Entscheidungsstichwort (Thema)
Vollmachtsnachweis bei Verdacht des Vollmachtsmißbrauchs; Haftungsbescheid
Leitsatz (NV)
- Jedes Gericht hat das Recht und die Pflicht, einem sich ihm wegen einer besonders ungewöhnlichen Art der Prozeßführung aufdrängenden Verdacht, daß ein Bevollmächtigter eine ihm erteilte allgemeine Prozeßvollmacht in mißbräuchlicher Weise verwendet, nachzugehen und die Vorlage einer auf das konkrete Verfahren ausgestellten Vollmacht zu verlangen.
- Ein solcher Verdacht kann darauf beruhen, daß ein Rechtsmittel offenkundig und eindeutig unstatthaft ist.
- Es ist nicht greifbar gesetzwidrig, wenn vor Abschluß steuerstrafrechtlicher Ermittlungen ein Haftungsbescheid erlassen und vom FG über dagegen ergriffene Rechtsbehelfe entschieden wird.
- Verfahrenskosten sind einem vollmachtlosem Vertreter aufzuerlegen (st. Rspr.).
Normenkette
FGO § 62 Abs. 3, § 128 Abs. 3, § 135; AO 1977 § 191 Abs. 1
Tatbestand
Der Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) ist vom Antragsgegner und Beschwerdegegner (Finanzamt ―FA―) wegen der von der X-GmbH, deren Geschäftsführer er gewesen ist, nicht entrichteten Umsatzsteuern nach §§ 69, 71 der Abgabenordnung (AO 1977) auf Haftung in Anspruch genommen worden. Dagegen wendet er sich mit der beim Finanzgericht (FG) noch anhängigen Klage. In diesem Verfahren begehrt er die Aussetzung der Vollziehung des Haftungsbescheids. Er ist dabei vor dem FG durch Rechtsanwalt E vertreten worden, der eine Vollmacht mit folgendem Betreff vorgelegt hat:
"Wegen Klage vor dem Finanzgericht … gegen den Verwaltungsakt des Finanzamtes … mit dem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Haftungsbescheides …: Antrag auf Aussetzung der Vollziehung."
Das FG hat den Antrag abgelehnt, weil es keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Haftungsbescheids hat. Hierauf hat Rechtsanwalt E für den Antragsteller "Beschwerde und Nichtzulassungsbeschwerde" erhoben und vorgetragen, der Beschluß des FG enthalte eine Vorverurteilung bezüglich der noch schwebenden Ermittlungen im steuerstrafrechtlichen Verfahren, mithin einen eklatanten Verstoß gegen die grundrechtlich gesicherten Freiheitsrechte des Antragstellers. Die Sache habe deshalb grundsätzliche Bedeutung; außerdem sei der Beschluß des FG greifbar gesetzeswidrig.
Rechtsanwalt E ist von der Geschäftsstelle des beschließenden Senats durch Schreiben vom 13. Januar und vom 19. Februar 1999 erfolglos aufgefordert worden, eine Prozeßvollmacht für das Verfahren vor dem Bundesfinanzhof (BFH) vorzulegen.
Entscheidungsgründe
Die Rechtsmittel sind unzulässig, weil Rechtsanwalt E nicht entsprechend § 62 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) nachgewiesen hat, daß er bevollmächtigt ist, den Antragsteller in einem Rechtsmittelverfahren vor dem BFH zu vertreten. Eines solchen Nachweises bedurfte es schon deshalb, weil die bei der Akte des FG befindliche, Rechtsanwalt E erteilte Vollmacht sich ausdrücklich (nur) auf eine Klage und einen damit zusammenhängenden Antrag auf Aussetzung der Vollziehung "vor dem Finanzgericht" bezieht. Selbst wenn aber der Vollmacht trotz dieses Wortlautes bei sinnentsprechender Auslegung sollte entnommen werden können, daß Rechtsanwalt E im Falle des Mißerfolgs der von ihm für den Antragsteller vor dem FG eingelegten Rechtsbehelfe bevollmächtigt werden sollte, Rechtsmittel zum BFH einzulegen, vermöchte der beschließende Senat seine Bevollmächtigung nicht als ausreichend nachgewiesen anzuerkennen. Denn nach der Rechtsprechung des BFH hat jedes Gericht das Recht und die Pflicht, einem sich ihm wegen einer besonders ungewöhnlichen Art der Prozeßführung aufdrängenden Verdacht, daß ein Bevollmächtigter eine ihm erteilte allgemeine Prozeßvollmacht in mißbräuchlicher Weise zum Nachteil des Vollmachtgebers verwendet, nachzugehen und die Vorlage einer neuen, auf das konkrete Verfahren ausgestellten Vollmacht zu verlangen (BFH-Beschluß vom 13. Juni 1996 III R 21/95, BFH/NV 1997, 119). Solche Zweifel, die Rechtsanwalt E trotz zweimaliger Aufforderung durch den Senat nicht ausgeräumt hat, hat der beschließende Senat aus folgenden Gründen:
Wie sich bereits aus der Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Beschlusses des FG ergibt, ist eine Entscheidung des FG über die Aussetzung der Vollziehung nach § 69 Abs. 3 FGO mit Rechtsmitteln nur dann angreifbar, wenn das FG nach § 128 Abs. 3 FGO die Beschwerde gegen seinen Beschluß zugelassen hat. Das ist hier offensichtlich nicht geschehen. Der Entscheidungsausspruch des Beschlusses enthält keine Beschwerdezulassung und auch aus den Beschlußgründen ergeben sich, was durch die Rechtsmittelbelehrung noch unterstrichen wird, keine Anhaltspunkte dafür, daß das FG eine Beschwerde zulassen wollte. Schweigen über die Zulassung eines zulassungsbedürftigen Rechtsmittels ist jedoch, wie in der Rechtsprechung sämtlicher obersten Gerichtshöfe des Bundes seit jeher geklärt ist, Nichtzulassung des betreffenden Rechtsmittels.
Wie sich aus § 128 Abs. 3 FGO ferner klar und unzweideutig ergibt, ist gegen die Entscheidung des FG über die Nichtzulassung der Beschwerde gegen einen Beschluß über die Aussetzung der Vollziehung ―anders als bei Entscheidungen über die Nichtzulassung der Revision in einem Urteil― eine "Nichtzulassungsbeschwerde" nicht gegeben.
Die von Rechtsanwalt E für den Antragsteller erhobene Beschwerde ist mithin ebenso wie die Nichtzulassungsbeschwerde so offenkundig und eindeutig unstatthaft und damit von vornherein ohne jede Aussicht auf Erfolg (vgl. insofern BFH-Urteil vom 27. Februar 1998 VI R 88/97, BFHE 185, 126, BStBl II 1998, 445), daß dies ernstliche Zweifel daran begründet, ob Rechtsanwalt E seine Prozeßvollmacht ―sollte sie ihm tatsächlich für ein Verfahren vor dem BFH erteilt worden sein― nicht dadurch zum Schaden des Antragstellers mißbraucht hat, daß er gleichwohl die vorgenannten Rechtsmittel eingelegt hat.
Das gleiche gilt, insoweit die Beschwerde gegen die Versagung der Vollziehungsaussetzung darauf gestützt wird, die Entscheidung des FG sei "greifbar gesetzeswidrig". In der Rechtsprechung ist zwar die Statthaftigkeit eines in der FGO nicht ausdrücklich vorgesehenen, außerordentlichen Rechtsbehelfs unter bestimmten, engen Voraussetzungen bei "greifbarer Gesetzeswidrigkeit" einer mit ordentlichen Rechtsmitteln sonst nicht angreifbaren Entscheidung in Betracht gezogen worden (vgl. u.a. Beschlüsse des Senats vom 22. November 1994 VII B 144/94, BFH/NV 1995, 791, und vom 9. Dezember 1997 VII B 223/97, BFH/NV 1998, 714, sowie zuletzt Beschluß vom 8. Februar 1999 VII B 202/98). Es bedarf indes hier keiner näheren Erörterung der Statthaftigkeit eines solchen Rechtsbehelfs und seiner Voraussetzungen. Denn der Beschluß des FG ist jedenfalls offenkundig und eindeutig nicht "greifbar gesetzwidrig". Es verläßt insbesondere nicht, wie die Beschwerde meint, den "Boden der geltenden Rechtsordnung" und ist nicht willkürlich, wenn das FA einen Haftungsbescheid vor Abschluß der steuerstrafrechtlichen Ermittlungen erläßt ―nach deren Abschluß möglicherweise der Haftungsschuldner ohnehin wegen Zahlungsunfähigkeit nicht mehr mit Aussicht auf Erfolg in Anspruch genommen werden könnte― und wenn das FG über dagegen ergriffene Rechtsbehelfe mit der namentlich im Verfahren wegen Aussetzung der Vollziehung gebotenen Beschleunigung entscheidet.
Die Kosten dieses Verfahrens sind dem mithin als vollmachtlosem Vertreter zu behandelnden Rechtsanwalt E aufzuerlegen (ständige Rechtsprechung des BFH, vgl. u.a. Beschluß des Senats vom 11. Juni 1997 VII R 73/96, BFH/NV 1997, 892).
Fundstellen
Haufe-Index 302287 |
BFH/NV 1999, 1358 |