Entscheidungsstichwort (Thema)
Steuerliche Betriebsprüfung Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Der II. Senat hält in übereinstimmung mit der Begründung des Beschlusses des IV. Senats IV 216/51 S vom 10. Oktober 1951, Slg. Bd. 55 S. 513 ff., 515, Bundessteuerblatt 1951 III S. 209, daran fest, daß die Anforderung von Steuererklärungen wegen Verstoßes gegen Recht und Billigkeit dann eine Ermessensverletzung darstellen kann, wenn einwandfrei und klar feststeht, daß eine Steuerpflicht nicht gegeben ist.
Normenkette
AO § 202; StAnpG § 2 Abs. 2; ErbStDV § 4 Abs. 5 S. 2
Tatbestand
Streitig ist, ob das für die Verwaltung der Erbschaftsteuer zuständige Finanzamt A. zu Recht dem Beschwerdeführer (Bf.) mit Verfügung vom 18. Februar 1956 unter Androhung eines Erzwingungsgeldes von 50 DM aufgegeben hat, für die Erben der in B. wohnhaft gewesenen und am 22. Juni 1955 verstorbenen Witwe C. eine Erbschaftsteuererklärung sowie eine Aufstellung des Betriebsvermögens der Firma A. C. in B., an der die Witwe C. beteiligt war, abzugeben. Der Anordnung und ihrer Aufrechterhaltung entgegen den Vorstellungen des Bf. lag im einzelnen folgender Sachverhalt zugrunde:
Der Bf., ein im Geltungsbereich der Verordnung Nr. 175 über die Wiedererrichtung von Finanzgerichten (frühere britische Zone) lebender Wirtschaftsprüfer und Steuerberater, war von den Erben beauftragt worden, für sie die zunächst angeforderte abgekürzte Erbschaftsteuererklärung E zu bearbeiten. Auf die Aufforderung für die Erben diese Erklärung einzureichen, antwortete der Bf. unter anderen, es werde keinesfalls eine Erbschaftsteuer in Betracht kommen, da die Freibeträge offensichtlich nicht überschritten würden. Aus einer Mitteilung des Finanzamts B. an das Erbschaftsteuer-Finanzamt vom 7. September 1955 ergibt sich, daß das Betriebsvermögen der Erblasserin nach dem Stande vom 1. Januar 1954 297 DM betrug (Anteil an der Firma A. C.) und daß sie landwirtschaftliches Vermögen und Grundvermögen nicht hatte. Nach den nicht bestrittenen Angaben des Bf. hat das steuerliche Vermögen der Erblasserin seit 1953 den Vermögensteuer-Freibetrag von 10.000 DM nicht überstiegen. Das Finanzamt A. ersuchte, gleichwohl die Erbschaftsteuererklärung abzugeben, damit zunächst das hinterlassene Vermögen festgestellt werden könne; es bat ferner, eine nach den Bewertungsbestimmungen auf den Stichtag gefertigte Aufstellung über das Betriebsvermögen der Firma A. C. beizufügen. Der Bf. überreichte daraufhin am 13. Februar 1956 dem Finanzamt einen Schriftsatz mit eingehenden erbschaftsteuerlichen Angaben zu den einzelnen Punkten, auch hinsichtlich des Anteils an der Firma A. C. Das Finanzamt teilte dem Bf. in der den Gegenstand des Rechtsmittelverfahrens bildenden Verfügung vom 18. Februar 1956 mit, seine Angaben im Schreiben vom 13. Februar 1956 könnten die Steuererklärung nicht ersetzen. Es forderte ihn nochmals auf, innerhalb einer Woche nunmehr eine vorläufige oder die endgültige Erklärung nach dem neu beigefügten, sieben Druckseiten umfassenden ausführlichen Formular (Muster 9) und die Aufstellung über das Betriebsvermögen auf den Stichtag einzureichen. Für den Fall, daß der Bf. der Aufforderung des Finanzamts nicht nachkäme, drohte es ein Erzwingungsgeld von 50 DM an.
Das Finanzamt hatte bereits am 9. Januar 1956 verfügt: "Anfall an drei Kinder, ein Enkelkind. Erwerb unbedenklich je unter 30.000 DM bzw. 20.000 DM; steuerfrei gemäß § 17 ErbStG." Die Finanzverwaltungsbehörde glaubte trotzdem, zu der Verfügung vom 18. Februar 1956 insbesondere deshalb berechtigt zu sein, weil die geforderte Vermögensaufstellung nicht abgegeben worden war und weil der Bf. in dem Schriftsatz vom 13. Februar 1956 ein dem Finanzamt durch eine Mitteilung des Amtsgerichts bereits bekanntes Testament vom 1. April 1951 nicht erwähnt hatte. Der Bf. machte in einem Schreiben vom 8. März 1956 ergänzende Angaben, insbesondere über ein ihm inzwischen bekanntgewordenes Sparguthaben im Betrage von 1.352,71 DM, ein Sterbegeld von 150 DM und das - von ihm abschriftlich beigefügte - Testament vom 1. April 1951. Er führte im übrigen aus, er erblicke in der Verfügung des Finanzamts vom 18. Februar 1956 einen Ermessensmißbrauch und werde dagegen Beschwerde an das Finanzgericht einlegen, falls das Finanzamt die Verfügung nicht vor Ablauf der Rechtsmittelfrist zurücknehme. Das Finanzgericht wies die entsprechend der Ankündigung fristgemäß eingelegte Beschwerde als unbegründet zurück.
Entscheidungsgründe
Die Rechtsbeschwerde (Rb.) hat Erfolg.
Es kann im Streitfall dahingestellt bleiben, ob der mit der Bearbeitung der (abgekürzten) Erbschaftsteuererklärung E beauftrage Bf. im Hinblick auf sein Auftreten als Bevollmächtigter nach § 108 Satz 1, § 103 Satz 1 Halbsatz 1, §§ 166 Abs. 1, 2, 167 Abs. 1 der Reichsabgabenordnung (AO) zur Abgabe einer Erbschaftsteuererklärung für die Erben und zur Einreichung einer Aufstellung über das Betriebsvermögen der Firma A. C. verpflichtet war. Auch, wenn man eine solche Verpflichtung für gegeben halten würde, können die Vorentscheidung und die Verfügung vom 18. Februar 1956 aus folgenden Gründen nicht aufrechterhalten werden:
Entgegen der in der Vorentscheidung vertretenen Auffassung lag unter den besonderen Umständen des Streitfalles in der Aufrechterhaltung der Verfügung vom 18. Februar 1956 ein Ermessensverstoß. Das Finanzamt hatte am 9. Januar 1956 - in Kenntnis auch des Testaments der Witwe C. vom 1. April 1951 - verfügt, daß der Erwerb unbedenklich nach § 17 b des Erbschaftsteuergesetzes (ErbStG) als steuerfrei anzusehen sei. Mit Rücksicht darauf, daß in dem danach eingehenden Schreiben des Bf. vom 13. Februar 1956 von dem Testament der Erblasserin vom 1. April 1951 noch nichts erwähnt war, konnte das Finanzamt wohl noch zu weiterer Aufklärung des Erbfalles schreiten. Nachdem aber der Bf. in dem weiteren Schreiben vom 8. März 1956 das ihm neu zugänglich gewordene tatsächliche Material in der Erbschaftsteuerangelegenheit dem Finanzamt alsbald mitteilte, dieses Tatsachenmaterial jedoch nichts daran änderte, daß entsprechend der eigenen Feststellung des Finanzamts vom 9. Januar 1956 eine Erbschaftsteuerpflicht nicht gegeben war, entsprach nunmehr jedenfalls eine Aufrechterhaltung der Aufforderung an den Bf. zur Abgabe der Erbschaftsteuererklärung und der Betriebsvermögensaufstellung nicht mehr den Vorschriften des § 2 Abs. 2 des Steueranpassungsgesetzes (StAnpG) in der jetzigen, an Ziffer 4 der Begründung des Gutachtens des Großen Senats des Bundesfinanzhofs Gr.S. D 1/51 S vom 17. April 1951 (Slg. Bd. 55 S. 277, Bundessteuerblatt - BStBl - 1951 III S. 107) anknüpfenden Auslegung, d. h. nicht den Grundsätzen von Recht und Billigkeit (vgl. dazu unter anderem die neueren Entscheidungen des Bundesfinanzhofs V z 181/57 U vom 27. März 1958, Rechtssatz 2, BStBl 1958 III S. 248; II 100/53 U vom 11. Dezember 1957, BStBl 1958 III S. 86., 89; IV 587/55 U vom 2. August 1956, Slg. Bd. 63 S. 375 ff., 378, BStBl 1956 III S. 340, 341, und I 242/54 U vom 17. Januar 1956, Slg. Bd. 62 S. 182 f., BStBl 1956 III S. 68). Der Bundesfinanzhof hat bereits mehrfach entschieden (vgl. insbesondere den Beschluß IV 216/51 S vom 10. Oktober 1951, Slg. Bd. 55 S. 513 ff., 515, BStBl 1951 III S. 209, ferner das Urteil II 123/57 U vom 4. Dezember 1957, BStBl 1958 III S. 117, 118), daß das Verlangen der Abgabe von Steuererklärungen dann eine Verletzung von Recht und Billigkeit darstellen kann, wenn einwandfrei und klar feststeht, daß eine Steuerpflicht nicht gegeben ist. Dieser Grundsatz gilt auch für die Erbschaftsteuer (vgl. dazu § 4 Abs. 5 Satz 2 der Erbschaftsteuer- Durchführungsverordnung in Verbindung mit § 2 Abs. 2 StAnpG). Die in den beiden zuletzt bezeichneten Entscheidungen angegebenen Voraussetzungen für ein Absehen von der Anforderung einer Steuererklärung liegen im Streitfall vor. Das geringe Vermögen der Erblasserin, die Verminderung ihres Anteils an der Firma A. C. und die Nichterreichung (Nichtüberschreitung) der im ErbStG vorgesehenen Freibeträge durch sämtliche Beteiligten ergaben unbedenklich die Erbschaftsteuerfreiheit.
Fundstellen
Haufe-Index 409114 |
BStBl III 1958, 339 |
BFHE 1959, 178 |
BFHE 67, 178 |