Leitsatz (amtlich)
Es ist ernstlich zweifelhaft, ob ein an Ehegatten gerichteter Haftungsbescheid durch Übergabe nur einer Ausfertigung des Bescheides für beide Ehegatten einem von ihnen wirksam zugestellt ist. Jedem Empfänger muß das für ihn bestimmte Schriftstück zugestellt werden (Anschluß an das BFH-Urteil vom 16. Dezember 1971 I R 212/71, BFHE 104, 493, BStBl II 1972, 425).
Normenkette
FGO § 69; AO § 91 Abs. 1, § 210 Abs. 2, § 211 Abs. 3; VwZG § 5 Abs. 1, § 9 Abs. 1-2
Tatbestand
Streitig ist im Aussetzungsverfahren, ob die Eheleute O und 1 A (Antragsteller und Beschwerdeführer - Antragsteller -) vom Antragsgegner und Beschwerdegegner (FA) zu Recht als Haftungsschuldner für Körperschaftsteuer, Ergänzungsabgabe und Umsatzsteuer 1968 bis 1971 der O A-GmbH (GmbH) in Anspruch genommen worden sind.
Der an "Herrn und Frau O A" adressierte Haftungsbescheid wurde der Antragstellerin in der gemeinsamen Wohnung der Eheleute durch einen Bediensteten des FA ausgehändigt. In dem als "Zustellungsurkunde" bezeichneten Empfangsbekenntnis sind "die Eheleute" als Empfänger ausgewiesen.
Über den gegen den Bescheid eingelegten Einspruch der Antragsteller hat das FA noch nicht entschieden. Der beim FG gestellte Antrag auf Aussetzung der Vollziehung hatte keinen Erfolg. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Antragsteller mit dem Antrag, die Vollziehung des Haftungsbescheides auszusetzen. Es beständen weder die zugrunde gelegten Steuerschulden noch eine Haftungsverpflichtung.
Das FA beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde, der das FG nicht abgeholfen hat, führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und aus formellen Gründen zur Aussetzung der Vollziehung des Haftungsbescheides, so daß die Frage der materiellen Rechtmäßigkeit des Bescheides nicht mehr geprüft werden kann.
1. Als Gesamtschuldner (§ 7 Abs. 1 StAnpG) konnte das FA die Antragsteller durch Erlaß eines einheitlichen Haftungsbescheides in Anspruch nehmen (§ 210 Abs. 2 AO). Aufgrund summarischer Prüfung der vorliegenden Unterlagen und der im Hauptverfahren abschließend zu entscheidenden Rechtsfrage hält es der erkennende Senat jedoch für ernstlich zweifelhaft i. S. von § 69 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. Abs. 2 Satz 2 FGO, ob der Bescheid den Eheleuten in der gesetzlich vorgeschriebenen Form bekanntgegeben worden und damit wirksam geworden ist.
Nach §§ 91 Abs. 1 i. V. m. 211 Abs. 3 AO werden Steuerbescheide dadurch wirksam, daß sie demjenigen zugestellt werden, für den sie ihrem Inhalt nach bestimmt sind. Gemäß § 2 Abs. 1 VwZG besteht die Zustellung in der Übergabe eines Schriftstücks; bei Zustellungen durch die Behörde gegen Empfangsbekenntnis ist das Schriftstück dem Empfänger auszuhändigen (§ 5 Abs. 1 VwZG). Soweit im Gesetz nichts anderes vorgeschrieben ist (wie z. B. in §§ 219 AO, 189 ZPO, 8 Abs. 2 VwZG), werden hoheitliche Maßnahmen, die sich gegen mehrere Personen richten, nur dadurch wirksam, daß jedem der Betroffenen ein für ihn bestimmtes Schriftstück übergeben wird. Dieser allgemeine Grundsatz läßt sich nicht nur aus § 91 Abs. 1 AO entnehmen; er kommt beispielsweise in den Vorschriften der §§ 169, 170 ZPO und § 8 Abs. 2 VwZG zum Ausdruck.
Auch eine Zustellung an Ehegatten kann demnach grundsätzlich nicht dadurch bewirkt werden, daß ihnen nur eine Ausfertigung gemeinsam übermittelt wird, und zwar selbst dann nicht, wenn sie unter der gleichen Anschrift erreichbar sind. Ob und unter welchen Voraussetzungen in Fällen der Zusammenveranlagung von Ehegatten zur Einkommensteuer Ausnahmen von dieser Regel gemacht werden können (vgl. dazu Urteil des BFH vom 13. August 1970 IV 48/65, BFHE 100, 171, BStBl II 1970, 839; BFH-Beschluß vom 20. Januar 1972 I B 51/68, BFHE 104, 45, BStBl II 1972, 287), braucht der erkennende Senat nicht zu entscheiden, da ein derartiger Fall nicht vorliegt. Eine gegenseitige Bevollmächtigung kommt im Streitfall nicht in Betracht.
Aus § 210 Abs. 2 AO läßt sich nichts Gegenteiliges herleiten. Die Vorschrift eröffnet dem FA lediglich die Möglichkeit, mehrere an sich getrennt zu erlassende Steuerbescheide äußerlich zu einem Bescheid zu verbinden. Da rechtlich gleichwohl mehrere Verfügungen vorliegen, muß der einheitliche Bescheid grundsätzlich für jeden Betroffenen gesondert ausgefertigt und bekanntgegeben werden, um ihm gegenüber Wirksamkeit zu erlangen (vgl. die ausführliche Zusammenstellung der Rechtsprechung im BFH-Urteil IV 48/65; zur Zustellung von gerichtlichen Entscheidungen an Ehegatten vgl. BFH-Entscheidungen vom 16. Dezember 1971 I R 212/71, BFHE 104, 493, BStBl II 1972, 425, und vom 15. März 1973 VIII B 31/72, BFHE 109, 221, BStBl II 1973, 596; Riewald in Becker-Riewald-Koch, Reichsabgabenordnung, Kommentar, 9. Aufl., § 210 Anm. 3 Abs. 1; Paulick in Hübschmann-Hepp-Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, § 210 AO Anm. 18).
2. Der Bescheid ist auch nicht einem der Betroffenen gegenüber wirksam geworden. Der erkennende Senat hat zwar im Urteil vom 28. März 1973 I R 100/71 (BFHE 109, 123, BStBl II 1973, 544) entschieden, daß ein an mehrere Erben gerichteter einheitlicher Einkommensteuerbescheid i. S. von § 210 Abs. 2 AO, der nur einem der Betroffenen zugestellt wird, diesem gegenüber als Einzelbescheid i. S. von § 210 Abs. 1 AO Wirksamkeit erlangt. Diese Rechtsprechung ist jedoch bei summarischer Würdigung nicht auf den Streitfall übertragbar, da keiner der Ehegatten mit der erforderlichen Bestimmtheit als Zustellungsempfänger bezeichnet ist. Keiner der Antragsteller hat eine für ihn bestimmte Ausfertigung des Bescheides ausgehändigt erhalten. Damit scheidet auch die Möglichkeit der Heilung des Mangels nach § 9 Abs. 1 VwZG aus, so daß der Senat auf die Frage, ob die Heilung von Zustellungsfehlern bei Steuerbescheiden bereits nach § 9 Abs. 2 VwZG ausgeschlossen ist oder nicht (dazu BFH-Urteil vom 8. Februar 1972 VIII R 14/68, BFHE 105, 85, BStBl II 1972, 506, mit Hinweisen auf abweichende Rechtsprechung), nicht einzugehen braucht.
Fundstellen
BStBl II 1976, 136 |
BFHE 1976, 205 |