Entscheidungsstichwort (Thema)
Bindungswirkung eines geänderten Grundlagenbescheides
Leitsatz (NV)
Hat das FA einen festgestellten Verlustanteil aus der Beteiligung an einer Schifffahrtsgesellschaft fälschlich nicht bei der Ermittlung (Saldierung) der nach § 34c Abs. 4 EStG 1991 tarifbegünstigten Einkünfte berücksichtigt, kann die Saldierung im Rahmen einer Änderung des Einkommensteuerbescheids nachgeholt werden, die aufgrund einer Änderung des Feststellungsbescheids betreffend die Höhe des Verlustanteils erforderlich geworden ist.
Normenkette
EStG 1991 § 34c Abs. 4; AO § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 182 Abs. 1
Verfahrensgang
FG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 12.12.2007; Aktenzeichen 8 K 9137/06 B) |
Tatbestand
I. Streitpunkt ist der Umfang der Bindungswirkung eines geänderten Grundlagenbescheids.
Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) war im Streitjahr (1995) an den Schifffahrtsgesellschaften MS X und MS Y beteiligt. Das jeweils zuständige Feststellungsfinanzamt stellte für die Beteiligung an der MS X einheitlich und gesondert einen Gewinnanteil des Klägers in Höhe von 18 150 DM --davon 14 520,42 DM begünstigte ausländische Einkünfte i.S. von § 34c Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG 1991)-- und für die Beteiligung an der MS Y einen Verlustanteil des Klägers von 112 500 DM (davon 89 999,99 DM Einkünfte i.S. des § 34c Abs. 4 EStG 1991) fest. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) berücksichtigte zunächst bei der Festsetzung der Einkommensteuer des Streitjahres eine Steuersatzermäßigung nach § 34c Abs. 4 EStG 1991 auf Einkünfte in Höhe von 14 520,42 DM; eine Saldierung dieses Betrages mit den festgestellten negativen Einkünften i.S. des § 34c Abs. 4 EStG 1991 aus der Beteiligung an der MS Y unterblieb.
Nach Bestandskraft dieser Einkommensteuerfestsetzung änderte das für die Beteiligung an der MS Y zuständige Finanzamt den Bescheid über die einheitliche und gesonderte Feststellung des Gewinns aus dieser Beteiligung dahin, dass der Verlustanteil des Klägers um 16 196 DM auf nunmehr 96 304 DM --davon 77 043,12 DM Einkünfte i.S. des § 34c Abs. 4 EStG 1991-- reduziert wurde. Das FA erließ daraufhin einen geänderten Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr, in welchem die negativen Einkünfte aus Gewerbebetrieb um 16 196 DM reduziert wurden; außerdem saldierte das FA jetzt die nach § 34c Abs. 4 EStG 1991 begünstigten Gewinne aus der Beteiligung an der MS X (14 520 DM) mit den gleichartigen negativen Einkünften aus der Beteiligung an der MS Y (77 043,12 DM). Wegen der sonach per Saldo negativen Einkünfte nach § 34c Abs. 4 EStG 1991 nahm das FA eine Steuersatzermäßigung nach dieser Vorschrift nicht mehr vor. Die dagegen gerichtete Klage hat das Finanzgericht (FG) Berlin-Brandenburg mit Urteil vom 12. Dezember 2007 8 K 9137/06 B abgewiesen.
Der Kläger beantragt die Zulassung der Revision gegen das FG-Urteil und stützt sein Begehren auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache.
Das FA beantragt, die Nichtzulassungsbeschwerde zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen. Der Rechtssache kommt keine grundsätzliche Bedeutung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zu; die entscheidungserheblichen Streitfragen sind durch die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) hinreichend geklärt.
1. Gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) ist ein Steuerbescheid zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern, soweit ein Grundlagenbescheid, dem Bindungswirkung für diesen Steuerbescheid zukommt, aufgehoben oder geändert wird. Diese Bindungswirkung (vgl. § 171 Abs. 10, § 182 Abs. 1 AO) verpflichtet das für den Erlass eines Folgebescheids zuständige Finanzamt, die Folgerungen aus dem Grundlagenbescheid zu ziehen. Sie beschränkt sich mithin nicht auf die bloße mechanische Übernahme von Zahlen, sondern fordert, dass der Folgebescheid zutreffend und vollständig an den Regelungsinhalt angepasst wird. Diese Grundsätze gelten auch, wenn ein zunächst nicht oder fehlerhaft ausgewerteter Grundlagenbescheid später geändert wird und das FA aus dem Änderungsbescheid die gebotenen Konsequenzen zieht (BFH-Urteile vom 14. April 1988 IV R 219/85, BFHE 153, 285, BStBl II 1988, 711; vom 29. Juni 2005 X R 31/04, BFH/NV 2005, 1749, m.w.N.). Die Aufgabe, den Folgebescheid an den Grundlagenbescheid anzupassen, rechtfertigt allerdings keine Wiederaufrollung der gesamten Steuerveranlagung; sie reicht nur so weit, wie es die Bindungswirkung des Grundlagenbescheids verlangt (BFH-Urteil vom 25. Juni 1991 IX R 57/88, BFHE 164, 502, BStBl II 1991, 821). Der Erlass, die Änderung oder die Aufhebung eines Grundlagenbescheids darf deshalb nicht zum Anlass genommen werden, für den Folgebescheid bedeutsame Besteuerungsgrundlagen zu ändern, wegzulassen oder erstmals aufzunehmen, die weder Gegenstand des Grundlagenbescheids sind noch durch seinen Regelungsinhalt beeinflusst werden (BFH-Beschluss vom 27. Mai 1998 IV B 151/97, BFH/NV 1998, 1452).
2. Der Streitfall lässt sich, wie das FG zutreffend angenommen hat, nach diesen Maßstäben beurteilen: Im ersten Folgebescheid hat das FA den ursprünglichen Grundlagenbescheid betreffend die Verlustanteile des Klägers an der MS Y fehlerhaft ausgewertet, indem es den festgestellten Verlustanteil zwar einkommensmindernd berücksichtigt, es jedoch versäumt hat, ihn auch bei der Ermittlung (Saldierung) der nach § 34c Abs. 4 EStG 1991 tarifbegünstigten Einkünfte einzubeziehen. Diese Berücksichtigung des Verlustanteils bei der Ermittlung der tarifbegünstigten Einkommensteile durfte und musste das FG nach der Änderung des Grundlagenbescheids gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO nachholen, um diesen geänderten Bescheid nunmehr vollständig auszuwerten. Da der saldierte Betrag der nach § 34c Abs. 4 EStG tarifbegünstigten Einkommensteile von dem im Grundlagenbescheid festgestellten Verlustanteil der Beteiligung an der MS Y beeinflusst wird, wird eine Änderung des Verlustanteils auch insoweit von der Bindungswirkung des Grundlagenbescheids umfasst; die Änderung des Folgebescheids überschreitet demzufolge nicht die durch § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO gesetzten Grenzen.
Entgegen der Sicht des Klägers bedarf es im Streitfall nicht deshalb einer Neudefinition dieser Grenzen, weil die Änderung des nur die Einkunftsquelle MS Y betreffenden Grundlagenbescheids über die Änderung des Folgebescheids dazu geführt hat, dass die ursprünglich gewährte Tarifbegünstigung für die unverändert gebliebene Einkunftsquelle MS X in Wegfall geraten ist. Denn der geänderte Folgebescheid des FA berücksichtigt weiterhin ungeschmälert den festgestellten Gewinnanteil des Klägers aus der Beteiligung an der MS X und dessen Tarifbegünstigung nach § 34c Abs. 4 EStG 1991. Dieser tarifbegünstigte Gewinn wirkt sich nur deshalb im Ergebnis nicht mehr steuermindernd aus, weil er der Höhe nach von dem jetzt auch berücksichtigten Verlust aus der Beteiligung an der MS Y übertroffen wird, so dass nach Saldierung kein begünstigungsfähiges positives Einkommen nach § 34c Abs. 4 EStG 1991 mehr verbleibt. Für die Befürchtung des Klägers, nach den Maßstäben des FG-Urteils führe jede Änderung eines Grundlagenbescheids in Bezug auf den Folgebescheid zu einer "totalen Neuveranlagung", besteht demnach kein Anlass.
Fundstellen
Haufe-Index 2083429 |
BFH/NV 2009, 117 |