Entscheidungsstichwort (Thema)
Gerichtliche Beiladung nach § 174 Abs. 5 AO
Leitsatz (NV)
Wird in einem gerichtlichen Verfahren die Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheids beantragt und kann die Möglichkeit nicht von der Hand gewiesen werden, daß bei Aufhebung oder Änderung des Bescheids die richtigen steuerlichen Folgerungen Dritten gegenüber zu ziehen sind, so ist deren Beiladung gemäß § 174 Abs. 5 Satz 2 AO zulässig.
Normenkette
AO § 174 Abs. 5 S. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Kläger und Beschwerdeführer zu 1 (Kläger) üben gemeinsam eine Zahnarztpraxis aus; an ihr war im Streitjahr 1978 noch der Beigeladene Dr. X beteiligt. Die Praxisgemeinschaft schloß im November 1978 mit der Beigeladenen und Beschwerdeführerin zu 2 (Beigeladene) einen Mietvertrag. Der Mietvertrag sollte eine im Haus der Beigeladenen noch zu schaffende Eigentumswohnung betreffen, die zur Untervermietung an eine Praxisangestellte bestimmt war. Die Miete für die rd. 91 qm große Wohnung wurde im Mietvertrag auf 700 DM zuzüglich Nebenkosten festgesetzt. Der Mietvertrag wurde auf 30 Jahre abgeschlossen; die Praxisgemeinschaft leistete vereinbarungsgemäß eine Mietvorauszahlung von 250 000 DM, die sie als Betriebsausgabe behandelte.
Bei der einheitlichen Gewinnfeststellung für die Praxisgemeinschaft ging der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) davon aus, daß es sich bei der Mietvorauszahlung in Wahrheit um ein zinsloses Darlehen handle, da Vereinbarungen, wie im Streitfall getroffen, unter Fremden nicht üblich seien. Er ließ daher die Vorauszahlung nicht als Betriebsausgabe zum Abzug zu und führte dementsprechend die Gewinnfeststellung 1978 endgültig durch.
Hiergegen haben die Kläger Klage zum Finanzgericht (FG) erhoben. Nach den Feststellungen des FG ist die Wohnung im Dezember 1979 bezugsfertig geworden. Die Beigeladene hat für 1978 keine Mieteinnahmen erklärt; für 1979 gab sie aus der Vereinbarung mit der Praxisgemeinschaft Mieteinnahmen von 700 DM sowie ,,Zinseinnahmen" in Höhe von 10 932 DM an.
Das FA hat die Beiladung der Vermieterin gemäß § 174 Abs. 4 und 5 der Abgabenordnung (AO 1977) zum Verfahren beantragt. Das FG hat diesem Antrag stattgegeben, weil die Möglichkeit bestehe, daß die von der Praxisgemeinschaft geleistete Zahlung als Mietvorauszahlung angesehen würde, die dann von der Beigeladenen als Mieteinnahme zu versteuern wäre. Ihr Einkommensteuerbescheid für 1978 könne aber nur geändert werden, wenn sie am Verfahren gegen den Gewinnfeststellungsbescheid beteiligt gewesen sei.
Gegen diesen Beschluß haben sowohl die Kläger als auch die Beigeladene Beschwerde eingelegt.
Entscheidungsgründe
Ihre Beschwerden erweisen sich jedoch als unbegründet.
§ 174 Abs. 4 AO 1977 sieht vor, daß nach der vom Steuerpflichtigen zu seinen Gunsten bewirkten Aufhebung oder Änderung des Steuerbescheids aus dem Sachverhalt nachträglich die richtigen steuerlichen Folgen gezogen werden und dazu Steuerbescheide erlassen oder geändert werden können; dies gilt auch, wenn der frühere Steuerbescheid zugunsten des Steuerpflichtigen durch das Gericht aufgehoben oder geändert wird. Die Folgeänderung kann grundsätzlich auch vollzogen werden, wenn die Festsetzungsfrist für die zu ändernde Steuer bereits abgelaufen ist. Diese Rechtsfolgen gelten gemäß § 174 Abs. 5 AO 1977 auch für Dritte, wenn sie an dem Verfahren, das zur Aufhebung oder Änderung des ursprünglichen fehlerhaften Steuerbescheids geführt hat, beteiligt waren; ihre Beiladung zu diesem Verfahren wird deshalb für zulässig erklärt.
Im Streitfall besteht die Möglichkeit, daß die Kläger mit ihrer Auffassung durchdringen, an die Beigeladene eine Mietvorauszahlung geleistet zu haben. Dies hätte grundsätzlich zur Folge, daß die Beigeladene den zugeflossenen Betrag bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung zu versteuern hat (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 28. Oktober 1980 VIII R 34/76, BFHE 132, 41, BStBl II 1981, 161; s. auch Urteil vom 29. April 1982 IV R 95/79, BFHE 136, 94, BStBl II 1982, 593). Die Beiladung soll der Finanzbehörde die Möglichkeit geben, diese Besteuerungsfolge auch dann herbeizuführen, wenn der Einkommensteuerbescheid 1978 für die Beigeladene nach den allgemeinen Vorschriften nicht mehr abänderbar ist.
Das FG mußte bei dieser Sachlage dem Beiladungsbegehren des FA folgen. Es brauchte dabei nicht zu prüfen, ob es tatsächlich zur Besteuerung der Einnahmen bei der Beigeladenen kommen wird oder ob dem FA die Änderung des Einkommensteuerbescheids 1978 deswegen versagt ist, weil sich die BFH-Rechtsprechung geändert hat oder weil eine bisher angewendete allgemeine Verwaltungsvorschrift vom BFH als rechtswidrig bezeichnet worden ist (§ 176 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 AO 1977). Für die gerichtliche Beiladung genügt vielmehr, daß die Möglichkeit einer Folgeänderung nicht von der Hand zu weisen ist (BFH-Beschlüsse vom 19. Mai 1981 VIII B 90/79, BFHE 133, 348, BStBl II 1981, 633; vom 27. Januar 1982 VII B 141/81, BFHE 134, 537, BStBl II 1982, 239).
Das FA hat die Beiladung auch nicht, wie die Kläger meinen, verspätet beantragt. Die in § 174 Abs. 4 Satz 3 AO 1977 angeführte Jahresfrist bezieht sich auf die Herbeiführung der Folgeänderung, nicht aber auf die Antragstellung durch das FA.
Die Kläger können sich auch nicht darauf berufen, daß die Beigeladene Einblick in die Steuerakten erhalten könne und dadurch ihr Interesse an der Geheimhaltung ihrer steuerlichen Verhältnisse beeinträchtigt würde; diese Beeinträchtigung ist vom Gesetzgeber auch im Rahmen des § 174 Abs. 5 AO 1977 im Interesse einer richtigen Besteuerung hingenommen worden (vgl. BFH-Beschlüsse vom 6. Dezember 1979 IV B 56/79, BFHE 130, 1, BStBl II 1980, 314; vom 15. Dezember 1983 IV B 48/83, nicht veröffentlicht).
Fundstellen
Haufe-Index 414541 |
BFH/NV 1988, 69 |