Entscheidungsstichwort (Thema)
PKH bei ungeklärter Rechtsfrage in der Hauptsache
Leitsatz (NV)
- PKH kann bereits dann zu gewähren sein, wenn es bei der Hauptsache um schwierige Fragen geht, über die im PKH-Verfahren eine abschließende Beurteilung nicht möglich ist und ein Erfolg in der Hauptsache nicht von vornherein ausgeschlossen erscheint (Fortführung des BFH-Beschlusses vom 29. April 1981 IV S 4/77, BFHE 133, 253, BStBl II 1981, 580).
- In der Rechtsprechung des BFH ist noch nicht geklärt, welche Einwände gegen einen die Kindergeldfestsetzung aufhebenden Bescheid im Festsetzungs- bzw. im Erhebungsverfahren geltend gemacht werden können (vgl. BFH-Beschluss vom 19. Mai 1999 VI B 364/98, BFH/NV 1999, 1592).
Normenkette
FGO § 142 Abs. 1; ZPO § 114; AO 1977 §§ 163, 227
Tatbestand
Bis einschließlich Februar 1997 bezog die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin) für ihre 1980 geborene Tochter Kindergeld. Die Zahlung erfolgte auf Weisung der Antragstellerin zumindest ab Mai 1996 durch Überweisung auf ein Konto der Tochter. Im Februar 1997 stellte das Arbeitsamt - Familienkasse - (Familienkasse) fest, dass die Tochter seit dem 1. Mai 1996 nicht mehr bei der Antragstellerin, sondern in einem eigenen Haushalt in der gleichen Gemeinde wohnte. Die Antragstellerin hatte diesen Haushaltswechsel der Familienkasse nicht mitgeteilt. Die Familienkasse ermittelte außerdem, dass der ―von der Antragstellerin geschiedene― Vater ihrer Tochter seit dem Haushaltswechsel den überwiegenden Unterhalt für die Tochter leistete. Mit Antrag vom 12. März 1997 machte der Vater seinen Anspruch auf Kindergeld geltend, das rückwirkend (§ 66 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes ―EStG― in der bis zum 31. Dezember 1997 geltenden Fassung) ab September 1996 gewährt wurde.
Die Familienkasse hob mit Bescheid vom 27. März 1997 die Kindergeldfestsetzung gegenüber der Antragstellerin gemäß § 70 Abs. 2 EStG für die Tochter rückwirkend ab Mai 1996 auf, da der Kindesvater nach § 64 Abs. 3 Satz 2 EStG vorrangig berechtigt sei. Außerdem forderte die Familienkasse das von Mai 1996 bis Februar 1997 bezahlte Kindergeld in Höhe von 2 040 DM zurück. Die Antragstellerin legte dagegen Einspruch ein. Ferner machte sie die Unbilligkeit der Rückforderung i.S. des § 227 der Abgabenordnung (AO 1977) geltend.
Durch Bescheid vom 15. April 1998 sprach die Familienkasse unter Ablehnung des weiter gehenden Erlassantrags einen teilweisen Erlass in Höhe von 800 DM aus; dieser Betrag entsprach dem Kindergeld für die Monate Mai bis August 1996, in denen keine Doppelzahlung erfolgt war. Gegen diesen mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehenen Bescheid legte die Antragstellerin Einspruch ein, über den die Familienkasse bislang nicht entschieden hat.
Dagegen wies sie den gegen den Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid gerichteten Einspruch der Antragstellerin am 4. Mai 1998 als unbegründet zurück.
Nach Erhebung der Klage gegen den Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid stellte die Antragstellerin, vertreten durch ihren Prozessbevollmächtigten, mit Schriftsatz vom 19. August 1998 "für den Rechtsstreit" einen Antrag auf Prozesskostenhilfe (PKH) und mit Schreiben vom 22. September 1998 einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV). Mit Schriftsatz vom 13. Januar 1999 nahm sie den AdV-Antrag zurück.
Das Finanzgericht (FG) lehnte am 21. Mai 1999 den Antrag auf Bewilligung von PKH als unbegründet ab.
Mit der Beschwerde macht die Antragstellerin geltend, es liege ein Verstoß gegen Art. 3 des Grundgesetzes vor, wenn bei gleicher Sachlage ―direkte Überweisung des Kindergeldes auf das Konto der Tochter― nur für die Monate Mai bis August 1996 von einer Rückforderung abgesehen werde. Die angebliche (Doppel-)Zahlung von Kindergeld an den Kindesvater sei unerheblich, da dieser von der entsprechenden Zahlung an die Antragstellerin gewusst habe. Die Familienkasse habe die Doppelzahlung auch erkennen und verhindern können. Es verstoße gegen Treu und Glauben, wenn trotz dieses Organisationsverschuldens nunmehr ein Rückforderungsanspruch geltend gemacht werde. Es sei nicht verhältnismäßig, bei einem nicht rechtskundigen Bürger einen strengeren Sorgfaltsmaßstab als bei der Behörde anzulegen und von der arbeitslosen Antragstellerin die Rückzahlung des Kindergeldes zu verlangen.
Die Antragstellerin habe den Begriff Kindergeld wörtlich genommen und das Kindergeld deshalb an ihre Tochter weitergeleitet. Die Familienkasse habe aufgrund der Mitteilung, dass das Kindergeld nunmehr auf ein eigenes Konto ihrer Tochter überwiesen werden solle, einen konkreten Anhalt dafür gehabt, dass sich die Voraussetzungen für die Kindergeldgewährung geändert hätten. Die Rückforderung verstoße auch insoweit gegen Treu und Glauben.
Die Antragstellerin beantragt sinngemäß, ihr unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses PKH zu gewähren und Rechtsanwalt X als Prozessbevollmächtigten beizuordnen.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde, die sich gegen die Versagung der PKH für das Klageverfahren richtet, ist begründet. Die Vorinstanz hat zu Unrecht die hinreichende Erfolgsaussicht der Klage verneint (§ 142 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung ―FGO― i.V.m. § 114 der Zivilprozeßordnung ―ZPO―).
Hinreichende Erfolgsaussichten sind bereits dann zu bejahen, wenn es bei der Hauptsache um schwierige Fragen geht, über die im PKH-Verfahren eine abschließende Beurteilung nicht möglich ist und wenn die Einwände des Antragstellers nicht von vornherein aussichtslos erscheinen (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 29. April 1981 IV S 4/77, BFHE 133, 253, BStBl II 1981, 580).
Im Streitfall geht es unter anderem darum, ob der Aufhebungsbescheid wegen der vorliegenden besonderen Umstände gegen Treu und Glauben verstoßen könnte (vgl. BFH-Beschluss vom 27. April 1998 VII B 296/97, BFHE 185, 364, 368, BStBl II 1998, 499, 501). Ferner wird die in der Rechtsprechung des BFH ungeklärte Frage (vgl. BFH-Beschluss vom 19. Mai 1999 VI B 364/98, BFH/NV 1999, 1592 zu 3.) zu entscheiden sein, in welchem Verfahren die Antragstellerin ihre Einwände geltend machen kann (vgl. Urteil des Hessischen FG vom 7. September 1999 9 K 6413/97, Entscheidungen der Finanzgerichte 2000, 2).
Hinsichtlich der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Antragstellerin lässt der angefochtene Beschluss die erforderlichen tatsächlichen Feststellungen und rechtlichen Erwägungen nicht erkennen. Der erkennende Senat hält es deshalb für sachgerecht, die Sache unter Aufhebung der Vorentscheidung an das FG zurückzuverweisen (vgl. BFH-Beschluss vom 18. März 1999, VI B 203/98, BFH/NV 1999, 1209).
Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens wird ―für den Fall seiner Erfolglosigkeit― dem FG übertragen (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 1999, 1209).
Fundstellen
Haufe-Index 426470 |
BFH/NV 2000, 1325 |