Entscheidungsstichwort (Thema)
NZB: Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung bei auslaufendem Recht; Zulässigkeit eines Richterwechsels; Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung unanfechtbar; Entscheidungserheblichkeit vom FG nicht berücksichtigter Aktenteile
Leitsatz (NV)
1. Um die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache hinreichend darzulegen, muss in der Beschwerdebegründung unter Auseinandersetzung mit den zur aufgeworfenen Rechtsfrage in Rechtsprechung und Schrifttum vertretenen Auffassungen dargetan werden, weshalb die für bedeutsam gehaltene Rechtsfrage im Allgemeininteresse klärungsbedürftig und im Streitfall klärbar ist. Handelt es sich um auslaufendes oder ausgelaufenes Recht, muss der Beschwerdeführer zudem besondere Gründe geltend machen, die ausnahmsweise eine Abweichung von der Regel rechtfertigen, wonach Rechtsfragen, die solches Recht betreffen, regelmäßig keine grundsätzliche Bedeutung mehr zukommt.
2. Ein Wechsel auf der Richterbank ist zulässig, wenn es nicht um die bloße Fortsetzung einer lediglich unterbrochenen, sich über mehrere Tage hinziehenden mündlichen Verhandlung geht.
3. Die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung gehört zu den nicht mit der Beschwerde anfechtbaren prozessleitenden Verfügungen und kann daher nicht zur Zulassung der Revision führen.
4. Die Entscheidungserheblichkeit vom FG nicht berücksichtigter Aktenteile ist auf der Grundlage der materiell-rechtlichen Auffassung des FG zu beurteilen.
Normenkette
FGO §§ 76, 93 Abs. 3 S. 2, § 96 Abs. 1, §§ 103, 115 Abs. 2 Nrn. 1, 3, § 116 Abs. 3 S. 3, § 119 Nr. 1, § 124 Abs. 2, § 128 Abs. 2; ZPO § 295
Verfahrensgang
Sächsisches FG (Urteil vom 27.01.2005; Aktenzeichen 2 K 638/95) |
Tatbestand
I. Der Kläger, Beschwerdegegner und Beschwerdeführer (Kläger) ist Alleinerbe seines im Jahr 1982 verstorbenen Großvaters (G), zu dessen Nachlass eine Briefmarkensammlung gehörte. Der Kläger und seine Mutter (M) sind je zur Hälfte Miterben des ebenfalls 1982 verstorbenen Vaters (V) des Klägers, dessen Nachlass u.a. aus einer Münzsammlung und weiteren Sammlungen bestand.
Aufgrund der Aussagen von B, der als Münzexperte seit vielen Jahren in geschäftlicher Verbindung mit V gestanden hatte, in einem gegen ihn gerichteten Steuerfahndungs- und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren erfuhr die damals zuständige Finanzbehörde der DDR, dass der Kläger die geerbten Nachlassgegenstände in seinen Vermögensteuererklärungen auf den 1. Januar der Jahre 1983 und 1985 nur zum Teil angegeben hatte, und erließ daraufhin einen zusammengefassten geänderten Vermögensteuerbescheid für die Jahre 1983 bis 1985 sowie Vermögensteuerbescheide für die Jahre 1986 bis 1988. Sie nahm dabei an, dass V Alleineigentümer der Münzsammlung gewesen war. Zur Tilgung der Steuerschulden wurden in Abstimmung mit dem Kläger Briefmarken und Münzen aus den Nachlässen verwendet.
Der Beklagte, Beschwerdeführer und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) lehnte den Antrag des Klägers, den zusammengefassten geänderten Vermögensteuerbescheid für die Jahre 1983 bis 1985 sowie die Vermögensteuerbescheide für die Jahre 1986 bis 1988 nach Art. 19 Satz 2 des Einigungsvertrags (EinigVtr) wegen Unvereinbarkeit mit rechtsstaatlichen Grundsätzen aufzuheben, ab und wies den Einspruch als unbegründet zurück. Das Finanzgericht (FG) verpflichtete aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 27. Januar 2005 das FA mit der Vorentscheidung, die Vermögensteuerbescheide für die Jahre 1983 bis 1987 teilweise aufzuheben, und wies die Klage im Übrigen ab. Zur Begründung führte es aus, ein Verwaltungsakt sei regelmäßig nur dann i.S. des Art. 19 Abs. 2 EinigVtr mit rechtsstaatlichen Grundsätzen unvereinbar, wenn der Verstoß gegen die rechtsstaatlichen Prinzipien so schwerwiegend sei, dass ein Bestehenlassen für eine freiheitliche rechtsstaatliche Grundordnung unerträglich wäre, wenn ein besonders grober Verstoß gegen die Idee der materiellen Gerechtigkeit und gegen das Gebot der Achtung der Menschenwürde offensichtlich sei, insbesondere, wenn Willkürmaßnahmen getroffen worden seien oder wenn sachfremde Erwägungen --wie etwa Verfolgung aus politischen und religiösen Gründen oder der Versuch, über steuerliche und strafrechtliche Maßnahmen faktisch eine Enteignung herbeizuführen oder die Steuerpflichtigen in die vorgegebenen wirtschaftlichen und weltanschaulichen Schemen des Sozialismus zu zwingen-- aus der Maßnahme heraus und aus den dem Gericht vorliegenden Tatsachen und Beweisen klar erkennbar seien.
Die Zuordnung und Bewertung der von G stammenden Nachlassgegenstände seien ohne derartige Fehler erfolgt. Ein schwerer materiell-rechtlicher Fehler liege hingegen im Hinblick auf die von V stammende Münzsammlung vor. Nach dem in der DDR seinerzeit geltenden Familienrecht sei diese Sammlung gemeinschaftliches Eigentum der Eltern des Klägers gewesen und somit nur mit dem V zustehenden hälftigen Miteigentumsanteil in den Nachlass gefallen. Diese ausweislich eines Aktenvermerks der zuständigen Steuerfahndungsstelle der DDR bekannte Rechtslage sei bewusst und willkürlich außer Acht gelassen worden, um "das Vermögen und die Kunstgegenstände des Klägers und seiner Angehörigen über die Besteuerung einzuziehen" und zur Devisenbeschaffung verwerten zu können. Die Vermögensteuerbescheide seien insoweit mit dem vom FA nicht entkräfteten Anschein behaftet, dass sie nicht der Besteuerung des Klägers, sondern dessen Enteignung zu dienen bestimmt gewesen seien. Im Übrigen lägen hinsichtlich der von V stammenden Vermögensgegenstände keine Verstöße gegen rechtsstaatliche Grundsätze i.S. des Art. 19 Satz 2 EinigVtr vor. Der Kläger und M seien durch die Staatsanwaltschaft und die Steuerfahndungsstelle umfassend, gründlich und auf die Sache ausgerichtet vernommen worden. Dass Stellen des Ministeriums für Staatssicherheit das Besteuerungsverfahren initiiert oder geleitet hätten, könne nicht mit letzter Sicherheit festgestellt werden. Die Angaben von B seien nur Anlass für die Einleitung eines steuerlichen Ermittlungsverfahrens gegen den Kläger gewesen. Hinreichende Anzeichen für ein Tätigwerden von B für den Staatssicherheitsdienst seien nicht ersichtlich. B sei seit Jahrzehnten ein guter Bekannter von V gewesen und nicht mit dem Ausspionieren der Familie des Klägers beauftragt worden. Das Steuerfahndungs- und strafrechtliche Ermittlungsverfahren gegen B sei nicht nur zum Schein durchgeführt worden, sondern habe zu dessen Verurteilung zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe geführt. Anhaltspunkte für Schwierigkeiten des Klägers oder seiner Familie mit dem Staat oder der SED seien nicht ersichtlich und vom Kläger auch nicht behauptet worden.
Mit der Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision macht das FA eine Abweichung der Vorentscheidung von näher bezeichneten Entscheidungen des Bundesfinanzhofs (BFH) sowie eine Verletzung des § 96 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) als Verfahrensmangel geltend. Der Kläger stützt seine Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision auf grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, Divergenz zur Rechtsprechung des BFH und Verfahrensfehler.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde des Klägers ist unbegründet. Die Beschwerde des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 116 Abs. 6 FGO).
1. Werden wie im vorliegenden Fall beide Beteiligte durch ein Urteil des FG beschwert, so dürfen beide im Rahmen ihrer Beschwer Beschwerde wegen der Nichtzulassung der Revision einlegen, soweit sie geltend machen, dass in diesem Rahmen die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO vorliegen. Jede Beschwerde ist gesondert auf ihre Zulässigkeit und ihre Begründetheit hin zu überprüfen (BFH-Beschluss vom 2. September 1987 II B 103/87, BFHE 130, 445, BStBl II 1987, 785).
2. Die Beschwerde des Klägers ist unbegründet, soweit sie überhaupt den Begründungsanforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO entspricht.
a) Der Kläger macht zu Unrecht geltend, das FG sei nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen (§ 119 Nr. 1 FGO). Wie in § 103 FGO vorgesehen, wurde das Urteil von den Richtern und ehrenamtlichen Richtern gefällt, die an der dem Urteil zugrunde liegenden mündlichen Verhandlung vom 27. Januar 2005 teilgenommen haben. Auf die Senatsbesetzung bei den vorangegangenen mündlichen Verhandlungen am 28. Oktober 1999 und 3. Juni 2004 kommt es nicht an. Ein Wechsel auf der Richterbank war zulässig, weil es nicht um die bloße Fortsetzung einer lediglich unterbrochenen, sich über mehrere Tage hinziehenden mündlichen Verhandlung ging (vgl. BFH-Beschlüsse vom 1. Oktober 1998 VII R 1/98, BFH/NV 1999, 933, und vom 22. Oktober 2003 I B 39/03, BFH/NV 2004, 350, je m.w.N.).
b) Die vom Kläger gerügte Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung (§ 93 Abs. 3 Satz 2 FGO) sowie deren Form unterliegt nach § 124 Abs. 2 FGO nicht der Beurteilung der Revision und kann daher auch keinen Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO begründen, da sie zu den prozessleitenden Verfügungen gehört, die gemäß § 128 Abs. 2 FGO nicht mit der Beschwerde anfechtbar sind (BFH-Beschlüsse vom 15. Dezember 1982 I B 41/82, BFHE 137, 224, BStBl II 1983, 230, und vom 17. Juni 1993 VIII B 111/92, BFH/NV 1994, 380). Die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung kann anders als ihre Ablehnung auch keinen Verstoß gegen andere Verfahrensvorschriften, wie etwa die Pflicht zur Sachaufklärung (§ 76 FGO), begründen. Davon abgesehen hat der Kläger in der Sitzung vom 27. Januar 2005 die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung und deren Form ausweislich der Sitzungsniederschrift nicht gerügt und daher nach § 155 FGO i.V.m. § 295 der Zivilprozessordnung (ZPO) insoweit das Rügerecht verloren.
c) Nach Auffassung des Klägers kommt der Frage, ob Art. 19 Satz 2 EinigVtr eine Verpflichtung des FA zur teilweisen Aufhebung eines Steuerbescheids zulässt oder bei einem relevanten Verstoß gegen rechtsstaatliche Grundsätze stets die Aufhebung des gesamten Steuerbescheids geboten ist, grundsätzliche Bedeutung zu (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO). Die Ausführungen des Klägers dazu genügen nicht den Begründungsanforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO.
aa) Um die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache hinreichend darzulegen, muss in der Beschwerdebegründung ebenso wie zur Darlegung des Erfordernisses einer Entscheidung des BFH zur Fortbildung des Rechts schlüssig und substantiiert unter Auseinandersetzung mit den zur aufgeworfenen Rechtsfrage in Rechtsprechung und Schrifttum vertretenen Auffassungen dargetan werden, weshalb die für bedeutsam gehaltene Rechtsfrage im Allgemeininteresse klärungsbedürftig und im Streitfall klärbar ist (ständige Rechtsprechung des BFH, vgl. z.B. Beschlüsse vom 1. September 2004 II B 156/03, BFH/NV 2005, 71, und vom 4. August 2005 II B 145/04, BFH/NV 2005, 2054). Handelt es sich um auslaufendes oder ausgelaufenes Recht, muss der Beschwerdeführer zudem besondere Gründe geltend machen, die ausnahmsweise eine Abweichung von der Regel rechtfertigen, wonach Rechtsfragen, die solches Recht betreffen, regelmäßig keine grundsätzliche Bedeutung mehr zukommt (BFH-Beschlüsse vom 21. November 2003 III B 67/03, BFH/NV 2004, 336, und vom 31. Januar 2005 III B 87/04, BFH/NV 2005, 906).
bb) Derartige Ausführungen des Klägers zur Klärungsbedürftigkeit der von ihm aufgeworfenen Rechtsfrage fehlen. Der Kläger macht nicht substantiiert geltend, dass sich die Frage, die nur mehr als 14 Jahre vor Eingang der Beschwerdeschrift von DDR-Behörden erlassene Verwaltungsakte betrifft, noch in einer größeren Anzahl von Fällen stelle. Er behauptet selbst nicht, dass die Frage in Rechtsprechung oder Literatur umstritten und deshalb eine Klärung der Rechtslage durch den BFH erforderlich sei. Er hat sich auch nicht mit der Rechtsprechung zu Art. 19 EinigVtr, wonach die Bestandskraft von Verwaltungsakten grundsätzlich Vorrang vor einer umfassenden Beachtung des Rechtsstaatsprinzips hat, und dem damit u.a. verfolgten Ziel einer Sicherung des Steueraufkommens (BFH-Urteil vom 25. Januar 1995 X R 146/93, BFHE 177, 317, BStBl II 1995, 686) sowie den möglicherweise daraus zu ziehenden Folgerungen für die von ihm bezeichnete Rechtsfrage befasst. Er hat sich ferner nicht mit der in dieser Entscheidung erörterten Vorschrift des § 1 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über die Aufhebung rechtsstaatswidriger Verwaltungsentscheidungen im Beitrittsgebiet und die daran anknüpfenden Folgeansprüche (Verwaltungsrechtliches Rehabilitierungsgesetz --VwRehaG--) vom 23. Juni 1994 (BGBl I 1994, 1311) auseinander gesetzt. Nach dieser allerdings gemäß § 1 Abs. 1 Satz 2 VwRehaG auf Verwaltungsentscheidungen in Steuersachen nicht anwendbaren Vorschrift sind bestimmte Maßnahmen von Behörden der ehemaligen DDR auf Antrag aufzuheben, "soweit" sie mit tragenden Grundsätzen eines Rechtsstaats schlechthin unvereinbar sind und ihre Folgen noch unmittelbar schwer und unzumutbar fortwirken. Wie die Verwendung des Wortes "soweit" statt des Wortes "wenn" zeigt, ist der Gesetzgeber bei dieser zur Konkretisierung des Art. 19 EinigVtr ergangenen Vorschrift davon ausgegangen, dass Maßnahmen von Behörden der ehemaligen DDR einer lediglich teilweisen Aufhebung unterliegen können, nämlich wenn sie nicht insgesamt mit rechtsstaatlichen Grundsätzen unvereinbar sind.
d) Das FG ist mit seiner Entscheidung entgegen der Ansicht des Klägers nicht vom BFH-Urteil in BFHE 177, 317, BStBl II 1995, 686 abgewichen. Der BFH hat sich in dieser Entscheidung nicht mit der Frage befasst, ob sich aus Art. 19 Satz 2 EinigVtr in Fällen, in denen nur die Berücksichtigung einzelner Besteuerungsgrundlagen mit rechtsstaatlichen Grundsätzen unvereinbar ist, eine Verpflichtung zur entsprechenden lediglich teilweisen Aufhebung von Steuerbescheiden der Behörden der ehemaligen DDR ergeben kann, oder ob auch unter diesen Voraussetzungen eine vollständige Aufhebung geboten ist. Das vom Kläger ferner angeführte BFH-Urteil vom 20. Oktober 1970 II 167/64 (BFHE 100, 56, BStBl II 1970, 826) betraf nicht Art. 19 Satz 2 EinigVtr.
e) Mit der Rüge, das FG habe bei seiner Entscheidung bestimmte näher bezeichnete Aktenteile nicht berücksichtigt, macht der Kläger Verfahrensmängel nicht schlüssig geltend. Er begründet nicht hinreichend, dass eine Beachtung dieser Aktenteile auf der Grundlage der für die Prüfung dieser Rüge maßgebenden materiell-rechtlichen Auffassung des FG zu einer anderen Entscheidung hätte führen können. Den von ihm angeführten Aussagen von B lässt sich nicht entnehmen, dass B dabei aktiv als Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes tätig gewesen sei und nicht lediglich Angaben im Rahmen des gegen ihn gerichteten Steuerfahndungs- und strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens gemacht habe. Der Kläger behauptet zudem selbst nicht, dass die Angaben von B zu seinen Lasten sachlich unrichtig gewesen seien. Aus den von ihm in Bezug genommenen Aktenteilen ist auch nicht ersichtlich, dass der Staatssicherheitsdienst auf das gegen ihn, den Kläger, laufende Verfahren einen sachfremden, nicht auf die Aufdeckung tatsächlich verwirklichter Steuerverkürzungen und deren Korrektur gerichteten Einfluss genommen habe. Das staatliche Ziel, durch eine jedenfalls im Wesentlichen den damals in der DDR geltenden Rechtsvorschriften entsprechende Festsetzung und Erhebung von Steuern letztlich die Möglichkeit zur Beschaffung von Devisen zu erlangen, begründet nach der materiell-rechtlichen Auffassung des FG keinen zur Anwendbarkeit des Art. 19 Satz 2 EinigVtr führenden schweren Verstoß gegen rechtsstaatliche Grundsätze. Zu solchen Steuerfestsetzungen wäre es auch dann gekommen, wenn der Kläger von sich aus zutreffende Steuererklärungen abgegeben hätte.
3. Die Beschwerde des FA ist begründet.
a) Das FA macht als Verfahrensmangel geltend, das FG habe sein Vorbringen im Schriftsatz vom 9. August 2004 nicht berücksichtigt, wonach eine bloße fehlerhafte Zuordnung eines ideellen Miteigentumsanteils an der Münzsammlung bei der Vermögensteuer die Anwendung des Art. 19 Satz 2 EinigVtr nicht begründen könne. Diese Zuordnung habe lediglich zu einer Steuerverschiebung von M auf den Kläger geführt, da der anzuwendende Vermögensteuersatz bei beiden Steuerpflichtigen gleich hoch gewesen sei. Derartige saldierende Rechtsfehler könnten jedenfalls bei der Entscheidung nach Art. 19 Satz 2 EinigVtr unberücksichtigt bleiben.
b) Die Rüge ist begründet. Das FG hat sich in seinem Urteil mit diesem Vortrag des FA nicht auseinander gesetzt und deshalb entgegen § 96 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 FGO nicht aufgrund des Gesamtergebnisses des Verfahrens entschieden (vgl. dazu z.B. von Groll in Gräber, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 96 Rz. 8; Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 96 FGO Rz. 22; Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 96 FGO Tz. 9). Diese Vorschrift verpflichtet das FG, den Inhalt der ihm vorliegenden Akten vollständig und einwandfrei zu berücksichtigen (BFH-Beschluss vom 14. November 2001 II B 29/00, BFH/NV 2002, 512, m.w.N.).
Hierbei handelt es sich um einen Verfahrensmangel, auf dem die Vorentscheidung beruhen kann (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO). Das FG hat nicht geprüft, ob der Vortrag des FA zutrifft und ob ggf. die von ihm herausgearbeiteten Anforderungen des Art. 19 Satz 2 EinigVtr auch dann erfüllt sind, wenn der nach seiner Ansicht zu hohen Festsetzung von Vermögensteuer gegenüber dem Kläger eine entsprechend zu niedrige Steuerfestsetzung gegenüber M gegenübersteht. Es hat bisher keine Feststellungen dazu getroffen, ob und ggf. inwiefern eine bloße unrichtige Verteilung der insgesamt auf der Münzsammlung beruhenden Vermögensteuer auf den Kläger und M das von ihm als für die Verletzung rechtsstaatlicher Grundsätze maßgebend angesehene politische Ziel des Staates, die Möglichkeit zur Verwertung zumindest von Teilen der Sammlungen zu erlangen, gefördert haben könnte.
c) Es erscheint sachgerecht, den Rechtsstreit nach § 116 Abs. 6 FGO zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen, um ihm die Nachholung entsprechender Feststellungen zu ermöglichen. Auf die vom FA geltend gemachten übrigen Gründe für die Zulassung der Revision kommt es danach nicht mehr an.
Fundstellen
Haufe-Index 1468135 |
BFH/NV 2006, 587 |