Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiedereinsetzung bei Beförderung der Klageschrift durch Tourendienst
Leitsatz (NV)
Zu den Anforderungen an die Begründung eines Antrags des Finanzamts auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Beförderung der Klageschrift durch einen Tourendienst.
Normenkette
FGO § 56
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist seit 1985 Eigentümerin einer als Einfamilienhaus bewerteten Ferienwohnung in ...
In ihrer Einkommensteuererklärung wies sie für das Streitjahr durch Überschußrechnung ermittelte negative Einkünfte aus. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -- FA --) berechnete die Einkünfte nur für die Zeit der Fremdvermietung durch Gegenüberstellung der Einnahmen und der anteiligen Werbungskosten (40,71 v. H. für 149 Tage). Für die Zeit der Eigennutzung zog er gemäß § 52 Abs. 21 Sätze 4 und 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG) die anteilige erhöhte Absetzung nach § 7 b EStG wie Sonderausgaben mit ... DM ab.
Die Klage, mit der die Klägerin weiterhin den Abzug der vollen Werbungskosten begehrte, hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) ging in dem in Entscheidungen der Finanzgerichte 1996, 806 veröffentlichten Urteil davon aus, die Klägerin habe die Ferienwohnung im gesamten Streitjahr zur Vermietung bereitgehalten; deshalb seien die Einkünfte für das ganze Jahr durch Überschußrechnung zu ermitteln.
Mit der am 22. Februar 1996 beim FG eingegangenen Revision gegen das am 18. Januar 1996 zugestellte Urteil rügt das FA, das FG habe entgegen der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) die Zeiten des Leerstehens der Wohnung nicht der Selbstnutzung zugerechnet.
Wegen des verspäteten Eingangs der Revision beantragt das FA auf Hinweis des Senats Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 56 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Dazu hat es zunächst im Schriftsatz vom 9. Mai 1996 vorgetragen: Die Revisionsschrift sei nach dem Absendevermerk der Kanzlei am 14. Februar 1996, einem Mittwoch, abgesandt worden. Damit habe das FA alles unternommen, um den rechtzeitigen Zugang der Revision sicherzustellen. Es habe nicht im Einflußbereich des FA gelegen, daß die Revision innerhalb der noch verbleibenden vier Werktage nicht beim FG eingegangen sei. Mit Schriftsatz vom 11. September 1996 hat das FA weiter vorgetragen, die Dienstpost zwischen dem FA und dem FG werde seit langem vom Tourendienst X befördert. Der Tourendienst fahre arbeitstäglich nach Kassel, wobei auch das FA und das FG angefahren werden. Die Dienstpost habe daher regelmäßig nur eine Laufzeit von wenigen Stunden. Eine Bedienstete des Vorzimmers des Vorstehers des FA habe die Revisionsschrift am 14. Februar 1996 persönlich dem Botendienst des FA übergeben. Die Vorzimmerdame habe die Revisionsschrift mit Datum vom 13. Februar 1996 abgestempelt, in einen Briefumschlag gelegt und persönlich dem Botendienst im Erdgeschoß des FA übergeben. Der Sachbearbeiter habe zuvor das Ende der Rechtsmittelfrist in einer bei ihm geführten Hilfsakte vermerkt. Eine andere Revision des FA sei auf dem gleichen Wege innerhalb eines Tages im Januar 1996 rechtzeitig dem FG übermittelt worden. Das FA habe daher auch im vorliegenden Fall davon ausgehen können, daß die Revision fristgerecht beim FG eingehen werde. Die X habe dem FA mitgeteilt, daß eine Ursachenforschung bzw. Rückfrage, wie es zu der Verzögerung gekommen sei, bei den Fahrern der X nach einem halben Jahr nicht mehr erfolgversprechend sei.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt sinngemäß, die Revision als unzulässig zu verwerfen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unzulässig und deshalb durch Beschluß zu verwerfen (§§ 124 Abs. 1 Satz 2, 126 Abs. 1 FGO). Sie ist nicht innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils und damit verspätet bei dem FG eingegangen (§ 120 Abs. 1 Satz 1 FGO). Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist nicht zu gewähren. Nach § 56 Abs. 1 FGO ist demjenigen, der unverschuldet verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu ge währen. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen (§ 56 Abs. 2 Satz 2 FGO). Dies setzt in formeller Hinsicht voraus, daß innerhalb einer Frist von zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses die versäumte Rechtshandlung nachgeholt und diejenigen Tatsachen vorgetragen werden, aus denen sich die schuldlose Verhinderung ergeben soll. Nach Ablauf der Frist können Wiedereinsetzungsgründe nicht mehr nachgeschoben, sondern nur noch unvollständige Angaben ergänzt und vervollständigt werden (ständige Rechtsprechung des BFH, vgl. Beschluß vom 9. März 1993 VI R 60/90, BFH/NV 1993, 616). Im übrigen gelten die Grundsätze für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in gleicher Weise für das FA wie für den Steuerpflichtigen (ständige Rechtsprechung des BFH, vgl. Urteil vom 19. Juli 1994 II R 74/90, BFHE 175, 302, BStBl II 1994, 946; Beschlüsse vom 15. Dezember 1994 XI R 6/94, BFH/NV 1995, 700; vom 7. November 1995 VII R 34/94, BFH/NV 1996, 343). Das FA trägt die Darlegungslast für den tatsächlichen Zeitpunkt der Absendung eines Schriftstücks. Dazu muß dargelegt werden, daß das FA ein Fristenkontrollbuch führt und die Erledigung des fristwahrenden Schriftsatzes bis zu ihrer Absendung überwacht wird (Ausgangskontrolle). Ein Abgangsvermerk der Stelle, die das Schriftstück an die Postausgangsstelle weiterleitet, genügt nicht (BFH-Urteile vom 7. Dezember 1982 VIII R 77/79, BFHE 137, 221, BStBl II 1983, 229; vom 12. Februar 1992 XI R 19/91, BFH/NV 1992, 534, und vom 17. Februar 1993 VIII R 61/91, BFH/NV 1993, 614). Bei Versendung durch Botendienst muß dieser auf die Wichtigkeit und Dringlichkeit des Schriftstücks hingewiesen werden (BFH-Beschluß vom 1. Oktober 1981 IV R 100/80, BFHE 134, 220, BStBl II 1982, 131).
Diesen Voraussetzungen entspricht der für die Entscheidung maßgebliche Vortrag des FA nicht. Innerhalb der Frist nach § 56 Abs. 2 Satz 2 FGO hat das FA lediglich einen Absendevermerk der Kanzlei in Ablichtung vorgelegt und ausgeführt, es habe danach alles unternommen, um den rechtzeitigen Zugang der Revision sicherzustellen. Zur Fristenkontrolle, zur Ausgangskontrolle und zur Art der Beförderung hat es fristgerecht nichts vorgetragen. Erst mit dem nach Ablauf der Antragsfrist eingegangenen Schriftsatz vom 11. September 1996 hat es Einzelheiten zur Art der Beförderung und zur Ausgangskontrolle mitgeteilt. Bei diesem Vortrag handelt es sich nicht lediglich um eine Ergänzung des Vortrags im Schriftsatz vom 9. Mai 1996, sondern um den Vortrag eines neuen Sachverhalts, der nicht mehr berücksichtigt werden kann. Außerdem fehlen Darlegungen zur Ausgangskontrolle.
Fundstellen
Haufe-Index 422011 |
BFH/NV 1997, 670 |