Entscheidungsstichwort (Thema)
Umdeutung einer Nichtzulassungsbeschwerde in eine zulassungsfreie Revision
Leitsatz (NV)
Die Umdeutung einer Nichtzulassungsbeschwerde in eine zulassungsfreie Revision ist nur möglich, wenn bereits in der Beschwerdebegründung die Rüge eines der in § 116 Abs. 1 FGO aufgezählten Verfahrensmängel enthalten ist.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 3, § 116
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger, Beschwerdeführer und Revisionskläger (Kläger) hat vor dem Finanzgericht (FG) mit dem Beklagten, Beschwerdegegner und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -) darüber gestritten, ob bei der Einkommensteuerveranlagung 1983 Verluste von 19 042 DM aus der Vermietung eines in den Niederlanden belegenen Grundstücks im Rahmen des Progressionsvorbehalts nach § 32b des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu berücksichtigen sind oder ob dem der aufgrund des Haushaltsbegleitgesetzes 1983 vom 20. Dezember 1982 (BGBl I 1982, 1857, BStBl I 1982, 972) eingefügte § 2a EStG - hier dessen Abs. 1 Nr. 4 - entgegensteht. Das FG hat die Klage, die auf Berücksichtigung der negativen Einkünfte aus den Niederlanden beim Progressionsvorbehalt gerichtet war, in der Sitzung vom 25. Juni 1985 ohne mündliche Verhandlung als unbegründet abgewiesen. Das Urteil ist dem Kläger, der in der Vorinstanz nicht vertreten war, am 11. Juli 1985 mittels Postzustellungsurkunde - PZU - (Zustellung durch Niederlegung) zugestellt worden.
Am 12. August 1985 gab der jetzige Prozeßbevollmächtigte des Klägers - ein Rechtsanwalt - um 13.44 Uhr ein an das FG Köln gerichtetes Telegramm auf, in welchem es nach der Bezeichnung der finanzgerichtlichen Entscheidung mit Aktenzeichen und Datum heißt: ,,Ich lege Nichtzulassungsbeschwerde ein." Das Telegramm trägt den Eingangsstempel des FG vom selben Tage (12. August 1985). Das FG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.
Am 22. August 1985 ging beim FG der Schriftsatz des Prozeßbevollmächtigten des Klägers vom 20. August 1985 ein, in dem - ohne Angabe, ob es sich um eine Revisionsschrift oder um eine Begründung für die Nichtzulassungsbeschwerde handelt - der Kläger als Revisionskläger und das FA als Revisionsbeklagter bezeichnet waren und in welchem ferner beantragt wurde, unter Aufhebung des FG-Urteils und der Einspruchsentscheidung des FA die Verluste des Klägers aus Vermietung und Verpachtung gemäß § 32b EStG zu berücksichtigen.
Der Antrag wird wie folgt begründet: Das FG sei nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen (§ 116 Abs. 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Hierunter falle auch ein Verstoß gegen das Recht auf den gesetzlichen Richter. Dieser Verstoß sei dadurch gegeben, daß das FG die Sache nicht gemäß Art. 100 des Grundgesetzes (GG) dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zwecks Nachprüfung der Verfassungsmäßigkeit des § 2a EStG vorgelegt habe. Die Sache habe auch grundsätzliche Bedeutung i. S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO. In der Literatur sei streitig, ob § 2a EStG die Anwendung eines (negativen) Progressionsvorbehalts nach § 32b EStG ausschließe. Diese Frage sei höchstrichterlich noch nicht geklärt.
Der Prozeßbevollmächtigte beantragt in dem genannten Schriftsatz namens des Klägers vorsorglich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, falls irgendeine Frist nicht eingehalten sein sollte. Der Kläger persönlich habe sich am 12. August 1985 bei der Geschäftsstelle des FG telefonisch über den Zeitpunkt der Zustellung des Urteils erkundigt. Dem Kläger sei erklärt worden, daß für die Hemmung der Rechtskraft ein Telegramm seitens des Prozeßbevollmächtigten ausreiche. Der Kläger sei folglich ohne sein Verschulden daran gehindert gewesen, die Frist einzuhalten.
Auf Vorhalt des Vorsitzenden des Senats hat sich der Prozeßbevollmächtigte dahin geäußert, es liege eine Revision vor, die nicht der Zulassung bedürfe (§ 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO). Die mit Telegramm vom 12. August 1985 eingelegte ,,Nichtzulassungsbeschwerde" sei in eine Revisionseinlegung umzudeuten.
Entscheidungsgründe
Die Nichtzulassungsbeschwerde und die Revision sind als unzulässig zu verwerfen.
1. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nicht nur innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils des FG einzulegen (§ 115 Abs. 3 Satz 1 FGO), sie ist auch innerhalb der Monatsfrist zu begründen. Das ergibt sich aus § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO. Dort heißt es, daß in der Beschwerdeschrift die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) von der das finanzgerichtliche Urteil abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden muß. Es genügt, wenn die Beschwerdebegründung bis zum Ende der Einlegungsfrist beim FG eingeht (Gräber, Finanzgerichtsordnung, § 115 Anm. 29, mit Rechtsprechungsnachweis). Im Streitfall ist innerhalb der Beschwerdefrist, die am Montag, dem 12. August 1985, ablief, nur die Beschwerde, nicht aber die erforderliche Beschwerdebegründung eingereicht worden.
Die Beschwerdefrist ist wirksam in Lauf gesetzt worden. Die Geschäftsstelle des FG hatte für die Bekanntgabe des Urteils an den Kläger die Zustellung durch die Post mittels PZU gewählt (§ 53 Abs. 2 FGO i.V.m. § 3 des Verwaltungszustellungsgesetzes - VwZG -). Da der Postbedienstete bei der Zustellung am 11. Juli 1985 weder den Kläger in seiner Wohnung noch andere für eine Ersatzzustellung in Betracht kommende Personen angetroffen hatte, durfte er die zuzustellende Sendung bei der örtlichen Postanstalt niederlegen (§ 3 Abs. 3 VwZG i. V. m. §§ 181, 182 der Zivilprozeßordnung - ZPO -).
Da im Streitfall eine Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde bis zum 12. August 1985 - dem Ablauf der Beschwerdefrist - nicht eingegangen ist, treten die Folgen der Fristversäumung ein, es sei denn, es könnte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden. Eine Wiedereinsetzung ist zu versagen. Das Vorbringen in dem Schriftsatz des Bevollmächtigten vom 20. August 1985, der Kläger habe - wohl persönlich - am 12. August 1985 um 14.00 Uhr beim FG telefonisch nach der Zustellung des Urteils gefragt und ihm sei erklärt worden, ,,daß für die Hemmung der Rechtskraft ein Telegramm seitens des Prozeßbevollmächtigten ausreichen würde", vermag nicht einmal darzutun, aus welchen Gründen der Kläger ohne Verschulden verhindert war, die Erfordernisse einer Nichtzulassungsbeschwerde fristgerecht zu erfüllen.
2. Der Kläger hat erst mit dem Schriftsatz vom 20. August 1985 - eingegangen beim FG am 22. August 1985 - eine Revision einschließlich Revisionsbegründung eingereicht. Dieser Schriftsatz erfüllt alle Erfordernisse einer Revisionsschrift und einer Revisionsbegründungsschrift. Die Verwendung des Wortes ,,Revision" ist nicht erforderlich. Aus dem Inhalt dieses Schriftsatzes ergibt sich, daß der Kläger eine auf § 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO gestützte zulassungsfreie Revision einlegt und in diesem Zusammenhang begehrt, gemäß § 118 Abs. 3 FGO wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache auch über die materielle Streitfrage mitzuentscheiden (vgl. BFH-Urteil vom 22. April 1971 I R 149/70, BFHE 102, 353, BStBl II 1971, 631). Diese Revision ist aber, da die ebenfalls einen Monat betragende Revisionsfrist am 12. August 1985 abgelaufen war, verspätet eingelegt worden. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung dieser Frist kann aus den oben dargelegten Gründen nicht gewährt werden.
Revisionsfrist und die sich anschließende Revisionsbegründungsfrist (vgl. § 120 Abs. 1 Satz 1 FGO) wären allerdings gewahrt, wenn der Ansicht des Klägers gefolgt werden könnte, der Wortlaut des Telegramms vom 12. August 1985 sei in eine - zulassungsfreie - Revision umzudeuten. Das wäre nach der vom Kläger angegebenen Literaturstelle (Gräber, Deutsches Steuerrecht - DStR - 1968, 173, 176, m. w. N.) nur möglich, wenn schon in der Beschwerdebegründung die Rüge eines der in § 116 Abs. 1 FGO aufgezählten schweren Verfahrensmängel enthalten gewesen wäre. Ist das der Fall, handelt es sich in Wirklichkeit nicht um eine Nichtzulassungsbeschwerde, für die zudem kein Rechtsschutzbedürfnis bestände, sondern um eine zulassungsfreie Revision. Im Streitfall enthält der Wortlaut des Telegramms nichts in dieser Hinsicht. Es ist nicht einmal angedeutet, daß die Nichtzulassungsbeschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung, wegen Divergenz oder wegen irgendeines Verfahrensmangels erhoben wird. Bei dieser Sachlage kann, zumal Verfasser des Telegramms der als Rechtsanwalt zugelassene jetzige Prozeßbevollmächtigte des Klägers war, dem gebrauchten Wort ,,Nichtzulassungsbeschwerde" ausschließlich diese Bedeutung und nicht etwa die Bedeutung einer Revisionseinlegung beigemessen werden.
Fundstellen
Haufe-Index 414296 |
BFH/NV 1987, 447 |