Leitsatz (amtlich)
1. Urteile des FG auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen sind wegen der Kostenentscheidung von Amts wegen ohne Sicherheitsleistung für vorläufig vollstreckbar zu erklären; dabei ist gleichzeitig gemäß § 711 ZPO i. V. m. § 151 FGO auszusprechen, daß der Kostenschuldner die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung abwenden darf, wenn nicht der Gläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit leistet.
2. Unterläßt es das FG, in seinem Urteil die Abwendungsbefugnis zugunsten des Schuldners auszusprechen, so kann der Schuldner beim FG die Ergänzung des Urteils (§ 109 FGO) beantragen.
2. Die Möglichkeit, nach § 719 Abs. 2 ZPO i. V. m. § 151 FGO beim BFH als Revisionsgericht die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung aus der Kostenentscheidung zu erlangen, ist auf Ausnahmefälle beschränkt.
Normenkette
FGO §§ 151-152, 109; ZPO § 708 Nr. 10, §§ 711, 716, 719 Abs. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Das Verfahren in der Hauptsache betrifft im wesentlichen die Frage, ob die M-KG (im folgenden: KG) im Streitjahr 1968 eine nach § 14 des Berlinhilfegesetzes (BHG) begünstigte Anzahlung geleistet hat und hierfür eine Sonderabschreibung beanspruchen konnte.
Der Beklagte, Revisionskläger und Antragsteller (das Finanzamt - FA -) hatte zunächst durch vorläufigen Bescheid über die einheitliche und gesonderte Gewinnfeststellung vom 23. Januar 1970 den von der KG erklärten Verlust antragsgemäß festgestellt. Durch Änderungsbescheid vom 15. September 1977 stellte das FA einen geringeren Verlust fest. Es vertrat dazu die Auffassung, eine nach § 14 BHG begünstigte Anzahlung liege nicht vor; die von der KG beantragte Sonderabschreibung auf den von ihr als Anzahlung angesehenen Betrag könne deshalb nicht gewährt werden.
Die KG und ihre Komplementär-GmbH wurden im Jahre 1974 aufgelöst, ihre Firmen im Handelsregister gelöscht.
Gegen den Änderungsbescheid vom 15. September 1977 über die einheitliche und gesonderte Gewinnfeststellung erhob einer der ehemaligen Kommanditisten (der Kläger, Revisionsbeklagte und Antragsgegner - Antragsgegner -) Sprungklage gemäß § 45 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FG0).
Auf die Klage hob das Finanzgericht (FG) den angefochtenen Änderungsbescheid auf und verurteilte das FA, die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Kostenentscheidung erklärte das FG gemäß § 155 FGO i. V. m. § 708 Nr. 10 der Zivilprozeßordnung (ZPO) für vorläufig vollstreckbar.
Gegen dieses Urteil legte das FA Revision ein. Über die Revision ist noch nicht entschieden.
Nach Festsetzung der Kosten des finanzgerichtlichen Verfahrens in Höhe von , 15 272,10 DM mit Beschluß vom 22. September 1980 beantragte der Antragsgegner mit Schriftsätzen vom 27 Oktober 1980, 4. Dezember 1980 und 8. Januar 1981 beim FG, wegen dieser Kosten nach § 152 Abs. 1 Satz 1 FG0 die Vollstreckung zu verfügen. Das FG forderte darauf das FA mit Beschluß vom 31. März 1981 auf, die Vollstreckung innerhalb von drei Wochen durch Überweisung des festgesetzten Betrags sowie der Zinsen auf ein Konto des Prozeßbevollmächtigten abzuwenden.
Mit Schriftsatz vom 6. April 1981 beantragte das FA beim Bundesfinanzhof (BFH), die Zwangsvollstreckung einstweilen einzustellen. Das FA ist der Auffassung, das FG hätte die vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung nicht aussprechen dürfen. Aber selbst wenn die Vollstreckbarkeit in der vorliegenden Form zulässig gewesen sein sollte, so hätte in diesem Fall doch ausgesprochen werden müssen, daß es - das FA - gemäß § 711 ZPO die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung hätte abwenden dürfen. Bei dieser Sachlage sei eine einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung durch das Revisionsgericht gemäß § 719 ZPO geboten. Die Vollstreckung würde ihm - dem FA - einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen. Denn der Antragsgegner sei vermögenslos; bei ihm sei im Juni 1980 fruchtlos gepfändet worden. Den Kostenerstattungsanspruch habe er an seinen Prozeßbevollmächtigten abgetreten. Falls das FA in der Revisionsinstanz obsiege, müsse es mit einem Ausfall seines Anspruchs auf Rückzahlung der erstatteten Kosten rechnen.
Das FA beantragt, die Zwangsvollstreckung aus dem angefochteten Urteil einstweilen einzustellen.
Der Antragsgegner begehrt die Zurückweisung des Antrags.
Entscheidungsgründe
1. Der Antrag ist zulässig.
Soll aus einem finanzgerichtlichen Urteil gegen eine öffentlich-rechtliche Körperschaft vollstreckt werden, so gilt für die Zwangsvollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung sinngemäß (§ 151 Abs. 1 FGO). Vollstreckt wird u. a. aus Kostenfestsetzungsbeschlüssen (§ 149 FGO), die aufgrund rechtskräftiger oder für vorläufig vollstreckbar erklärter Entscheidungen erlassen werden (§ 151 Abs. 2 Nr. 3 FGO).
Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, daß finanzgerichtliche Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen in Steuersachen wegen der Kostenentscheidung von Amts wegen ohne Sicherheitsleistung für vorläufig vollstreckbar zu erklären sind. Dies ergibt sich nunmehr aus § 151 Abs. 1 und 3 FGO i. V. m. § 708 Nr. 10 ZPO i. d. F. der Vereinfachungsnovelle vom 3. Dezember 1976, BGBl 3281; (zur früheren Rechtslage vgl. Beschluß vom 23. Juni 1972 III R 8/71, BFHE 106, 23, BStBl II, 1972, 709).
Entgegen der früheren - vor Inkrafttreten der Vereinfachungsnovelle vom 3. Dezember 1976 bestehenden - Rechtslage hat das FG dabei von Amts wegen auszusprechen, daß der Kostenschuldner die Vollstreckung durch Sicherheitsleistungen oder Hinterlegung abwenden darf, wenn nicht der Gläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit leistet (§ 711 ZPO n. F.; vgl. hierzu Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozeßordnung, 39. Aufl., Anm. 2 zu § 711). Unterläßt es das FG entgegen § 711 ZPO n. F., in seinem Urteil die Abwendungsbefugnis zugunsten des Schuldners auszusprechen, so kann dieser gemäß § 716 ZPO i. V. m. § 109 FGO innerhalb der gesetzlichen Frist von zwei Wochen nach Zustellung des Urteils beim FG die Ergänzung des Urteils beantragen. (vgl. zur entsprechenden Regelung im Zivilprozeßrecht Beschluß des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 25. August 1977 V ZR 141/77, Monatsschrift für Deutsches Recht 1978 S. 127 - MDR 1978, 127 -; nur Leitsatz, Betriebs-Berater 1977 S. 1524 - BB 1977, 1524 -).
Darüber hinaus kann unter gewissen Voraussetzungen auch noch im Rahmen des Revisionsverfahrens gegen ein für vorläufig vollstreckbar erklärtes Urteil Vollstreckungsschutz gewährt werden. Wird gegen ein solches Urteil Revision eingelegt, so ordnet das Revisionsgericht auf Antrag an, daß die Zwangsvollstreckung einstweilen eingestellt wird, wenn die Vollstreckung dem Schuldner einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde und nicht ein überwiegendes Interesse des Gläubigers entgegensteht (§ 719 Abs. 2 ZPO). Nach der Rechtssprechung des BGH und des BFH (vgl. BGH-Beschlüsse vom 4. März 1955 III ZR 34/55, BGHZ 16, 376 und in MDR 1978, 127 BB 1977, 1524; BFH-Beschluß in BFHE 106, 23, BStBl II 1972, 709) soll allerdings ein Nachteil i. S. des § 719 Abs. 2 ZPO dann nicht unersetzlich sein, wenn sich der Schuldner durch Unterlassung prozessualer Anträge selbst in die Lage versetzt hat, daß er den zunächst vermeidbaren Nachteil nicht mehr abwenden kann. Das gilt insbesondere in dem Fall, daß der Schuldner es versäumt hat, die Ergänzung des Urteils (§ 109 FGO) wegen des im Urteil unterbliebenen Ausspruchs über die Abwendungsbefugnis gemäß § 711 ZPO zu beantragen (vgl. BGH-Beschluß in MDR 1978, 127, BB 1977, 1524).
Die Möglichkeit, nach § 719 Abs. 2 ZPO beim Revisionsgericht die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung zu beantragen, ist indessen auch in diesen Fällen nicht völlig ausgeschlossen. Wenn der Vollstreckungsschuldner auch im Regelfall auf die Möglichkeit verwiesen werden kann, wegen des unterbliebenen Ausspruchs über die Abwendungsbefugnis ein Ergänzungsurteil zu beantragen (oder wegen der ihm aus einer möglichen Vollstreckung drohenden Nachteile beim FG einen Vollsstreckungsschutzantrag nach § 712 ZPO zu stellen), so bleibt die Einstellung der Zwangsvollstreckung durch das Revisionsgericht nach § 719 Abs. 2 ZPO jedenfalls dann zulässig, wenn einer Antragstellung vor dem FG "erhebliche Hindernisse entgegenstanden" (vgl. BGH-Beschlüsse vom 11. Dezember 1979 KZR 25/79, Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht 1980 S. 329 - GRUR 1980, 329 - und vom 26. März 1980 I ZR 1/80, MDR 1980, 553). Ein derartiges Hindernis liegt nach Ansicht des Senats auch vor, wenn der Schuldner die an sich gebotene Stellung eines Antrags auf Erlaß eines Ergänzungsurteils unterließ, weil er aufgrund der Rechtsprechung des für ihn zuständigen FG der Meinung sein mußte, daß ein Ausspruch über die Abwendungsbefugnis nicht bereits im Urteil selbst, sondern erst in einem hieran anschließenden Verfahren zu treffen sei.
Ein solch er Fall ist hier gegeben. Wie aus dem Beschluß des FG vom 31. März 1981 hervorgeht, hat das FG Berlin in einer Reihe von Urteilen sinngemäß den Satz verwendet, daß es eines Ausspruchs über die Abwendungsbefugnis nicht bedürfe weil ein solcher Ausspruch in einem besonderen Verfahren (gemeint war ein Verfahren nach § 152 FGO) noch möglich sei. Bei dieser Sachlage kann dem FA als dem im Streitfall zur Kostentragung verurteilten Schuldner nicht vorgehalten werden, daß es einen Antrag auf Ergänzung des Urteils (§ 109 FGO) innerhalb der hierfür vorgesehenen Frist unterließ. Sein Antrag nach § 719 Abs. 2 ZPO ist deshalb zulässig.
2. Der Antrag ist auch begründet.
Die Zwangsvollstreckung ist nach § 719 Abs. 2 ZPO einstweilen einzustellen, wenn die Vollstreckung einen dem Schuldner nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde und nicht ein überwiegendes Interesse des Gläubigers entgegensteht. Die tatsächlichen Voraussetzungen hierfür sind glaubhaft zu machen (§ 719 Abs. 2 Satz 2 ZPO).
Im Streitfall hat das FA durch Vorlage eines Schreibens des Prozeßbevollmächtigten des Antragsgegners vom 13. November 1980 glaubhaft gemacht, daß der Antragsgegner vermögenslos ist und daß Vollstreckungsversuche in sein Vermögen im Juni 1980 erfolglos geblieben sind. Ferner ist glaubhaft gemacht, daß der Antragsgegner seinen Kostenerstattungsanspruch an seinen Prozeßbevollmächtigten abgetreten hat.
Würde die Kostenentscheidung des FG unter diesen Umständen gegen das FA vollstreckt werden, so müßte das FA im Fall seines Obsiegens in der Revisionsinstanz mit einem Ausfall seines Anspruchs auf Rückerstattung dieses Betrags rechnen. Ein überwiegendes Interesse des Antragsgegners als des Vollstreckungsgläubigers, das der einstweiligen Einstellung der Zwangsvollstreckung entgegenstehen könnte, liegt nicht vor. Das Interesse des Antragsgegners, seinen Prozeßbevollmächtigten bereits im derzeitigen Verfahrensstadium honorieren zu können, kann nicht als überwiegendes Gläubigerinteresse anerkannt werden.
Eine Kostenentscheidung ist nicht zu treffen (vgl. Beschluß des Oberlandesgerichts Frankfurt a. M. vom 28. Juli 1977, Anwaltsblatt 19785.425).
Fundstellen
Haufe-Index 413632 |
BStBl II 1981, 402 |
BFHE 1981, 407 |