Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Haftung eines GmbH-Geschäftsführers bei Insolvenz der GmbH
Leitsatz (NV)
1. Die Sperrwirkung von § 93 InsO erstreckt sich nur auf die Haftung des Gesellschafters aus § 128 HGB und nicht auch auf die Haftung aus § 69 AO.
2. Die Frage nach dem Umfang und der Zumutbarkeit einer Sachaufklärung durch das FG ist einer allgemeinen Klärung nicht fähig, denn ihre Beantwortung hängt von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab.
3. Ein erwarteter Kapitalzufluss vermag nur dann die Haftung eines GmbH-Geschäftsführers auszuschließen, wenn dieser aufgrund verbindlicher und nachweisbarer Zusagen fest mit einem Zahlungseingang rechnen konnte.
4. Ein Haftungsschuldner, der sich zur Reduzierung seiner Mitwirkungspflicht auf die Unerreichbarkeit der bei einem Insolvenzverwalter befindlichen Unterlagen beruft, hat zumindest Angaben aus dem Gedächtnis zu machen, die die Existenz und den Inhalt der vermeintlich nicht erreichbaren Unterlagen belegen. Die nicht näher substantiierte Behauptung, dass sich Unterlagen bei einem Insolvenzverwalter befänden, wird diesen Anforderungen nicht gerecht.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2 Nrn. 1-3, § 96 Abs. 1, § 76 Abs. 1; AO §§ 69, 34 Abs. 1; InsO §§ 92-93
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) war zusammen mit zwei weiteren Gesellschaftern Gesellschafter einer im Juli 2001 gegründeten GmbH und zugleich deren alleiniger Geschäftsführer. Alle Gesellschafter waren als Rechtsanwälte gemeinschaftlich in einer Sozietät tätig. Im ersten Geschäftsjahr erwirtschaftete die Gesellschaft, deren Zweck im Halten von Beteiligungen an anderen Gesellschaften, der Verwaltung des eigenen Vermögens und der Beratung von anderen Unternehmen bestand, einen Gewinn, der in die Kapitalrücklage eingestellt wurde. Im folgenden Jahr wurde in der Bilanz ein Fehlbetrag in erheblicher Höhe ausgewiesen. Einer der drei Gesellschafter schied im Juli 2002 aus der Gesellschaft aus.
Infolge eines Eingabefehlers des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt --FA--) wurden der GmbH am 5. Februar 2003 aufgrund eines geänderten Umsatzsteuervorauszahlungsbescheids vermeintliche Vorsteuerbeträge in Höhe von insgesamt 210 247,56 € erstattet. In Kenntnis der Unrechtmäßigkeit der Erstattung veranlasste der Kläger zwei Tage später die Umbuchung des Erstattungsbetrags auf ein anderes Konto der GmbH. Drei Tage später veranlasste der Kläger drei Überweisungen über 20 000 €, 30 000 € und 160 000 €. Die Überweisung des letztgenannten Betrags wurde zunächst wieder storniert, dann wurde dieser Betrag jedoch in drei Teilbeträge aufgeteilt und an die Gesellschafter überwiesen.
Nachdem das FA den Fehler bemerkt hatte, forderte es mit einem geänderten Vorauszahlungsbescheid für das III. Quartal 2002 den zu Unrecht erstatteten Betrag zurück. Neun Tage nach Zugang dieses Bescheids wurde der Name der GmbH geändert. Sodann begannen die Gesellschafter mit der stillen Liquidation der Gesellschaft. Die auf den 30. Juni 2003 aufgestellte Bilanz wies einen Verlust von 159 764,61 € auf. Eine Begleichung der Umsatzsteuerrückstände erfolgte nicht.
Nach erfolglosen Vollstreckungsversuchen stellte das FA einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH. Nachdem der Kläger entsprechende Vereinbarungen zunächst verneint hatte, legte er dem vorläufigen Insolvenzverwalter einen auf den 7. Februar 2003 datierten Gesellschafterbeschluss vor, nach dem im Hinblick auf das "erfolgreiche" Geschäftsjahr 2002/2003 an die beiden Gesellschafter ein "Vorabgewinn von insgesamt 100 000 €" ausgeschüttet wurde. Zudem führte der Kläger aus, dass mit dem Erstattungsbetrag Verbindlichkeiten der GmbH gegenüber ihren Gesellschaftern bedient worden seien. Des Weiteren wurden dem Insolvenzverwalter im Januar 2004 auf den Jahresbeginn 2002 datierte Verträge über Tätigkeitsvergütungen vorgelegt, nach denen den beiden Gesellschaftern im Februar 2002 Beträge in Höhe von insgesamt 202 073,80 € überwiesen worden sind. In der auf den 30. Juni 2003 aufgestellten Gewinnermittlung wurden diese Zahlungen unter verschiedenen Konten ausgewiesen. Aufgrund der von der GmbH nicht beglichenen Umsatzsteuerrückstände erließ das FA gegen den Kläger einen auf § 69 i.V.m. § 34 der Abgabenordnung (AO) gestützten Haftungsbescheid.
Die nach dem erfolglos angestrengten Einspruchsverfahren erhobene Klage hatte lediglich hinsichtlich der nach Stellung des Insolvenzantrags erhobenen Säumniszuschläge Erfolg. Das Finanzgericht (FG) urteilte, dass der Kläger die ihm als Geschäftsführer obliegenden steuerlichen Pflichten der GmbH dadurch vorsätzlich verletzt habe, dass er in Kenntnis der offensichtlichen Unrechtmäßigkeit der Vorsteuererstattungen die zur Rückzahlung dieser Beträge erforderlichen Mittel nicht bereitgehalten, sondern stattdessen an die Gesellschafter Zahlungen in Höhe von über 200 000 € geleistet habe. Da er bereits seit Februar 2003 mit einer Rückforderung habe rechnen müssen, sei die haftungsrechtliche Inanspruchnahme nicht dadurch ausgeschlossen, dass das FA erst am 23. Juni 2003 einen geänderten Vorauszahlungsbescheid erlassen habe. Infolge der Auszahlungen seien der GmbH die zur Tilgung der Verbindlichkeiten erforderlichen Mittel entzogen worden, sodass die Pflichtverletzung ursächlich für den eingetretenen Schaden gewesen sei. Die GmbH habe auch nicht mit dem vom Kläger behaupteten Kapitalzufluss aus einer Provision der X-AG und aus einer in der Bilanz als "zweifelhaft" ausgewiesenen Forderung gegenüber der Y-GmbH rechnen können. Da ein zivilrechtlicher Anspruch auf die Provisionszahlung nicht bestanden habe und die mit der Y-GmbH getroffene Vereinbarung nichtig gewesen sei, erübrige sich eine Vernehmung der vom Kläger benannten Zeugen. Auch ein Gutachten der B-GmbH könne ihn nicht entlasten. Ohne Erfolg berufe sich der Kläger darauf, zu einer anteiligen Tilgung des Rückforderungsanspruchs in der Lage gewesen zu sein. Die von ihm in Bezug genommenen Unterlagen habe er nicht vorgelegt. Zudem habe das Gericht die Überzeugung gewonnen, dass die behaupteten Vereinbarungen tatsächlich nicht durchgeführt worden seien. Insbesondere die vereinbarten Tätigkeitsvergütungen stellten Scheingeschäfte zur Gläubigerbenachteiligung dar.
Mit seiner Beschwerde begehrt der Kläger die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--), greifbarer Gesetzwidrigkeit (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative FGO) und wegen Verfahrensfehlern (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO). Von grundsätzlicher Bedeutung seien die Fragen, ob die Haftung eines GmbH-Geschäftsführers nach § 69 AO ausgeschlossen sei, wenn die haftungsbegründende Pflichtverletzung zugleich eine Gesamtschädigung der Insolvenzgläubiger nach § 92 Satz 1 der Insolvenzordnung (InsO) herbeiführe, und ob das FG von einer weiteren Sachverhaltsaufklärung freigestellt werde, wenn der feststellungsbelastete Prozessbeteiligte die ihm mögliche Vorlage von beweiserheblichen Unterlagen, deren Existenz dem Gericht bekannt sei, in der mündlichen Verhandlung unterlasse und wenn das Gericht zu deren Vorlage nicht aufgefordert habe. Eine Verletzung von Mitwirkungspflichten könne nicht zur Suspendierung der dem FG nach § 76 FGO obliegenden Pflichten führen. Unter Hinweis auf zwei Beschlüsse, in denen die Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Haftungsbescheids abgelehnt worden sei, habe sich das FG in der Ladung zur mündlichen Verhandlung unter Verstoß gegen § 96 Abs. 1 FGO bereits auf die Erfolglosigkeit der Klage festgelegt.
Verfahrensfehlerhaft habe das FG die Erhebung der angebotenen Beweise hinsichtlich des gegenüber der X-AG bestehenden Provisionsanspruchs und des gegenüber der Y-GmbH bestehenden Zahlungsanspruchs abgelehnt. Die Vernehmung der benannten Zeugen hätte ergeben, dass die GmbH mit einem Zahlungseingang habe rechnen können. Ebenfalls unter Verstoß gegen § 76 Abs. 1 FGO habe das FG von einer Vernehmung des sachverständigen Zeugen der B-GmbH abgesehen. Dieser hätte ein erstelltes Gutachten erläutern und Auskunft über die Vermögens- und Liquidationslage der GmbH am 7. Februar 2003 geben können. Zudem hätte das FG den umfangreichen Beweisanträgen hinsichtlich der von der GmbH getilgten Verbindlichkeiten nachgehen müssen. Eine Vernehmung der benannten Zeugen hätte die zivilrechtliche Wirksamkeit der den Auszahlungen zugrunde liegenden Vereinbarungen und die Echtheit der in Bezug genommenen Urkunden und infolgedessen eine Haftungsbeschränkung nach den Grundsätzen der anteiligen Tilgung ergeben. Schließlich hätte dem Haftungsbescheid keine nur geschätzte Jahresumsatzsteuer 2002 zugrunde gelegt werden dürfen. Mit Erlass des Jahressteuerbescheids am 16. Januar 2004 sei der Haftung für die Umsatzsteuervoranmeldungsschuld die Grundlage entzogen worden.
Das FA ist der Beschwerde entgegengetreten. Es ist der Ansicht, dass den aufgeworfenen Rechtsfragen keine grundsätzliche Bedeutung zukommt und dass die gerügten Verfahrensmängel nicht vorliegen.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Den aufgeworfenen Rechtsfragen kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu; die behaupteten Verfahrensfehler liegen nicht vor.
1. Die vom Kläger aufgeworfene Frage, ob der Haftungsanspruch aus § 69 AO durch eine Pflichtverletzung des Haftungsschuldners, die zugleich eine Gesamtschädigung der Insolvenzgläubiger herbeiführt, von § 92 InsO verdrängt wird, kann sich in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht stellen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) soll die Haftung im Falle eines Gesamtschadens --ebenso wie die Haftung der Gesellschafter nach § 93 InsO-- der Gesamtheit der Gläubiger zugute kommen. Im Interesse der gleichmäßigen Befriedigung aller Gläubiger schließen diese insolvenzrechtlichen Vorschriften aus, dass sich einzelne Gläubiger durch einen schnelleren Zugriff Sondervorteile verschaffen (BGH-Urteil vom 4. Juli 2002 IX ZR 265/01, BGHZ 151, 245, BStBl II 2002, 786). Wie der Senat unter Hinweis auf die Entstehungsgeschichte von § 93 InsO bereits entschieden hat, erstreckt sich die Sperrwirkung von § 93 InsO nur auf die Haftung des Gesellschafters gemäß § 128 des Handelsgesetzbuchs und nicht auf etwaig bestehende außergesellschaftsrechtliche Individualhaftungsansprüche, sodass eine haftungsrechtliche Inanspruchnahme nach § 69 AO auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens möglich ist (Senatsbeschluss vom 2. November 2001 VII B 155/01, BFHE 197, 1, BStBl II 2002, 73).
Der Eintritt der Sperrwirkung des § 92 InsO setzt voraus, dass mehrere Gläubiger vor oder nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gemeinschaftlich einen Schaden durch eine Verminderung des zur Insolvenzmasse gehörenden Vermögens erlitten haben und dass insoweit ein Anspruch auf Ersatz dieses Schadens besteht. Gefordert wird eine Handlung, z.B. eine Pflichtverletzung gegenüber allen Gläubigern durch Beschädigung oder Verschleuderung von Massegegenständen oder pflichtwidrige Anerkennung von Absonderungs- und Aussonderungsrechten, die zu einem Gesamtschaden an der Masse geführt hat (vgl. Urteil des Schleswig-Holsteinischen FG vom 1. Dezember 2005 2 K 174/04, Entscheidungen der Finanzgerichte 2006, 321; Eickmann in Heidelberger Kommentar zur Insolvenzordnung, 4. Aufl., § 92 Rz 7). Die im Streitfall vom FG festgestellte haftungsbegründende Pflichtverletzung des Klägers besteht indes nur gegenüber dem FA und ist darin zu sehen, dass er vorsätzlich die zu Unrecht erstatteten Beträge nicht aus den von ihm verwalteten Mitteln der GmbH zurückgezahlt, bzw. keine Mittel für die Rückzahlung vorgehalten hat. Wie dadurch eine von der Beschwerde wie selbstverständlich vorausgesetzte Gesamtschädigung der Insolvenzgläubiger und damit eine Schmälerung der Masse herbeigeführt worden sein könnte, hat der Kläger weder nachvollziehbar dargelegt noch ist das vorstellbar. Sein Hinweis auf eine mögliche Haftung aus § 823 Abs. 2, § 826 des Bürgerlichen Gesetzbuchs wegen vorsätzlicher Herbeiführung der Mittellosigkeit und Insolvenz geht fehl, weil weder das FA noch das FG darauf die Haftung bzw. das Urteil gestützt haben. Zudem übersieht der Kläger bei seiner Argumentation, dass die Haftungsschuld aus dem persönlichen Vermögen des Haftungsschuldners zu begleichen ist, sodass der Zugriff des FA von vornherein nicht zu einer Schmälerung der Vermögensmasse des Schuldners zum Nachteil der anderen Insolvenzgläubiger führen kann.
2. Die zweite vom Kläger aufgeworfene Rechtsfrage zum Umfang der dem Gericht nach § 76 Abs. 1 FGO obliegenden Sachaufklärungspflicht ist einer allgemeinen Klärung nicht fähig. Denn ihre Beantwortung hängt von den konkreten Umständen des jeweiligen Einzelfalls ab. Dies gilt insbesondere für die mit der Frage angesprochene Zumutbarkeit einer Sachaufklärung und für die Beweiserheblichkeit von Unterlagen. Die Art und Weise der Sachaufklärung und der hierzu notwendigen Beweiserhebung und die Auswahl der Beweismittel steht grundsätzlich im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. Regelmäßig hängt die Einschränkung der richterlichen Sachaufklärungspflicht bei einem Verstoß des Beteiligten gegen die ihm obliegende Mitwirkungspflicht, z.B. durch Nichtvorlage von Urkunden, von dem Grad der Pflichtverletzung, von der Beweisnähe und von der Zumutbarkeit sowie der tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeit der Mitwirkung des Beteiligten einerseits und der weiteren Aufklärung durch das Gericht andererseits ab (vgl. Gräber/ Stapperfend, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 76 Rz 50, m.w.N.). Mit seinem Vorbringen kleidet der Kläger die nachfolgende Rüge des Übergehens von Beweisanträgen (s. Nr. 4) in eine auf die Besonderheiten des Streitfalls bezogene Frage. Dies kann nicht zur Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung führen.
3. Entgegen der Auffassung des Klägers liegt ein Verstoß gegen § 96 Abs. 1 FGO nicht bereits dann vor, wenn das Gericht in der Ladung zur mündlichen Verhandlung auf das in einem Aussetzungsverfahren gefundene Ergebnis einer summarischen Überprüfung der Rechtslage verweist und zur Vermeidung weiterer Kosten die Rücknahme der Klage anheimstellt. Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung wird dadurch nicht verletzt. Aus der vom Kläger beanstandeten knappen Formulierung, die Klage habe keine Aussicht auf Erfolg, kann jedenfalls nicht geschlossen werden, dass das Gericht dem Ergebnis der bevorstehenden mündlichen Verhandlung keinerlei Bedeutung mehr beimisst und nicht gewillt ist, weiteren Vortrag zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidungsfindung zu berücksichtigen. Dabei verkennt der Senat nicht, dass eine offenere Formulierung, wie z.B. das Rechtsbegehren habe nach der im Aussetzungsverfahren gebotenen summarischen Prüfung voraussichtlich keine Aussicht auf Erfolg, angemessener und zweckgerechter wäre. Einen Verfahrensverstoß vermag der Senat indes allein aufgrund der vom FG gewählten Formulierung nicht zu erkennen.
4. Die Beschwerde hat auch keinen Erfolg, soweit der Kläger geltend macht, das FG habe unter Verstoß gegen § 76 Abs. 1 FGO die erforderlichen Beweise nicht erhoben, insbesondere die benannten Zeugen nicht vernommen.
Bei der Frage, ob das Gericht einen Verfahrensfehler durch Nichterhebung angebotener Beweise begangen hat, ist von dessen materiell-rechtlicher Auffassung auszugehen. Das Gericht braucht entsprechenden Anträgen nicht nachzugehen, wenn das Beweismittel für die zu treffende Entscheidung unerheblich ist, die in Frage stehende Tatsache zu Gunsten des Beweisführenden als wahr unterstellt wird oder die Beweiserhebung untauglich ist.
a) Hinsichtlich des behaupteten Provisionsanspruchs der GmbH gegenüber der X-AG brauchte das FG nach seiner Rechtsauffassung die vom Kläger benannten Zeugen deshalb nicht zu vernehmen, weil es von der zivilrechtlichen Unwirksamkeit der diesem Anspruch zugrunde liegenden Vereinbarung ausgegangen ist. Zur Begründung dieser Ansicht hat sich das FG auf das eigene schriftsätzliche Vorbringen des Klägers berufen, nach dem ein entsprechender Vertrag zivilrechtlich nie zustande gekommen sei. Gegen diese Feststellung hat die Beschwerde keine Einwendungen erhoben, sondern lediglich auf den in der mündlichen Verhandlung übergebenen Schriftsatz verwiesen, ohne näher darzulegen, inwieweit die Feststellung des FG in diesem Punkt unzutreffend bzw. inwieweit die vom FG in Bezug genommene Aussage des Klägers durch den in der mündlichen Verhandlung überreichten Schriftsatz widerlegt worden wäre. Als weiteres Indiz für die Unwirksamkeit der behaupteten Provisionsvereinbarung hat das FG den fehlenden Ausweis der vermeintlich ausstehenden Provisionsforderung in der Bilanz gewertet. Unter Berücksichtigung dieser Umstände konnte das FG von der beantragten Vernehmung der benannten Zeugen wegen Unerheblichkeit des Beweises absehen.
b) Auch hinsichtlich der behaupteten Zahlungsansprüche gegenüber der Y-GmbH liegt ein Verstoß gegen § 76 Abs. 1 FGO nicht vor. Wie der Kläger in der Beschwerdeschrift selbst vorträgt, ist es hinsichtlich dieser Forderung zu einem Rechtsstreit mit der Y-GmbH gekommen, in dem einer der benannten Zeugen die GmbH vor dem Oberlandesgericht vertreten hat. Unter Hinweis darauf, dass in der Bilanz der GmbH die gegenüber der Y-GmbH bestehende Forderung als "zweifelhaft" ausgewiesen worden ist und dass der Kläger lediglich von der Möglichkeit einer Tilgung durch die Überlassung von Fahrzeugen gesprochen hat und von dieser Einschätzung auch in der mündlichen Verhandlung nicht abgerückt ist, ist das FG zu dem Schluss gekommen, dass der Kläger mit dem Kapitalzufluss nicht habe rechnen können. Unter diesem Gesichtspunkt ist das Absehen von der Vernehmung weiterer Zeugen nicht zu beanstanden. Denn die bloße Erwartung eines Kapitalzuflusses kann nach der Rechtsprechung des Senats den gesetzlichen Vertreter einer GmbH nur dann entlasten, wenn er aufgrund von verbindlichen und nachweisbaren Zusagen fest mit einem Zahlungseingang rechnen konnte (Jatzke in Beermann/Gosch, AO, § 69 Rz 62, m.w.N.). Allein das Vertrauen darauf, die Steuerrückstände durch Realisierung von Außenständen ausgleichen zu können, reicht für einen Haftungsausschluss nicht aus (Senatsentscheidungen vom 24. März 2004 VII B 317/03, BFH/NV 2004, 1069, und vom 20. Januar 1998 VII R 80/97, BFH/NV 1998, 814). Im Übrigen hat das FG selbst für den Fall, dass der Vortrag des Klägers als wahr unterstellt werden könnte, eine haftungsbegründende Verletzung der Mittelbereitstellungspflicht angenommen. Eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht liegt demnach nicht vor.
c) Hinsichtlich der beanstandeten Nichtvernehmung des benannten Mitarbeiters der B-GmbH fehlt es bereits an der hinreichenden Darlegung des behaupteten Verfahrensmangels (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO). Ausweislich der Urteilsbegründung hat das FG das von der B-GmbH erstellte Gutachten zur Vermögens- und Liquidationslage der GmbH zur Kenntnis genommen und bei der Entscheidungsfindung berücksichtigt. Die Beschwerde legt nicht substantiiert dar, zu welchen einzelnen Punkten der benannte Zeuge weitere, über den Inhalt des Gutachtens hinausgehende Angaben hätte machen können, sodass sich dem FG dessen Vernehmung hätte aufdrängen müssen. Der pauschale Hinweis, dass der Zeuge bei seiner Vernehmung "umfangreich" hätte aussagen können, vermag nicht zur Zulassung der Revision wegen eines Verfahrensmangels zu führen. Denn grundsätzlich braucht das Gericht den Verfasser eines von einem Beteiligten ohne entsprechende Aufforderung des Gerichts vorgelegten Gutachtens nicht zusätzlich zum Inhalt des Gutachtens zu vernehmen. Zudem gehört zur ordnungsgemäßen Benennung eines zu vernehmenden Zeugen die Angabe einer ladungsfähigen Anschrift. Die Beschwerde ist der Feststellung des FG, dass der Kläger eine solche nicht benannt hat, nicht entgegengetreten.
d) Verfahrensfehlerfrei konnte das FG auch von der Vernehmung der Zeugen absehen, die nach Angaben des Klägers zu den Verbindlichkeiten der GmbH hätten Aussagen machen können. Hierzu weist der Kläger darauf hin, dass die entsprechenden Unterlagen und Verträge am 13. Januar 2004 dem Insolvenzverwalter übergeben worden seien. Entgegen der Auffassung des FG kann sich ein GmbH-Geschäftsführer zwar grundsätzlich darauf berufen, an der Vorlage von Unterlagen, aus denen die Verbindlichkeiten der von ihm vertretenen GmbH hervorgehen, gehindert zu sein, weil sich diese beim Insolvenzverwalter befinden (Senatsentscheidungen vom 15. Oktober 1996 VII B 119/96, BFH/NV 1997, 514, und vom 14. Oktober 1998 VII B 102/98, BFH/NV 1999, 447); jedoch gilt dieser Grundsatz nicht uneingeschränkt. Insbesondere kann er dann Geltung beanspruchen, wenn es sich um Unterlagen der GmbH handelt, die Aufschluss über Vertragsverhältnisse geben, an denen der gesetzliche Vertreter selbst nicht beteiligt ist. Im Streitfall besteht die Besonderheit, dass der Haftungsschuldner über die Sozietät, der er als Rechtsanwalt angehört, selbst Partei der Verträge und Vereinbarungen ist, auf die er sich beruft. Der Senat braucht nicht abschließend darüber zu befinden, ob bei einer solchen Konstellation eine andere Beurteilung der von einem Haftungsschuldner behaupteten Unerreichbarkeit von Unterlagen geboten sein könnte. Denn nach der Rechtsprechung des Senats wird vom Haftungsschuldner verlangt, dass er zumindest Angaben aus dem Gedächtnis macht, die die Existenz und den Inhalt der nicht erreichbaren Urkunden belegen. Nach den Feststellungen des FG hat sich der Kläger in der mündlichen Verhandlung zu diesem Themenkomplex jedoch nicht geäußert und keine sachdienlichen Angaben gemacht. Er hat lediglich eine Kopie des dem Insolvenzverwalter im Januar 2004 übermittelten Schriftsatzes überreicht und, ohne die bei diesem vermeintlich hinterlegten Unterlagen und deren Inhalt näher zu beschreiben, in pauschaler Weise beantragt, den Verfasser des Schriftsatzes sowie alle Verfahrensbeteiligten als Zeugen zu vernehmen. Aufgrund der als unzureichend zu erachtenden Mitwirkung des Klägers brauchte das FG den nicht näher substantiierten Beweisanträgen nicht nachzugehen und die Vernehmung der benannten Zeugen nicht zu veranlassen.
Darüber hinaus hat das FG ausgeführt, dass selbst wenn der Abschluss der Verträge und Vereinbarungen als wahr unterstellt werden könnte, dies nicht zu einer Haftungsminderung nach dem Grundsatz der anteiligen Tilgung führen könnte, denn es habe sich lediglich um Scheingeschäfte zur Gläubigerbenachteiligung gehandelt. Tatsächlich seien die behaupteten Vereinbarungen nicht durchgeführt worden. Nach der Überzeugung des FG, die es aufgrund des Vorbringens des Klägers und der vorgelegten Schriftstücke gebildet hatte, hat es sich somit um Zahlungen gehandelt, denen tatsächlich keine Gegenleistung zugrunde lag, sodass nach dem bei der Haftung für Umsatzsteuern zu beachtenden Grundsatz der anteiligen Tilgung zu berücksichtigende Verbindlichkeiten der GmbH überhaupt nicht vorlagen. Aus der materiell-rechtlichen Sicht des FG bestand daher keine Notwendigkeit Beweis über die Existenz und den genauen Inhalt der Unterlagen zu erheben.
Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass die vom FG gezogene Schlussfolgerung nicht offensichtlich gegen Erfahrungssätze oder Denkgesetze verstößt, sodass ihr unter keinen Umständen gefolgt werden könnte. Wie das FG im Einzelnen ausgeführt hat, weist der Streitfall einige Besonderheiten auf, die es möglich erscheinen lassen, dass die geltend gemachten Verbindlichkeiten tatsächlich nicht bestanden haben. Die Geschäfte der in Insolvenz geratenen GmbH wurden in den Räumen der Anwaltssozietät der an ihr beteiligten Gesellschafter betrieben. Im Geschäftsjahr 2001/2002 sind nach den Feststellungen des FG keine Tätigkeitsvergütungen vereinbart worden. Der Kläger hat den an die GmbH im Februar 2003 zu Unrecht ausbezahlten Erstattungsbetrag innerhalb weniger Tage umgebucht und auf die Gesellschafter aufgeteilt. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens wurden die an die Gesellschafter geleisteten Zahlungen gegenüber dem Insolvenzverwalter zunächst als Vorabgewinnausschüttungen eingestuft. Erst zu einem späteren Zeitpunkt hat der Kläger behauptet, dass es sich überwiegend um Tätigkeitsvergütungen gehandelt habe, die für das Geschäftsjahr 2002/ 2003 vereinbart worden seien. Entgegen der Behauptung des Klägers hat das FG somit keine Feststellungen "ins Blaue hinein" getroffen. Im Kern wendet sich die Beschwerde dagegen, dass das FG aus dem festgestellten Sachverhalt und den Indizien vermeintlich unzutreffende Schlussfolgerungen gezogen hat. Eine fehlerhafte Würdigung von Beweisen oder eine fehlerhafte Bewertung und Gewichtung von Indizien stellen jedoch keine Verfahrensfehler, sondern allenfalls einen materiell-rechtlichen Mangel dar, der nicht zur Zulassung der Revision führt (Entscheidungen des Bundesfinanzhofs vom 29. Oktober 1998 X B 132/98, BFH/NV 1999, 510, und vom 24. August 2001 XI B 152/00, BFH/NV 2002, 199).
5. Soweit die Beschwerde vorträgt, dass ein Schätzungsbescheid nicht Grundlage für eine haftungsrechtliche Inanspruchnahme sein könne und daher rügt, dass das FG der Ermittlung des Haftungsbetrags rechtsfehlerhaft die für das Jahr 2002 geschätzte Jahresumsatzsteuer zugrunde gelegt habe, wendet sie sich gegen eine vermeintlich fehlerhafte Rechtsanwendung durch das FG. Das Vorliegen eines Verfahrensfehlers wird mit diesem Vorbringen nicht belegt. Im Übrigen ist es nicht die Aufgabe des FG, den Insolvenzverwalter zur Vorlage von korrekten Umsatzsteuererklärungen anzuhalten, wie dies der Kläger in seinem Schriftsatz vom 31. Mai 2006 fordert. Die nicht näher substantiierte Behauptung, dass nicht ausgeschlossen werden könne, dass die Zahllast der GmbH auf der Basis korrekter Zahlen geringer gewesen wäre, brauchte das FG nicht zum Anlass einer Beweiserhebung durch Vernehmung des Insolvenzverwalters oder durch Einholung eines Sachverständigengutachtens zu nehmen.
Fundstellen
Haufe-Index 2002808 |
BFH/NV 2008, 1291 |