Entscheidungsstichwort (Thema)
Unbegründetheit einer auf § 115 Abs. 2 Nr. 2 und 3 FGO gestützten NZB
Leitsatz (NV)
1. Zum Zulassungsgrund der Divergenz (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO).
2. Ein Verfahrensmangel i. S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO setzt einen Verstoß des FG gegen Vorschriften des Prozeßrechts voraus.
3. Die Auslegung und Anwendung der AO 1977 durch das FG stellt revisionsrechtlich eine Auslegung und Anwendung materiellen Rechts dar. Bei insoweit auftretenden Verstößen gegen Regeln der Logik und andere Denkgesetze handelt es sich um Verletzungen materiellen Rechts.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2 Nrn. 2-3, Abs. 3 S. 3
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches FG |
Tatbestand
Der Kläger und Beschwerdegegner (Kläger) war in den Streitjahren (1983 und 1984) an einer Bauherrengemeinschaft beteiligt, deren Objekt an einen gewerblichen Zwischenmieter vermietet worden war. Das seinerzeit für die Besteuerung des Klägers zuständige Finanzamt (FA) erkannte die Zwischenvermietung nicht an und setzte mit den - unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangenen - Umsatzsteuerbescheiden für die Streitjahre vom 2. Oktober 1985 die Umsatzsteuer statt auf die vom Kläger errechneten Vorsteuerüberschüsse auf jeweils 0,- DM fest. Beide Bescheide blieben innerhalb der Rechtsbehelfsfrist unangefochten.
Mit Verfügung vom 13. Dezember 1985 hob das erwähnte FA sodann den Vorbehalt der Nachprüfung auf.
Hierauf legte namens des Klägers dessen Prozeßbevollmächtigter Einspruch ein.
Der inzwischen zuständig gewordene Beklagte und Beschwerdeführer (das FA) wies den Einspruch mit der Begründung zurück, der Kläger habe sich klar und unmißverständlich gegen die bereits bestandskräftigen Bescheide vom 2. Oktober 1985 gewandt.
Auf die Klage hob das Finanzgericht (FG) die Einspruchsentscheidung auf. Zur Begründung führte es aus, nach den Grundsätzen zur Auslegung von Rechtsbehelfserklärungen könne die Einspruchsschrift des Klägers nur dahin interpretiert werden, daß der Kläger mindestens auch die Endgültigkeitserklärung habe anfechten wollen, obgleich in der Einspruchsschrift ausschließlich die Daten der Umsatzsteuerbescheide genannt seien, nicht das Datum der Endgültigkeitserklärung.
Mit der Nichtzulassungsbeschwerde rügt das FA, das FG sei unter Verstoß gegen Denkgesetze und Regeln der Logik sowie unter Nichtbeachtung eindeutiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zu dem unrichtigen Ergebnis gekommen, die Einsprüche seien zulässig.
Der Kläger ist der Nichtzulassungsbeschwerde entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unbegründet und wird zurückgewiesen; es liegt keiner der in § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) angeführten Zulassungsgründe vor.
1. Das angefochtene Urteil weicht nicht von einer Entscheidung des BFH i. S. von § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO ab.
Insoweit hat das FA geltend gemacht, das FG habe sich in Widerspruch zum BFH-Beschluß vom 24. September 1970 II B 28/70 (BFHE 100, 83, BStBl II 1970, 813) gesetzt, indem es ausgeführt habe, daß auch die Erklärung eines Steuerberaters auslegbar sei. Der BFH habe in der zitierten Entscheidung klar und unmißverständlich zum Ausdruck gebracht, bei rechtskundigen Personen (z. B. Steuerberatern) könne verlangt werden, daß sie den Rechtsbehelf wählten oder den Antrag stellten, der sachdienlich sei. Eine Umdeutung falscher Anträge komme nicht in Betracht.
Hiermit ist zwar den formellen Anforderungen aus § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO an die Bezeichnung der BFH-Entscheidung genügt, von der nach Ansicht des betreffenden Beschwerdeführers das Urteil abweicht (s. hierzu z. B. BFH-Beschluß vom 24. Januar 1990 V B 22/88, BFH/NV 1990, 717). Der inhaltliche Vergleich des angefochtenen Urteils mit dem BFH-Beschluß in BFHE 100, 83, BStBl II 1970, 813 ergibt jedoch, daß der vom FA geltend gemachte Widerspruch nicht besteht.
Die Ausführungen im erörterten BFH-Beschluß befassen sich ausschließlich mit der Frage, ob sich ein eingelegter Rechtsbehelf in einen anderen Rechtsbehelf umdeuten läßt. Die Beschränkung auf diese Frage liegt auch insoweit vor, als im BFH-Beschluß von einem sachdienlichen Antrag die Rede ist. Dagegen fehlt es an Äußerungen zu der vom FG erörterten und bejahten Frage, ob bei Rechtsbehelfsschriften von Angehörigen der steuerberatenden Berufe eine Auslegung zur Ermittlung des angefochtenen Steuerverwaltungsakts zulässig ist.
2. Das FA hat ebenfalls keinen Verfahrensmangel geltend gemacht, auf dem das angefochtene Urteil beruhen könnte (vgl. § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO).
Das FA hat insoweit gerügt, dem FG sei ein Verstoß gegen Denkgesetze und Regeln der Logik anzulasten. Denn das FG habe seiner Rechtsfindung die den Erfahrungen der Praxis widersprechende Ansicht zugrunde gelegt, es könne ausgeschlossen werden, daß ein Steuerberater sich unter den gegebenen Umständen gegen die bestandskräftigen Bescheide vom 2. Oktober 1985 gewendet haben könnte, nicht gegen die Endgültigkeitserklärung.
Hierin liegt keine Bezeichnung eines Verfahrensmangels i. S. des § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO. Ein Verfahrensmangel i. S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO setzt einen Verstoß des FG gegen Vorschriften des Prozeßrechts voraus (vgl. BFH-Beschluß vom 30. März 1990 III B 126/89, BFH/NV 1990, 790, Leitsatz 2; vgl. auch BFH-Beschluß vom 6. Juli 1988 II B 183/87, BFHE 153, 509, BStBl II 1988, 897; Gräber / Ruban, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 115 Anm. 25 und 27 ff.). Den Ausführungen des FA ist nicht zu entnehmen, inwiefern das FG das von ihm zu beachtende Prozeßrecht verletzt haben könnte, wenn es bei der aus der Abgabenordnung (AO 1977) heraus, d. h. revisionsrechtlich mittels materiellen Rechts (vgl. Gräber / Ruban, a. a. O., § 115 Anm. 25), zu beantwortenden Frage, was Anfechtungsgegenstand des Einspruchs sein soll, Denkgesetze oder Regeln der Logik mißachtet haben würde.
Fundstellen