Entscheidungsstichwort (Thema)
NZB: Wiedereinsetzung, Büroversehen
Leitsatz (NV)
1. Der Prozessbevollmächtigte, der zur Rechtfertigung seines Wiedereinsetzungsantrags vorbringt, er habe die Notierung und Kontrolle der maßgeblichen Frist für die Einlegung bzw. Begründung eines Rechtsmittels einer zuverlässigen und erfahrenen Bürokraft überlassen, muss vortragen, durch welche Maßnahmen er gewährleistet hat, dass in seinem Büro die Fristen entsprechend seinen Anordnungen notiert und kontrolliert werden.
2. Dazu gehört auch der Vortrag, wann und wie er seine Bürokräfte entsprechend belehrt und wie er die Einhaltung dieser Belehrungen überwacht hat.
3. Der bloße Vortrag, es handele sich um einen langjährigen Mitarbeiter, der ausgebildeter Steuerfachangestellter und Wirtschaftsassistent sei, begründet noch nicht zwingend, dass der Mitarbeiter bei der Fristenkontrolle bisher auch stets zuverlässig gearbeitet hat.
Normenkette
FGO §§ 56, 116 Abs. 3 S. 1
Verfahrensgang
FG Baden-Württemberg (Urteil vom 01.03.2007; Aktenzeichen 10 K 69/06) |
Gründe
1. Nach § 116 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) kann die Nichtzulassung der Revision durch Beschwerde (Nichtzulassungsbeschwerde) angefochten werden. Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils beim Bundesfinanzhof (BFH) einzulegen (§ 116 Abs. 2 Satz 1 FGO). Das Urteil vom 1. März 2007 wurde der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) am 8. März 2007 zugestellt. Die Einlegungsfrist des § 116 Abs. 2 Satz 1 FGO endete mit Ablauf des 10. April 2007, einem Montag (§ 54 Abs. 2 FGO, § 222 Abs. 1 der Zivilprozessordnung --ZPO-- i.V.m. § 187 Abs. 1 und § 188 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs --BGB--), die Beschwerde ging beim BFH aber erst am 12. April 2007 und damit verspätet ein.
2. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 Abs. 1 FGO) war der Klägerin nicht zu gewähren. Sie war nicht ohne Verschulden verhindert, die Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde einzuhalten; das Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten muss sie sich wie eigenes Verschulden zurechnen lassen (§ 155 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO).
a) Beruft sich ein durch einen Prozessbevollmächtigten vertretener Beteiligter --wie im Streitfall die Klägerin-- auf ein (nicht zu vertretendes) Büroversehen, so muss er darlegen, dass kein Organisationsfehler vorliegt, d.h. dass der Prozessbevollmächtigte alle Vorkehrungen getroffen hat, die nach vernünftigem Ermessen die Nichtbeachtung von Fristen auszuschließen geeignet sind, und dass er durch regelmäßige Belehrung und Überwachung seiner Bürokräfte für die Einhaltung seiner Anordnungen Sorge getragen hat (vgl. BFH-Beschlüsse vom 3. August 2001 VIII R 9/00, BFH/NV 2002, 43; vom 24. Juli 2002 VII B 150/02, BFH/NV 2002, 1489, m.w.N.; vom 25. Juni 2003 XI B 186/02, BFH/NV 2003, 1589). Der Prozessbevollmächtigte, der zur Rechtfertigung seines Wiedereinsetzungsantrags vorbringt, er habe die Notierung und Kontrolle der maßgeblichen Frist für die Einlegung bzw. Begründung eines Rechtsmittels einer zuverlässigen und erfahrenen Bürokraft überlassen, muss hiernach vortragen, durch welche Maßnahmen er gewährleistet hat, dass in seinem Büro die Fristen entsprechend seinen Anordnungen notiert und kontrolliert werden (vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs vom 16. März 2000 VII ZR 320/99, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2001, 297). Dazu gehört auch der Vortrag, wann und wie er seine Bürokräfte entsprechend belehrt und wie er die Einhaltung dieser Belehrungen überwacht hat (vgl. BFH-Beschluss vom 7. Februar 2002 VII B 150/01, BFH/NV 2002, 795).
b) Nach diesen Grundsätzen ist der Vortrag des Prozessbevollmächtigten der Klägerin, mit dem er ein Organisationsverschulden ausschließen möchte, unschlüssig. Zunächst fehlt es am Vorbringen zur Zuverlässigkeit des mit der Fristenkontrolle beauftragten Mitarbeiters. Der bloße Vortrag, es handele sich um einen langjährigen Mitarbeiter, der ausgebildeter Steuerfachangestellter und Wirtschaftsassistent sei, begründet noch nicht zwingend, dass der Mitarbeiter bei der Fristenkontrolle bisher auch stets zuverlässig gearbeitet hat. Ferner ist der Vortrag, die Bedeutung der Fristen sei Gegenstand "ständiger Besprechung" mit den Mitarbeitern, zu unsubstantiiert. Es ergibt sich daraus nicht, in welchen Zeitabständen eine Überprüfung stattfindet und auf welche Weise diese Überprüfung im Einzelnen durchgeführt wird. Denn die konkreten "Maßnahmen", durch welche gewährleistet wird, dass in der Kanzlei die Fristen entsprechend den Anordnungen des Prozessbevollmächtigten notiert und kontrolliert werden, erschließen sich daraus nicht. Das gilt umso mehr, als der Prozessbevollmächtigte selbst darauf hinweist, bei der Frist für die Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde handele es sich um eine "nicht alltägliche Frist", in die er den Mitarbeiter zwar eingewiesen habe, die dieser normalerweise aber ihm --dem Prozessbevollmächtigten-- überlasse. Dass, wie vorgetragen wird, bei regelmäßigen Besprechungen in der Praxis auch das Führen und Berechnen von Fristen besprochen wird, hat mit der Notierung und Kontrolle von Fristen im Fristenkontrollbuch und dem Hinweis auf der eindeutigen Belehrung über "nicht alltägliche Fristen" nichts zu tun.
Auch wird nichts dazu vorgetragen, wie denn die Anordnungen des Prozessbevollmächtigten zur Notierung und Kontrolle der Fristen im Einzelnen konkret aussehen und wann und wie die Fristen in das Fristenkontrollbuch eingetragen werden bzw. ob eine Vorfristkontrolle besteht und wie diese ggf. beschaffen ist (vgl. dazu BFH-Beschluss in BFH/NV 2002, 1489). Insgesamt kann der Senat daher nicht beurteilen, ob tatsächlich ein entschuldbares Büroversehen des Mitarbeiters oder vielmehr ein Organisationsmangel in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten gegeben ist. Ein Organisationsverschulden als Ursache der Fristversäumnis kann daher nicht ausgeschlossen werden.
Fundstellen