Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfassungsmäßigkeit des Behinderten-Pauschbetrags
Leitsatz (NV)
Der Gesetzgeber ist nicht gezwungen, von dem das Einkommensteuerrecht prägenden Grundsatz des Einzelnachweises Ausnahmen zuzulassen. Werden aufgrund gesetzlicher Regelungen Aufwendungen ‐ wie in § 33b Abs. 3 EStG die Aufwendungen Schwerbehinderter ‐ ohne Nachweis mit bestimmten Pauschbeträgen steuerlich berücksichtigt, ist der Gesetzgeber nicht gehalten, diese Pauschbeträge regelmäßig an die gestiegenen Lebenshaltungskosten anzupassen. Der Anstieg der Lebenshaltungskosten im Jahre 1998 im Vergleich zu 1975 bzw. 1994 ist daher für die Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit des Behinderten-Pauschbetrags unerheblich.
Normenkette
EStG § 33b Abs. 3
Nachgehend
Tatbestand
I. Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) sind Eheleute, die für das Streitjahr 1998 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Ihr 1978 geborener Sohn ist aufgrund einer mehrfachen Schwerstbehinderung vollständig hilflos und auf einen Rollstuhl angewiesen. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit beträgt 100 v.H. Entsprechend der Nachweise des Versorgungsamts gewährte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt ―FA―) den Klägern bei der Einkommensteuerveranlagung für das Streitjahr 1998 einen Pauschbetrag für Körperbehinderte in Höhe von 7 200 DM gemäß § 33b Abs. 3 Satz 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG).
Mit der Sprungklage begehrten die Kläger den Ansatz eines Körperbehinderten-Pauschbetrags in Höhe von 13 665 DM, den sie unter Berücksichtigung des Preisindexes für die Lebenshaltung eines 4-Personenhaushaltes von Arbeitern und Angestellten mittleren Einkommens ermittelten.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Es führte aus, es habe bereits mit Urteil vom 19. Oktober 1995 den Körperbehinderten-Pauschbetrag nach § 33b EStG hinsichtlich des Veranlagungsjahres 1992 als verfassungsmäßig angesehen. Der Bundesfinanzhof (BFH) habe die dagegen erhobene Revision durch Beschluss vom 28. Mai 1998 III R 3/96 (nicht veröffentlicht) einstimmig als unbegründet zurückgewiesen. Das Bundesverfassungsgericht habe die Verfassungsbeschwerde gegen diesen Beschluss nicht zur Entscheidung angenommen. Angesichts der gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung habe auch die auf weitere Gesichtspunkte gestützte Klage keinen Erfolg. Das Urteil des FG vom 11. April 2001 2 K 339/00 ist bei juris veröffentlicht.
Mit der Beschwerde begehren die Kläger die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache, der Erforderlichkeit einer Entscheidung des BFH zur Rechtsfortbildung und wegen Verfahrensfehlern.
Sie tragen im Wesentlichen vor, dem BFH-Beschluss vom 28. Mai 1998 III R 3/96 sei der Gerichtsbescheid vom 5. Juni 1997 vorausgegangen. Darin habe sich der BFH für das damalige Streitjahr 1992 "noch nicht" veranlasst gesehen, eine relative oder absolute Handlungspflicht des Gesetzgebers anzunehmen. Nunmehr seien weitere sechs Kalenderjahre vergangen, in denen der Gesetzgeber nicht reagiert habe; es sei daher das im Einkommensteuerrecht vorherrschende Nettoprinzip verletzt. Das FG habe unter Berufung auf die Rechtsprechung zum Streitjahr 1992 einen Handlungsbedarf des Gesetzgebers verneint. Das FG verkenne, dass die mit der Körperbehinderung zusammenhängenden Aufwendungen nur sehr schwer und nur mit unangemessenem Aufwand nachweisbar seien. Wegen des Beweisnotstands könne die Nichtanpassung der Pauschbeträge nicht damit gerechtfertigt werden, dass die Betroffenen anstelle des Pauschbetrags ihre tatsächlichen Aufwendungen als außergewöhnliche Belastung geltend machen könnten.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist unbegründet.
1. Die von den Klägern vorgetragenen Gesichtspunkte sind nicht geeignet, die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―) oder zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO) zu rechtfertigen. Beide Zulassungsgründe setzen voraus, dass die aufgeworfene Rechtsfrage im angestrebten Revisionsverfahren geklärt werden kann und klärungsbedürftig ist (z.B. BFH-Beschluss vom 12. Dezember 2001 III B 103/01, BFH/NV 2002, 652). An der Klärungsbedürftigkeit fehlt es, wenn auf den Sachverhalt durch die Rechtsprechung geklärte Rechtsgrundsätze anzuwenden sind und keine neuen Gesichtspunkte erkennbar sind, die eine erneute höchstrichterliche Prüfung und Entscheidung der Frage geboten erscheinen lassen (z.B. BFH-Beschluss vom 22. Oktober 2002 VII B 306/01, BFH/NV 2003, 208).
Entgegen der Meinung der Kläger gelten die in den BFH-Entscheidungen vom 8. August 1997 VI R 158/90 (BFH/NV 1998, 441, betr. 1988), vom 14. Oktober 1997 III R 95/96 (BFH/NV 1998, 1072, betr. 1994) und vom 30. Oktober 1998 III B 56/98 (BFH/NV 1999, 635, betr. 1991) aufgestellten Grundsätze auch für das Streitjahr 1998. Danach ist der Gesetzgeber nicht gezwungen, von dem das Einkommensteuerrecht prägenden Grundsatz des Einzelnachweises Ausnahmen zuzulassen. Werden aufgrund gesetzlicher Regelung Aufwendungen ―wie in § 33b Abs. 3 EStG die Aufwendungen Schwerbehinderter― ohne Nachweis mit bestimmten Pauschbeträgen steuerlich berücksichtigt, ist der Gesetzgeber nicht gehalten, diese Pauschbeträge regelmäßig an die gestiegenen Lebenshaltungskosten anzupassen. Der erhebliche Anstieg der Lebenshaltungskosten im Streitjahr 1998 im Vergleich zu 1975 bzw. 1994 ist daher für die Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift unerheblich.
Die Kläger berufen sich auf den ―im Verfahren der Kläger wegen Einkommensteuer 1992 dem Senats-Beschluss vom 28. Mai 1998 III R 3/96 vorangegangenen― Gerichtsbescheid vom 5. Juni 1997, in dem sich der Senat für das Streitjahr 1992 "noch nicht"veranlasst gesehen habe, eine Handlungspflicht des Gesetzgebers anzunehmen. Der Senat hatte ausgeführt, jedenfalls im Hinblick auf das Streitjahr 1992 habe von Verfassungs wegen weder eine relative noch eine absolute Handlungspflicht des Gesetzgebers bestanden, einen höheren Pauschbetrag als in § 33b Abs. 3 Satz 3 EStG zu gewähren. Diese Ausführungen sind jedoch nicht dahin zu verstehen, dass der Senat für spätere Jahre von einer Anpassungspflicht ausgeht. Die zur Verfassungsmäßigkeit der Pauschbetragsregelung im Gerichtsbescheid dargelegten Gründe gelten unabhängig von dem damaligen Streitjahr 1992. Bindungswirkung hat eine Entscheidung des BFH aber immer nur für das jeweilige Streitjahr.
Geklärt ist, dass auch die Schwierigkeiten beim Nachweis der behinderungsbedingten Aufwendungen den Gesetzgeber nicht zu einer Erhöhung der gesetzlichen Pauschbeträge verpflichten. Denn es fehlt bereits an hinreichend gesicherten Erkenntnissen über die Höhe des besonderen Bedarfs Behinderter (Senatsurteil in BFH/NV 1998, 1072). Im Übrigen haben die Kläger nicht dargelegt, warum es ihnen nicht zumutbar sein soll, wenigstens über einen begrenzten Zeitraum Aufzeichnungen zu führen und Belege zu sammeln. Finanzämter und Finanzgerichte sind verpflichtet, Aufwendungen, die der Steuerpflichtige schuldlos nicht nachweisen kann, zu schätzen. Dies setzt aber voraus, dass Art und Höhe der Aufwendungen plausibel dargelegt und Gründe ―über den bloßen Hinweis auf die Behinderung des Kindes hinaus― angeführt werden, weswegen ein Nachweis nicht möglich oder zumutbar ist.
Schließlich enthalten auch die Ausführungen von Dziadkowski (Finanz-Rundschau 2001, 524) keine Argumente, die der Senat in den genannten Entscheidungen nicht bereits berücksichtigt hätte.
2. Die Verfahrensrüge (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) rechtfertigt die Zulassung der Revision ebenfalls nicht.
Die Kläger hatten schriftsätzlich beantragt, eine amtliche Auskunft des zuständigen Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung sowie des Statistischen Bundesamts einzuholen zu der Frage, welcher konkrete Mehrbedarf für das Streitjahr 1998 nach dortigen Erkenntnissen unter Berücksichtigung der besonderen Lebenssituation eines schwerstbehinderten Kindes und der das Kind betreuenden Familie anfällt.
Bei der Prüfung, ob ein Verfahrensmangel vorliegt, ist vom materiell-rechtlichen Standpunkt des FG auszugehen (BFH-Beschluss vom 1. Oktober 2002 X B 34/02, BFH/NV 2003, 76). Für das FG war indes der von den Klägern im Wege der Beweiserhebung als aufklärungsbedürftig angesehene Umstand, welcher Mehrbedarf bei einem schwerstbehinderten Kind und seiner Familie im Streitjahr 1998 angefallen ist, nicht entscheidungserheblich. Das FG hielt den Ansatz des Pauschbetrags in § 33b Abs. 3 Satz 3 EStG unabhängig von den bei vergleichbaren Steuerpflichtigen im Allgemeinen entstehenden behinderungsbedingten Aufwendungen für verfassungsgemäß, weil es dem betroffenen Steuerpflichtigen unbenommen bleibe, die behindertenbedingten Aufwendungen im Einzelnen nachzuweisen oder glaubhaft zu machen.
Wird mit der Rüge mangelnder Sachaufklärung die Nichterhebung angebotener Beweise gerügt, ist im Übrigen nach ständiger Rechtsprechung des BFH auch vorzutragen, dass die Nichterhebung der Beweise in der mündlichen Verhandlung vor dem FG gerügt worden ist oder weshalb eine entsprechende Rüge nicht möglich war. Denn bei dem Übergehen eines Beweisantrags handelt es sich um einen Verstoß gegen Verfahrensvorschriften, auf deren Einhaltung gemäß § 155 FGO i.V.m. § 295 der Zivilprozessordnung verzichtet werden kann (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 8. März 2001 III B 94/00, BFH/NV 2001, 1036). Die Kläger haben ―obwohl in der mündlichen Verhandlung vor dem FG durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten― nicht dargelegt, weshalb dieser nicht auf der beantragten Beweiserhebung bestanden habe oder weshalb dies nicht möglich gewesen sei. Ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 11. April 2001 haben die Kläger ihren schriftsätzlich gestellten Beweisantrag nicht wiederholt und auch mündlich keinen Beweisantrag gestellt. Das Protokoll enthält auch keine entsprechende Rüge unterlassener Beweiserhebung.
3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO ab.
Fundstellen
Haufe-Index 952738 |
BFH/NV 2003, 1164 |