Leitsatz (amtlich)
Schon die Möglichkeit, daß ein Steuerbescheid wegen irriger Beurteilung eines Sachverhalts zugunsten des Steuerpflichtigen aufzuheben oder zu ändern ist und hieraus Folgen bei einem Dritten zu ziehen sind, rechtfertigt die Beiladung des Dritten. Bei der Beiladung ist nicht zu prüfen, ob die Bescheide des Dritten geändert werden können.
Normenkette
AO 1977 § 174 Abs. 4-5
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) veräußerten 1973 ein Grundstück an die Eheleute K. Die Eheleute K verpflichteten sich u. a. , den Klägern ein dingliches Wohnrecht an einer zu errichtenden Wohnung einzuräumen. Die Kläger bezogen die Wohnung am 1. Oktober 1974. Das Wohnrecht wurde im Grundbuch eingetragen.
Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) erfaßte den Nutzungswert der Wohnung im Rahmen der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung 1974 /1975 und 1977 der Kläger. Diese begehren im gerichtlichen Verfahren, den Nutzungswert außer Ansatz zu lassen, hilfsweise, den Abzug einer Absetzung für Abnutzung (AfA) zuzulassen. Das FA äußerte sich nach Ergehen des Urteils des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 27 Juni 1978 VIII R 54/74 (BFHE 125, 535, BStBl II 1979, 332) dahin, es sei zweifelhaft geworden, ob der Nutzungswert weiterhin bei den Klägern erfaßt werden könne, die entsprechenden Folgerungen bei den Eheleuten K könnten nur nach deren Beiladung, die beantragt werde, gezogen werden (§ 174 Abs. 4 und 5 der Abgabenordnung - AO 1977 -). Das Finanzgericht (FG) hat dem Antrag entsprochen (Entscheidungen der Finanzgerichte 1980 S. 161).
Die Kläger beantragen mit der Beschwerde, den Beiladungsbeschluß aufzuheben. Sie machen geltend: Die Eheleute K hätten nicht beigeladen werden dürfen. Sie könnten einen eventuellen Erfolg der Klage durch die Stellung selbständiger Anträge vereiteln. Sie hätten schon zu dem Einspruchsverfahren hinzugezogen werden müssen. Das FA habe den Sachverhalt nicht irrig beurteilt, sondern die Bescheide auf der Grundlage der bisherigen ständigen Rechtsprechung des BFH erteilt. Es sei nicht notwendig, Grundstücksveräußerer und -erwerber einkommensteuerrechtlich einheitlich zu behandeln. Eine Beiladung gehe auch deswegen ins Leere, weil sie nicht zu einer Änderung der den Eheleuten K erteilten bestandskräftigen Bescheide führen könne (s. § 176 Abs. 1 Nr. 3 AO 1977).
Das FA halt die Beschwerde für unbegründet. Die Eheleute K haben sich nicht geäußert.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist unbegründet.
Ist auf Grund irriger Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts ein Steuerbescheid ergangen, der auf Grund eines Rechtsbehelfs oder sonst auf Antrag des Steuerpflichtigen zu seinen Gunsten aufgehoben oder geändert wird, so können aus dem Sachverhalt nachträglich durch Erlaß oder Änderung eines Steuerbescheids die richtigen steuerlichen Folgen bezogen werden (§ 174 Abs. 4 Satz 1 AO 1977). Dies gilt auch dann, wenn der Steuerbescheid durch das Gericht aufgehoben oder geändert wird (§ 174 Abs. 4 Satz 2 AO 1977). Gegenüber Dritten gelten diese Vorschriften, wenn sie an dem Verfahren, das zur Aufhebung oder Änderung des fehlerhaften Steuerbescheids geführt hat, beteiligt werden (§ 174 Abs. 5 Satz 1 AO 1977). Ihre Hinzuziehung oder Beiladung zu diesem Verfahren ist zulässig (§ 174 Abs. 5 Satz 2 AO 1977).
Im Streitfall besteht die Möglichkeit, daß die Kläger im Verfahren vor dem FG in Anwendung der Rechtsprechung des erkennenden Senats im Urteil in BFHE 125, 535, BStBl II 1979, 332 von der Besteuerung des Nutzungswerts freigestellt werden, weil sie einem Mieter gleichzustellen sind. Für die Besteuerung der Eheleute K würde hieraus folgen, daß sie wie Vermieter anzusehen wären. Es kann unerörtert bleiben, ob der Sachverhalt in jeder Beziehung mit demjenigen im Urteil in BFHE 125, 535, BStBl II 1979, 332 vergleichbar ist und ob hieraus möglicherweise eine andere Beurteilung folgt. Für die Beiladung, die die Entscheidung der Hauptsache nicht vorwegnehmen darf, genügt die nicht fernliegende Möglichkeit eines Obsiegens der Kläger aus den genannten Gründen. Dem Vorbringen der Kläger, das FA habe den Sachverhalt in Anwendung der früheren Rechtsprechung des BFH zutreffend beurteilt - sich also nicht geirrt -, kann nicht gefolgt werden. Ein Sachverhalt wird auch dann i. S. des § 174 Abs. 4 Satz 1 AO 1977 irrig beurteilt, wenn das FA ihn zwar in subjektiv vertretbarer Weise beurteilt hat, dabei aber die objektive Rechtslage verfehlt hat.
Bei dieser Sachlage mußte das FG dem Antrag des FA entsprechen und die Eheleute K nach § 174 Abs. 5 Satz 2 AO 1977 beiladen. Der Beiladung stand nicht entgegen, daß das FA die Eheleute K nicht im Einspruchsverfahren hinzugezogen hatte. Sollte hierin ein Verfahrensfehler zu sehen sein (vgl. jedoch BFH-Urteil vom 25. November 1970 III R 122/69, BFHE 101, 28, BStBl II 1971, 272), war auf ihn jedenfalls nicht im Beiladungsbeschluß einzugehen. Die Möglichkeit, daß die Eheleute K als Beigeladene selbständig Angriffs- und Verteidigungsmittel geltend machen (§ 60 Abs. 6 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) und im Rahmen dieser Befugnisse auch Anträge stellen können, die den Interessen der Kläger entgegengesetzt sind, beeinträchtigt die Rechtsstellung der Kläger nicht. Sie sind ihrerseits nicht gehindert, ihre Interessen zur Geltung zu bringen. Die Beiladung nach § 174 Abs. 5 Satz 2 AO 1977 dient der frühzeitigen Beteiligung aller Betroffenen und damit der richtigen Besteuerung (BFH-Beschluß vom 6. Dezember 1979 IV B 56/79, BFHE 130, 1, BStBl II 1980, 314).
Das FG hat es zu Recht zu prüfen abgelehnt, ob einer Änderung der Steuerbescheide der Eheleute K § 176 Abs. 1 Nr. 3 AO entgegensteht. Nach dieser Vorschrift darf bei der Änderung eines Steuerbescheids nicht zuungunsten des Steuerpflichtigen berücksichtigt werden, daß sich die Rechtsprechung eines obersten Gerichtshofs des Bundes geändert hat, die bei der bisherigen Steuerfestsetzung von der Finanzbehörde angewandt worden ist. Das beiladende Gericht kann und muß sich darauf beschränken, eine mögliche irrige Sachverhaltsbeurteilung festzustellen. Die sonstigen formellen und materiellen Voraussetzungen für einen Änderungsbescheid sind keine Beiladungserfordernisse und erst bei Erlaß des Änderungsbescheids zu berücksichtigen und ggf. von dem Gericht zu überprüfen, das für die Anfechtung des Änderungsbescheids zuständig ist. Diese Prüfung kann nicht im Beiladungsverfahren vorweggenommen werden. Das gilt auch für § 176 Abs. 1 Nr. 3 AO 1977, gleichviel, ob diese Vorschrift einschlägig sein sollte.
Fundstellen
Haufe-Index 425975 |
BStBl II 1981, 633 |