Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiedereinsetzung, Anforderungen an eine hinreichende Fristenkontrolle
Leitsatz (NV)
1. Eine wirksame Fristenkontrolle ist nicht möglich, wenn statt des endgültigen Ablaufs der Rechtsmittelfristen lediglich Wiedervorlagefristen notiert werden.
2. Die Eintragungen im Postausgangsbuch müssen so umfangreich sein, daß nachvollzogen werden kann, welches bestimmte Rechtsmittel die Kanzlei des Prozeßbevollmächtigten verlassen hat. Der Vermerk allein der Art des Rechtsmittels, ohne zusätzliche Angabe des Rechtsmittelführers genügt nicht.
Normenkette
FGO § 56 Abs. 1
Tatbestand
Der erkennende Senat hatte mit Beschluß vom 24. August 1988 die Revision gegen das klageabweisende Urteil des Finanzgerichts (FG) zugelassen. Die Entscheidung wurde dem Prozeßbevollmächtigten der Kläger und Revisionskläger (Kläger) am 8. September 1988 zugestellt.
Am 8. November 1988 gingen beim FG eine mit dem Datum vom 26. September 1988 versehene Revisionsschrift sowie die Revisionsbegründung vom 7. November 1988 ein. Gleichzeitig beantragten die Kläger wegen der Versäumung der Revisionsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
Ihr Prozeßbevollmächtigter hat dazu Kopien einzelner Seiten seines (Porto-)Postausgangs- und seines Fristenkontrollbuches vorgelegt und im wesentlichen ausgeführt: Er habe die Revisionsschrift bereits am 26. September 1988 unterzeichnet. Am selben Tage seien außerdem die Kläger aufgefordert worden, Prozeßvollmacht zu erteilen. Seine Sekretärin habe den Auftrag gehabt, die Vollmachtsurkunden nach Erhalt an das FG nachzusenden. Im Fristenkontrollbuch sei dementsprechend auch die Wiedervorlage am 29. 9. mit dem Vermerk ,,erledigt" versehen. Gleichwohl sei die Revisionsschrift aber nicht abgesandt worden, sondern in der Rechtsbehelfsakte liegengeblieben. Dies sei erst am 7. November 1988 bei Wiedervorlage der Akte zur Fertigung der Revisionsbegründung entdeckt worden. Die Frist sei demnach versäumt worden, obwohl ein Fristenkontrollbuch und ein Portobuch geführt worden seien. Im Portobuch sei auch der Ausgang des die Revisionsschrift enthaltenden Briefes (am 26. September 1988) festgehalten. Die Sekretärin führe das Fristenkontrollbuch seit Jahren stets zuverlässig.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht zulässig.
Die Kläger haben das Rechtsmittel nicht fristgemäß eingelegt. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann nicht gewährt werden.
1. Die Einlegungsfrist endete - angesichts der Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Revision am 8. September 1988 - mit Ablauf des 10. Oktober 1988 (§ 120 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -; § 54 FGO i. V. m. § 222 Abs. 1 und 2 der Zivilprozeßordnung - ZPO - und §§ 187 Abs. 1 und 188 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -). Die Revisionsschrift ging mithin am 8. November 1988 verspätet ein.
2. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann nicht gewährt werden, da der Prozeßbevollmächtigte der Kläger jedenfalls nicht glaubhaft machen konnte, er habe die Revisionsfrist ohne Verschulden versäumt, und die Kläger sich dies zurechnen lassen müssen (§ 56 Abs. 1 und 2 FGO; § 155 FGO i. V. m. § 85 Abs. 2 ZPO).
Für ein Verschulden des Prozeßbevollmächtigten spricht schon, daß bei seiner Büroorganisation im hier maßgebenden Zeitraum keine zuverlässige Fristenkontrolle gewährleistet war.
a) Nach seinen eigenen Ausführungen, die auch durch die eingereichten Kopien des Fristenkontrollbuches belegt werden, hatte der Prozeßbevollmächtigte der Kläger allenfalls eine Wiedervorlagefrist (29. September 1988) notiert. Der Ablauf der Rechtsmittelfrist selbst (am 10. Oktober 1988) war nicht vermerkt. Auf diese Weise war aber aus dem Fristenkontrollbuch nicht ersichtlich, wann die endgültige Frist ablief und ob die Rechtsmittelschrift rechtzeitig abgesandt wurde; bereits dies macht die Büroorganisation mangelhaft (so die ständige Rechtsprechung; siehe insbesondere Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 11. November 1972 VIII R 8/67, BFHE 107, 486, BStBl II 1973, 169).
Im Streitfall kommt hinzu, daß nicht ersichtlich ist, welchen Vorgang die Wiedervorlage am 29. September 1988 genau betraf; es war insoweit lediglich der Familienname der Kläger eingetragen. Nach den Ausführungen im Wiedereinsetzungsgesuch spricht sogar vieles dafür, daß es sich dabei lediglich um die Anforderung der Prozeßvollmachten oder deren Eingang handelte.
b) Schließlich ist aufgrund der insgesamt gemachten Eintragungen auch keine wirksame Ausgangskontrolle möglich. Im Porto-(Postausgangs)buch ist unter dem 26. September 1988 zwar u. a. eine Briefsendung an das . . . FG vermerkt. In der dazu gehörigen Spalte ,,Bemerkungen" ist jedoch nur das Wort ,,Revision" eingetragen. Es fehlt jeglicher Hinweis darauf, daß es sich dabei um die Revision der Kläger gehandelt hat. Bei dieser Vorgehensweise kann nicht nachvollzogen werden, welches bestimmte Rechtsmittel die Kanzlei des Prozeßbevollmächtigten der Kläger verlassen hat (siehe hierzu den Beschluß des BFH vom 18. Januar 1984 I R 196/83, BFHE 140, 146, BStBl II 1984, 441).
c) Es spricht viel dafür, daß die genannten Organisationsmängel auch ursächlich für die Fristversäumung waren. Wäre der Ablauf der Revisionsfrist im Fristenkontrollbuch ordnungsgemäß notiert gewesen, hätte spätestens am 10. Oktober - und nicht erst am 7. November - 1988 auffallen müssen, daß die Revisionsschrift noch in den Kanzleiakten lag. Denn aus dem Erledigungsvermerk bei der für den 29. September 1988 notierten, jedoch mit keinem Betreff versehenen Wiedervorlage konnte nicht auf eine bereits erfolgte Absendung der Rechtsmittelschrift der Kläger geschlossen werden. Gleiches gilt für den Eintrag im Portobuch unter dem 26. September 1988.
3. Jedenfalls führen die vorhandenen Organisationsmängel im Streitfall aber dazu, daß nicht lückenlos nachvollziehbar ist, ob der Sachvortrag des Prozeßbevollmächtigten der Kläger im einzelnen zutreffend ist. Es fehlt mithin an der erforderlichen Glaubhaftmachung der vorgetragenen Tatsachen (§ 56 Abs. 2 Satz 2 FGO).
4. Nach alledem war die Revision als unzulässig zu verwerfen (§§ 124, 126 Abs. 1 FGO).
Fundstellen
Haufe-Index 416550 |
BFH/NV 1990, 248 |