Leitsatz (amtlich)
1. Im Vollziehungsaussetzungsverfahren ist § 68 FGO entsprechend anzuwenden.
2. Die Aussetzung der Vollziehung eines Umsatzsteuerbescheids ergreift auch den Anspruch des FA auf Rückzahlung eines im Voranmeldungsverfahren erstatteten Betrags, sofern dem Steuerpflichtigen im Falle seines Obsiegens im Hauptsacheverfahren ein mindestens gleichhoher Betrag zu erstatten wäre.
Normenkette
FGO §§ 68-69
Tatbestand
... Die Steuerpflichtige erhob gegen den Umsatzsteuerbescheid 1968 nach erfolglosem Einspruch Klage und gegen die Vorauszahlungsbescheide Beschwerde zur OFD. Sie beantragte bei dem FG, die Vollziehung auszusetzen. Das FG lehnte den Antrag ab. Nach Einlegung der Beschwerde zum BFH änderte das FA die angegriffenen Bescheide; es legte der Berichtigung statt der Bruttoerlöse Nettoerlöse zugrunde. Die Steuerpflichtige hat im Hauptsacheverfahren vor dem FG beantragt, den Änderungsbescheid Umsatzsteuer 1968 zum Gegenstand des Verfahrens zu machen (§ 68 FGO). Gegen die Änderungsbescheide Januar bis November 1969 hat sie erneut Beschwerde zur OFD eingelegt.
Die Steuerpflichtige beantragt im Beschwerdeverfahren, den Änderungsbescheid Umsatzsteuer 1968 und die Änderungsbescheide Umsatzsteuer Januar bis November 1969 zum Gegenstand des Vollziehungsaussetzungsverfahrens zu machen und die Vollziehung in Höhe der angeforderten Steuern auszusetzen. Sie beantragt weiterhin, die Vollziehung des Umsatzsteuerbescheids 1968 hinsichtlich eines Betrags von ... DM, den ihr das FA im Voranmeldungsverfahren erstattet hat, auszusetzen.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Beschwerde hat im wesentlichen Erfolg.
Die Steuerpflichtige ist befugt, die Aussetzung der Vollziehung der Änderungsbescheide zu beantragen und den zunächst gestellten Antrag auf Vollziehungsaussetzung der ursprünglichen Bescheide fallen zu lassen. Diese Befugnis ergibt sich aus einer entsprechenden Anwendung des § 68 FGO. Nach § 68 FGO ist abweichend von § 67 FGO eine Klageänderung im Anfechtungsprozeß auch ohne Zustimmung der übrigen Beteiligten oder ohne Sachdienlichkeitserklärung des Gerichts zulässig, wenn das FA den angegriffenen Bescheid ändert und der Kläger den Änderungsbescheid zum Gegenstand des Verfahrens macht. Die Regelung dient der Verfahrensbeschleunigung. Im Vollziehungsaussetzungsverfahren, dessen prozessuale Regelung unvollkommen ist, ist die Interessenlage gleich. Dieses Verfahren ist noch mehr als ein Anfechtungsprozeß auf Beschleunigung angelegt. Es würde der Verfahrensökonomie widersprechen, den Antragsteller auf ein weiteres Antragsverfahren zu verweisen, wenn die Behörde den angegriffenen Bescheid, dessen Vollziehung ausgesetzt werden soll, ändert. Dem Antragsteller muß es freistehen, im anhängigen Vollziehungsaussetzungsverfahren geltend zu machen, daß auch ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Änderungsbescheids bestehen, wobei es gleichgültig ist, ob er im Hauptsacheverfahren einen Antrag nach § 68 FGO gestellt hat (wie hier hinsichtlich Umsatzsteuer 1968), zu stellen beabsichtigt oder unterläßt oder gar nicht stellen kann, weil etwa der Hauptsachestreit noch im Vorverfahren schwebt (wie hier hinsichtlich Umsatzsteuer 1969). Die entsprechende Anwendung des § 68 FGO im Vollziehungsaussetzungsverfahren setzt lediglich voraus, daß das Verfahren gerichtsanhängig ist, der angegriffene Bescheid geändert wurde und auch der Änderungsbescheid angegriffen ist.
Die Vollziehung der Umsatzsteuer-Änderungsbescheide 1968 und Januar bis Oktober 1969 ist im vollen Umfang auszusetzen. Im Rahmen der nach § 69 FGO gebotenen nur summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieser Änderungsbescheide....
Es braucht nicht ausgesprochen zu werden, daß auch die Vollziehung der Rückforderung eines der Steuerpflichtigen für 1968 bereits erstatteten Betrags von ... DM auszusetzen ist. Grundlage für eine solche Rückforderung könnte allein der vollziehbare Änderungsbescheid 1968 sein. Die Vollziehung dieses Bescheids wird aber durch die vorliegende Entscheidung ausgesetzt. Die Aussetzung erfaßt auch die Rückforderung des oben bezeichneten Betrags. Der Steuerpflichtigen müßte bei einem Obsiegen im Hauptsacheverfahren ein noch höherer Betrag erstattet werden.
Fundstellen
BStBl II 1971, 632 |
BFHE 1971, 429 |