Entscheidungsstichwort (Thema)
NZB: Anforderungen an Begründung; Rückgängigmachen eines Erwerbsvorgangs
Leitsatz (NV)
1. Das Rügerecht nach § 155 FGO i.V. mit § 295 ZPO geht bei verzichtbaren Verfahrensmängeln nicht nur durch eine ausdrückliche oder konkludente Verzichtserklärung gegenüber dem FG verloren, sondern auch durch das bloße Unterlassen einer rechtzeitigen Rüge; ein Verzichtswille ist dafür nicht erforderlich.
2. Um die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache oder der Fortbildung des Rechts darzulegen, muss der Beschwerdeführer konkret auf eine bestimmte für die Entscheidung des Streitfalles erhebliche abstrakte Rechtsfrage und ihre Bedeutung für die Allgemeinheit eingehen. Dabei muss es sich um eine aus rechtssystematischen Gründen bedeutsame und auch für die einheitliche Rechtsanwendung wichtige Frage handeln.
3. Die Rückgängigmachung eines Erwerbsvorgangs nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG setzt voraus, dass das den Steuertatbestand erfüllende Rechtsgeschäft zivilrechtlich aufgehoben wird und sich die Vertragspartner auch tatsächlich derart aus ihren vertraglichen Bindungen entlassen, dass die Möglichkeit zur Verfügung über das Grundstück nicht beim Erwerber verbleibt, sondern der Veräußerer seine ursprüngliche Rechtsstellung wiedererlangt.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2 Nrn. 1-3, § 116 Abs. 3 S. 3; ZPO § 295; GrEStG 1983 § 16 Abs. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) übertrug der Gemeinde X mit notariell beurkundetem "Kauf- und Tauschvertrag" vom … Juli 1994 ihr gehörende, im Gebiet dieser Gemeinde belegene Grundstücke zu Eigentum. Die Gemeinde beabsichtigte, einen Bebauungsplan aufzustellen, in dessen Bereich dieser Grundbesitz einbezogen werden sollte. Die öffentlichen Bedarfsflächen aus dem übertragenen Grundbesitz sollten unentgeltlich an die Gemeinde abgetreten werden. Hinsichtlich der verbleibenden Fläche (Nettobaulandfläche) verpflichtete sich die Gemeinde zu einer teilweisen Rückübertragung auf die Klägerin auf deren Anforderung nach Vorliegen eines genehmigten Bauplanes. Dabei waren 2/3 der Nettobaulandfläche unentgeltlich auf die Klägerin zurückzuübertragen. Das verbleibende Drittel hatte die Gemeinde für einen Kaufpreis von 100 DM je qm zu kaufen. Die Hälfte hiervon war bei Vorliegen der vertraglich bestimmten Voraussetzungen für einen Kaufpreis von mindestens 450 DM je qm auf die Klägerin zurückzuübertragen.
Die Rückübertragung von in das Eigentum der Gemeinde übergegangenen Grundstücksflächen auf die Klägerin entsprechend diesen Regelungen wurde mit notarieller Urkunde vom … November 1997 vereinbart. Das damals zuständige Finanzamt setzte hierfür Grunderwerbsteuer fest. Der Einspruch blieb erfolglos.
Mit der Klage brachte die Klägerin vor, die Gemeinde habe die Übereignung der Grundstücke zur Bedingung für die Aufstellung eines Bebauungsplans gemacht. Dies könne ihr früherer Geschäftsführer bezeugen. Für die Rückübertragung der Grundstücksflächen dürfe nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) keine Grunderwerbsteuer festgesetzt werden, weil sie bereits im Vertrag vom … Juli 1994 vereinbart worden sei.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit der Begründung ab, der mit Urkunde vom … November 1997 geregelte Erwerbsvorgang unterliege der Grunderwerbsteuer. Der Steuerfestsetzung stehe § 16 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 Nr. 1 GrEStG nicht entgegen, da die darin bestimmte Zweijahresfrist nicht eingehalten worden sei. Es liege auch keine Auflösung eines Treuhandverhältnisses i.S. des § 3 Nr. 8 GrEStG vor.
Mit der Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision macht die Klägerin geltend, das FG habe den Sachverhalt nicht ausreichend erforscht. Es habe ihren ehemaligen Geschäftsführer nicht befragt, sondern den vorgetragenen Sachverhalt als nicht entscheidungserheblich betrachtet. Der Rechtssache komme zudem grundsätzliche Bedeutung zu; die Fortbildung des Rechts erfordere eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH). Die Anwendung des § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG auf Verträge, deren Abschluss keinen freiwilligen Charakter habe und die vom Ablauf her völlig untypisch seien, sei klärungsbedürftig. Zu klären sei auch die Frage, ob die in der Urkunde vom … Juli 1994 enthaltene Verpflichtung zur Rückabwicklung den Anforderungen an den Begriff "Vereinbarung" im Sinn dieser Vorschrift entspreche. Die tatsächliche Rückabwicklung innerhalb der gesetzlich bestimmten Frist von zwei Jahren sei nicht möglich gewesen, da die Gemeinde den Bebauungsplan als Voraussetzung für die Rückübertragung von Grundstücksflächen nicht rechtzeitig aufgestellt habe.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist unzulässig. Sie entspricht nicht den gesetzlichen Begründungsanforderungen (§ 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
1. Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO)
a) Wird die Nichtzulassungsbeschwerde auf Verfahrensmängel gestützt, so bedarf es hierfür des Vortrags der Tatsachen, die den gerügten Verfahrensmangel schlüssig ergeben. Außerdem muss dargelegt werden, dass die angefochtene Entscheidung --vom materiell-rechtlichen Standpunkt des FG ausgehend-- auf dem geltend gemachten Verfahrensmangel beruhen kann. Soweit der gerügte Verfahrensmangel zu den verzichtbaren Mängeln gehört, kann er nicht mehr mit Erfolg geltend gemacht werden, wenn der Beteiligte auf dessen Beachtung verzichtet hat (§ 155 FGO i.V.m. § 295 der Zivilprozessordnung --ZPO--). Das Rügerecht geht bei solchen Verfahrensmängeln nicht nur durch eine ausdrückliche oder konkludente Verzichtserklärung gegenüber dem FG verloren, sondern auch durch das bloße Unterlassen einer rechtzeitigen Rüge; ein Verzichtswille ist dafür nicht erforderlich (BFH-Beschluss vom 8. Juni 2004 XI B 97/02, BFH/NV 2004, 1418, m.w.N.).
b) Diesen Anforderungen an die Darlegung eines Verfahrensmangels wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.
Die Klägerin bringt nicht vor, dass sie das Unterlassen der Vernehmung ihres früheren Geschäftsführers in der mündlichen Verhandlung vor dem FG gerügt habe. Eine solche Rüge lässt sich auch nicht der Niederschrift über die mündliche Verhandlung entnehmen. Da der im finanzgerichtlichen Verfahren geltende Untersuchungsgrundsatz eine Verfahrensvorschrift ist, auf deren Einhaltung ein Beteiligter verzichten kann, hat die unterlassene rechtzeitige Rüge den endgültigen Rügeverlust zur Folge (BFH-Urteil vom 3. Februar 2004 VII R 1/03, BFHE 204, 546, BStBl II 2004, 842, unter II. 5. a aa).
Die Klägerin hat zudem nicht dargelegt, wieso es auf der Grundlage der materiell-rechtlichen Ansicht des FG auf ihren unter Beweis gestellten Sachvortrag ankommen soll. Sie bringt vielmehr selbst vor, dass dieser Vortrag vom FG aus materiell-rechtlichen Gründen als nicht entscheidungserheblich beurteilt wurde.
2. Grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO), Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO)
a) Um die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache oder der Fortbildung des Rechts darzulegen, muss der Beschwerdeführer konkret auf eine Rechtsfrage und ihre Bedeutung für die Allgemeinheit eingehen. Er muss zunächst eine bestimmte für die Entscheidung des Streitfalles erhebliche abstrakte Rechtsfrage herausstellen, der grundsätzliche Bedeutung zukommen soll. Erforderlich ist darüber hinaus ein konkreter und substantiierter Vortrag, aus dem ersichtlich wird, warum im Einzelnen die Klärung der aufgeworfenen Rechtsfrage durch die angestrebte Revisionsentscheidung aus Gründen der Rechtssicherheit, der Rechtseinheitlichkeit und/oder der Rechtsentwicklung im allgemeinen Interesse liegt. Dabei muss es sich um eine aus rechtssystematischen Gründen bedeutsame und auch für die einheitliche Rechtsanwendung wichtige Frage handeln, die klärungsbedürftig und im konkreten Streitfall auch klärungsfähig ist (BFH-Beschluss vom 8. Juli 2004 VII B 35/04, BFH/NV 2004, 1621, m.w.N.). Hat der BFH bereits früher über die Rechtsfrage entschieden, muss der Beschwerdeführer ferner begründen, weshalb gleichwohl eine erneute Entscheidung des BFH zu dieser Frage erforderlich ist (BFH-Beschluss vom 26. August 2004 II B 117/03, BFH/NV 2004, 1625, m.w.N.).
b) Die Beschwerdebegründung entspricht auch diesen Anforderungen nicht. Die Klägerin führt selbst aus, dass es sich um vom Ablauf her völlig untypische Verträge handelt. Sie hat sich zudem nicht hinreichend mit der bisherigen Rechtsprechung des BFH zur Auslegung und Anwendung des § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG auseinander gesetzt.
Nach dieser Vorschrift wird auf Antrag die Grunderwerbsteuer nicht festgesetzt oder die Steuerfestsetzung aufgehoben, wenn ein Erwerbsvorgang rückgängig gemacht wird, bevor das Eigentum am Grundstück auf den Erwerber übergegangen ist, und die Rückgängigmachung durch Vereinbarung, durch Ausübung eines vorbehaltenen Rücktrittsrechts oder eines Wiederkaufsrechts innerhalb von zwei Jahren seit der Entstehung der Steuer stattfindet. Die Vorschrift setzt nach der Rechtsprechung des BFH voraus, dass das den Steuertatbestand erfüllende Rechtsgeschäft zivilrechtlich aufgehoben wird und sich die Vertragspartner auch tatsächlich derart aus ihren vertraglichen Bindungen entlassen, dass die Möglichkeit zur Verfügung über das Grundstück nicht beim Erwerber verbleibt, sondern der Veräußerer seine ursprüngliche Rechtsstellung wiedererlangt. Der Wegfall der Verfügungsmöglichkeit des Erwerbers über das Grundstück einerseits und die Wiedererlangung der ursprünglichen Rechtsstellung des Veräußerers andererseits stehen --dem systematischen Verhältnis der Steuertatbestände des § 1 GrEStG zu der gegenläufigen Korrekturvorschrift des § 16 GrEStG entsprechend-- in einem sachlichen Zusammenhang (BFH-Urteil vom 19. März 2003 II R 12/01, BFHE 202, 383, BStBl II 2003, 770, m.w.N.). In der Rechtsprechung des BFH ist danach geklärt, dass die Rückgängigmachung eines Erwerbsvorgangs nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG sowohl die zivilrechtlich wirksame Aufhebung der Verpflichtung zur Grundstücksübereignung als auch die tatsächliche Rückgängigmachung des Erwerbsvorgangs erfordert (BFH-Beschluss vom 28. November 2003 II B 143/02, BFH/NV 2004, 368).
Bei dem Vertrag vom … Juli 1994 fehlt es bereits an der zivilrechtlich wirksamen Aufhebung der Verpflichtung der Klägerin zur Grundstücksübereignung. Diese Verpflichtung wurde durch die Vereinbarung eines späteren Rückerwerbs noch zu bestimmender realer Teilflächen des zu übereignenden Grundbesitzes nicht berührt. Die Klägerin kam demgemäß ihrer Übereignungsverpflichtung in vollem Umfang nach. Auf die von der Klägerin aufgeworfene Frage, inwieweit in der gesetzlich bestimmten Frist von zwei Jahren der Erwerbsvorgang nicht nur zivilrechtlich, sondern auch tatsächlich rückgängig gemacht werden muss, kommt es somit nicht an. Der Rückerwerb von Grundstücken nach Übergang des Eigentums auf den Erwerber ist nicht nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG, sondern ausschließlich nach § 16 Abs. 2 GrEStG zu beurteilen. Auf diese Vorschrift hat sich die Klägerin in der Beschwerdebegründung nicht gestützt.
Dass diese Rechtsgrundsätze in der Rechtsprechung der FG oder in der Literatur in Frage gestellt würden, bringt die Klägerin selbst nicht vor.
3. Die Rüge bloßer Rechtsanwendungsfehler durch die Vorinstanz genügt nicht den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO. Dass die Vorentscheidung willkürlich und unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt vertretbar erscheine und deshalb die Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen sei, macht die Klägerin selbst nicht geltend (vgl. dazu BFH-Beschlüsse vom 14. April 2003 VII B 267/02, BFHE 202, 91; vom 13. Oktober 2003 IV B 85/02, BFHE 203, 404, BStBl II 2004, 25; vom 8. April 2004 VII B 110/03, BFH/NV 2004, 1310, und vom 7. Juli 2004 VII B 344/03, BStBl II 2004, 896).
Aus dem von der Klägerin angeführten Beschluss des Bundesverfasungsgerichts (BVerfG) vom 11. Juni 1980 1 PBvU 1/79 (BVerfGE 54, 277) ergibt sich keine Verpflichtung, die Revision über die durch § 115 Abs. 2 FGO gezogenen Grenzen hinaus zuzulassen. Bei dieser Entscheidung ging es um die Frage, unter welchen Voraussetzungen das Revisionsgericht die Annahme einer zulässigen Revision ablehnen darf. Zur Frage der Revisionszulassung führte das BVerfG aus, der Gesetzgeber habe weitgehende Freiheit, den Zugang zum Rechtsmittelgericht wie den Verfahrensgang nach seinen Zweckmäßigkeitsvorstellungen auszurichten und nach Maßgabe allgemeiner Kriterien Zugangskontrollen zum Rechtsmittelgericht etwa in Form eines Zulassungsverfahrens vorzusehen. Im Beschluss vom 7. Juli 1992 2 BvR 1631/90 u.a. (BVerfGE 87, 48) bestätigte das BVerfG nochmals, dass der Zugang zu einem an sich eröffneten Rechtsmittel durch Gesetz von einschränkenden Voraussetzungen abhängig gemacht werden kann.
Fundstellen
Haufe-Index 1325804 |
BFH/NV 2005, 913 |