Entscheidungsstichwort (Thema)
Ableitung des Anteilswerts aus stichtagsnahen Verkaufsfällen
Leitsatz (NV)
- Ein krasses Missverhältnis stichtagsnaher Verkaufspreise zu dem Wert, der sich nach dem Stuttgarter Verfahren ergeben würde, lässt nicht den Schluss zu, den stichtagsnahen Verkäufen lägen ungewöhnliche oder persönliche Verhältnisse zugrunde. Denn das Stuttgarter Verfahren kann jedenfalls für Stichtage ab dem 31. Dezember 1992 ‐ bedingt durch die gesetzliche Anordnung der Übernahme der Steuerbilanzwerte ‐ den gemeinen Wert der Anteile regelmäßig nicht mehr erreichen.
- Der Handel mit Sperrminoritäten, Schachtel- oder Mehrbeteiligungen an Kapitalgesellschaften ist nicht ungewöhnlich, sondern eine für das Marktgeschehen typische Erscheinung. Der Verkauf einer "Paketbeteiligung" schließt deshalb die Annahme einer Veräußerung im gewöhnlichen Geschäftsverkehr nicht aus.
Normenkette
BewG § 9 Abs. 2 S. 1, § 11 Abs. 2 Sätze 2-3, § 109; FGO § 116 Abs. 3 S. 3
Tatbestand
I. Die Beigeladenen und Beschwerdeführer zu 1 bis 3 (Beigeladene) sind Gesellschafter der A-GmbH i.L. Das Stammkapital der A-GmbH beträgt 100 000 DM. Durch Bescheid vom 19. März 1998 stellte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt ―FA―) den gemeinen Wert der Anteile an der A-GmbH zum 31. Dezember 1993 auf 17 800 DM je 100 DM des Stammkapitals fest. Den gemeinen Wert leitete das FA aus Anteilsverkäufen vom 19. Mai 1993 ab, mit denen alle Gesellschafter jeweils 50 v.H. ihres Stammkapitals (50 000 DM) zu einem Kaufpreis von 8 900 000 DM an die B-GmbH veräußert hatten.
Einspruch und Klage der A-GmbH, mit denen geltend gemacht wurde, der von der B-GmbH gezahlte Kaufpreis könne nicht als Marktpreis herangezogen werden, weil der Verkauf nicht im gewöhnlichen Geschäftsverkehr erfolgt sei, blieben ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte in seinem Urteil aus, der tatsächlich erzielte Kaufpreis sei als im gewöhnlichen Geschäftsverkehr zustande gekommen anzusehen, wenn er sich durch Ausgleich widerstreitender Interessen von Verkäufer und Käufer gebildet habe. Ungewöhnliche Verhältnisse oder persönliche Umstände, die einer Ableitung des gemeinen Werts aus dem tatsächlich erzielten Erlös entgegenstünden, seien nicht festzustellen. Es liege zwar ein offensichtliches und krasses Missverhältnis zwischen dem tatsächlich gezahlten Preis und dem sich nach dem so genannten Stuttgarter Verfahren ergebenden Anteilswert (―der wegen eines negativen Vermögenswerts 0 DM betrüge―) vor; hieraus könne aber nicht geschlossen werden, der Verkaufsfall beruhe auf ungewöhnlichen Verhältnissen.
Das FG hat die Revision nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Beigeladenen, mit der sie grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache sowie Divergenz geltend machen.
Das FA beantragt, die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist unbegründet.
1. Die von den Beigeladenen für rechtsgrundsätzlich erachtete Frage, ob eine Anteilsveräußerung im gewöhnlichen Geschäftsverkehr schon dann nicht gegeben sei, wenn der tatsächlich gezahlte Kaufpreis krass von dem Wert abweicht, der sich bei einer Schätzung des gemeinen Werts der Anteile nach § 11 Abs. 2 Satz 2 2. Alternative des Bewertungsgesetzes (BewG), d.h. nach dem Stuttgarter Verfahren ergeben würde, ist nicht von grundsätzlicher Bedeutung, weil die Rechtsfrage im Gesetz eine eindeutige Antwort findet und auch höchstrichterlich bereits geklärt ist.
Nach § 11 Abs. 2 Satz 1 BewG sind Anteile an Kapitalgesellschaften mit dem gemeinen Wert anzusetzen. Nach Satz 2 der Vorschrift ist der gemeine Wert in erster Linie aus Verkaufsfällen abzuleiten, die weniger als ein Jahr zurückliegen. Aus der Begriffsbestimmung des gemeinen Werts in § 9 Abs. 2 BewG folgt für die Ableitung des gemeinen Werts aus Verkäufen, dass der erzielte Preis außer Betracht bleiben muss, wenn die Verkäufe insbesondere unter ungewöhnlichen Verhältnissen zustande gekommen sind. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ist unter dem gewöhnlichen Geschäftsverkehr i.S. des § 9 Abs. 2 Satz 1 BewG der Handel zu verstehen, der sich nach den marktwirtschaftlichen Grundsätzen von Angebot und Nachfrage vollzieht und bei dem jeder Vertragspartner ohne Zwang und nicht aus Not, sondern freiwillig in Wahrung seiner eigenen Interessen zu handeln in der Lage ist (vgl. BFH-Urteile vom 14. Februar 1969 III 88/65, BFHE 95, 334, BStBl II 1969, 395; vom 23. Februar 1979 III R 44/77, BFHE 128, 254, BStBl II 1979, 618; vom 30. März 1994 II R 101/90, BFHE 174, 94, BStBl II 1994, 503, und vom 15. Juli 1998 II R 23/97, BFH/NV 1998, 1463). Liegen diese Voraussetzungen vor, ist der gemeine Wert aus stichtagsnahen Verkäufen zwingend abzuleiten.
Das im Streitfall bestehende krasse Missverhältnis der stichtagsnahen Verkaufspreise zu dem Wert, der sich nach dem Stuttgarter Verfahren ergeben würde, lässt nicht den Schluss zu, den stichtagsnahen Verkäufen lägen ungewöhnliche oder persönliche Verhältnisse zugrunde. Denn das Stuttgarter Verfahren kann jedenfalls für Stichtage ab dem 31. Dezember 1992 ―bedingt durch die gesetzliche Anordnung der Übernahme der Steuerbilanzwerte; vgl. § 11 Abs. 2 Satz 3 i.V.m. § 109 BewG i.d.F. des Gesetzes zur Entlastung der Familien und zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für Investitionen und Arbeitsplätze (Steueränderungsgesetz 1992) vom 25. Februar 1992 (BGBl I 1992, 297, BStBl I 1992, 146)― den gemeinen Wert der Anteile regelmäßig nicht mehr erreichen (vgl. hierzu: Hübner, Deutsches Steuerrecht ―DStR― 1993, 1656 f.; Christoffel, GmbH-Rundschau ―GmbHR― 1993, 205 f.; Moench, Erbschaft- und Schenkungsteuer, Kommentar, Erg.Lfg. April 2002, § 12 Rdnr. 27 f.). Der Senat hat in seinem Vorlagebeschluss vom 22. Mai 2002 II R 61/99 (DStR 2002, 1438) hierzu ausgeführt:
;"Die Maßgeblichkeit der Steuerbilanzwerte für die Ansätze der Vermögenswerte der Kapitalgesellschaft hat denselben Effekt wie beim Betriebsvermögen. Sie führt nicht nur zu einem durchschnittlich um etwa ein Drittel niedrigeren Wertansatz der zum Betriebsvermögen gehörenden Sachwerte, sondern hat auch eine von Zufälligkeiten abhängige, erheblichen Schwankungen unterliegende Begünstigungswirkung, die zudem durch die Verrechnung der niedrigen aktiven Bilanzansätze mit den Schulden zum Nennwert verstärkt wird. Die Berücksichtigung des Vermögens mit einem niedrigeren Wert als dem gemeinen Wert führt zwangsläufig zu einem Schätzungsergebnis, welches den gemeinen Wert nicht erreichen kann."
2. Auch die von den Beigeladenen aufgeworfene Frage, ob der Verkauf einer "Paketbeteiligung" die Annahme einer Veräußerung im gewöhnlichen Geschäftsverkehr ausschließe, hat keine grundsätzliche Bedeutung. Denn die Frage ist höchstrichterlich geklärt (siehe BFH-Urteil in BFHE 128, 254, BStBl II 1979, 618) und eindeutig dahin zu beantworten, dass der Handel mit Sperrminoritäten, Schachtel- oder Mehrheitsbeteiligungen an Kapitalgesellschaften nicht ungewöhnlich ist, sondern eine für das Marktgeschehen typische Erscheinung darstellt (vgl. Rid in Gürsching/Stenger, Kommentar zum Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, Lieferung April 2002, § 11 Rdnr. 127 unter Hinweis auf das BFH-Urteil vom 6. Mai 1977 III R 17/75, BFHE 122, 334, BStBl II 1977, 626).
3. Die Begründung der von den Beigeladenen geltend gemachten Abweichung des FG-Urteils von der Entscheidung des BFH vom 28. November 1980 III R 86/78 (BFHE 132, 482, BStBl II 1981, 353) genügt nicht den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Die Beschwerde ist insoweit unzulässig. Die Beigeladenen haben keinen "abweichenden" Rechtssatz aus dem angefochtenen FG-Urteil bezeichnet. Die Ausführungen, das FG habe die von der B-GmbH mit dem Anteilserwerb verfolgten wirtschaftlichen Ziele ausdrücklich festgestellt, bei der rechtlichen Würdigung aber unberücksichtigt gelassen, bezeichnen keinen Rechtssatz und treffen im Übrigen auch nicht zu. Die von den Beigeladenen insoweit in Bezug genommenen Textstellen aus dem Tatbestand des finanzgerichtlichen Urteils stellen ausschließlich Parteivortrag dar.
Fundstellen
Haufe-Index 867191 |
BFH/NV 2003, 11 |