Entscheidungsstichwort (Thema)
Rüge der nicht ordnungsgemäßen Besetzung
Leitsatz (NV)
1. Für die schlüssige Rüge des Verfahrensmangels der nicht ordnungsgemäßen Besetzung genügt nicht der Vortrag, aufgrund der schriftlichen Mitteilung über den Urteils tenor sei zu vermuten, die Urteilsgründe seien noch nicht abgesetzt und nicht auch von den ehrenamtlichen Richtern beschlossen worden.
2. Die nachträgliche Niederlegung der Urteilsgründe ist im Fall der Zustellung des Urteils entsprechend § 105 Abs. 4 Satz 3 FGO zulässig, wenn die zeitnahe Abfassung binnen der Zweiwochenfrist nicht möglich war.
3. Auch zur Auslegung des Urteilstenors, in dem die Berechnung der festzustellenden Gewinne dem FA gem. Art. 3 § 4 VGFGEntlG übertragen worden ist, ist der übrige Urteilsinhalt heranzuziehen, also auch der Tatbestand, die Anträge und die Entscheidungsgründe.
4. Weist das FG nicht darauf hin, daß es gemäß Art. 3 § 4 VGFGEntlG verfahren will, begründet dies keinen Mangel i. S. des § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO.
Normenkette
FGO § 100 Abs. 2 S. 2, § 104 Abs. 2, § 105 Abs. 4 S. 2, § 116 Abs. 1 Nrn. 1, 3, 5; VGFGEntlG Art. 3 § 4
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob geltend gemachte Betriebsausgaben abzuziehen sind.
Die vom Finanzgericht (FG) zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung miteinander verbundenen Klagen hatten zum überwiegenden Teil Erfolg. Das FG gab den Klagen insoweit statt, als der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) geltend gemachte Betriebsausgaben wegen fehlender Empfängerbezeichnungen (§ 160 der Abgabenordnung -- AO 1977 --) nicht berücksichtigt hatte, im übrigen wies das FG das Klagebegehren hinsichtlich des beantragten Betriebsausgabenabzugs in Höhe von ... DM -- unter Berücksichtigung einer anteiligen Gewerbesteuerrückstellung -- ab, weil die Liquidatorin selbst Bargeldbeträge bei der Sparkasse ... bzw. ... gegen Vorlage der ihr zugunsten der Fa. X ausgestellten Bar- bzw. Verrechnungsschecks in Empfang genommen habe.
Die Höhe der nicht anzuerkennenden Beträge ergäbe sich aus den von ... in den Streitjahren 1978 bis 1981 eingereichten Schecks, und zwar entsprechend und im Verhältnis zu der für diesen Zeitraum eingereichten Rechnungen in Höhe von ... DM. Danach seien folgende Betriebsausgaben nicht anzuerkennen (vgl. Bl. 35 des FG-Urteils):
1978: ... DM
1979: ... DM
1980: ... DM
1981: ... DM
Die Berechnung der Gewinne übertrug das FG gemäß Art. 3 § 4 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit (VGFGEntlG) dem FA mit der Maßgabe, die anteilige Gewerbesteuer-Rückstellung zu berücksichtigen.
Im Tenor des Urteils heißt es: "Die Gewinnfeststellungsbescheide 1978 bis 1982 jeweils vom 14. 12. 1990 werden teilweise aufgehoben. Die Gewinne werden nach Maßgabe der Urteilsgründe neu festgesetzt: die Berechnung wird dem Beklagten übertragen. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin zu 22 v. H. und dem Beklagten zu 78 v. H. auferlegt."
Die Revision ließ das FG nicht zu.
Dagegen haben sowohl die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) als auch das FA Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt und außerdem hat die Klägerin eine auf § 116 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 5 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gestützte Revision erhoben.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist unzulässig. Sie wird gemäß §§ 124 Abs. 1, 126 Abs. 1 FGO durch Beschluß verworfen.
1. Die eingelegte Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision hat der erkennende Senat durch Beschluß vom heutigen Tage zurückgewiesen.
2. Die Revision ist nicht gemäß § 116 Abs. 1 FGO statthaft. Eine zulassungsfreie Revision ist nur statthaft, wenn innerhalb der Revisionsbegründungsfrist ein Mangel i. S. von § 116 Abs. 1 FGO schlüssig gerügt wird (Beschlüsse des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 21. April 1986 IV R 190/85, BFHE 146, 357, BStBl II 1986, 568, und vom 29. Juni 1989 V R 112/88, V B 72/89, BFHE 157, 308, BStBl II 1989, 850; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 116 Anm. 3, und Tipke/Kruse, Abgabenordnung -- Finanzgerichtsordnung, 14. Aufl., § 116 FGO Tz. 23 jeweils m. w. N.). Doch sind Verfahrensmängel i. S. von § 116 Abs. 1 FGO nur dann ordnungsgemäß gerügt, wenn die zur Begründung der Rüge vorgetragenen Tatsachen -- ihre Richtigkeit als wahr unterstellt -- die Schlußfolgerung auf den behaupteten Verfahrensmangel rechtfertigen (BFH-Beschlüsse, a.a.O.). Dies ist im Streitfall nicht geschehen.
a) Für die schlüssige Rüge des Verfahrensmangels der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des erkennenden Gerichts (§ 116 Abs. 1 Nr. 1, § 119 Abs. 1 Nr. 1 FGO) genügt es nicht, die Fehlbesetzung -- auf Verdacht -- zu behaupten (BFH-Urteil vom 30. Oktober 1974 I R 40/72, BFHE 114, 85, BStBl II 1975, 232; Beschluß des Bundesgerichtshofs vom 26. März 1986 III ZR 114/85, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1987, 150; Gräber/Ruban, a.a.O., § 119 Anm. 8, und Tipke/Kruse, a.a.O., § 116 FGO Tz. 23 jeweils m. w. N.). Vielmehr setzt die ordnungsgemäße Rüge voraus, daß konkrete Anhaltspunkte für die Fehlerhaftigkeit der Besetzung des FG dargelegt werden; vermutet der Revisionsführer einen solchen Verfahrensmangel, so muß er versuchen, sich Aufklärung zu verschaffen und das Ergebnis seiner eigenen Ermittlungen darlegen (BFH-Beschlüsse in BFHE 114, 85, BStBl II 1975, 232, und vom 5. März 1970 V R 135/68, BFHE 98, 239, BStBl II 1970, 384).
Im Streitfall hat die Klägerin keine konkreten Anhaltspunkte dafür vorgetragen, daß nur die schriftlich festgehaltene und ihrem Prozeßbevollmächtigten erst am 24. November 1992 schriftlich mitgeteilte Urteilsformel von dem vollbesetzten Senat (§ 103 FGO) beraten worden sei, während die Berufsrichter die erst später abgesetzten Urteilsgründe allein beraten und beschlossen hätten. Ihre diesbezügliche Vermutung stützt die Klägerin im wesentlichen darauf, daß ihrem Prozeßbevollmächtigten zwar die Urteilsformel schriftlich mitgeteilt worden sei, ihm aber fernmündlich gesagt worden sei, die Gründe seien noch nicht abgefaßt. Aus diesen Tatsachen hat sie gefolgert, daß die Gründe erst später, und zwar nur von den drei Berufsrichtern beschlossen worden seien, und Beweis durch Zeugnis der Mitglieder des vollbesetzten Senats angetreten. Die Vermutung ist abwegig. Wie bei anderen Gerichten sind auch beim FG die Laienrichter an der Abfassung der Urteilsgründe nicht beteiligt. Die Berufsrichter folgen dabei dem in der Beratung festgelegten Ergebnis, selbst wenn noch einzelne Berechnungen erforderlich sein sollten.
Der von der Klägerin beanstandete Urteils tenor ist eindeutig. Auch ist aus der FG- Akte ersichtlich, daß die Urteilsgründe am 24. November 1992 nachgereicht worden sind. Die nachträgliche Niederlegung der Urteilsgründe ist im Fall der Zustellung entsprechend § 105 Abs. 4 Satz 3 FGO zulässig, wenn die zeitnahe Abfassung innerhalb der Zweiwochenfrist des § 104 Abs. 2 FGO ausnahmsweise nicht möglich war. Die Regelung des § 105 Abs. 4 Satz 2 FGO ist im Fall der Zustellung des Urteils entsprechend anwendbar (vgl. BFH-Urteile vom 22. Februar 1980 VI R 132/79, BFHE 130, 126, BStBl II 1980, 398; vom 10. November 1987 VII R 47/87, BFHE 151, 328, BStBl II 1988, 283, und vom 3. Juni 1992 II R 112/89, BFH/NV 1993, 35 m. w. N. sowie Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 104 FGO Anm. 9). Die kurze Überschreitung der Frist des § 105 Abs. 4 FGO ist jedoch kein Verfahrensmangel i. S. des § 116 Abs. 1 FGO (BFH-Beschluß vom 19. Juni 1990 VII R 67/88, BFH/NV 1990, 791).
b) Es kann dahingestellt bleiben, ob der geltend gemachte Verfahrensmangel, das angefochtene FG-Urteil sei ein Schein- oder Nichturteil, wie die Klägerin meint, ein wesentlicher Verfahrensmangel i. S. des § 116 Abs. 1 FGO sein könnte. Dagegen spricht, daß derartige Urteile keine Wirksamkeit entfalten. Jedenfalls hat die Klägerin für einen solchen Mangel nichts schlüssig vorgetragen. Das FG hat die Gewinnfeststellungsbescheide 1978 bis 1982 teilweise aufgehoben und die Gewinne mit der Maßgabe der Urteilsgründe selbst fest gesetzt und dem FA die Berechnung der Gewinne (nach Art. 3 § 4 VGFGEntlG) übertragen. Dieser Urteilstenor ist weder unverständlich noch widerspruchsvoll. Zur Auslegung des Urteilstenors ist der übrige Urteilsinhalt heranzuziehen, also auch der Tatbestand, die Anträge und die Entscheidungsgründe (vgl. BFH-Urteil vom 17. November 1992 VIII R 35/91, BFH/NV 1993, 316). Das FG hat die nicht anerkannten Betriebsausgaben genau beziffert und auf die noch zu ermittelnde anteilige Gewerbesteuer-Rückstellung ausdrücklich hingewiesen.
Der Gesetzgeber hatte diese Verfahrensweise selbst in Art. 3 § 4 VGFGEntlG als vorübergehende Entlastung der Gerichte so vorgesehen und diese Möglichkeit nunmehr als dauernde Einrichtung in § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO geregelt (vgl. zu Art. 3 § 4 VGFGEntlG z. B. BFH-Urteile vom 6. März 1990 II R 63/87, BFHE 159, 555, BStBl II 1990, 504, und vom 21. Juli 1983 IV R 194/81, BFHE 139, 119, BStBl II 1983, 776).
Ob das FG die Klägerin auf die beabsichtigte Anwendung der Vorschrift hinweisen müßte, kann dahinstehen. Jedenfalls würde das Unterlassen keinen Mangel i. S. von § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO begründen. Warum gegen § 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO verstoßen worden sein soll, ist nicht ersichtlich; das FG hat eine mündliche Verhandlung durchgeführt, in der die Klägerin vertreten war.
Fundstellen
Haufe-Index 419792 |
BFH/NV 1995, 56 |