Entscheidungsstichwort (Thema)
Richterablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit
Leitsatz (NV)
Die Äußerung unrichtiger Rechtsansichten und Verfahrensverstöße sind grundsätzlich kein Grund für die Ablehnung wegen Befangenheit.
Normenkette
FGO § 51
Tatbestand
Die Kläger sind zur Einkommensteuer zusammen veranlagte Eheleute. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ist als Facharzt selbständig tätig. Bei der Einkommensteuerveranlagung für das Streitjahr machten die Kläger Beträge als Betriebsausgaben geltend, die dem Kläger für Beratungsleistungen in Rechnung gestellt worden waren. Demgegenüber vertrat der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) im Anschluß an eine Außenprüfung die Auffassung, die Beträge stellten Vermittlungsgebühren für die Beiträge zu einer Bauherrengemeinschaft Y dar und gehörten zu den Anschaffungskosten der Beteiligung.
Mit der Klage beantragten die Kläger, die streitigen Beträge als Betriebsausgaben anzuerkennen.
Der Vorsitzende Richter am Finanzgericht (FG) A hat mit der Ladung der Beteiligten vom 27. September 1988 zur mündlichen Verhandlung am 30. November 1988 in einem für das FA bestimmten Zusatz ausgeführt, nach Darstellung des FA in der Einspruchsentscheidung hätten weitere Steuerpflichtige, die sich an der Bauherrengemeinschaft Y beteiligt hätten, gleiche Beraterrechnungen wie der Kläger erhalten. Er bitte, dies konkret zu belegen. In einem weiteren Zusatz für den Prozeßbevollmächtigten der Kläger wurde dieser aufgefordert, möglichst bald einen von ihm erwähnten ,,Beratungsordner" einzureichen.
Die genannten Zusätze wurden nur dem jeweils Betroffenen mitgeteilt. Dies entsprach der Übung des Senats beim FG. Danach werden die mit einer Ladung verbundenen Auflagen nur denjenigen Beteiligten bekanntgegeben, für die sie bestimmt sind. Nach Eingang der angeforderten Schriftsätze und Anlagen werden diese dann dem jeweils anderen Beteiligten zur Kenntnis gegeben.
Im Streitfall versäumte es der dafür zuständige Berichterstatter B allerdings, den Klägern die vom FA eingereichten Unterlagen zur Kenntnis zu bringen. Nachdem der Vorsitzende diese Unterlagen in der mündlichen Verhandlung vom 30. November 1988 bei Erörterung der Sach- und Rechtslage in das Verfahren eingeführt hatte, lehnte der Kläger die an der Sitzung teilnehmenden Berufsrichter wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Zur Begründung führte er aus, er habe weder von der Auflage an das FA in der Ladungsverfügung noch von den daraufhin vorgelegten Unterlagen etwas erfahren. Das FG hat daraufhin die Verhandlung vertagt. In dienstlichen Äußerungen erklärten die abgelehnten Richter, sie hielten sich nicht für befangen. Die Übersendung der vom FA eingereichten Unterlagen sei versehentlich unterblieben. Der Senat habe dies in der mündlichen Verhandlung bedauert, die Unterlagen überreicht sowie eine Vertagung vorgeschlagen.
Dieser Darstellung der abgelehnten Richter folgend, hat das FG - ohne deren Mitwirkung - das Ablehnungsgesuch zurückgewiesen. Das Ablehnungsgesuch gegen den Richter C hatte der Kläger zwischenzeitlich zurückgenommen.
Gegen den Beschluß des FG richtet sich die Beschwerde.
Entscheidungsgründe
Der Senat geht davon aus, daß nur der Kläger, nicht auch seine Ehefrau, die Klägerin, Beschwerde eingelegt hat. Das Ablehnungsgesuch hat lediglich der Kläger gestellt. In der Beschwerdeschrift ist darauf Bezug genommen und auch im übrigen nur vom ,,Kläger" bzw. ,,Beschwerdeführer" die Rede. Die Ehefrau ist in diesem Zusammenhang nicht erwähnt. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Bezugnahme auf das - von den Eheleuten gemeinsam geführte - Klageverfahren. Im Rahmen dieses Verfahrens wurde das Ablehnungsgesuch gestellt. Die Kläger sind als sog. einfache Streitgenossen anzusehen (vgl. Gräber / Koch, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 59 Anm. 6). Damit konnte jeder Ehegatte Anträge selbständig (nur mit Wirkung für sich) stellen (§ 59 der Finanzgerichtsordnung - FGO - i. V. m. § 62 der Zivilprozeßordnung - ZPO -).
Die Beschwerde, der das FG nicht abgeholfen hat, ist nicht begründet.
Eine Richterablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit findet nur statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen (§ 51 Abs. 1 Satz 1 FGO i. V. m. § 42 Abs. 2 ZPO). Gründe für ein solches Mißtrauen sind gegeben, wenn ein Beteiligter von seinem Standpunkt aus bei vernünftiger, objektiver Betrachtung davon ausgehen kann, daß der Richter nicht unvoreingenommen entscheiden werde. Hierbei kommt es nicht darauf an, ob die Entscheidung wirklich von Voreingenommenheit beeinflußt ausfiele (Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 21. September 1977 I B 32/77, BFHE 123, 305, BStBl II 1978, 12, m. w. N.). Ausschlaggebend ist vielmehr, ob der Beteiligte, der das Ablehnungsgesuch angebracht hat, von seinem Standpunkt aus bei Anlegung des angeführten objektiven Maßstabes Anlaß hat, Voreingenommenheit zu befürchten. Ein Ablehnungsgesuch wegen Besorgnis der Befangenheit kann grundsätzlich nicht erfolgreich auf das Vorbringen gestützt werden, daß einem Richter Fehler unterlaufen seien. Das Rechtsinstitut der Richterablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit soll die Beteiligten nicht vor Fehlern des Richters schützen. Insoweit stehen den Beteiligten die allgemeinen Rechtsbehelfe zur Verfügung. Die vom Gesetzgeber vorgesehene Möglichkeit, einen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, hat vielmehr allein den Zweck, die Beteiligten davor zu bewahren, daß an der Entscheidung der sie betreffenden Streitsache ein Richter mitwirkt, demgegenüber die Besorgnis begründet ist, daß er ihnen mit Voreingenommenheit begegne (BFH-Beschluß vom 14. Januar 1971 V B 67/69, BFHE 101, 207, BStBl II 1971, 243).
Aus den dargestellten Gründen hat der BFH mehrfach die Äußerung unrichtiger Rechtsansichten durch einen Richter grundsätzlich nicht als Grund für eine Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit gelten lassen (BFH-Beschlüsse vom 4. Juli 1985 V B 3/85, BFHE 144, 144, BStBl II 1985, 555; vom 14. Juni 1985 V B 81/84, BFH / NV 1986, 162, und vom 28. Januar 1986 VII S 12/85, BFH / NV 1986, 615). Auch Verfahrensverstöße können in dieser Hinsicht nicht anders gewertet werden (vgl. zuletzt BFH-Beschluß vom 21. Oktober 1987 II B 125/87, BFH / NV 1989, 170). Vielmehr kann insoweit sogar davon ausgegangen werden, daß gerade der in Wirklichkeit parteiische Richter um ein äußerlich einwandfreies Verfahren bemüht sein wird (Zöller, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 15. Aufl., § 42 Anm. 28).
Im Streitfall hat der Vorsitzende zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung dem FA aufgegeben, die von ihm in der Einspruchsentscheidung in Bezug genommenen Belege beizubringen (§ 79 FGO i. V. m. § 273 Abs. 2 Ziff. 1 ZPO). Dabei ist aber rechtsfehlerhaft versäumt worden, die Kläger - wie erforderlich (§ 79 FGO i. V. m. § 273 Abs. 4 Satz 1 ZPO) - hiervon (ggf., wie beim FG üblich, mit Zusendung der eingereichten Unterlagen) zu benachrichtigen. Es liege indes kein Anhalt dafür vor, daß den beteiligten Richtern nicht bloß ein Versehen unterlaufen wäre, vor dem kein Richter sicher ist. Selbst wenn die angeforderten Unterlagen - wie die Kläger geltend machen - den Standpunkt des FA nicht stützen sollten, rechtfertigt dies keine andere Beurteilung. Das FG hat die vom FA eingereichten Unterlagen den Klägern offensichtlich nicht vorenthalten wollen. Nach deren Übergabe in der mündlichen Verhandlung war es bemüht, den unterlaufenen Verfahrensfehler zu beseitigen. Infolge der Vertagung der mündlichen Verhandlung ist den Klägern - wie bei rechtzeitiger Mitteilung der Anordnung (§ 273 Abs. 4 ZPO) und Übersendung der Unterlagen - nunmehr Gelegenheit gegeben, sich mit den eingereichten Unterlagen zu befassen, um in der mündlichen Verhandlung dazu Stellung nehmen zu können.
Fundstellen
Haufe-Index 416603 |
BFH/NV 1990, 308 |