Entscheidungsstichwort (Thema)
Richterablehnung
Leitsatz (NV)
1. Die rügelose Einlassung zur Sache in einem Schriftsatz führt jedenfalls dann zum Verlust des Ablehnungsrechts, wenn die Beteiligten übereinstimmend auf mündliche Verhandlung verzichtet haben.
2. Nach § 96 Abs. 2 FGO gebotene Hinweise des Berichterstatters und die bloße Äußerung einer vorläufigen Meinung über den erwarteten Verfahrensausgang sind kein Ablehnungsgrund.
Normenkette
FGO § 51 Abs. 1, § 96 Abs. 2; ZPO § 41 ff.
Tatbestand
Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ist als Softwareingenieurin selbständig tätig. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt -- FA --) ließ Bewirtungsaufwendungen sowie die darauf entfallenden Vorsteuern bei der Festsetzung der Einkommensteuer und Umsatzsteuer für das Streitjahr 1988 unberücksichtigt; es versagte ferner im Rahmen der dagegen gerichteten Einspruchsverfahren, nachdem es auf die Möglichkeit verbösernder Entscheidungen hingewiesen hatte, die Anerkennung von Reisekosten und Verpflegungsmehraufwendungen sowie darauf entfallender Vorsteuern mit der Begründung, in X habe sich eine Betriebsstätte der Klägerin befunden.
Die Klägerin erhob hiergegen Klage.
Der Berichterstatter des Finanzgerichts (FG), Richter am FG (RiFG) A, wies die Klägerin mit Schreiben vom 25. August 1993 darauf hin, in X habe sich eine Betriebsstätte der Klägerin befunden, da nur von dort der Zugriff auf die EDV möglich und der Ort im Streitjahr regelmäßig (175 Fahrten) aufgesucht worden sei. Die Fahrten zwischen Wohnung und Betriebsstätte seien keine Dienstreisen. Das FA habe demnach zu Recht keine Verpflegungspauschalen anerkannt, dabei allerdings versehentlich 75 DM Verpflegungsmehraufwand zuviel gestrichen. Dies habe jedoch keine Auswirkungen, da das FA die Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Betriebsstätte mit den tatsächlichen Pkw-Kosten statt mit dem gesetzlichen Höchstsatz von 0,36 DM je Entfernungskilometer angesetzt habe. Die zu hohen Betriebsausgaben für diese Fahrten würden auf (24 km × 175 × 0,24 DM =) 1 008 DM geschätzt. Die Klägerin müsse die 1988 gefahrenen km nachweisen und die Entfernung zwischen Wohnung und Betriebsstätte angeben, wenn sie mit dieser Schätzung nicht einverstanden sei.
Zu drei Bewirtungsaufwendungen betreffenden Rechnungen lägen keine unterschriebenen, amtlichen Vordrucke vor. Die Klage könne deshalb selbst dann keinen Erfolg haben, wenn die übrigen Belege anerkannt würden; denn zunächst müßten die zu hoch angesetzten Fahrtkosten gegengerechnet werden. Im übrigen bestünden neben den vom FA angesprochenen Punkten Bedenken in bezug auf Bewirtungsaufwendungen am 23. November 1988 (Bewirtung von 13 Personen kurze Zeit nach dem Geburtstag der Klägerin) und am 19. April 1988 (Bewirtung in einem Lokal am Rhein, obwohl sich die Klägerin nach ihren Angaben zu den Reisekosten an diesem Tage bis 16.00 Uhr in München aufgehalten habe); ferner müßten bei einer Berücksichtigung der Aufwendungen für Bewirtungen in Y die anerkannten Pauschalen für die eigene Verpflegung gestrichen werden.
Es werde gebeten, bis zum 30. September 1993 Stellung zu nehmen bzw. die Erfolgsaussichten der Klage zu überprüfen.
Die Klägerin nahm hierzu mit Schreiben vom 21. September 1993 Stellung.
Die Klägerin lehnte RiFG A mit Schreiben vom 4. Dezember 1993 wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Sie trug zur Begründung im wesentlichen vor: RiFG A habe in seinem Schreiben vom 25. August 1993 ihre Klageschrift nahezu völlig ignoriert, die Behauptungen des FA nahezu vollständig übernommen und teilweise sogar noch erweitert. Das Klagebegehren ziele auf die Anerkennung von Reisekosten und Verpflegungsmehraufwendungen ab; RiFG A sei demgegenüber auf nicht streitige Fragen zu den Fahrtkosten eingegangen.
Das FG wies das Ablehnungsgesuch -- nach Einholung einer dienstlichen Äußerung des RiFG A und ohne dessen Mitwirkung -- mit Beschluß vom 14. Januar 1994 als unbegründet zurück.
Gegen diesen Beschluß hat die Klägerin Beschwerde eingelegt und sinngemäß beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses dem Ablehnungsgesuch stattzugeben.
Das FG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist nicht begründet. Das FG hat das Ablehnungsgesuch zu Recht zurückgewiesen.
1. Das Ablehnungsgesuch ist verspätet und damit unzulässig.
Die Klägerin hat ihr Ablehnungsrecht gemäß § 51 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i. V. m. § 43 der Zivilprozeßordnung (ZPO) verloren, da sie sich mit Schriftsatz vom 21. September 1993 rügelos zur Sache eingelassen hat.
Eine Partei kann einen Richter nach diesen Vorschriften nicht mehr wegen Besorgnis der Befangenheit ablehnen, wenn sie sich bei ihm, ohne den ihr bekannten Ablehnungsgrund geltend zu machen, in eine Verhandlung eingelassen oder Anträge gestellt hat. Hat sich die Partei bei dem abgelehnten Richter in eine Verhandlung eingelassen oder Anträge gestellt, so ist gemäß § 44 Abs. 4 ZPO glaubhaft zu machen, daß der Ablehnungsgrund erst später entstanden oder der Partei bekanntgeworden sei.
Im Streitfall hat die Klägerin ein etwaiges Recht zur Richterablehnung bereits vor Einreichung des Ablehnungsgesuchs verloren. Die Klägerin hat sich durch das Einreichen des Schriftsatzes vom 21. September 1993 in eine Verhandlung eingelassen, ohne die Befangenheit zu rügen. Ein Einlassen in eine Verhandlung ist jedes prozessuale und der Erledigung eines Streitpunkts dienende Handeln unter Mitwirkung des Richters. Hierzu gehört auch das Einreichen eines Schriftsatzes (Beschlüsse des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 12. Juli 1988 IX B 188/87, BFH/NV 1989, 237, und vom 21. Juli 1993 IX B 50/93, BFH/NV 1994, 50, 51 m. w. N.) jedenfalls dann, wenn -- wie im Streitfall -- die Beteiligten übereinstimmend auf mündliche Verhandlung verzichtet haben.
2. Selbst bei rechtzeitiger Anbringung des Ablehnungsgesuchs läge im übrigen kein Ablehnungsgrund vor.
Gemäß § 51 Abs. 1 Satz 1 FGO i. V. m. § 42 Abs. 2 ZPO findet die Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit nur statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Dabei kommt es darauf an, ob der betroffene Beteiligte von seinem Standpunkt aus bei vernünftiger objektiver Betrachtung Anlaß hat, Voreingenommenheit zu befürchten (ständige Rechtsprechung des BFH, z. B. Beschluß vom 4. Juli 1985 V B 3/85, BFHE 144, 144 BStBl II 1985, 555).
Aus der gerichtlichen Pflicht zur Prozeßförderung ergibt sich jedenfalls ein Recht des Gerichts, gegenüber den Beteiligten eine vorläufige Meinung über den erwarteten Verfahrensausgang zu äußern (vgl. BFH- Beschluß in BFHE 144, 144, BStBl II 1985, 555 unter II. 3. b). Die Äußerung eines Richters über die Erfolgsaussichten einer Klage rechtfertigt deshalb die Besorgnis der Befangenheit nur dann, wenn zu befürchten ist, daß er sich eine abschließende Meinung gebildet hat (BFH-Beschlüsse in BFHE 144, 144, BStBl II 1985, 555 unter II. 3. c, und vom 9. Dezember 1987 III B 40/86, BFH/NV 1988, 251, 252).
Der BFH hat ferner, da das Rechtsinstitut der Richterablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit die Beteiligten nicht vor Fehlern des Richters schützen soll, auch die Äußerung unrichtiger Rechtsansichten grundsätzlich nicht als Ablehnungsgrund gelten lassen (ständige Rechtsprechung, z. B. Senatsbeschluß vom 24. August 1989 IV B 59/89, BFH/NV 1990, 308 m. w. N.). Rechtsfehler können nur ausnahmsweise, und zwar dann eine Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen, wenn Gründe dargetan werden, die dafür sprechen, daß die mögliche Fehlerhaftigkeit auf einer unsachlichen Einstellung des Richters gegenüber der ablehnenden Partei oder auf Willkür beruht (BFH-Beschluß vom 27. Juli 1992 VIII B 59/91, BFH/NV 1993, 112, 113 m. w. N.). Dementsprechend bietet auch allein der Umstand, daß der Richter dem Tatsachenvortrag eines Beteiligten nicht gefolgt ist, keinen Anhaltspunkt dafür, an der Unparteilichkeit des Richters zu zweifeln (BFH-Beschluß vom 18. März 1986 VII S 41/85, BFH/NV 1986, 617).
Nach diesen Grundsätzen begründet das Schreiben des Berichterstatters vom 25. August 1993 nach Form und Inhalt nicht eine Besorgnis der Befangenheit. Gründe für eine unsachliche Einstellung des abgelehnten Richters oder für Willkür sind weder dargetan noch ersichtlich. Die Anregung an die Klägerin, die Erfolgsaussichten der Klage zu prüfen, läßt nicht erkennen, es sei dem Richter an einer Beendigung des Verfahrens um jeden Preis gelegen; der Klägerin wurde vielmehr ausdrücklich die Möglichkeit eröffnet, in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht Stellung zu nehmen und das Klageverfahren fortzusetzen. Aus diesem Grund sind auch Anhaltspunkte dafür, daß sich der abgelehnte Richter dem Vorbringen der Klägerin verschließen werde, nicht gegeben. Die Aufwendungen für die Fahrten der Klägerin zwischen der Wohnung und X sind, wie das FG in dem angefochtenen Beschluß zu Recht ausgeführt hat, entscheidungserheblich; da sich die Beteiligten hierzu noch nicht geäußert hatten, waren die entsprechenden Hinweise des Berichterstatters geboten (§ 96 Abs. 2 FGO).
Fundstellen
Haufe-Index 419917 |
BFH/NV 1995, 123 |