Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassungsbeschwerde: Verfahrensfehler, Entscheidung ohne mündliche Verhandlung; maßgebende Menge des Erzeugnisses, für die differenzierte Ausfuhrerstattung zu gewähren ist
Leitsatz (NV)
- Ein Verfahrensfehler ist nur dann hinreichend dargelegt, wenn ausgeführt wird, dass die Entscheidung darauf beruhen kann.
- Das Finanzgericht ist nicht verpflichtet, von sich aus anzuzeigen, dass es gemäß § 94a FGO beabsichtigt, ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden.
- Im Falle einer differenzierten Ausfuhrerstattung besteht ein Anspruch darauf nur für die Menge des ausgeführten Erzeugnisses, die in unverändertem Zustand vollständig ‐ möglicherweise unter Berücksichtigung einer handelsüblichen Toleranz ‐ in das betreffende Drittland, für welches die Erstattung vorgesehen ist, innerhalb einer bestimmten Frist eingeführt worden ist.
Normenkette
GG Art. 103 Abs. 1; EWGV 3665/87 Art. 3 Abs. 1, 4, Art. 16 Abs. 1, Art. 17; FGO §§ 94a, 115 Abs. 2 Nrn. 1, 3, § 116 Abs. 3 S. 3
Tatbestand
I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) führte mit zwei Ausfuhranmeldungen vom … Dezember 1997 gefrorenes Rindfleisch, und zwar 9 Hinterviertel (1 020,25 kg) der Marktordnungs-Warenlistennummer 0202 2050 9100 und 114 Vorderviertel (6 351,54 kg) der Marktordnungs-Warenlistennummer 0202 2030 9000 aus der Erstattungslagerung nach Usbekistan aus. Diese Rinderviertel waren Teil einer größeren Ausfuhrsendung, an der neben der Klägerin ein weiterer Ausführer beteiligt war. Insgesamt wurden dabei 1 805 Rinderviertel (127 083 kg) zur Ausfuhr abgefertigt. Nach dem im Erstattungsverfahren vorgelegten Einfuhrzolldokument und dem Certificate der Kontrollgesellschaft waren bei Ankunft der Sendung nur 1 784 Rinderviertel (125 761,15 kg) zum freien Verkehr in Usbekistan abgefertigt worden. Auf Grund dieser Gewichtsdifferenz errechnete der Beklagte und Beschwerdegegner (das Hauptzollamt ―HZA―) unter Berücksichtigung eines zu tolerierenden Transportschwundes von 0,2 % eine Mindermenge von 1 067,7 kg, die er auf die beiden Ausführer entsprechend ihrem Anteil an den Ausfuhrsendungen verteilte. Für die Klägerin ergab sich daraus eine Mindermenge von 62 kg, die das HZA als Mindermenge bei den von der Klägerin ausgeführten Hintervierteln berücksichtigte. Mit dem angefochtenen Bescheid forderte das HZA die insoweit vorfinanzierte Ausfuhrerstattung in Höhe von … DM mit einem Zuschlag von 20 % (insgesamt … DM) zurück.
Nach erfolglosem Einspruch hatte die Klage zum geringen Teil insoweit Erfolg, als das Finanzgericht (FG) den Rückforderungsbetrag auf … DM herabsetzte. Im Übrigen wies es die Klage ab und führte aus, dass der Rückforderungsanspruch des HZA dem Grunde nach auf "Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. a i.V.m. Art. 33 Abs. 1 Unterabs. 2 der Verordnung (EWG) Nr. 3665/87 (VO Nr. 3665/87) der Kommission vom 27. November 1987" (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften ―ABlEG― Nr. L 351/1) sowie auf "Art. 29 der Verordnung (EWG) Nr. 2220/85 der Kommission vom 22. Juli 1985" (ABlEG Nr. L 205/5) beruhe. Nach Art. 3 Abs. 1 und 4 VO Nr. 3665/87 sei zwar der Tag der Ausfuhr, d.h. der Zeitpunkt der Annahme der Ausfuhranmeldung, maßgebend für die Feststellung von Menge, Art und Eigenschaften der ausgeführten Erzeugnisse. Nach Art. 16 Abs. 1 und Art. 17 Abs. 1 und 3 derselben Verordnung sei jedoch die Zahlung der im Streitfall differenzierten Ausfuhrerstattung von der zusätzlichen Bedingung abhängig, dass das Erzeugnis in unverändertem Zustand in das betreffende Drittland eingeführt worden sei. Diese Voraussetzung beziehe sich zweifellos auf die Menge der eingeführten Erzeugnisse. Die Höhe der zustehenden Ausfuhrerstattung sei daher ―abgesehen von natürlichem Schwund während des Transports― von der Menge abhängig, in der die nach der Ausfuhranmeldung ausgeführten Erzeugnisse in dem betreffenden Drittland zum freien Verkehr abgefertigt worden seien. Dieser Nachweis sei hinsichtlich der Fehlmenge nicht geführt worden. Da das HZA nach Meinung des FG bestimmte Umstände bei der Schätzung der Mindermenge zu Unrecht nicht berücksichtigt habe, kam das FG zu einer etwas niedrigeren Berechnung des Rückforderungsbetrages.
Mit ihrer Beschwerde begehrt die Klägerin die Zulassung der Revision, weil das FG fehlerhaft verfahren sei und die Sache grundsätzliche Bedeutung habe. Das HZA hält die Nichtzulassungsbeschwerde für unzulässig.
Entscheidungsgründe
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist jedenfalls unbegründet.
1. Die Klägerin sieht einen Verfahrensfehler darin, dass das FG das Verfahren nicht mit den beim FG ebenfalls anhängigen Verfahren mit den Aktenzeichen IV 112/99 und IV 113/99 verbunden habe. Alle drei Verfahren stünden insofern in einem rechtlichen Zusammenhang, als es in ihnen jeweils um die Bedeutung der Bestimmung des Zeitpunktes gehe, der beim Export von gefrorenen Rindervierteln für die Berechnung von Ausfuhrerstattungen maßgeblich sei. In den einzelnen Fallkonstellationen stelle das HZA nicht auf die eindeutige Rechtsgrundlage des Art. 3 VO Nr. 3665/87 ab. Im Hinblick auf die widersprüchliche Verwaltungspraxis des HZA bei den einzelnen Fallkonstellationen sei es zweckmäßig, die Sachen zu verbinden.
Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob darin, dass das FG dem Antrag der Klägerin auf Verbindung der genannten Verfahren (§ 73 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―) nicht gefolgt ist und darüber auch nicht ausdrücklich entschieden hat, ein Verfahrensfehler zu sehen ist. Sollte insoweit ein Verfahrensfehler gegeben sein, so hat die Klägerin jedenfalls nicht, wie nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO erforderlich, dargelegt, dass die Entscheidung darauf beruhen kann. Denn dass die Einzelbetrachtung des Streitfalls ohne Rücksicht auf bestimmte Fallvarianten in anderen Verfahren zu einer uneinheitlichen Rechtsprechung führen kann ―wie die Klägerin befürchtet―, bedeutet noch nicht, dass die Entscheidung des Streitfalls auf einer etwaigen Nichtberücksichtigung der anderen Fallkonstellationen beruhen kann. Es ist nicht geboten, die jeweiligen Fälle in dieser Entscheidung gegeneinander abzugrenzen. Vielmehr ist jedes Verfahren für sich auf der Grundlage des jeweils konkret festgestellten Sachverhalts zu entscheiden.
2. Der weitere Verfahrensfehler, den die Klägerin darin sieht, dass das FG, ohne die Beteiligten vorher zu hören, gemäß § 94a FGO ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entschieden hat, liegt nicht vor. Denn das FG ist nicht verpflichtet, von sich aus anzuzeigen, dass es gemäß § 94a FGO beabsichtigt, ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden (vgl. Bundesfinanzhof, Beschlüsse vom 10. Januar 1995 IV B 90/94, BFH/NV 1995, 802, und vom 17. Mai 2001 IX R 67/98, BFH/NV 2001, 1290). Das Gesetz legt vielmehr ausdrücklich fest, dass das Gericht das Verfahren nach billigem Ermessen bestimmen kann, falls der Streitwert wie im Streitfall unter tausend Deutsche Mark liegt. Eine Pflicht zur Anhörung der Beteiligten folgt aus § 94a FGO nicht. Falls ein Beteiligter die Durchführung der mündlichen Verhandlung wünscht, muss er vielmehr unaufgefordert einen darauf gerichteten, ausdrücklichen Antrag stellen (§ 94a Satz 2 FGO). Dass die Klägerin einen solchen gestellt hat, hat sie nicht vorgetragen. Von der behaupteten Verletzung des Rechts der Klägerin auf Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes) kann daher keine Rede sein.
3. Die von der Klägerin aufgeworfene Frage, welche Menge bzw. welches Gewicht für die Ausfuhrerstattung maßgebend ist, hat nicht die angebliche grundsätzliche Bedeutung, weil sie so zu entscheiden ist, wie das FG dies getan hat und sich dies eindeutig aus der VO Nr. 3665/87 ergibt. Die Frage ist daher nicht in einem Revisionsverfahren klärungsbedürftig (vgl. dazu Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 115 Rz. 32, m.w.N.).
Nach dem eindeutigen Wortlaut des Art. 3 Abs. 4 VO Nr. 3665/87 ist der Tag der Ausfuhr, das ist der Tag, an dem die Zollbehörden die Ausfuhranmeldung angenommen haben, maßgebend für die Feststellung von Menge, Art und Eigenschaften des ausgeführten Erzeugnisses. Im Falle einer wie im Streitfall differenzierten Erstattung ist die Zahlung der Ausfuhrerstattung aber nicht nur von dem Nachweis abhängig, dass die am Tage der Ausfuhr festgestellte Menge eines bestimmten Erzeugnisses innerhalb einer bestimmten Frist das Zollgebiet der Gemeinschaft verlassen hat (Art. 4 VO Nr. 3665/87), sondern gemäß Art. 16 Abs. 1 VO Nr. 3665/87 außerdem von den zusätzlichen Bedingungen, die in Art. 17 und 18 VO Nr. 3665/87 festgelegt sind. Zu diesen weiteren Bedingungen gehört, dass das Erzeugnis in unverändertem Zustand in das betreffende Drittland, für welches die Erstattung vorgesehen ist, innerhalb einer bestimmten Frist eingeführt worden ist (Art. 17 Abs. 1 VO Nr. 3665/87) und dies in der durch Art. 18 VO Nr. 3665/87 festgelegten Art und Weise nachgewiesen wird. Da sich der Nachweis auf das ausgeführte Erzeugnis bezieht, kann er nur dann als erbracht angesehen werden, wenn nachgewiesen wird, dass das ausgeführte Erzeugnis ―möglicherweise unter Berücksichtigung einer handelsüblichen Toleranz― vollständig in das Gebiet des Bestimmungslandes eingeführt wurde. Dies kann sich naturgemäß nur aus einem Vergleich des ausgeführten Erzeugnisses mit dem in das Bestimmungsland eingeführten Erzeugnis ergeben. Dabei bezieht sich der Vergleich nicht nur auf die Art, sondern auch auf die Menge des betreffenden Erzeugnisses. Ergibt der Vergleich, dass das Erzeugnis nicht in der bei der Ausfuhr festgestellten Menge in das Bestimmungsland eingeführt worden ist, so ist hinsichtlich einer etwa festgestellten Fehlmenge die zu der erfolgten Ausfuhr als Voraussetzung für die Gewährung der differenzierten Ausfuhrerstattung hinzutretende zusätzliche Bedingung des Art. 17 VO Nr. 3665/87 nicht erfüllt. Insoweit besteht kein Anspruch auf die Gewährung der nach Bestimmungsländern differenzierten Ausfuhrerstattung.
Art. 3 Abs. 1 VO Nr. 3665/87 kann daher seinem Wortlaut sowie seinem Sinn und Zweck nach nur so verstanden werden, dass er sich allein auf Menge, Art und Eigenschaft des Erzeugnisses im Zeitpunkt der Ausfuhr bezieht, aber nichts darüber besagt, in welchem Zustand das Erzeugnis in ein Bestimmungsland eingeführt worden ist. Letzteres ist aber in gleicher Weise wie der Zustand des Erzeugnisses im Zeitpunkt der Ausfuhr entscheidend für die Gewährung der differenzierten Ausfuhrerstattung.
Da der Senat insoweit keine Zweifel an der richtigen Auslegung des Gemeinschaftsrechts hat, ist die Zulassung der Revision auch nicht erforderlich, um in einem Revisionsverfahren die Einholung einer Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) nach Art. 234 Abs. 3 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft i.d.F. des Vertrages von Amsterdam vom 2. Oktober 1997 (ABlEG Nr. C 340/1; 1999 Nr. L 114/56) zu ermöglichen (EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982 Rs. 283/81, EuGHE 1982, 3415 bis 3442, und Senatsurteil vom 23. Oktober 1985 VII R 107/81, BFHE 145, 266).
Fundstellen
Haufe-Index 779821 |
BFH/NV 2002, 1356 |