Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung in einer Ermessenssache
Leitsatz (NV)
Weil die Ermessensentscheidung über die Ablehnung eines Antrags auf Erlaß von Steuerschulden wegen persönlicher Unbilligkeit von der Würdigung der Umstände des Einzelfalls abhängt, sind die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung einer derartigen Rechtssache regelmäßig nicht erfüllt.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3
Tatbestand
Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) hat aufgrund verfehlter Grundstücksgeschäfte Verbindlichkeiten von zwischen 600 000 DM und 800 000 DM und schuldet für die Besteuerungszeiträume 1986 bis 1993 noch rd. 21 000 DM Umsatzsteuer, die der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt -- FA --) nach Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung der Klägerin über ihre Vermögensverhältnisse niedergeschlagen hat.
Den Antrag der Klägerin auf Erlaß der bezeichneten Umsatzsteuerrückstände aus persönlichen Billigkeitsgründen lehnte das FA ab und bestätigte die Ablehnung durch die Einspruchsentscheidung vom 4. Dezember 1996, u. a. mit der Begründung, die Klägerin habe nicht nachgewiesen, daß auch die außersteuerlichen Gläubiger auf ihre Forderungen verzichtet hätten.
Die dagegen gerichtete Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) legte dar, daß es die Ermessensentscheidung des FA über die Ablehnung des Erlaßantrags nur in den Grenzen von §102 der Finanzgerichtsordnung (FGO) prüfen dürfe und dabei auf den Zeitpunkt der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung abstellen müsse. Unter diesen Voraussetzungen sei die Ablehnung nicht ermessensfehlerhaft.
Das FG hatte nach einem Gerichtsbescheid vom 31. Januar 1997 aufgrund mündlicher Verhandlung am 15. April 1997 entschieden. Es hatte einen Antrag der Klägerin vom 16. Dezember 1996 auf Prozeßkostenhilfe (PKH) durch Beschluß vom 31. Januar 1997 abgelehnt. Dagegen hatte die Klägerin am 28. Februar 1997 Beschwerde eingelegt. Den Antrag der Klägerin vom 18. März 1997, die auf den 15. April 1997 anberaumte mündliche Verhandlung bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über die Beschwerde gegen die Ablehnung des Antrags auf PKH zu vertagen, wies das FG in den Urteilsgründen zurück. Es nahm dabei auf den Inhalt der Verfügung des Vorsitzenden vom 25. März 1997 an den Prozeßbevollmächtigten der Klägerin Bezug, daß die Sache entscheidungsreif sei und die Beschwerde keine aufschiebende Wirkung habe.
Am Tag vor der mündlichen Verhandlung am 14. April 1997 ging bei dem FG ein Schreiben der Klägerin mit dem Datum des 11. April 1997 und dem Begehren ein, einen Fahrtkostenzuschuß für ihre Teilnahme an der mündlichen Verhandlung zu gewähren. Dazu führte das FG in den Urteilsgründen aus, daß über diesen Antrag wegen des verspäteten Eingangs nicht mehr vor der mündlichen Verhandlung habe entschieden werden können. Ein Grund, deswegen die mündliche Verhandlung zu vertagen, sei aber nicht gegeben, weil die Klage keine Aussicht auf Erfolg habe. Neue entscheidungserhebliche Gesichtspunkte habe die Klägerin angesichts des vorausgegangenen Gerichtsbescheids und des ausgeschriebenen Sach- und Streitstands ersichtlich nicht vorgetragen.
Zur mündlichen Verhandlung vor dem FG am 15. April 1997 war für die Klägerin niemand erschienen. Der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin hatte den Gerichtstermin nicht wahrgenommen, weil er keinen Prozeßkostenvorschuß erhalten hatte.
Mit der Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision macht die Klägerin geltend, das FG habe verfahrensfehlerhaft entschieden, weil es die mündliche Verhandlung am 15. April 1997 nicht vertagt und in ihrer, der Klägerin, Abwesenheit und trotz Fernbleibens ihres Prozeßbevollmächtigten verhandelt habe. Dadurch habe das FG die prozessuale Fürsorgepflicht für sie, die Klägerin, nicht in dem gebotenen Umfang wahrgenommen und dadurch ihr rechtliches Gehör verletzt. Verfahrensfehlerhaft habe das FG die mündliche Verhandlung trotz des noch nicht beschiedenen Antrags auf Fahrtkostenersatz durchgeführt. Sie, die Klägerin, hätte, wenn sie hätte erscheinen können, auf ein Verfahren vor dem Verwaltungsgericht X hingewiesen, in dem sie gegen die Entziehung ihrer Gewerbeerlaubnis wegen der hier streitigen Steuerschulden klage.
Außerdem seien in einer Revision Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung zu klären. So müsse entschieden werden, ob der Erlaß von Steuerschulden mit dem Hinweis auf andere erhebliche Verbindlichkeiten abgelehnt werden dürfe und ob die Zusage der Niederschlagung einer steuerlichen Verbindlichkeit der Unbilligkeit der Einziehung der Steuerschuld i. S. von §227 der Abgabenordnung (AO 1977) gleichstehe.
Die Klägerin beantragt die Zulassung der Revision.
Das FA ist der Beschwerde entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
Die Nichtzulassungsbeschwerde hat keinen Erfolg.
a) Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) zuzulassen. Die Voraussetzungen liegen dafür nicht vor.
Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung i. S. von §115 Abs. 2 Nr. 1 FGO, wenn über eine Rechtsfrage zu entscheiden ist, an deren Beantwortung ein allgemeines Interesse besteht, weil ihre Klärung das Interesse der Allgemeinheit an der Fortentwicklung und einheitlichen Handhabung des Rechts berührt (ständige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs -- BFH --, z. B. BFH-Beschluß vom 26. September 1991 VIII B 41/91, BFHE 165, 287, BStBl II 1991, 924). Die Rechtsfrage muß klärungsbedürftig und im Streitfall klärbar sein (BFH-Beschluß vom 2. April 1997 V B 26/96, BFHE 182, 430, BStBl II 1997, 443).
In einer wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache eingelegten Nichtzulassungsbeschwerde muß der Beschwerdeführer demgemäß nach §115 Abs. 3 Satz 3 FGO die Rechtsfrage bezeichnen, außerdem dartun, weshalb die Rechtsfrage klärungsbedürftig und klärbar ist, und schließlich das Allgemeininteresse an der Klärung der Rechtsfrage darlegen (ständige Rechtsprechung, vgl. z. B. BFH-Beschluß vom 11. Juli 1996 XI B 171, 172/95, BFH/NV 1997, 49). Die von der Klägerin aufgeworfene Rechtsfrage erfüllt diese Voraussetzungen nicht.
aa) Die als rechtsgrundsätzlich hervorgehobene Rechtsfrage, ob ein Erlaß von Steuerschulden mit dem Hinweis auf andere erhebliche Verbindlichkeiten abgelehnt werden könne, hat keine grundsätzliche Bedeutung, weil die Ermessensentscheidung über den Erlaß von Steuerschulden (§227 AO 1977) immer von der Würdigung der Umstände des Einzelfalls abhängt (vgl. auch BFH-Beschlüsse vom 9. Juli 1996 VII B 57/96, BFH/NV 1997, 84 zu 3.; vom 2. September 1987 II B 23/87, BFH/NV 1989, 42 zu 3.). Ob das FG im Einzelfall das Gesetz und die dazu von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zutreffend angewandt hat, betrifft nur das individuelle Interesse der Klägerin an einer richtigen Entscheidung, nicht aber das für die Revisionszulassung maßgebende Interesse der Allgemeinheit an einer einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts. Im Falle der Revisionszulassung könnte eine Klärung nur für die richtige Rechtsanwendung im Streitfall bedeutsam sein. Dies ist mit einer Nichtzulassungsbeschwerde nicht erreichbar.
bb) Für die Frage, ob die Zusage der Niederschlagung (§261 AO 1977) einer steuerlichen Verbindlichkeit der Unbilligkeit der Einziehung der Steuerschuld i. S. von §227 AO 1977 gleichsteht, besteht kein Bedürfnis an einer Klärung durch eine Revisionsentscheidung, weil sich die Beantwortung ohne weiteres aus dem Gesetz ergibt. Selbst die Erfüllung einer Zusage auf Niederschlagung eines Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis schließt keine Entscheidung über den Erlaß dieses Anspruchs ein. Durch eine Niederschlagung wird der Steueranspruch weder hinsichtlich seines Bestehens noch hinsichtlich seiner Fälligkeit noch hinsichtlich seiner Durchsetzbarkeit berührt (vgl. dazu Müller-Eiselt in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung -- Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., §261 AO 1977 Rz. 7; Tipke/Kruse, Abgabenordnung -- Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., §261 AO 1977 Tz. 6, m. w. N.).
b) Die Revision ist auch nicht wegen des Verfahrensfehlers (§115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) der Versagung des rechtlichen Gehörs (§96 Abs. 2 FGO) zuzulassen. Die Rüge genügt nicht den Anforderungen (§115 Abs. 3 Satz 3 FGO).
Verfahrensmängel i. S. von §115 Abs. 2 Nr. 3 FGO sind Verstöße des FG gegen den in Vorschriften des Gerichtsverfahrensgesetzes geregelten Ablauf des Verfahrens.
Daß die Vorschriften des Gerichtsverfahrensrechts eine Vertagung der mündlichen Verhandlung nicht erzwangen, hat das FG in seinem Urteil ohne erkennbaren Rechtsverstoß dargelegt. Das FG hatte zwar verfahrensfehlerhaft die Beschwerde gegen die Ablehnung der PKH für das Klageverfahren nicht weiter bearbeitet. Die Beschwerdeschrift legt aber nicht schlüssig dar, daß der Klägerin hierdurch das rechtliche Gehör versagt worden war.
Von einer weiteren Begründung wird nach Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs abgesehen.
Fundstellen