 1984 beim BFH eingegangenen Schriftsatz vor; gleichzeitig bat er um Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist. Der Schriftsatz trägt das Datum vom 25. Oktober 1984. Auf der Vollmachtsurkunde ist als Austellungsdatum der 26. Oktober 1984 angegeben. Der die beiden Schriftstücke enthaltende Briefumschlag ist mit dem Postaufgabedatum 29. Oktober 1984 (sog. Freistempel) versehen.
Der Vorsitzende des erkennenden Senats wies A mit einem diesem am 9. November 1984 zugestellten Schreiben darauf hin, daß die Revisionsbegründungsfrist am 29. Oktober 1984 abgelaufen sei und deshalb nicht mehr verlängert werden könne. A beantragte am 22. November 1984 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und begründete die Revision des Klägers.
Zum Antrag auf Wiedereinsetzung führte er aus: Der Schriftsatz mit dem Antrag, die Revisionsbegründungsfrist zu verlängern, sei am 25. Oktober 1984 gefertigt worden. Entsprechend der in seiner Kanzlei bestehenden Organisation sei der betreffende Brief auch an diesem Tag zur Post gegeben worden. Im Vertrauen auf die üblichen Postlaufzeiten habe davon ausgegangen werden dürfen, daß der Brief spätestens am 29. Oktober 1984 beim Empfänger ankommen werde. Die Beförderung von Schriftstücken zur Post obliege einer Büroangestellten, die diese Aufgabe schon seit längerem beanstandungslos erledige. Schließlich sei durch die Führung eines Fristenkontrollbuchs sichergestellt, daß spätestens zehn Tage vor Fristablauf eine Wiedervorlage erfolge und so die üblichen Postlaufzeiten eingehalten würden.
A legte in diesem Zusammenhang die Kopien zweier Seiten des vorgenannten Fristenkontrollbuchs vor. Sie betreffen den 19. und den 29. Oktober. In beiden Fällen ist unter Benennung des Klägers angehend (vorne links) als Datum der 18. Oktober 1984 eingetragen; als Vorgang ist jeweils angegeben ,,Fälligkeit der Prozeßvollmacht"; in der Spalte ,,Zum Versand gegeben am:" ist schließlich - im Gegensatz zu Eintragungen bei vielen anderen Vorgängen - auf beiden Buchseiten lediglich ,,erledigt" vermerkt.
Durch die Stellungnahme des Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -) darauf aufmerksam gemacht, daß der den Fristverlängerungsantrag enthaltende Briefumschlag den Freistempelabdruck vom 29. Oktober 1984 trägt, hat A noch ergänzend mitgeteilt: Er habe im Hinblick auf seine Kanzleiorganisation darauf vertrauen dürfen, daß ein Brief noch an dem Tage, an dem er ihn unterschreibe, zur Post gebracht werde. In der Vergangenheit sei es diesbezüglich nie zu Fristüberschreitungen gekommen. Er habe immer wieder darauf hingewiesen, daß alle Schriftstücke, die sich in der Unterschriftsmappe befinden, im Postausgangsbuch einzutragen und versandfertig zu machen seien. Er überzeuge sich durch Stichproben von der Einhaltung dieser Anweisungen. Daß der hier zu beurteilende Fristverlängerungsantrag erst am 29. Oktober 1984 zur Post gegeben worden ist, beruhe demnach auf einem entschuldbaren Büroversehen.
Das FA ist den rechtlichen Folgerungen des A entgegengetreten und beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unzulässig; sie ist nicht fristgemäß begründet worden (vgl. § 124 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
1. Die Revisionsbegründungsfrist endete angesichts der Zustellung des angefochtenen FG-Urteils am 27. August 1984 mit Ablauf des 29. Oktober 1984 (§ 120 Abs. 1 FGO; § 54 FGO i. V. m. § 222 der Zivilprozeßordnung - ZPO - und § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2, § 193 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -). Der am 30. Oktober 1984 beim BFH eingegangene Fristverlängerungsantrag war mithin verspätet.
2. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann nicht gewährt werden, da A die Revisionsbegründungsfrist schuldhaft versäumt hat und sich der Kläger dieses Verhalten zurechnen lassen muß (§ 56 Abs. 1 FGO; § 155 FGO i. V. m. § 85 Abs. 2 ZPO).
a) Das Verschulden des A besteht schon darin, daß die Revisionsbegründungsfrist - worauf auch das FA hingewiesen hat - nicht als solche im Fristenkontrollbuch festgehalten worden ist.
Es ist Pflicht eines jeden Prozeßbevollmächtigten, durch die Organisation seines Bürobetriebs sicherzustellen, daß Fristversäumnisse ausgeschlossen werden. Dazu ist unerläßlich, daß ein Fristenkontrollbuch oder eine vergleichbare Einrichtung geführt wird. In ihr muß der Fristablauf für jede einzelne Sache vermerkt sein (ständige Rechtsprechung; siehe aus jüngerer Zeit den BFH-Beschluß vom 18. Januar 1984 I R 196/83, BFHE 140,146, BStBl II 1984, 441). Im Fristenkontrollbuch des A war für den Kläger ausweislich der dem Senat vorgelegten Kopien nur die Anforderung der Prozeßvollmacht vermerkt. Die Revisionsbegründungsfrist ist jedoch an keiner Stelle genannt.
Dieser Mangel ist nicht etwa dadurch geheilt, daß auch die für die Vorlage der Vollmachtsurkunde gesetzte Frist am 29. Oktober 1984 endete. Denn deren Einhaltung hatte nicht annähernd die Bedeutung wie sie der Wahrung der Revisionsbegründungsfrist zukommt. Es handelte sich um eine Fristsetzung durch die Geschäftsstelle des Senats, deren Versäumung keinerlei Sanktionen nach sich zog. Die gesonderte Aufnahme der Revisionsbegründungsfrist in das Kontrollbuch war daher auch deshalb geboten, um ihren Ablauf entsprechend ihrer Bedeutung angemessen und zutreffend überwachen zu können.
b) Hinzu kommt, daß die für den Kläger im Kontrollbuch vorgenommenen Eintragungen es nicht zulassen, nachzuvollziehen, wann im Büro des A der als fristwahrend angesehene Schritt unternommen worden ist. Auf beiden Buchseiten (für den 19. und den 29. Oktober) ist in der Spalte ,,Zum Versand gegeben am:" lediglich der Vermerk ,,erledigt" angebracht. Auf diese Weise war auch eine wirksame Ausgangskontrolle nicht möglich (siehe dazu ebenfalls den Beschluß in BFHE 140, 146, BStBl II 1984, 441). Die fehlenden Datumsangaben ließen keinen Abgleich mit dem Postausgangsbuch zu.
c) Bei dieser Sach- und Rechtslage kann offenbleiben, ob die von A gewählte Art der Fristüberwachung, die es nicht ermöglicht, den Verlauf einer einzelnen Frist - einschließlich evtl. Verlängerungen - zusammenhängend zu verfolgen, überhaupt den von der Rechtsprechung entwickelten Erfordernissen genügt. In gleicher Weise braucht der Senat nicht zu prüfen, ob der Vortrag des A im übrigen hinreichend glaubhaft gemacht worden ist (§ 56 Abs. 2 Satz 2 FGO). Es erübrigt sich insoweit insbesondere ein Eingehen auf den Umstand, daß die Vollmachtsurkunde ein späteres Datum trägt als das ihr beigefügte Begleitschreiben.
Fundstellen
Haufe-Index 415084 |
BFH/NV 1987, 792 |