Leitsatz (amtlich)
Es ist mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten, daß § 1 a der 3. UStDV für rechtsunwirksam erklärt wird. Die Vollziehung von Umsatzsteuerbescheiden, die auf diese Vorschrift gestützt sind, ist ohne Sicherheitsleistung auszusetzen.
Normenkette
GG Art. 80 Abs. 1 S. 2; UStG 1967 § 4 Nr. 19 a, § 26 Abs. 1; 3. UStDV § 1a
Tatbestand
Der Steuerpflichtige (Beschwerdegegner); ein blinder Mineralölunternehmer, vertreibt Kraftstoffe über zahlreiche freie Tankstellen. Er beschäftigt lediglich zwei Bürokräfte. Die Tankstellenverwalter sind selbständige Gewerbetreibende (Agenten). Das zuständige Hauptzollamt (HZA) hat dem Steuerpflichtigen ein Mineralölsteuerlager bewilligt. Das Finanzamt – FA – (Beschwerdeführer) hat für die Monate Juli und August 1970 Umsatzsteuer festgesetzt. Es hat die nach § 4 Nr. 19 a UStG 1967 begehrte Steuerfreiheit versagt unter Hinweis auf seine im Verfahren V R 86/70 gegebene Revisionsbegründung und auf den mit Wirkung vom 11. Juli 1970 in die Dritte Verordnung zur Durchführung des Umsatzsteuergesetzes (Mehrwertsteuer) – 3. UStDV – eingefügten § 1 a (vgl. Verordnung zur Änderung der Dritten Verordnung zur Durchführung des UStG – Mehrwertsteuer – vom 6. Oktober 1970, Bundesgesetzblatt I 1970 S. 1022 – BGBl I 1970, 1022 –, BStBl I 1970, 817). § 1 a der 3. UStDV lautet: „Zu § 4 Nr. 19 Buchstabe a des Gesetzes
§ 1 a Mineralölerzeugnisse.
Die Lieferungen von Erzeugnissen, die der Mineralölsteuer unterliegen, sind nicht steuerfrei, wenn der Unternehmer für diese Erzeugnisse Mineralölsteuer zu entrichten hat.” Der Steuerpflichtige verweist demgegenüber auf den im Vollziehungsaussetzungsverfahren zwischen den Beteiligten ergangenen Beschluß des Senats V B 115–116/69 vom 22. Dezember 1969 (Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Bd. 97 S. 240 – BFH 97, 240 –, BStBl II 1970, 127). Er meint, § 1 a der 3. UStDV sei nicht durch die Ermächtigungsnorm des § 26 Abs. 1 UStG 1967 gedeckt.
Das FA hat die Vollziehung des angegriffenen Vorauszahlungsbescheids Umsatzsteuer Juli 1970 insoweit ausgesetzt, als Umsatzsteuer für die Zeit bis zum 10. Juli 1970 angefordert ist, im übrigen aber eine Aussetzung der Vollziehung abgelehnt. Das Finanzgericht (FG) hat auf Antrag des Steuerpflichtigen nach § 69 Abs. 3 der FGO die Vollziehung der Vorauszahlungsbescheide ohne Sicherheitsleistung ausgesetzt (hinsichtlich Umsatzsteuer Juli 1970, soweit nicht bereits vom FA ausgesetzt) und ausgeführt (Entscheidungen der Finanzgerichte 1971 S. 113 – EFG 1971, 113 –): Es könne dahingestellt bleiben, ob § 26 Abs. 1 UStG 1967 den Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 des Grundgesetzes entspreche. Jedenfalls sei dem Steuerpflichtigen und dem von ihm beigebrachten Rechtsgutachten von Tipke darin zu folgen, daß § 1 a der 3. UStDV die Befreiungsvorschrift des § 4 Nr. 19 a UStG 1967 ohne ausreichende Ermächtigung einschränke und daher rechtsunwirksam sei. Gegen diese Entscheidung hat das FA Beschwerde eingelegt.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist unbegründet. Das Gericht der Hauptsache kann gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1 FGO in Verbindung mit § 69 Abs. 2 Satz 2 und 4 FGO die Vollziehung eines Steuerbescheides aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an seiner Rechtmäßigkeit bestehen, und diese Maßnahme von einer Sicherheitsleistung abhängig machen. Im Verfahren über die Anfechtungsklage ist mit großer Wahrscheinlichkeit ein für den Steuerpflichtigen günstiger Prozeßausgang zu erwarten, so daß das FG zu Recht die Vollziehung der angegriffenen Vorauszahlungsbescheide ausgesetzt und überdies von der Anordnung einer Sicherheitsleistung abgesehen hat (vgl. hierzu Beschluß des Senats V B 115–116/69 vom 22. Dezember 1969, a. a. O.).
Allerdings erscheint die Ermächtigungsnorm des § 26 Abs. 1 UStG 1967 – soweit sie sich auf Steuerbefreiungen bezieht – entgegen den vom FG geäußerten Zweifeln nach Inhalt, Zweck und Ausmaß ausreichend bestimmt und daher mit Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG vereinbar. Zur Begründung genügt in diesem nur summarischen Verfahren der Hinweis auf den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) 2 BvL 21/56 vom 11. Februar 1958 (Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bd. 7 S. 267 – BVerfGE 7, 267 –, BStBl I 1958, 83). Darin hat das BVerfG schon die Ermächtigungsnorm des § 18 Abs. 1 Nr. 2 UStG 1951 für verfassungsgemäß gehalten. § 26 Abs. 1 UStG 1967 faßt lediglich § 18 Abs. 1 Nr. 2 UStG 1951 unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BVerfG neu.
Zutreffend hat das FG jedoch angenommen, ein für den Steuerpflichtigen günstiger Prozeßausgang sei deswegen mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten, weil § 1 a der 3. UStDV, auf dem die angegriffenen Bescheide beruhen, rechtsunwirksam sein dürfte (ebenso Eckhardt, Umsatzsteuer-Rundschau 1971 S. 1 f. – UStR 1971, 1 f –). § 1 a der 3. UStDV soll nach der Begründung der Bundesregierung „vermeiden, daß sich auch Mineralölgesellschaften mit großen überregionalen Tankstellennetzen gezwungen sehen könnten, ihre Tankstellenumsätze unter Einschaltung von Blinden zu bewirken, und um die mittelständischen Tankstellenunternehmer vor einer Existenzbedrohung zu schützen”; es genüge, „den blinden Unternehmern entweder nur den Vorteil der Steuerbefreiung … oder nur den Vorteil des Steuerlagers einzuräumen” (Bundesratsdrucksache 340/70). Es kann unterstellt werden, daß die Privilegien der blinden Tankstellenunternehmer zu Wettbewerbsverzerrungen geführt hat und der Verordnungsgeber „zur Wahrung der Gleichmäßigkeit der Besteuerung” (§ 26 Abs. 1 UStG 1967) tätig geworden ist. Er hat sich jedoch nicht – wie es § 26 Abs. 1 UStG 1967 weiterhin erfordert – darauf beschränkt, den Umfang der Steuerbefreiung des § 4 Nr. 19 a UStG 1967 „näher” zu bestimmen, d. h. den Rechtsanwendungsbereich der Vorschrift zu verdeutlichen, ihren Zweck zu realisieren oder eine der Absicht des Gesetzgebers entsprechende Handhabung zu sichern (dazu BVerfG-Beschluß 2 BvL 29/56 vom 11. Februar 1958, a.a.O.). § 1 a der 3. UStDV enthält vielmehr eine Einschränkung des Gesetzes. Der Senat hat mit dem zur Veröffentlichung bestimmten Urteil V R 86/70 vom 4. Februar 1971 entschieden, daß die Steuerbefreiung des § 4 Nr. 19 a UStG 1967 auch einem blinden Tankstellenunternehmer zusteht, der ein Mineralölsteuerlager unterhält, und eine Auslegung gegen den Wortlaut des § 4 Nr. 19 a UStG 1967 abgelehnt. Auf die Begründung dieser Entscheidung wird verwiesen. Der Verordnungsgeber ist nicht befugt, etwas dem Gesetz Entgegenstehendes anzuordnen. § 4 Nr. 19 a UStG 1967 ist durch § 1 a der 3. UStDV nicht allgemeinverbindlich interpretiert, sondern für eine bestimmte Fallgruppe blinder Unternehmer außer Kraft gesetzt worden. Das aber ist eine Maßnahme, die dem Gesetzgeber vorbehalten ist.
Fundstellen
Haufe-Index 514875 |
BFHE 1971, 162 |