Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur grundsätzlichen Bedeutung der Haftungsinanspruchnahme für Lohnsteuer nach Entstehung der Einkommensteuer
Leitsatz (NV)
1. Die Streitfrage, ob Tatbestandsvoraussetzung für die Arbeitgeberhaftung die vorläufig entstandene Lohnsteuerschuld oder die endgültige Einkommensteuerschuld des Arbeitnehmers ist, ist in einem Revisionsverfahren nur klärungsfähig, wenn der Arbeitgeber nach dem Entstehen der Einkommensteuer beim Arbeitnehmer ‐ also nach Ablauf des Kalenderjahres ‐ in Haftung genommen worden ist und die im Lohnsteuerabzugsverfahren abzuführende Lohnsteuer höher war als die endgültige Einkommensteuerschuld.
2. Die inhaltliche Bestimmtheit einer den angefochtenen Haftungsbescheid abändernden Einspruchsentscheidung ist nicht zweifelhaft, wenn darin auf ein vorheriges Schreiben Bezug genommen wird, in dem die betragsmäßige Änderung aufgeteilt nach Steuerart und Zeitraum aufgeführt ist (vgl. BFH-Beschluss vom 27. März 2002 VII B 190/01, BFH/NV 2002, 1275).
3. Nach § 42d Abs. 3 EStG sind Arbeitgeber und Arbeitnehmer im Umfang der Haftung des Arbeitgebers Gesamtschuldner. Ein bei der Ermessensausübung generell zu berücksichtigender Vorrang in der Heranziehung des Arbeitnehmers ist dem nicht zu entnehmen.
Normenkette
AO 1977 §§ 34, 69, 119 Abs. 1, §§ 121, 124, 125 Abs. 1; EStG § 36 Abs. 1, § 42d Abs. 3; FGO § 115 Abs. 2, § 116 Abs. 3 S. 3
Verfahrensgang
FG München (Urteil vom 09.12.2005; Aktenzeichen 8 K 4718/03) |
Tatbestand
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) war zu 50 % Anteilseigner und Vorstand einer AG, für die er am 2. September 2002 Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt hat. Der Antrag wurde mit Beschluss des Amtsgerichts vom 19. März 2003 mangels Masse abgelehnt.
Mit Bescheid vom 23. Januar 2003 nahm der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) den Kläger wegen rückständiger Lohnsteuer, Kirchenlohnsteuer und Solidaritätszuschläge für den Zeitraum ab Oktober 2001 gemäß § 69, § 34 der Abgabenordnung (AO 1977) in Haftung. Auf den Einspruch des Klägers reduzierte es den Haftungsbetrag, hielt aber dem Grunde nach an der Inanspruchnahme fest. Mit seiner gegen den Haftungsbescheid gerichteten Klage machte der Kläger geltend, die einzelnen Lohnsteuerrückstände seien unter Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot des § 119 Abs. 1 AO 1977 in der Einspruchsentscheidung nicht im Einzelnen aufgeführt worden; ferner sei nicht beachtet worden, dass er nach dem Arbeitnehmer als Steuerschuldner und der AG als Haftungsschuldnerin nachrangig hafte; eine Pflichtverletzung könne ihm nicht vorgeworfen werden, da der Steuerausfall allein auf die seinerzeitige wirtschaftliche Lage der AG zurückzuführen sei.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Im Einspruchsverfahren sei dem Kläger eine ausreichend detaillierte Aufstellung der weiterhin offenen Rückstände zugegangen und die Heranziehung des Klägers sei unter dem Gesichtspunkt, dass die ausstehenden Beträge weder von einem weiteren Vorstandsmitglied noch von der offensichtlich illiquiden AG zu erhalten gewesen seien, nicht zu beanstanden.
Mit der Nichtzulassungsbeschwerde machte der Kläger die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache sowie die Notwendigkeit einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geltend.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist unzulässig. Der Kläger hat die behaupteten Zulassungsgründe nicht in der nach § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gebotenen Weise dargelegt.
1. Für die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung ist zunächst eine konkrete Rechtsfrage herauszustellen. Sodann ist schlüssig und substantiiert unter Auseinandersetzung mit den zur aufgeworfenen Rechtsfrage in Rechtsprechung und Literatur vertretenen Auffassungen darzutun, weshalb die für bedeutsam gehaltene Rechtsfrage im Allgemeininteresse klärungsbedürftig und im Streitfall klärbar ist (z.B. BFH, Beschluss vom 30. Oktober 2002 IX B 129/02, BFH/NV 2003, 328, m.w.N.). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerde nicht.
Der Kläger macht die grundsätzliche Bedeutung der Frage geltend, ob nach Entstehung der Einkommensteuer eine Haftung im Rahmen des vorgelagerten, vorläufigen Lohnsteuerverfahrens zulässig sei. Den weiteren Ausführungen dazu entnimmt der Senat, dass der Kläger diese Frage vor dem Hintergrund der in Literatur und Rechtsprechung noch nicht endgültig geklärten Streitfrage stellt, ob Tatbestandsvoraussetzung für die Arbeitgeberhaftung die vorläufig entstandene Lohnsteuerschuld oder die endgültige Einkommensteuerschuld des Arbeitnehmers ist (vgl. Schmidt/Drenseck, EStG, 25. Aufl., § 42d Rz 2; Blümich/ Heuermann, § 42d EStG Rz 32 ff., m.w.N.). Allerdings hat sich der Kläger nicht damit auseinandergesetzt, dass sich die Streitfrage nur dann stellt, wenn der Arbeitgeber nach dem Entstehen der Einkommensteuer beim Arbeitnehmer --also nach Ablauf des Kalenderjahres (§ 36 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes --EStG--)-- in Haftung genommen wird und die im Lohnsteuerabzugsverfahren abzuführende Lohnsteuer höher war als die endgültige Einkommensteuerschuld. Der Kläger hat nicht vorgetragen, dass darüber hinaus die Meinung vertreten werde, mit Ablauf des Kalenderjahres könne der Arbeitgeber gar nicht mehr wegen der Nichtabführung der Lohnsteuer in Haftung genommen werden. Auch ist weder der Beschwerde noch dem finanzgerichtlichen Urteil zu entnehmen, dass die Einkommensteuerschuld der Arbeitnehmer hinter dem Haftungsbetrag zurückbleibt.
2. Die Notwendigkeit der Zulassung der Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative FGO ist nicht schlüssig dargelegt.
Der Kläger hält sinngemäß eine Klarstellung des BFH zu der Frage für erforderlich, ob eine --in den Haftungsbescheid selbst nicht aufgenommene-- Aufteilung der offenen Lohnsteuerabzugsbeträge auf die einzelnen Arbeitnehmer im Vorfeld der Einspruchsentscheidung den Anforderungen an die notwendige Begründung des Haftungsbescheides gemäß den §§ 121, 124 AO 1977 genügt. Er meint, die Ausführungen des BFH in seinem Beschluss vom 3. Dezember 1996 I B 44/96 (BFHE 181, 562, BStBl II 1997, 306), wonach die fehlende Angabe des Steuerschuldners kein schwerer Fehler i.S. des § 125 Abs. 1 AO 1977 sei, solange die Haftungsschuld in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht in anderer Weise konkretisiert werden könne, bedürften der Erläuterung, in welcher verfahrensrechtlichen Form und unter welchen verfahrensrechtlichen Voraussetzungen die Benennung der Steuerschuldner "in anderer Weise" möglich sei.
Der Kläger hat zum einen nicht beachtet, dass der BFH in dieser Entscheidung einen --vom Streitfall abweichenden-- Fall zu beurteilen hatte, in dem das FA die Steuerschuldner gar nicht genannt hatte, da sie ihm wegen fehlender Angaben des Haftungsschuldners unbekannt waren. Um die Klärungsbedürftigkeit seiner Frage darzulegen, hätte sich der Kläger vielmehr mit dem in dieser Entscheidung in Bezug genommenen Urteil vom 17. März 1994 VI R 120/92 (BFHE 174, 89, BStBl II 1994, 536) auseinandersetzen müssen, in dem ausgeführt ist, dass es für die inhaltliche Bestimmtheit eines Haftungsbescheides i.S. des § 119 Abs. 1 AO 1977 nicht erforderlich sei, dass aus ihm hervorgehe, in welcher Höhe die nachgeforderte Lohnsteuer jeweils einem konkreten Arbeitnehmer zuzuordnen sei.
Im Übrigen hat der Senat die vom Kläger aufgeworfene Frage auch mit Beschluss vom 27. März 2002 VII B 190/01 (BFH/NV 2002, 1275) beantwortet: Die inhaltliche Bestimmtheit einer den angefochtenen Haftungsbescheid abändernden Einspruchsentscheidung ist nicht zweifelhaft, wenn darin auf ein vorheriges Schreiben des FA Bezug genommen wird, in dem die betragsmäßige Änderung aufgeteilt nach Steuerart und Zeitraum aufgeführt ist.
3. Der Kläger machte weiter die Divergenz der Entscheidung des FG zum Urteil des BFH vom 17. Mai 1985 VI R 137/82 (BFHE 144, 217, BStBl II 1985, 660) geltend, weil das FG nicht beachtet habe, dass das FA im Rahmen seines Entschließungsermessens bei richtigem Verständnis des § 42d Abs. 3 Satz 4 EStG hätte prüfen müssen, ob die Lohnsteuerschuld bei den Arbeitnehmern vorrangig zu realisieren war.
Der Zulassungsgrund der Sicherung der Rechtsprechungseinheit umfasst die Divergenz des FG-Urteils von der Rechtsprechung des BFH. Zur Darlegung dieser Zulassungsvoraussetzung ist zumindest der schlüssige Vortrag erforderlich, dass die angestrebte BFH-Entscheidung geeignet und notwendig ist, künftige unterschiedliche gerichtliche Entscheidungen über eine bestimmte Rechtsfrage zu verhindern. Hier sind tragende abstrakte Rechtssätze des FG-Urteils einerseits und benannter Divergenzentscheidungen des BFH andererseits einander gegenüberzustellen (BFH-Beschlüsse vom 5. September 2001 VIII B 18/01, BFH/NV 2002, 205; vom 15. März 2002 V B 33/01, BFH/NV 2002, 1040).
Diesen Anforderungen genügt die Beschwerde nicht. Die als divergierend bezeichnete BFH-Entscheidung betraf den dem Streitfall entgegengesetzten Fall der Veranlagung des Arbeitnehmers zur Einkommensteuer, obwohl der Arbeitgeber wegen der nicht abgeführten Lohnsteuer in Haftung genommen war. Für diesen Sachverhalt ist § 42d Abs. 3 Satz 2 EStG gerade nicht einschlägig, die Veranlagung des Arbeitnehmers ist nicht ins Ermessen des FA gestellt.
Der Einwand des Klägers richtet sich im Grunde gegen die materielle Richtigkeit der Entscheidung des FG. Insoweit verkennt der Kläger, dass nach § 42d Abs. 3 EStG Arbeitgeber und Arbeitnehmer im Umfang der Haftung des Arbeitgebers Gesamtschuldner sind und das FA die Steuerschuld oder Haftungsschuld nach pflichtgemäßem Ermessen gegenüber jedem Gesamtschuldner geltend machen kann. Ein bei der Ermessensausübung generell zu berücksichtigender Vorrang in der Heranziehung des Steuerschuldners ist dem nicht zu entnehmen (vgl. schon BFH-Urteil vom 6. Mai 1959 VI 252/57 U, BFHE 69, 83, BStBl III 1959, 292; Schmidt/ Drenseck, a.a.O., § 42d Rz 31, m.w.N.).
4. Schließlich hält der Kläger die Zulassung der Revision deshalb für geboten, weil das FG entgegen der BFH-Rechtsprechung das Vorliegen eines Vorsatzes oder grober Fahrlässigkeit des Klägers bezüglich der Nichtabführung der Lohnsteuer nicht geprüft habe. Er sieht darin eine Divergenz des FG-Urteils zur Entscheidung des BFH vom 30. August 2005 VII R 61/04 (BFH/NV 2006, 232).
Abgesehen davon, dass der Kläger damit die Voraussetzungen einer Divergenz nicht dargelegt, sondern nur behauptet hat, ist auch nicht ersichtlich, worin die Divergenz zu dieser BFH-Entscheidung bestehen könnte. Denn in dieser Entscheidung ging es nicht um das --nicht strittige-- Verschulden des in Haftung Genommenen, sondern um die Frage, ob die Freigabe bzw. der Austausch einer Sicherheit zu einem besonders schwerwiegenden Mitverschulden des FA führte.
Die Einwände des Klägers richten sich in der Sache gegen die --der revisionsrechtlichen Kontrolle regelmäßig entzogene-- materielle Richtigkeit der Entscheidung des FG. Dabei verkennt er, dass nach der vom FG ausdrücklich in Bezug genommenen Rechtsprechung des BFH (vgl. Senatsbeschluss vom 6. Juli 2005 VII B 296/04, BFH/NV 2005, 1753, m.w.N.) das haftungsbegründende Verschulden des Geschäftsführers schon dann anzunehmen ist, wenn die Lohnsteuer nicht abgeführt wird, obwohl die Nettolöhne ungekürzt ausgezahlt wurden. Dies war nach der unbestrittenen Feststellung des FG der Fall. Deshalb erübrigten sich weitergehende Prüfungen, ob das Verhalten des Vorstands im Übrigen vorwerfbar war oder nicht.
Fundstellen
Haufe-Index 1631654 |
BFH/NV 2007, 204 |