Entscheidungsstichwort (Thema)
NZB; Unwirksamkeit eines Bescheids wegen Aufgabe des Bekanntgabewillens
Leitsatz (NV)
- Ein Steuerbescheid ist trotz Bekanntgabe unwirksam, wenn das FA den Bekanntgabewillen aufgegeben und die Aufhebung dieses Bescheids in den Akten verfügt hat, bevor er seinen Herrschaftsbereich verlassen hat (st. Rspr. zuletzt BFH-Urteil vom 12. August 1996 VI R 18/94, BFHE 180, 538, BStBl II 1996, 627).
- Der Einwand, die Entscheidung des FG beruhe auf einer widersprüchlichen Sachverhaltsdarstellung des FA, betrifft keinen Verfahrensfehler i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO, sondern einen im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren unbeachtlichen materiell-rechtlichen Fehler.
Normenkette
AO 1977 § 124; FGO §§ 76, 115 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 3 S. 3
Gründe
Die Beschwerde ist unzulässig, weil sie nicht entsprechend den Anforderungen des § 115 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) begründet worden ist.
Nach § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO muss der Beschwerdeführer die grundsätzliche Bedeutung in der Beschwerdeschrift darlegen. Insbesondere hat er bei Vorliegen von Entscheidungen des Bundesfinanzhofs (BFH) zu der streitigen Rechtsfrage auszuführen, weshalb er gleichwohl eine erneute Entscheidung zu der Frage im Interesse der Allgemeinheit oder Rechtsfortbildung für erforderlich hält; diesem Erfordernis ist nur Rechnung getragen, wenn die Beschwerdebegründung eine eingehende Auseinandersetzung mit dem betreffenden Rechtsproblem enthält und ausführt, worin der Beschwerdeführer noch eine ungeklärte Frage sieht (BFH-Beschlüsse vom 16. April 1998 X B 186/97, BFH/NV 1998, 1244; vom 10. Dezember 1998 VIII B 56/98, BFH/NV 1999, 804; vom 7. Juli 1999 X B 37/99, BFH/NV 2000, 59; Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 115 FGO, Rz. 214; Gräber, Finanzgerichtsordnung, § 115 Rz. 62, jeweils m.w.N.).
Diesen Anforderungen entspricht die Beschwerdebegründung nicht.
Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) benennen nicht konkret die von ihnen für klärungsbedürftig gehaltene Rechtsfrage, sondern beschränken sich im Wesentlichen auf den Einwand, dass für eine vor Zugang des "Bescheids" (vom 27. Februar 1995) erfolgte Stornierung der Sollstellung sowie für einen vorherigen Widerruf des Bescheids keine hinreichenden Beweise vorlägen.
Allenfalls könnte in ihrem Hinweis, Steuerpflichtige würden durch Berücksichtigung von Mängeln im Arbeitsablauf des Finanzamts bei der Feststellung der Wirksamkeit von Bescheiden irritiert, ansatzweise die Geltendmachung einer grundsätzlichen Bedeutung gesehen werden. Sie würde jedoch nur dann den vorbezeichneten Darlegungserfordernissen entsprechen, wenn sie eine Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des BFH zur Erheblichkeit einer Aufgabe des Bekanntgabewillens für die Wirksamkeit von Steuerverwaltungsakten enthielte.
Nach dieser Rechtsprechung ist ein Bescheid trotz Bekanntgabe jedenfalls dann unwirksam, wenn die Behörde ihren Bekanntgabewillen aufgegeben und die Aufhebung dieses Bescheids in den Akten verfügt hat, bevor dieser ihren Herrschaftsbereich verlassen hat (BFH-Urteil vom 12. August 1996 VI R 18/94, BFHE 180, 538, BStBl II 1996, 627, unter Bezugnahme auf die BFH-Urteile vom 27. Juni 1986 VI R 23/83, BFHE 147, 205, BStBl II 1986, 832; vom 24. November 1988 V R 123/83, BFHE 155, 466, BStBl II 1989, 344). Da diese Voraussetzungen im Streitfall gegeben sind (Aufhebung des Bescheids mit Aktenverfügung vom 23. Februar 1995; Absendung des Bescheids am 27. Februar 1995), hätten die Kläger darlegen müssen, warum die in den vorbezeichneten Urteilen dargestellten Grundsätze in ihrem Fall oder generell unanwendbar sein sollten.
Schließlich haben die Kläger auch die hilfsweise geltend gemachte Rüge von Verfahrensfehlern nicht ordnungsgemäß erhoben. Eine solche Rüge erfordert nicht nur die Bezeichnung der angeblich verletzten Rechtsnorm, sondern auch die konkrete Angabe der Tatsachen, aus denen sich nach Ansicht der Kläger der behauptete Verfahrensverstoß ergibt, sowie die Darlegung, dass eine bereits in der Vorinstanz mögliche Rüge vorgenommen wurde oder eine solche nicht möglich war (vgl. Gräber/Ruban, a.a.O., § 120 Rz. 38, m.w.N.).
Diesen Anforderungen genügt der Hinweis der Kläger auf fehlende Beweise für die Stornierung durch den Sachgebietsleiter ―dieser Hinweis allein könnte als konkludent erhobene Verfahrensrüge unzureichender Sachaufklärung nach Maßgabe des § 76 FGO angesehen werden― schon deshalb nicht, weil das Finanzgericht (FG) die in den Steuerakten befindliche Verfügung über die Stornierung im Erörterungstermin mit den Beteiligten vorgelegt hat und die Kläger daraufhin ―ohne einen darauf bezogenen Beweisantrag zu stellen oder die Richtigkeit der Akten in Zweifel zu ziehen― auf mündliche Verhandlung verzichtet haben.
Soweit die Kläger einen Widerspruch in der Sachverhaltsdarstellung des FG geltend machen (einerseits Hinweis auf fehlende substantiierte Einwände gegen die Tatsache des Telefongesprächs vom 10. Mai 1995, andererseits Annahme einer Erheblichkeit des Gesprächs und des Widerrufsschreibens vom 23. Februar 1995), betrifft die Rüge keinen Verfahrensfehler i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO, sondern einen im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren unbeachtlichen materiell-rechtlichen Fehler (vgl. BFH-Urteil vom 21. September 1988 V R 188/83, BFH/NV 1989, 203; Gräber, a.a.O., § 115 Rz. 27).
Von einer Darstellung des Sachverhalts sowie einer weiteren Darlegung der Entscheidungsgründe wird gemäß Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs abgesehen.
Fundstellen
Haufe-Index 425684 |
BFH/NV 2000, 1325 |