Leitsatz (amtlich)
Auch wenn der Revisionskläger beantragt bat, die Revisionsbegründungsfrist „stillschweigend” zu verlängern, muß er sich rechtzeitig vor Ablauf der Frist vergewissern, ob seinem Antrag entsprochen worden ist.
Normenkette
FGO §§ 120, 56
Tatbestand
Das Finanzgericht (FG) hat die Klage des Klägers und Revisionsklägers als unzulässig abgewiesen. Das Urteil des FG wurde dem Kläger zu Händen seines Prozeßbevollmächtigten am 24. März 1972 zugestellt. Am 24. April 1972 legte der Kläger Revision ein.
Mit Schreiben vom 8. Juni 1972 teilte der Vorsitzende des Senats dem Prozeßbevollmächtigten des Klägers mit, daß die Revision bisher nicht begründet worden sei. Darauf teilte der Kläger mit Schriftsatz vom 21. Juni 1972, eingegangen am 23. Juni 1972, mit, er habe mit dem in Ablichtung beigefügten Schreiben vom 19. Mai 1972 an den Bundesfinanzhof (BFH) beantragt, die Revisionsbegründungsfrist „stillschweigend um einen Monat zu verlängern”. Der Schriftsatz vom 21. Juni 1972 enthält den Antrag, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand für den Antrag vom 19. Mai 1972 zu gewähren und dann dem Antrag vom 19. Mai 1972 zu entsprechen. Zur Begründung erklärte der Kläger, das Schreiben vom 19. Mai 1972 sei von dem Rentner F. T. in R. am 19. Mai 1972 in den Postkasten des Postamtes R. gesteckt worden. Zur Glaubhaftmachung hat der Kläger eine eidesstattliche Versicherung dieses Rentners vorgelegt.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt – FA) beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise, sie als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unzulässig, da sie nicht in der gesetzlichen Frist begründet wurde (§§ 120, 124 FGO). Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionsbegründungsfrist kann dem Kläger nicht gewährt werden, weil dieser nicht ohne sein Verschulden verhindert war, die Frist einzuhalten (§ 56 FGO).
Die Revisionsbegründungsfrist endete im Streitfall am 24. Mai 1972 (§ 120 Abs. 1 Satz 1 FGO). Die Revisionsbegründung ging aber erst am 23. Juni 1972 und damit zu spät beim FG ein.
Der Antrag des Klägers vom 19. Mai 1972 auf Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist hat den BFH nicht erreicht. Der weitere Antrag des Klägers vom 21. Juni 1972, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand für den Antrag vom 19. Mai 1972 zu gewähren, kann keinen Erfolg haben. Die Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist kann nur bis zum Ablauf dieser Frist beantragt werden (BFH-Beschluß II R 48/70 vom 4. August 1970, Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Bd. 99 S. 355 – BFH 99, 355 –, BStBl II 1970, 666). Daher hat es keinen Sinn, für den Antrag auf Fristverlängerung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Die versäumte Prozeßhandlung ist im Streitfall nicht der Antrag auf Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist, sondern die Revisionsbegründung selbst (BFH-Beschluß VI R 215/68 vom 28. Februar 1969, BFH 95, 29, BStBl II 1969, 298).
Daher könnte dem Kläger nur durch eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionsbegründungsfrist geholfen werden. Das wäre auch ohne Antrag möglich, weil die Revisionsbegründung innerhalb der Frist von zwei Wochen nach Erlangung der Kenntnis von der Fristversäumung, die am 28. Juni 1972 endete, beim FG einging (vgl. BFH-Beschluß VI R 317/66 vom 17. März 1967, BFH 88, 160, BStBl III 1967, 342) – § 56 Abs. 2 FGO –.
Die Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 56 Abs. 1 FGO sind aber nicht erfüllt. Der Prozeßbevollmächtigte des Klägers hat die Revisionsbegründungsfrist versäumt, weil er darauf vertraut hat, daß sein Fristverlängerungsantrag vom 19. Mai 1972 beim BFH eingegangen sei und zur beantragten Fristverlängerung geführt habe. Darauf durfte er sich nicht verlassen. Ein Rechtsmittelberechtigter, dem die Entscheidung über seinen Antrag auf Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist nicht vor Ablauf der sich zu Ende neigenden Frist mitgeteilt wird, muß sich rechtzeitig vor Ablauf der Frist vergewissern, ob seinem Antrag entsprochen worden ist (BFH-Beschluß II R 8/68 vom 20. Juni 1968, BFH 93, 30, BStBl II 1968, 659; Beschluß des Bundesgerichtshofs VI ZB 16/67 vom 22. September 1967, Versicherungsrecht 1967 S. 1153). Das gilt auch dann, wenn, wie im Streitfall, beantragt ist, die Revisionsbegründungsfrist „stillschweigend” zu verlängern.
Der Kläger muß sich das Verschulden seines Prozeßbevollmächtigten zurechnen lassen (§ 155 FGO, § 232 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung).
Fundstellen
Haufe-Index 514587 |
BFHE 1973, 107 |