Entscheidungsstichwort (Thema)
Mangelnde Vertretung im finanzgerichtlichen Verfahren; Anforderungen an Verletzung rechtlichen Gehörs bei unterlassener Terminsaufhebung
Leitsatz (NV)
1. Die Rüge der mangelnden Vertretung im finanzgerichtlichen Verfahren kann, weil es sich um einen mit der zulassungsfreien Revision zu rügenden wesentlichen Verfahrensmangel gemäß § 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO handeln würde, grundsätzlich nicht mit der Nichtzulassungsbeschwerde geltend gemacht werden.
2. Mit einem Antrag auf Beiordnung eines Steuerberaters nach § 62 Abs. 1 Satz 2 FGO sowie § 155 FGO i. V. m. § 78b ZPO muß der Kläger darlegen, daß er keinen Bevollmächtigten oder Beistand finden könne.
3. Die Rüge, daß es das FG verfahrensfehlerhaft unterlassen habe, den Termin zur mündlichen Verhandlung aufzuheben, ist nicht schlüssig, wenn es an der Darlegung fehlt, daß der Verfahrensmangel gegenüber dem FG gerügt bzw. weshalb dies nicht möglich gewesen sei. Sie ist zudem unbegründet, falls unterlassen wurde, sich gegenüber dem FG rechtliches Gehör zu verschaffen.
4. Eine Verletzung rechtlichen Gehörs kommt nicht schon wegen eines unterlassenen Beschlusses über die Terminsaufhebung, sondern erst in Betracht, wenn das FG aufgrund einer mündlichen Verhandlung entscheidet, die es hätte vertagen müssen.
5. Ein Anwaltswechsel vor der mündlichen Verhandlung stellt nur dann einen Grund zur Vertagung dar, wenn er nicht durch die Partei verschuldet ist oder jedenfalls aus schutzwürdigen Gründen erfolgt ist.
Die Vertagung wegen Einlegung einer Verfassungsbeschwerde setzt zunächst deren Erheblichkeit für das Klageverfahren voraus.
6. Beantragt der Kläger mit vorstehender Begründung (Ziff. 5) nach wirksamer Ladung zur mündlichen Verhandlung die Terminsaufhebung, kann er nicht ohne weiteres davon ausgehen, daß dem Antrag stillschweigend entsprochen werde. Er muß sich vielmehr notfalls beim FG danach erkundigen.
Normenkette
FGO § 62 Abs. 1 S. 2, § 73 Abs. 1, §§ 74, 91 Abs. 2, § 96 Abs. 2, § 115 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 3 S. 3, § 116 Abs. 1 Nr. 3, § 119 Nr. 3, §§ 121, 155; ZPO §§ 78b, 216, 227 Abs. 1-2, § 295
Gründe
1. Die Verbindung der Beschwerdeverfahren zu gemeinsamer Entscheidung beruht auf §§ 73 Abs. 1, 121 der Finanzgerichtsordnung (FGO).
2. Die möglicherweise unzulässigen Beschwerden sind jedenfalls unbegründet (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 11. Februar 1987 II B 140/86, BFHE 148, 494, BStBl II 1987, 344).
a) Die Rüge der mangelnden oder unzureichenden Vertretung der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) im finanzgerichtlichen Verfahren kann grundsätzlich nicht mit der Nichtzulassungsbeschwerde geltend gemacht werden, weil es sich um einen mit der zulassungsfreien Revision zu rügenden wesentlichen Verfahrensmangel gemäß § 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO handeln würde (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 116 FGO Tz. 17 m. w. N.). Eine Umdeutung der Nichtzulassungsbeschwerde in eine zulassungsfreie Revision kommt nicht in Betracht (BFH-Beschluß vom 9. Juni 1986 IX B 90/85, BFHE 146, 395, BStBl II 1986, 679). Der Senat läßt daher unerörtert, ob eine solche Revision zulässig und begründet wäre, weist jedoch auf den BFH- Beschluß vom 21. März 1990 IV R 64/89 (auszugsweise veröffentlicht in BFH/NV 1990, 724) hin.
b) Selbst wenn im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde ein Verstoß gegen § 62 Abs. 1 Satz 2 FGO sowie § 155 FGO i. V. m. § 78b der Zivilprozeßordnung (ZPO) gerügt werden könnte, wäre diese Rüge nicht schlüssig. Abgesehen von der Frage, ob mit den Klagen die Beiordnung eines Steuerberaters beantragt und nicht lediglich ein Kostenantrag i. S. des § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO gestellt wurde, wäre ein solcher -- unterstellter -- Antrag auf Beiordnung mangels Darlegung der Klägerin, daß sie keinen Bevollmächtigten oder Beistand finden könne (Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 62 Tz. 92) nicht schlüssig gewesen und zudem durch die spätere Vollmachtserteilung an den Rechtsanwalt A vom 28. September 1992 hinfällig geworden. Die Wirksamkeit der Ladung dieses Prozeßbevollmächtigten zur mündlichen Verhandlung vor dem Finanzgericht (FG) blieb vom späteren Widerruf der Vollmacht durch die Klägerin unberührt (Gräber/Koch), a. a. O., Tz. 45 und Tipke/Kruse, a. a. O., § 62 Tz. 18; vgl. auch Beschluß des Bundessozialgerichts -- BSG -- vom 12. März 1975 12 RJ 330/74, Neue Juristische Wochenschrift -- NJW -- 1975, 1384).
c) Hinsichtlich der Rüge verfahrensfehlerhaft unterlassener Aufhebung des Termins zur mündlichen Verhandlung handelt es sich zwar um keinen Fall der zulassungsfreien Revision gemäß § 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO, sondern der Versagung rechtlichen Gehörs (BFH-Beschlüsse vom 11. Februar 1987 IX R 133/86, BFH/NV 1987, 452, und vom 2. Dezember 1987 IX R 279/87, BFH/NV 1988, 382). Es bestehen jedoch erhebliche Bedenken gegen die Schlüssigkeit auch dieser Verfahrensrüge, da es an der nach ständiger Rechtsprechung erforderlichen Darlegung fehlt, daß der Verfahrensmangel gegenüber dem FG gerügt worden bzw. weshalb dies nicht möglich gewesen sei (vgl. BFH-Urteil vom 22. Juli 1988 III R 175/85, BFHE 154, 218, BStBl II 1988, 995, Ziff. 2b cc der Gründe; Beschluß vom 8. März 1988 VII R 34/85, BFH/NV 1988, 792, und Urteil vom 14. November 1990 X R 145/87, BFH/NV 1991, 373).
aa) Im übrigen wäre diese Verfahrensrüge schon deshalb unbegründet, weil es die Klägerin unterlassen hat, sich bereits gegenüber dem FG rechtliches Gehör zu verschaffen (vgl. auch Beschluß des Bundesverfassungsgerichts -- BVerfG -- vom 28. August 1980 1 BvR 218/80, Monatsschrift für Deutsches Recht -- MDR -- 1981, 470). Denn sie hat gegenüber der Vorinstanz insbesondere weder schriftsätzlich geltend gemacht, zur Einhaltung der Aufklärungsanordnung vom 2. März 1994 außerstande zu sein, noch an der mündlichen Verhandlung, zu der auch sie geladen war, teilgenommen, obwohl in der Ladung ein Hinweis gemäß § 91 Abs. 2 FGO enthalten war.
bb) In diesem Zusammenhang bedarf es keiner Entscheidung, ob der Vorsitzende bei dem FG oder dieses gemäß § 155 FGO i. V. m. § 227 Abs. 2 ZPO vor der mündlichen Verhandlung über den Terminaufhebungsantrag hätte entscheiden müssen (bejahend Roth in Stein/Jonas, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 21. Aufl., § 227 Anm. 28ff.). Denn die Versagung rechtlichen Gehörs kommt nicht schon durch die Entscheidung über die Terminsaufhebung, sondern erst dann in Betracht, wenn das FG aufgrund einer mündlichen Verhandlung entscheidet, die es wegen des Antrags hätte vertagen müssen (vgl. BFH-Beschluß vom 26. November 1993 I B 63/93, BFH/NV 1994, 802).
cc) Aus der maßgeblichen Sicht des FG waren jedoch keine erheblichen Gründe für eine Terminsaufhebung erkennbar (§ 155 FGO i. V. m. § 227 Abs. 1 ZPO).
Ein Anwaltswechsel vor der mündlichen Verhandlung stellt nur dann einen Grund zur Vertagung dar, wenn er nicht durch die Prozeßpartei verschuldet ist (BFH-Urteil vom 26. Januar 1977 I R 163/74, BFHE 121, 286, BStBl II 1978, 348), oder jedenfalls aus schutzwürdigen Gründen erfolgt (Kopp, Verwaltungsgerichtsordnung, 10. Aufl., § 102 Anm. 8b). Dazu hatte die Klägerin nichts vorgetragen, sondern nur auf "die Notwendigkeit, einen Wechsel in unserer anwaltschaftlichen Vertretung vor dem FG vorzunehmen", ohne jede Begründung hingewiesen. Im übrigen wäre es nun ihre Sache gewesen, unverzüglich einen anderen Prozeßbevollmächtigten zu bestellen oder sich darum zu bemühen (vgl. auch Urteile des BSG vom 27. Oktober 1955 4 RJ 6/54, NJW 1956, 1416, und vom 25. Januar 1974 10 RV 375/73, MDR 1974, 611).
dd) Auch ihr Hinweis auf die inzwischen gegen das FG-Urteil zum Streitjahr 1988 eingelegte Verfassungsbeschwerde reichte zur schlüssigen Begründung der begehrten Terminsaufhebung nicht aus. Denn es hätte insoweit der Darlegung bedurft, daß diese Verfassungsbeschwerde gemäß oder entsprechend § 74 FGO für das vorliegende Verfahren entscheidungserheblich sei. Dies setzte voraus, daß das auszusetzende Verfahren zu einer Sachprüfung führen konnte (vgl. BFH-Urteil vom 20. September 1989 X R 8/86, BFHE 158, 205, 207, BStBl II 1990, 177, und Beschluß vom 18. Februar 1994 X B 35/93, BFH/NV 1995, 120). Hier waren die Klagen jedoch nach Auffassung des FG mangels Bezeichnung des Gegenstands des Klagebegehrens unzulässig, während sich die zum Streitjahr 1988 erhobene Verfassungsbeschwerde auf ein FG-Urteil bezog, das zur Sache selbst ergangen und Gegenstand der Beschwerdeentscheidung des Senats vom 21. Dezember 1993 VIII B 70/93 war. Zudem hat das BVerfG die Verfassungsbeschwerde mit Beschluß vom 23. März 1994 2 BvR 474/94 nicht zur Entscheidung angenommen.
ee) Die Annahme der Klägerin, daß ihrem Terminsaufhebungsantrag ohne weiteres entsprochen würde, war rechtsirrig. Sie hätte vielmehr davon ausgehen müssen, daß die ihr zugestellte Ladung wirksam blieb, bis sie aufgehoben wurde. Notfalls hätte sie sich bei dem FG nach dem Ausgang ihres Antrags erkundigen müssen (vgl. Senatsurteil vom 16. Oktober 1984 VIII R 14/80, BFH/NV 1985, 85, 86). Das FG hat auch nicht von sich aus den Eindruck erweckt, daß es den Termin aufheben oder ohne die Klägerin nicht verhandeln werde (Senatsurteil vom 22. Mai 1979 VIII R 93/76, BFHE 128, 310, BStBl II 1979, 702).
Soweit die Klägerin der Auffassung gewesen sein sollte, daß die Durchführung der mündlichen Verhandlung von ihrem Einverständnis abhänge, wäre diese ebenfalls rechtsirrig. Denn die Termine zur mündlichen Verhandlung werden allein von dem Vorsitzenden bei dem FG bestimmt (§ 155 FGO i. V. m. § 216 ZPO); sie sind der Parteidisposition entzogen (vgl. auch Urteil des Bundesgerichtshofs vom 19. November 1981 III ZR 85/80, NJW 1982, 888, Ziff. III der Gründe, m. w. N.). Es ist nach ständiger Rechtsprechung auch grundsätzlich Sache des FG, über die Reihenfolge der Behandlung anhängiger Verfahren zu bestimmen (BFH-Beschlüsse vom 8. Mai 1992 III B 110/92, BFH/NV 1993, 174, Ziff. 3 der Gründe; vom 18. Januar 1993 X B 5/92, BFH/NV 1994, 106, 108, Ziff. 2 b bb der Gründe, und Senatsbeschluß vom 27. September 1994 VIII B 64--76/94, BFH/NV 1995, 526).
d) Die Rüge, daß die vom FG gesetzte Ausschlußfrist für die aufgegebene Aufstellung der Wertpapiere nach der Ablehnung des Mandats durch die Steuerberatungsgesellschaft B nicht einzuhalten gewesen sei, greift schon deshalb nicht durch, weil das FG sein Urteil auf diesen Gesichtspunkt nicht gestützt hat.
3. Die Verfahrensrüge der unterlassenen Verfahrensaussetzung wegen der eingelegten Verfassungsbeschwerde ermangelt schon der notwendigen Darlegung, daß es sich um ein präjudizierliches Musterverfahren im Sinne der Rechtsprechung gehandelt hätte (vgl. BFH-Beschluß vom 12. November 1993 III B 234/92, BFHE 173, 196, BStBl II 1994, 401). Dies kam auch aus den oben (Ziff. 2 b dd) dargelegten Gründen nicht in Betracht.
Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs).
Fundstellen
Haufe-Index 420799 |
BFH/NV 1996, 144 |