Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsmittel gegen FG-Beschluß zur Aussetzung der Vollziehung ohne Beschwerdezulassung; Rechtsschutzinteresse für Richterablehnungsgesuch
Leitsatz (NV)
1. Hat das FG gegen seine Entscheidung über die Aussetzung der Vollziehung eines Steuerbescheids die Beschwerde nicht zugelassen, könnte diese gleichwohl zulässig sein, wenn der FG-Beschluß wegen Mitwirkung erfolgreich abgelehnter Richter offensichtlich gesetzwidrig sein sollte. Hierzu bedarf es keiner Entscheidung, wenn die Beschwerde jedenfalls unbegründet ist und der zugrunde liegende Beschluß nicht in materielle Rechtskraft erwächst. Letzteres ist bei Beschlüssen zur Aussetzung der Vollziehung der Fall.
2. Ein Richterablehnungsgesuch in einem bereits abgeschlossenen Verfahren kann ausnahmsweise zulässig sein.
3. Im Beschwerdeverfahren können keine neuen Ablehnungsgründe vorgebracht werden.
Normenkette
FGO § 51 Abs. 1, § 69 Abs. 3 S. 5; ZPO § 44 Abs. 2; BFHEntlG Art.1 Nr. 3
Tatbestand
Das Finanzgericht (FG) wies den Antrag der Kläger, Antragsteller und Beschwerdeführer (Kläger) auf Aussetzung der Vollziehung der Einkommensteuerbescheide 1982 bis 1984 wiederholt zurück. Nunmehr stellten die Kläger einen weiteren Antrag gemäß § 69 Abs. 3 Satz 5 der Finanzgerichtsordnung (FGO), weil die an den FG-Beschlüssen beteiligten und benannten Richter befangen seien. Denn dem FG seien in den Beschlüssen zur Aussetzung der Vollziehung grobe Verfahrensverstöße bzw. materielle Rechtsfehler unterlaufen, wie dargelegt wird.
Das FG lehnte den Befangenheitsantrag mit Beschluß vom 10. April 1991 als unzulässig ab und verwies zur Begründung auf die Ausführungen im am selben Tag in der Hauptsache gefällten Urteil, gegen das bei dem erkennenden Senat Nichtzulassungsbeschwerde und Revision unter den Az. VIII B 84/91 bzw. VIII R 45/91 eingelegt ist. Nach der dem Beschluß des FG beigefügten Rechtsmittelbelehrung ist hiergegen die Beschwerde gegeben.
Mit ihrer Beschwerde, der das FG nicht abgeholfen hat, rügen die Kläger unter Wiederholung ihrer Ablehnungsgründe:
Der Beschluß sei entgegen § 113 Abs. 2 FGO ohne Begründung ergangen. Die bloße Verweisung auf die Urteilsgründe genüge nicht. Über das Ablehnungsgesuch habe nicht in der mündlichen Verhandlung und nicht in der Besetzung von drei Berufsrichtern und zwei ehrenamtlichen Richtern befunden werden dürfen.
Außerdem habe das FG mit dem Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt - FA -) zusammengewirkt; denn der Vertreter des FA habe schon vor der mündlichen Verhandlung vor dem FG geäußert, daß dieses den Ablehnungsantrag als unzulässig ansehe.
Das FA beantragt, die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen.
Gemäß Art.1 Nr.3 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFHEntlG) sei gegen den FG-Beschluß kein Rechtsmittel gegeben.
Ein Zusammenwirken des FA mit dem FG werde bestritten. Der Vertreter des FA habe den ihm bekannten Kläger lediglich darauf hingewiesen, daß das FG bei Ablehnung des gesamten Senats den Antrag wegen Rechtsmißbrauchs zurückweisen könne. Dies sei ein Hinweis auf eine auch vom Bundesfinanzhof (BFH) vertretene Rechtsansicht gewesen.
Am 25. Juni 1991 haben die Kläger beim FG die Wiederaufnahme des Verfahrens der Aussetzung der Vollziehung beantragt.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist unbegründet.
Der Senat läßt unentschieden, ob die Beschwerde zulässig ist. Nach Art.1 Nr.3 BFHEntlG steht den Beteiligten gegen einen FG-Beschuß nach § 69 Abs. 3 und 4 FGO die Beschwerde nur zu, wenn sie in dem Beschluß ausdrücklich zugelassen wurde. Hierfür reicht der Hinweis in der Rechtsmittelbelehrung, die Beschwerde an den BFH sei statthaft, nicht aus (BFH-Beschluß vom 3. Dezember 1985 VII B 65/85, BFH/NV 1986, 419; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 115 Tz.40). Indessen könnte es entsprechend den Grundsätzen des Beschlusses des Großen Senats vom 30. November 1981 GrS 1/80 (BFHE 134, 525, BStBl II 1982, 217) ausnahmsweise geboten sein, eine Beschwerde jedenfalls dann als zulässig zu erachten, wenn der Beschluß des FG über die Aussetzung der Vollziehung wegen Mitwirkung erfolgreich abgelehnter Richter offensichtlich gesetzwidrig sein sollte (vgl. BFH-Beschlüsse vom 21. Dezember 1990 V R 40/90, BFH/NV 1991, 612 und vom 15. Januar 1992 IX B 3/91, BFH/NV 1992, 614). Der Senat läßt die Entscheidung hierüber dahingestellt, weil es keiner Entscheidung über die Zulässigkeit einer Beschwerde bedarf, wenn sie jedenfalls unbegründet ist und der zugrunde liegende Beschluß nicht in materielle Rechtskraft erwächst (BFH-Beschluß vom 11.Februar 1987 II B 140/86, BFHE 148, 494, BStBl II 1987, 344). So liegt es bei Beschlüssen über Anträge auf Aussetzung der Vollziehung, die jederzeit geändert oder aufgehoben werden können (Senatsbeschluß vom 8. Februar 1977 VIII B 22/76, BFHE 121, 174, BStBl II 1977, 313 unter Hinweis auf den nicht veröffentlichten Beschluß vom 26.September 1973 II S 6/72; Gräber / Ruban, a.a.O., § 132 Tz.9 und Tz.5 vor § 115).
Die Beschwerde ist unbegründet. Das FG hat das Ablehnungsgesuch jedenfalls im Ergebnis zutreffend zurückgewiesen.
Der BFH hat wiederholt das Rechtsschutzinteresse für ein Ablehnungsgesuch in einem Verfahren verneint, das vom FG bereits abgeschlossen war (vgl. die Entscheidungen vom 26.März 1980 I B 23/80, BFHE 130, 20, BStBl II 1980, 335 und vom 4. April 1990 II B 162/89, BFH/NV 1990, 724). Eine Ausnahme hiervon gilt, sofern noch nachträglich über besondere Anträge, z.B. auf Tatbestandsberichtigung, zu entscheiden ist (Senatsbeschluß vom 15. April 1985 VIII S 19/81, BFH/NV 1986, 342 m.w.N.). Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob eine weitere Ausnahme aus den oben zur Zulässigkeit der Beschwerde genannten Gründen gelten könnte. Denn das Ablehnungsgesuch war auch aus den Gründen zulässig, die sich aus dem in der Hauptsache ergangenen Senatsbeschluß VIII B 59/91 vom heutigen Tage ergeben. Das Ablehnungsgesuch ist jedoch unbegründet; der Senat verweist insoweit wiederum auf seinen Beschluß VIII B 59/91.
Soweit die Kläger mit der Beschwerde darüber hinaus ein unlauteres Zusammenwirken des FG mit dem FA behaupten, können sie mit diesem neuen Ablehnungsgrunde im Beschwerdeverfahren nicht gehört werden (BFH-Beschluß vom 24. Juli 1990 X B 115/89, BFH/NV 1991, 253). Außerdem ist dieses vom FA bestrittene Vorbringen weder ausreichend substantiiert noch gemäß § 44 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung i.V.m. § 51 Abs. 1 FGO glaubhaft gemacht.
Fundstellen
Haufe-Index 418631 |
BFH/NV 1993, 113 |