Leitsatz (amtlich)
Nimmt der Kläger im Verfahren über die Revision des Beklagten die Klage zurück, so ist die Kostenfolge nach § 136 Abs. 2 FGO durch Beschluß auszusprechen.
Normenkette
FGO § 136 Abs. 2, § 139 Abs. 1, §§ 143-144; GKG § 2 Abs. 1, §§ 49, 54 Nr. 1; ZPO § 269 Abs. 3 S. 3; GG Art. 20 Abs. 3
Gründe
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) hat die Klage mit Schriftsatz vom 24. Juni 1977 zurückgenommen. Der Beklagte und Revisionskläger (das FA) hat dazu mit Schriftsatz vom 12. Juli 1977 seine Einwilligung gegeben. Das Verfahren war deshalb durch Beschluß einzustellen (§ 72 Abs. 2 i. V. m. § 121 FGO).
Die Rücknahme beseitigt die Wirkungen der Rechtshängigkeit von Anfang an. Das vom FA angefochtene Urteil des FG ist deshalb unwirksam geworden. Diese Rechtsfolge war aus Gründen der Rechtsklarheit ausdrücklich auszusprechen.
Durch die Beseitigung der Rechtshängigkeit, die mit der Einwilligung des FA eingetreten ist, wurde jede Disposition des FA über die von ihm eingelegte Revision ausgeschlossen. Die Erklärung des FA, daß die Revision in der Hauptsache erledigt sei, ist deshalb schon aus diesem Grunde unwirksam (zur Frage, ob überhaupt ein Rechtsmittel mit prozessualer Wirkung für erledigt erklärt werden kann, vgl. Habscheid in NJW 1960, 2132).
Dem Begehren des FA, eine Kostenentscheidung zu treffen und darin die durch die Klagerücknahme entstandene Rechtsfolge auszusprechen, daß der Kläger die Kosten des gesamten Rechtsstreits zu tragen hat, war aus den nachstehenden Gründen stattzugeben.
Nach § 136 Abs. 2 FGO hat, "wer einen Antrag, eine Klage, ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf zurücknimmt", die Kosten zu tragen. Die Kostentragungspflicht umfaßt die Kosten i. S. des § 139 Abs. 1 FGO, das sind nebst den Kosten des Vorverfahrens die Gerichtskosten und die notwendigen Aufwendungen der Beteiligten aller von diesen in Anspruch genommenen Instanzen (vgl. Beschluß des BFH vom 24. Februar 1967 VI R 314/66, BFHE 88, 111, BStBl III 1967, 294).
Nach § 143 FGO hat das Gericht, "wenn das Verfahren auf andere Weise als durch Urteil erledigt worden ist, durch Beschluß über die Kosten zu entscheiden". Der Umfang dieser Entscheidung wird ebenfalls durch § 139 Abs. 1 FGO bestimmt. Dieser Grundsatz der obligatorischen Kostenentscheidung ist durch § 144 FGO eingeschränkt. Gemäß dieser Vorschrift "wird" nach Zurücknahme eines Rechtsbehelfs über die Kosten des Verfahrens "nur entschieden, wenn ein Beteiligter Kostenerstattung beantragt".
Diese Vorschrift ist unter den besonderen Umständen des vorliegenden Falles nicht anwendbar.
Wäre nämlich nach dieser Regelung zu verfahren, so würde der nach § 136 Abs. 2 FGO gegen den Kläger begründete Anspruch der Bundeskasse auf die Gerichtskosten für das Revisionsverfahren nicht angesetzt werden können. Denn Kostenschuldner ist nach den hier einschlägigen Vorschriften des GKG nur derjenige, "der das Verfahren der Instanz beantragt hat" (Antragsschuldner - § 49 GKG -) und ferner derjenige, "dem durch gerichtliche Entscheidung die Kosten des Verfahrens auferlegt sind" (Entscheidungsschuldner - § 54 Nr. 1 GKG -). Ein Kostenschuldner des Revisionsverfahrens wäre deshalb, wenn sich der beschließende Senat an die wörtliche Regelung in § 144 FGO auch im vorliegenden Fall zu halten hätte und deshalb keine Kostenentscheidung erlassen könnte, nicht vorhanden, da das für die Revision als Antragsschuldner i. S. des § 54 Nr. 1 GKG in Betracht kommende FA (Revisionskläger) gemäß § 2 Abs. 1 GKG von der Zahlung der Kosten befreit ist (vgl. dazu BFH-Beschluß vom 16. Februar 1977 VII E 24/76, BFHE 121, 304, BStBl II 1977, 354) und der Kläger - obwohl gemäß § 136 Abs. 2 FGO kostenpflichtig - nicht Entscheidungsschuldner geworden wäre. Das auf § 144 FGO gestützte Absehen von einer Kostenentscheidung würde somit zu einer durch nichts gerechtfertigten und ungleichen Benachteiligung der Bundeskasse und zu einer ebensolchen Bevorzugung des materiell kostenpflichtigen Beteiligten führen.
Eine derartige Auswirkung kann dem § 144 FGO, der nur einen das Verfahren ordnenden Regelungsinhalt hat (vgl. Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, Tz. 3 vor §§ 135 bis 149 FGO), nicht innewohnen. Der Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit (Art. 20 Abs. 3 GG) schließt es aus, daß die Durchsetzung eines materiellen Anspruchs durch formelles Recht unterbunden wird. Die Vorschrift ist deshalb, soweit nach ihrem Wortlaut - abweichend von § 143 Abs. 1 FGO - von einer Kostenentscheidung abzusehen ist, im Wege der verfassungskonformen Auslegung einzuschränken auf diejenigen Fälle, in denen der Kostenausspruch eine lediglich deklaratorische Bedeutung hätte (vgl. BFH-Beschluß vom 19. September 1969 III B 18/69, BFHE 97, 233, 236, BStBl II 1970, 92). Diese Voraussetzung ist gegeben, wenn kraft Gesetzes (§ 49 Satz 1 GKG) der nach § 136 Abs. 2 FGO Kostenpflichtige vom Kostengläubiger als Kostenschuldner herangezogen werden kann. Diese Möglichkeit fehlt hinsichtlich der Kosten der zweiten Instanz, wenn der Gegner des Antragstellers der ersten Instanz das Rechtsmittel (Beschwerde, Revision) eingelegt hat und der Antragsteller der ersten Instanz im Verlauf der zweiten Instanz seinen Antrag zurücknimmt. In diesen Fällen ist es geboten, gemäß § 143 Abs. 1 FGO durch Beschluß über die Kosten des gesamten Verfahrens zu entscheiden.
Diese Restriktion der Wortbedeutung des § 144 FGO entspricht unter Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte der Vorschrift dem Sinn und Zweck des Gesetzes und ist deshalb der objektivierte Wille des Gesetzgebers.
Eine dem § 144 FGO entsprechende Vorschrift war in dem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf einer Finanzgerichtsordnung (Bundestagsdrucksache IV/1446) nicht enthalten. Sie wurde erst bei den Beratungen im Rechtsausschuß (vgl. Schriftlicher Bericht des Rechtsausschusses [12. Ausschuß] über diesen Entwurf - Bundestagsdrucksache IV/3523 vom 9. Juni 1965) - dort als § 139 a - eingefügt. In der Begründung führt der Rechtsausschuß aus, daß diese Ergänzung "einem Bedürfnis der Praxis" entspreche (vgl. zu Bundestagsdrucksache IV/3523 vom 14. Juni 1965). Diese Materialien lassen erkennen, daß mit § 144 FGO keine in das materielle Kostenrecht eingreifende Vorschrift geschaffen werden sollte.
Zu dieser Erkenntnis führt auch der in der erwähnten Begründung (z u Bundestagsdrucksache IV/3523) unter II hervorgehobene Gesichtspunkt, daß die Finanzgerichtsordnung, soweit nicht die Besonderheiten des FG-Prozesses eine Abweichung erfordern, grundsätzlich der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) gefolgt ist, die sich ihrerseits weitgehend an die Grundsätze des Zivilprozesses anlehnt. Die Verwaltungsgerichtsordnung enthält keine § 144 FGO vergleichbare ausdrückliche Vorschrift. Sie folgt gemäß der Verweisung in § 173 VwGO § 269 Abs. 3 Satz 3 (früher § 271 Abs. 3 Satz 3) ZPO, der bestimmt, daß nach Klagerücknahme auf Antrag des Beklagten die Kostenpflicht des Klägers durch Beschluß auszusprechen ist. Gemäß dieser Vorschrift ist das Gericht nach einer Klagerücknahme nur im Falle eines Antrags des Beklagten zum Erlaß der Kostenentscheidung verpflichtet; es ist ihm jedoch nach dem Wortlaut des Gesetzes nicht verwehrt, die sich aus dem Gesetz ergebende Kostenfolge auch ohne Antrag von Amts wegen deklaratorisch auszusprechen. Die vom Gesetzgeber der Finanzgerichtsordnung zum Vorbild genommenen Prozeßordnungen für die Verwaltungs- und Zivilgerichtsbarkeit stellen somit nicht darauf ab, die im übrigen uneingeschränkt bestehende Amtspflicht der Gerichte zum Erlaß einer für die Durchsetzung des staatlichen Kostenanspruchs erforderlichen Kostenentscheidung im Falle der Klagerücknahme zu durchbrechen. Besonderheiten des finanzgerichtlichen Prozesses, die dem Gesetzgeber Anlaß zu einer abweichenden Regelung für die Klagerücknahme in diesem Verfahren hätten geben können, sind nicht ersichtlich.
§ 144 FGO steht deshalb dem Erlaß eines Kostenbeschlusses nach Klagerücknahme jedenfalls dann nicht entgegen, wenn die Klage im Verfahren über die Revision des Beklagten zurückgenommen wurde. In diesen Fällen ist der Beschluß, daß der Kläger die Kosten beider Rechtszüge zu tragen hat, vielmehr gemäß § 143 Abs. 1 FGO geboten.
Fundstellen
BStBl II 1978, 13 |
BFHE 1978, 312 |