Leitsatz (amtlich)
1. Ist ein Grundstück zunächst gemäß § 1 Nr. 1 des Niedersächsischen GrEStWG von der Besteuerung ausgenommen, so ist die Grunderwerbsteuer wegen Aufgabe des begünstigten Zwecks nachzuerheben (§ 5 GrEStWG), wenn das Grundstück vor Ablauf der vorgeschriebenen Frist zwangsversteigert wird, ohne daß der Erwerber darauf ein Gebäude mit grundsteuerbegünstigten Wohnungen errichtet hat.
2. Einer nach außen nicht hervorgetretenen, bloß inneren Sinnesänderung hinsichtlich einer Bebauung kann noch nicht das die (dann endgültige) Steuerpflicht auslösende Gewicht der Aufgabe des begünstigten Zwecks beigelegt werden.
2. § 145 Abs. 2 Nr. 4 AO n. F. ist auf Fälle der Nacherhebung gemäß § 5 GrEStWG nicht anwendbar. Die Grunderwerbsteuerschuld entsteht erstmals und unbedingt erst mit Aufgabe des begünstigten Zwecks (oder mit Fristablauf).
2. Die Verjährung beginnt mit Ablauf des Jahres, in dem mit Aufgabe des begünstigten Zwecks die Steuerschuld entstanden ist.
Normenkette
Niedersächsisches Gesetz über die Befreiung des sozialen Wohnungsbaues von der Grunderwerbsteuer i.d.F. vom 6. Oktober 1958 - GrEStWG 1958 - § 1 Nr. 1, § 5; AO n.F. § 145 Abs. 2 Nr. 4; AO a.F. § 144 Abs. 1, § 145 Abs. 1, 3 Nr. 3; StAnpG § 3 Abs. 1
Tatbestand
Der Kläger und Beschwerdeführer erwarb durch im April 1961 genehmigten Kaufvertrag im März 1961 ein unbebautes Grundstück mit der Erklärung, er werde darauf innerhalb zwei Jahren Einfamilienhäuser im Rahmen des sozialen Wohnungsbaues errichten. Das unbebaute Grundstück wurde im Juni 1965 zwangsversteigert. Das FA (Beklagter und Beschwerdegegner), das den Erwerb zunächst gemäß § 1 Nr. 1 des Niedersächsischen Gesetzes über die Befreiung des sozialen Wohnungsbaues von der Grunderwerbsteuer in der Fassung vom 6. Oktober 1958 - GrEStWG - (GVBl, 179) von der Besteuerung ausgenommen hatte, forderte, nachdem der Beschwerdeführer behauptet hatte, er habe einen (ersten) Steuerbescheid (vom ... Juni 1967) nicht erhalten, gemäß § 5 des o. a. Gesetzes eine Grunderwerbsteuer durch Bescheid vom ... August 1969 nach.
Der Beschwerdeführer hält die Steuerforderung für verjährt. Nach erfolglosem Einspruch hat er zugleich mit der noch nicht entschiedenen Klage Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Steuerbescheids beantragt. Das FG hat diesen Antrag abgewiesen und der Beschwerde hiergegen nicht abgeholfen.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Beschwerde ist nicht begründet.
Nach dem derzeit erkennbaren Sachverhalt sind einleuchtende Gründe dafür, daß der Steueranspruch am ... August 1969 - dem Zeitpunkt der (zweiten) Steueranforderung - verjährt gewesen wäre, nicht dargetan und glaubhaft gemacht (Beschluß des BFH II B 17/68 vom 23. Juli 1968, BFH 92, 440, BStBl II 1968, 589), noch sonst ersichtlich. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes (§ 69 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 FGO) können deshalb nicht bejaht werden.
Das FG hat an den Eingang seiner Entscheidung die Erwägung gestellt, daß die Freistellung des Erwerbsvorganges im Jahre 1961 ihrem Wesen nach nur vorläufigen Charakter gehabt habe und deshalb als Aussetzung der Steuerfestsetzung im Sinne des § 145 Abs. 2 Nr. 4 AO - in der Fassung des Art. 1 Nr. 2 des Gesetzes zur Änderung der Reichsabgabenordnung und anderer Gesetze vom 15. September 1965 - AOÄG 1965 - (BGBl I 1965, 1356, BStBl I 1965, 643) anzusehen sei; die Verjährung habe also erst mit Ablauf der Ungewißheit, d. h. nach Ablauf von fünf Jahren seit dem rechtswirksamen Grundstückskauf begonnen.
Die in § 145 Abs. 2 Nr. 4 AO vorausgesetzte formelle Vorläufigkeit eines Bescheids (§ 100 Abs. 1, § 225 AO) - und die vorläufige Aussetzung eines Bescheids (im weiteren Sinne ebenfalls ein Bescheid) - sind aber nicht gleichbedeutend mit der materiellen Vorläufigkeit, die durch eine auf künftig zu erfüllende Zwecke abstellende und nur unter Vorbehalt der Nachversteuerung (hier: § 5 GrEStWG) gewährte Steuerbefreiung eintritt (zum Unterschied vgl. Urteil II R 68/68 vom 25. März 1969, BFH 95, 512 [515], BStBl II 1969, 471). Da die Steuerbefreiung (hier: § 1 Nr. 1 GrEStWG) vom Zweck (und nicht von dessen Erfüllung) abhängt, ist die Steuerbefreiung, wenn der Zweck beim Erwerb gegeben war, formell endgültig. Die Nichterfüllung oder Aufgabe des Zwecks verwirklicht nicht eine zuvor bedingte Steuerschuld; die Steuerpflicht entsteht erstmals mit Erfüllung dieses Tatbestandes (§ 3 Abs. 1 StAnpG). Im übrigen ist § 145 Abs. 2 Nr. 4 AO n. F. überhaupt nur anwendbar, wenn der Steueranspruch mit Ablauf des Jahres 1965 oder später entstanden ist (Art. 5 Abs. 1 AOÄG 1965; § 1 Abs. 1 Nrn. 1 u. 2 des Niedersächsischen Gesetzes über die Übernahme bundesrechtlicher Vorschriften in das Abgabenrecht des Landes vom 21. Februar 1956, GVBl 11). Das FG scheint davon ausgegangen zu sein, daß der Beschwerdeführer den steuerbegünstigten Zweck im Sinne des § 5 GrEStWG 1958 endgültig erst mit Ablauf der Fünfjahresfrist dieser Vorschrift aufgegeben habe, die am ... April 1961 - dem Zeitpunkt der letzten Genehmigung - des Erwerbsvorgangs begann (vgl. Urteil II 147/64 vom 19. Dezember 1967, BFH 91, 382, BStBl II 1968, 358). Dies vorausgesetzt wäre der Steueranspruch erst nach Ablauf des Jahres 1965 entstanden; die Verjährung hätte erst mit Ablauf des 31. Dezember 1966 beginnen können und wäre im August 1969 nicht eingetreten gewesen. Die Frage ist hier nicht zu vertiefen, da auch unter anderen denkbaren Möglichkeiten die Verjährung des Steueranspruchs nicht erkennbar wird.
Ist ein der Grunderwerbsteuer unterliegender Erwerbsvorgang vorerst, z. B. wegen beabsichtigter Errichtung steuerbegünstigter Gebäude, von der Besteuerung ausgenommen, so entsteht - wie gesagt - die Grunderwerbsteuerschuld gemäß § 3 Abs. 1 StAnpG erst mit Aufgabe (Wegfall) des begünstigten Zwecks (ständige Rechtsprechung des Senats, siehe z. B. Urteil II 165/64 vom 5. März 1968, BFH 92, 43, BStBl II 1968, 416). Eine solche Aufgabe des steuerbegünstigten Zwecks liegt auch dann vor, wenn der Erwerber das Grundstück vor Ablauf der vorgeschriebenen Frist - hier: fünf Jahre - weiterveräußert, ohne darauf ein Gebäude mit grundsteuerbegünstigten Wohnungen errichtet zu haben (Urteil II 146/64 vom 20. Februar 1968, BFH 91, 491, BStBl II 1968, 386 mit weiteren Nachweisen). Dies gilt, da die Zweckerfüllung vom objektiven Merkmal der Bebauung und nicht davon abhängt, ob der Steuerpflichtige den Eintritt des Nachversteuerungstatbestandes zu vertreten hat (Urteil II 151/64 vom 7. Mai 1968, BFH 93, 14, BStBl II 1968, 663 mit weiteren Nachweisen), auch für den Fall der Zwangsversteigerung vor Fristablauf. Da das Grundstück - wie bisher erkennbar - im Juni 1965 zwangsversteigert worden ist, war - von der Möglichkeit einer früheren Aufgabe des begünstigten Zweckes zunächst abgesehen (vgl. unten) - die Steuerschuld zu diesem Zeitpunkt entstanden. Bei der gemäß Art. 5 Abs. 2 AOÄG 1965 gebotenen Anwendung der §§ 143 ff. AO in der vor dem 1. Januar 1966 geltenden Fassung begann die Verjährung (abweichend von der insoweit nicht anwendbaren Sondervorschrift des § 145 Abs. 3 Nr. 3 AO a. F.) gemäß § 145 Abs 1 AO a. F. mit Ablauf des Jahres 1965 und endete nach § 144 Abs. 1 AO a. F. nicht vor Ablauf des 31. Dezember 1970 (Urteil II 7/61 S vom 9. April 1964, BFH 79, 241, BStBl III 1964, 318; vgl. die weiteren Rechtsprechungsnachweise bei Boruttau-Klein, Grunderwerbsteuergesetz, Kommentar, 9. Aufl., § 18 Tz. 4).
Die Auffassung des Beschwerdeführers, die Verjährungsfrist habe bereits ab Ende 1962 zu laufen begonnen, hat das FG mit Recht als unzutreffend bezeichnet. Die Erklärung des Beschwerdeführers im Kaufvertrag, er erwerbe das Grundstück zur Bebauung innerhalb von zwei Jahren seit ... März 1961, ist für sich allein kein Beweisanzeichen für die tatsächliche Aufgabe der Bebauungsabsicht mit Ablauf dieser Zeit. Die Angaben des Beschwerdeführers sind widersprüchlich: Nach seinen Schriftsätzen vom ... Mai und ... Juni 1969 hätte die Bebauungsbedingung im März 1963 erfüllt sein müssen mit Auslösung des Steuertatbestandes in 1963. Im Juli 1969 machte der Beschwerdeführer geltend, er habe den begünstigten Zweck Ende 1962/Anfang 1963 aufgegeben. Im Schriftsatz vom ... September 1969 verlegt der Beschwerdeführer die Aufgabe des Bauvorhabens auf Ende Oktober/Anfang November 1962 vor. Selbst wenn man einen dieser Zeitpunkte zugrunde legen könnte, könnte einer nach außen nicht hervorgetretenen, bloß inneren Sinnesänderung - schon weil einerseits nicht nachprüfbar und andererseits jederzeit änderbar - noch nicht das die (dann endgültige) Steuerpflicht auslösende Gewicht der Aufgabe des steuerbegünstigten Zwecks beigelegt werden. Auch diese Frage braucht nicht vertieft zu werden. Denn selbst wenn Zweifel bestünden, ob die Aufgabe des begünstigten Zwecks nach den Umständen (Vermögensverfall, Offenbarungseid, Praxisaufgabe) schon Ende 1962 (oder nach den eigenen Angaben des Beschwerdeführers in 1963) angenommen werden könnte, so wäre die Verjährung gemäß der dann nach Art. 5 Abs. 3, 2 AOÄG 1965 anwendbaren Vorschrift des § 147 Abs. 1 AO n. F. durch die Ermittlungen des FA über Wohnsitz bzw. Aufenthalt des Beschwerdeführers im Mai 1967 (bzw. im Februar 1968 und durch die vom Beschwerdeführer am ... September 1968 bestätigte Mahnung vom ... September 1968) unterbrochen worden, so daß mit Ablauf des Jahres 1967 (bzw. 1968) eine neue Verjährung begonnen hätte (§ 147 Abs. 2 AO n. F.).
Andere Einwendungen gegen die Rechtmäßigkeit des Steueranspruchs an sich nach Grund und Höhe sind nicht geltend gemacht und ersichtlich.
Fundstellen
Haufe-Index 68755 |
BStBl II 1970, 389 |
BFHE 1970, 374 |