Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht/Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Setzt das Finanzamt, ohne daß sich der Steuerpflichtige vorher vergeblich darum bemühen mußte, von sich aus die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsaktes alsbald nach Stellung des entsprechenden Antrags beim BFH aus, so entspricht es der Billigkeit, die Kosten des Verfahrens gegeneinander aufzuheben.
Normenkette
FGO § 69 Abs. 3, §§ 135-136, 138, 143
Tatbestand
In einem jetzt beim BFH anhängigen Steuerstreit war die Antragstellerin (Stpfl.) durch Haftungsbescheid vom 24. Oktober 1966 für die Abführung eines Betrages von 42.679,70 DM Kapitalertragsteuer in Anspruch genommen worden. Gleichzeitig mit der gegen den Bescheid eingelegten Sprungklage beantragte die Stpfl., gemäß § 69 Abs. 3 FGO die Vollziehung des angefochtenen Bescheides bis zur rechtskräftigen Entscheidung über das Rechtsmittel auszusetzen. Das FG wies das beklagte FA mit übersendung der Klage auf die Prüfung der kostenrechtlichen Behandlung des Falles hin, wenn das FA die Vollziehung sogleich von Amts wegen selbst ausgesetzt habe, nachdem ihm die Klageerhebung bekannt geworden sei. Daraufhin teilte das FA mit, die Einziehung des Steuerbetrages sei ausgesetzt worden. Der innerdienstliche Vorgang hierzu wurde in der Kapitalertragsteuerakte des FA durch entsprechende Vormerkung vom 10. November 1966 und Aktenvermerk vom 11. November 1966 festgehalten. Das FG teilte die vom FA vorgenommene Aussetzung der Vollziehung den Prozeßbevollmächtigten mit Schreiben vom 18. November 1966 mit. Nachdem der Antrag somit in der Hauptsache erledigt sei, werde um Mitteilung gebeten, ob auch für die Stpfl. der Vollziehungsantrag in der Hauptsache erledigt sei, ferner ob und welche Kostenanträge hierzu gestellt würden. Die Prozeßbevollmächtigten erklärten am 24. November 1966, wegen des in der Hauptsache erledigten Aussetzungsantrages würden keine Kostenanträge gestellt. Abschrift dieser Erklärung sandte das FG zusammen mit den gleichen Anfragen wie gegenüber den Prozeßbevollmächtigten am 1. Dezember 1966 an das FA. Dieses beantragte daraufhin durch Schreiben vom 14. Dezember 1966 unter Hinweis auf einen Aufsatz von Kraft in "Der Betrieb" 1966, 1588, die Kosten des Aussetzungsverfahrens gemäß § 136 Abs. 1 FGO gegeneinander aufzuheben. Die Prozeßbevollmächtigten erklärten dazu am 23. Dezember 1966 folgendes: Der Stpfl. stehe es nach § 69 FGO frei, ob sie einen Antrag beim FA oder beim FG stelle. Das letztere sei hier das sachgemäße Vorgehen gewesen, da das FA den Steuerbescheid auf Grund des Erlasses des Finanzministers des Landes Nordrhein-Westfalen vom 3. Juni 1966 (BStBl II 1966, 143), also auf Anweisung der obersten zuständigen Finanzbehörde, erlassen habe und ein anderes FA des gleichen Landes in einem Parallelfall kurz vorher die Aussetzung der Vollziehung abgelehnt und diese dann erst auf Beschwerde gewährt habe. Es sei rechtlich unzutreffend, die Kosten des in der Hauptsache erledigten gerichtlichen Aussetzungsverfahrens gegeneinander aufzuheben. Nach § 135 Abs. 1 FGO habe der unterliegende Beteiligte, hier also das FA, die Kosten des Verfahrens zu tragen, wobei es auf Verschulden oder Billigkeit nicht ankomme. Die Notwendigkeit, die Aussetzung der Vollziehung beim FG zu beantragen, ergebe sich aus dem Beschluß des BFH I S 8/66 vom 19. April 1966 (BFH 86, 56, BStBl III 1966, 358). Danach könne, wenn einmal die Aussetzung der Vollziehung beim FA beantragt worden sei, nicht ein zweiter derartiger Antrag beim FG gestellt werden. Der Steuerpflichtige habe diese zwei Möglichkeiten; nach dem Beschluß I S 8/66, a. a. O., müsse er sich aber nach allgemeinen Grundsätzen - § 66 FGO - für die eine oder andere entscheiden.
Das FG hat die Klage gegen den Haftungsbescheid abgewiesen, über den in der Hauptsache erledigten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung jedoch noch keine Entscheidung getroffen.
Die Stpfl. legte in der Hauptsache Revision ein. Gleichzeitig beantragte sie, die Vollziehung des angefochtenen Kapitalertragsteuer-Bescheids für die Dauer des Revisionsverfahrens auszusetzen. In dem Antrag wies sie auf ihren bereits bei Klageerhebung beim FG gestellten Antrag hin, die Vollziehung bis zur rechtskräftigen Entscheidung auszusetzen. Dieser noch nicht beschiedene Antrag sei im Lauf des finanzgerichtlichen Verfahrens nur teilweise dadurch erledigt worden, daß das FA am 10. November 1966 die strittige Kapitalertragsteuer nur bis zur Entscheidung über die Klage ausgesetzt habe. Das FA erhob im Schreiben vom 26. Mai 1967 keine Einwendungen gegen den Antrag; die Vollziehungsaussetzung vom 10. November 1966 bleibe bis zur Entscheidung über das eingelegte Rechtsmittel aufrechterhalten.
Entscheidungsgründe
Die Prüfung des Antrags der Stpfl. ergibt folgendes: In dem bisherigen Rechtsstreit hat von den beiden zur Aussetzung der Vollziehung ermächtigten Stellen (§ 69 Abs. 2 und 3 FGO) das FA, nicht das FG, den Anträgen der Stpfl. entsprochen. Alsbald nach Einlegung der Sprungklage hat es die Vollziehung bis zur Entscheidung über die eingelegte Klage, nach Einlegung der Revision bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Steuersache ausgesetzt. Die beiden Fälle sind ebenso, wie sie aus getrennten Anträgen hervorgingen, auch getrennt zu behandeln. Der in der Revisionsinstanz gestellte Antrag trägt nicht etwa den Charakter einer Beschwerde gegen die Erledigung des beim FG gestellten Antrags. Zu prüfen ist jedoch, ob sich aus der gleichartigen Abwicklung der Anträge im Klage- und im Revisionsverfahren tatsächliche Folgerungen für das spätere der beiden Verfahren ergeben können oder müssen.
Der Antrag der Klägerin in der Revisionsinstanz ist dadurch in der Hauptsache erledigt worden (§ 138 Abs. 1 FGO), daß das FA dem Aussetzungsantrag der Stpfl. in vollem Umfang nachgekommen ist. Ob und wie in diesem Fall nach billigem Ermessen über die Kosten des Verfahrens unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes zu entscheiden ist, darüber gehen in der Rechtsprechung und im Schrifttum die Meinungen auseinander. Nach dem Beschluß des BFH IV B 23/66 vom 14. April 1967 (BFH 88, 195, BStBl III 1967, 321) sind dem FA die Kosten einer beim FG vom Steuerpflichtigen beantragten Aussetzung der Vollziehung aufzuerlegen, wenn der Steuerpflichtige vorher beim FA diese Maßnahme angeregt, das FA die Vollziehung aber erst auf Grund des beim FG gestellten Antrages ausgesetzt hat. Der erkennende Senat schließt sich insoweit dem Beschluß IV B 23/66, a. a. O. an, daß auf die Erledigung des selbständigen Rechtsstreits über die Aussetzung der Vollziehung in der Hauptsache das Stadium, in welchem sich das Verfahren über den angefochtenen Verwaltungsakt befindet, keinen Einfluß hat.
Zu prüfen ist jedoch, ob der jetzt zu entscheidende Sachverhalt sich mit dem des Beschlusses IV B 23/66, a. a. O., deckt. Danach hatte der Steuerpflichtige nach Einlegung des Einspruchs mehrfach beim FA erfolglos um Aussetzung der Vollziehung gebeten und erst dann diesen Antrag gleichzeitig mit der Erhebung der Klage beim FG wiederholt. Aus diesem Grund konnte der IV. Senat des BFH von einer anderen Sachlage ausgehen als das Hessische FG im Beschluß B I 57/66 vom 22. September 1966 (EFG 1967, 28), wonach dem Steuerpflichtigen die Kosten des Verfahrens auferlegt wurden, weil er zugleich mit der Einlegung des Einspruchs beim Gericht die Aussetzung der Vollziehung beantragt und dieser Antrag sich dadurch erledigt hatte, daß das FA alsbald nach Kenntnisnahme von der nachgereichten Einspruchsbegründung von sich aus die Vollziehung aussetzte.
Dieser Sachverhalt entspricht im wesentlichen dem des Streitfalls. Die Stpfl. hat vor Stellung ihres Aussetzungsantrags in der Revisionsinstanz beim FA nichts unternommen, um die Verlängerung der Aussetzung zu erreichen. Der Senat trägt jedoch Bedenken, der in den Gründen des Beschlusses IV B 23/66, a. a. O., enthaltenen Rechtsauffassung zu folgen, wonach dem Steuerpflichtigen die Kosten aufzuerlegen sind, wenn er vor Stellung des Antrags auf Aussetzung der Vollziehung beim FG das gleiche nicht vergeblich beim FA angeregt hat. Der Steuerpflichtige kann wahlweise sofort entweder von § 69 Abs. 2 FGO (Antrag an das FA) oder § 69 Abs. 3 FGO (Antrag beim Gericht) Gebrauch machen. Die sofortige Anrufung des Gerichts kann, auch wenn der Steuerpflichtige auf diese Weise den gleichen Erfolg erzielt wie bei Einschaltung des FA, unterschiedliche Kostenfolgen nach sich ziehen. In der grundsätzlichen Beurteilung schließt sich der erkennende Senat auch insoweit dem Beschluß IV B 23/66, a. a. O., an. Der Senat hält die im Beschluß des Hessischen FG B IV 20 - 22/66 vom 25. Mai 1966 (Information A 1966, 394; vgl. auch Besprechung von Kraft in "Der Betrieb" 1966, 1588) getroffene Entscheidung, die Kosten des Aussetzungsverfahrens gegeneinander aufzuheben (§ 136 Abs. 1 Satz 1 FGO), trotz des in Einzelheiten abweichenden Sachverhalts auch für den Streitfall anwendbar.
Daß der unterliegende Beteiligte die Kosten des Verfahrens trägt (§ 135 Abs. 1 FGO), ist keine ausnahmslose Regel des Kostenverfahrens. Die Kostenentscheidung nach § 143 Abs. 1 FGO ist durch die Erledigung der Hauptsache, d. h. die vom FA ausgesprochene Vollziehungsaussetzung, erforderlich geworden. Das Gericht hat daher sinngemäß nach billigem Ermessen über die Kosten des Verfahrens unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands durch Beschluß zu entscheiden (§ 138 Abs. 1 FGO). Der Senat hätte dem Aussetzungsantrag der Stpfl. entsprochen, wenn nicht das FA von sich aus unverzüglich die Vollziehung des Haftungsbescheids bis zur Entscheidung über die Revision ausgesetzt hätte. Zwar kann die Kostenpflicht der Stpfl. nicht auf § 137 FGO gestützt werden, weil dessen tatbestandsmäßige Voraussetzungen nicht erfüllt sind. Nach § 93 der Zivilprozeßordnung fallen dem Kläger die Prozeßkosten zur Last, wenn der Beklagte nicht durch sein Verhalten zur Klageerhebung Anlaß gegeben hat und den Anspruch sofort anerkennt. Es kann dahingestellt bleiben, ob diese Vorschrift schon über § 155 FGO für den Steuerprozeß gilt. Der Senat ist der Auffassung, daß der allgemeine Grundgedanke der Vorschrift entsprechend dem Wesen des Steuerrechtsverhältnisses zwischen Fiskus und Steuerpflichtigen in eingeschränktem Umfang auch im Steuerprozeß sinngemäß anzuwenden ist. Das beklagte FA hat zwar nicht durch sein Verhalten, aber immerhin auf der Grundlage seiner weitgehenden hoheitlichen Vollziehungsbefugnisse (§ 242 Abs. 1 AO) den Anlaß zum Antrag nach § 69 Abs. 3 FGO gegeben. Es erscheint daher aus dem Ermessensprinzip des § 138 Abs. 1 FGO heraus angebracht, die Kosten gegeneinander aufzuheben und damit im Ergebnis die in § 136 Abs. 1 FGO für das teilweise Obsiegen und Unterliegen gesetzlich geregelte Kostenpflicht auszusprechen (vgl. hierzu Baltzer in Deutsches Steuerrecht 1967, 278, der für die gleiche Lösung eintritt). Auf diese Weise wird dem beachtlichen Umstand Rechnung getragen, daß das FA dem Aussetzungsbegehren der Stpfl. in keiner Weise entgegengetreten ist und daher nicht als "unterliegender Beteiligter" im Sinne des § 135 Abs. 1 FGO behandelt wird.
Fundstellen
Haufe-Index 412765 |
BStBl III 1967, 673 |
BFHE 1967, 476 |
BFHE 89, 476 |