Entscheidungsstichwort (Thema)
Wertpapiere sind nach den Verhältnissen am Todestag des Erblassers zu bewerten
Leitsatz (NV)
1. Ein als Vermächtnis zugewandtes Wertpapierdepot ist nach den Verhältnissen am Todestag des Erblassers zu bewerten. Wertminderungen oder Wertsteigerungen nach dem Todestag sind ohne Bedeutung. Die Ansicht, daß der BFH für die Wertermittlung im Erbschaftsteuerrecht allgemein den Zeitpunkt der Verfügungsmöglichkeit des Begünstigten ansehe, trifft nicht zu.
2. Die Höhe des Vermächtnisses (Erbfallschuld) wird durch die vom Erblasser herrührenden Schulden (Erblasserschuld) vorbehaltlich der Beschränkung auf den Nachlaß nicht gemindert.
3. Der Betrag von 10 000 DM gemäß § 10 Abs. 5 Nr. 3 Satz 2 ErbStG 1974 kann nur abzogen werden, wenn dem Erwerber dem Grunde nach Kosten i. S. des § 10 Abs. 5 Nr. 3 Satz 1 ErbStG 1974 enstanden sind, ihre Höhe aber nicht nachgewiesen ist; die Vorschrift gewährt keinen ,,Pauschbetrag für Nachlaßverbindlichkeiten".
4. Im Verfahren zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes kann der BFH von keiner anderen verfassungsrechtlichen Beurteilung ausgehen als sie vom Bundesverfassungsgericht zu erwarten ist. Nach den vom Bundesverfassungsgericht bisher erlassenen Entscheidungen zur verfassungsrechtlichen Beurteilung der auf der Einheitsbewertung des Grundbesitzes beruhenden Wertverzerrungen kann nicht davon ausgegangen werden, daß die Vorschriften über die Bewertung des Wertpapiervermögens mit dem Kurswert für verfassungswidrig erklärt würde.
Normenkette
ErbStG 1974 § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 9 Abs. 1 Nr. 1, § 10 Abs. 5 Nr. 3 S. 2, §§ 11, 12 Abs. 1; BewG § 11 Abs. 1; BGB § 516 Abs. 1, § 1967 Abs. 2; FGO § 69
Tatbestand
Die im Februar 1987 verstorbene Erblasserin hat neben anderen Personen der Klägerin, Revisionsklägerin und Antragstellerin (Klägerin) ein Bankdepot als Vermächtnis zugewandt, das u. a. Aktien enthielt. Die mit dem Vermächtnis beschwerte Erbin fürchtete - von einem Herrn A beraten -, für die Erbschaftsteuer des gesamten Nachlasses in Anspruch genommen zu werden und ließ bis zur Klärung dieser Frage das Depot sperren. Im Oktober 1987 traf die Erbin u. a. mit der Klägerin eine Vereinbarung über die Abwicklung des Vermächtnisses. Hierin schloß sich die Klägerin der von der Erbin veranlaßten ,,nachträglichen Honorierung des Herrn A für seine vieljährige Tätigkeit" an, die nach Ansicht der Erbin auch ,,einer Willenserklärung der Erblasserin" entsprochen habe. Auf die Klägerin entfiel dabei ein Anteil in Höhe von . . . DM. Daraufhin gab die Erbin das Depot mit Wirkung vom . . November 1987 zur Hälfte frei. In einer Ergänzungsvereinbarung vom . . . verzichtete die Klägerin auf Ersatz des eventuellen Vermögensschadens für die verzögerte Abwicklung. Mit Wirkung vom . . Januar 1988 wurde daraufhin auch die andere Hälfte des Depots freigegeben.
Durch Bescheid vom 19. September 1988 setzte der Beklagte, Revisionsbeklagte und Antragsgegner (das Finanzamt - FA -) gegen die Klägerin Erbschaftsteuer in Höhe von . . . DM fest, wobei der Wert des Depots am Todestag der Erblasserin zugrunde gelegt wurde. Durch geänderten Bescheid vom 2. Januar 1989 erhöhte das FA die Erbschaftsteuer auf . . . DM.
Einspruch und Klage blieben erfolglos. Mit ihnen hatte die Klägerin begehrt, die - niedrigeren - Kurswerte der in dem Depot enthaltenen Aktien am . . November 1987 und am . . Januar 1988 anzusetzen, weil sie erst zu diesen Zeitpunkten mit der Freigabe des Depots über die Wertpapiere habe verfügen können; weiter hatte sie beantragt, den auf sie entfallenden Anteil an der Vergütung für Herrn A als Kosten für die Erlangung der Erbschaft anzusetzen. Gegen das Urteil des Finanzgerichts (FG) hat die Klägerin Revision eingelegt, über die der Senat noch nicht entschieden hat. Außerdem hat die Klägerin beantragt, die Vollziehung des Erbschaftsteuerbescheides vom 2. Januar 1989 in Höhe von . . . DM auszusetzen.
Entscheidungsgründe
Der Antrag ist unbegründet. Es bestehen keine ernstlichen Zweifel i. S. des § 69 Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) an der Rechtmäßigkeit der Erbschaftsteuerfestsetzung durch das FA.
1. Insbesondere ist nicht ernstlich zweifelhaft, daß das der Klägerin als Vermächtnis zugewandte Wertpapierdepot nach den Verhältnissen am Todestag der Erblasserin zu bewerten ist. Das Erbschaftsteuergesetz (ErbStG) ist insoweit eindeutig. Gemäß § 11 ErbStG 1974 ist für die nach § 12 ErbStG 1974 vorzunehmende Wertermittlung der Zeitpunkt der Entstehung der Steuer maßgebend; bei Erwerben von Todes wegen, zu denen gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG 1974 der Erwerb durch Vermächtnis zählt, entsteht die Steuer mit dem Tode des Erblassers (§ 9 Abs. 1 Nr. 1, 1. Halbsatz ErbStG 1974). Wertminderungen oder Wertsteigerungen nach diesem Stichtag sind damit bedeutungslos; das gilt zum Nachteil wie zum Vorteil des Erwerbers (vgl. auch Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 6. Dezember 1989 II B 70/89, BFH/NV 1990, 643).
Ernstliche Zweifel an diesem durch Auslegung des ErbStG gefundenen Ergebnis lassen sich auch nicht aus den - Schenkungen betreffenden - Urteilen des BFH vom 6. März 1985 II R 19/84 (BFHE 143, 291, BStBl II 1985, 382) und vom 5. Februar 1986 II R 188/83 (BFHE 146, 164, BStBl II 1986, 460) ableiten. Die Auffassung der Klägerin, aus ihnen sei zu entnehmen, daß der erkennende Senat für die Wertermittlung im Erbschaftsteuerrecht allgemein den Zeitpunkt der Verfügungsmöglichkeit des Begünstigten als maßgebend ansehe, weil nur dies dem das Erbschaftsteuerrecht beherrschenden Bereicherungsprinzip entspreche, trifft nicht zu. Die zitierten Entscheidungen befassen sich - entgegen der Interpretation der Klägerin - nicht mit der Ermittlung des Wertes einer Zuwendung, sondern mit der bürgerlich-rechtlichen Vorfrage nach dem Gegenstand der Zuwendung, für dessen Bestimmung der mit der Ausführung der Schenkung zusammenfallende Zeitpunkt der Verfügungsbefugnis der Beschenkten über den geschenkten Gegenstand entscheidend ist. Dem Begriff der Bereicherung kommt dabei lediglich Bedeutung als Tatbestandsmerkmal der Schenkung bzw. der freigebigen Zuwendung zu, denn erst mit der endgültigen Bereicherung im Sinne einer Vermögensmehrung des Bedachten ist der Tatbestand der Schenkung bzw. der freigebigen Zuwendung erfüllt (§ 516 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -) und gleichzeitig ihr Gegenstand bestimmt (vgl. auch die BFH-Urteile vom 30. Januar 1968 II 49/64, BFHE 91, 431, BStBl II 1968, 371, und vom 28. November 1984 II R 133/83, BFHE 142, 511, BStBl II 1985, 159); die Höhe der Vermögensmehrung (Bereicherung) ist insoweit ohne Belang. Im übrigen läßt sich aus dem von der Klägerin herangezogenen Bereicherungsprinzip des Erbschaftsteuerrechts kein Bestimmungskriterium für den Bewertungsstichtag ableiten; § 11 ErbStG 1974 gibt hierfür keine Grundlage. Nach der Systematik des ErbStG richtet sich vielmehr die Bereicherung nach den gemäß § 12 ErbStG am Stichtag maßgebenden Wertverhältnissen.
2. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Erbschaftsteuerfestsetzung ergeben sich auch nicht daraus, daß das FA den von der Klägerin in Höhe von . . . DM übernommenen Anteil an der Zahlung an Herrn A bei der Steuerfestsetzung nicht berücksichtigt hat. Das Argument der Klägerin, sie habe eine Bereicherung um diesen Betrag niemals erfahren, weil die Bereicherung sich erst aus der Abwicklung des Vermächtnisanspruchs, mit der Verfügungsmöglichkeit über das Wertpapierdepot, ergeben habe, läßt sich mit der auf den Todestag der Erblasserin abzustellenden Bewertung nicht vereinbaren, denn diese läßt, wie oben ausgeführt, Wertminderungen nach diesem Zeitpunkt unberücksichtigt. Anhaltspunkte dafür, daß es sich um Kosten für die Erlangung des Erwerbs handle, liegen nicht vor. Das FG hat in dem mit der Revision angefochtenen Urteil ausgeführt, daß es keine Grundlage dafür gebe, daß diese Kosten der Klägerin notwendig entstanden seien; es sei weder dargetan, daß Herr A überhaupt einen Anspruch gehabt habe noch sei ein Rechtsgrund für die Belastung der Klägerin ersichtlich. Da die Klägerin mit der Revision Verfahrensrügen, insbesondere die mangelhafter Sachaufklärung nicht erhoben hat, ist es dem Senat auch im Verfahren über die Aussetzung der Vollziehung versagt, einen anderen als den vom FG festgestellten Sachverhalt zugrunde zu legen (vgl. BFH-Beschluß vom 21. Mai 1987 V S 11/85, zu 3. a), BFH/NV 1987, 536). Ebensowenig läßt sich den Feststellungen des FG entnehmen, daß der Klägerin das Vermächtnis aufgrund von Einschränkungen durch die Erblasserin belastet mit dem Anspruch des Herrn A angefallen sei oder daß die Vereinbarung über die Zahlung vergleichsweise einen Streit über die Höhe des Vermächtnisses beenden sollte. Im übrigen ist die Klägerin darauf hinzuweisen, daß die von der Erblasserin herrührenden Schulden (Erblasserschulden) und die Schulden, die, wie im Streitfall das Vermächtnis zugunsten der Klägerin (§ 2147 BGB), den Erwerb als solchen treffen (Erbfallschulden), nebeneinander stehen (§ 1967 Abs. 2 BGB). Die Höhe der Erbfallschulden (des Vermächtnisses) wird durch die Erblasserschulden, vorbehaltlich der Beschränkung auf den Nachlaß, nicht gemindert.
Auch der Ansatz des in § 10 Abs. 5 Nr. 3 Satz 2 ErbStG 1974 vorgesehenen Betrages kommt nicht in Betracht. Nach Wortlaut und Stellung der Vorschrift kann der Betrag von 10 000 DM nur abgezogen werden, wenn dem Erwerber dem Grund nach Kosten i. S. des § 10 Abs. 5 Nr. 3 Satz 1 ErbStG 1974 entstanden sind, ihre Höhe aber nicht nachgewiesen ist. Gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 ErbStG 1974 gilt als steuerpflichtiger Erwerb die Bereicherung des Erwerbers. Diese ergibt sich beim Erwerb von Todes wegen (§ 3 ErbStG 1974), wenn von dem Wert des gesamten Vermögensanfalls die nach § 10 Abs. 3 bis 9 ErbStG 1974 abzugsfähigen Nachlaßverbindlichkeiten abgezogen werden. ,,Als Nachlaßverbindlichkeiten abzugsfähig" sind u. a. die in § 10 Abs. 5 Nr. 3 Satz 1 ErbStG 1974 im einzelnen aufgeführten Kosten. Da gemäß § 10 Abs. 5 Nr. 3 Satz 2 ErbStG 1974 ,,für diese Kosten" insgesamt ein Betrag von 10 000 DM ohne Nachweis abgezogen" wird, so bedeutet dies im Zusammenhang mit dem vorangestellten Satz 1, daß Satz 2 nur die in Satz 1 aufgeführten Kosten betrifft und darüber hinaus, daß ein Abzug nicht in Betracht kommt, wenn Kosten i. S. des Satzes 1 nicht entstanden sind. Andernfalls wäre die Beschränkung der Bezugnahme auf die Kosten i. S. des Satzes 1 nicht berechtigt, weil dann in jedem Fall zumindest ein Betrag von 10 000 DM abzuziehen wäre, so daß sich aus der Vorschrift im Ergebnis ein "Pauschbetrag für Nachlaßverbindlichkeiten" ergäbe.
3. Aussetzung der Vollziehung kommt auch nicht im Hinblick auf von der Klägerin geltend gemachte verfassungsrechtliche Bedenken in Betracht. Der erkennende Senat braucht dabei nicht zu der von der Klägerin vertretenen Auffassung Stellung zu nehmen, daß es zu einer unerträglichen Ungleichbehandlung von steuerrechtlich im wesentlichen gleichen Sachverhalten führe, wenn der Erwerb von Grundbesitz nach dem um 40 v. H. erhöhten Einheitswert, der von Wertpapierbesitz hingegen nach dem Verkehrswert besteuert werde. Auch wenn der Senat die Bedenken der Klägerin teilen wollte, könnte er sie nicht berücksichtigen, weil der BFH in Verfahren zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes von keiner anderen Beurteilung der Rechtslage ausgehen kann als sie vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zu erwarten ist (vgl. BFH-Beschluß vom 11. Juni 1986 II B 49/83, BFHE 146, 474 BStBl II 1986, 782). Nach den vom BVerfG bisher erlassenen Entscheidungen zu dem Problemkreis der verfassungsrechtlichen Beurteilung der auf der Einheitsbewertung des Grundbesitzes beruhenden Wertverzerrungen kann nicht davon ausgegangen werden, daß eine Richtervorlage oder eine Verfassungsbeschwerde der Klägerin dazu führen würde, daß die Vorschriften über die Bewertung des Wertpapiervermögens mit dem Kurswert (§ 12 Abs. 1 ErbStG 1974, § 11 Abs. 1 BewG) für verfassungswidrig erklärt würde. Durch Beschluß vom 15. November 1989 1 BvR 171/89 (BStBl II 1990, 103) hat die 1. Kammer des 1. Senats des BVerfG in einem vergleichbaren Fall die Verfassungsbeschwerde mangels hinreichender Aussicht auf Erfolg nicht zur Entscheidung angenommen, weil der erstrebte Erfolg - nämlich zumindest die Herabsetzung der Erbschaftsteuer - nicht erreicht werden könne; die Folge könne nur sein, so führt das BVerfG aus, daß der Gesetzgeber an eine Neubewertung des Grundbesitzes mit dem Ziel herangehe, die Einheitswerte (näher) an die Verkehrswerte heranzuführen (vgl. auch die Erwägungen im Beschluß des BVerfG vom 11. Oktober 1983 1 BvL 73/78, BVerfGE 65, 160, 169 unter B. II.1.).
Fundstellen