Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtbeanstandung unwirksamer Unterschrift auf früheren Investitionszulagenanträgen durch FA
Leitsatz (NV)
1. Es entspricht der Rechtsprechung des BFH und der Finanzgerichte, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Nachholung der Unterschrift des Geschäftsführers auf dem Investitionszulagenantrag nur ausnahmsweise zu gewähren, wenn wegen wiederholten und vorwerfbaren Fehlverhaltens des FA in den Vorjahren ein Vertrauen auf die Wirksamkeit der Unterschrift der mit den Steuerangelegenheiten der Gesellschaft betrauten Mitarbeiter geschaffen worden ist.
2. Effektiver Rechtschutz ist auch nach den modifizierten Anforderungen des BVerfG an den Verschuldensmaßstab gewährleistet, wenn das FG bei der Prüfung der Voraussetzungen für die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand neben der subjektiv vorwerfbaren Außerachtlassung der zumutbaren Sorgfalt auch ein etwaiges offenkundig nachlässiges Fehlverhalten der Behörde geprüft und berücksichtigt hat.
Normenkette
AO 1977 § 110; FGO § 115 Abs. 2 Nr. 2; GG Art. 19 Abs. 4; InvZulG § 5
Verfahrensgang
FG des Landes Brandenburg (Urteil vom 27.11.2003; Aktenzeichen 5 K 1343/01) |
Tatbestand
Von einer Darstellung des Sachverhalts sieht der Senat gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ab.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde, mit der eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Sicherung der Rechtseinheit angestrebt wird (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO), ist unbegründet. Das Finanzgericht (FG) ist nicht von der Rechtsprechung des BFH, des FG des Landes Brandenburg oder des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) abgewichen.
Das FG hat die Klage auf Festsetzung der Investitionszulage für 1996 abgewiesen, weil es die Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Nachholung der Unterschrift des Geschäftsführers der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) als nicht gegeben ansah. Die Klägerin habe die Unwirksamkeit des nicht vom Geschäftsführer, sondern von zwei intern mit den Steuerangelegenheiten betrauten Bevollmächtigten unterzeichneten Antrags und damit die Fristversäumnis verschuldet. Ein wiederholtes und vorwerfbares Fehlverhalten des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt --FA--), welches einen Vertrauenstatbestand geschaffen habe und deshalb trotz dieses Verschuldens die Wiedereinsetzung rechtfertigen könne, ergebe sich nicht daraus, dass das FA die gleichen Unterschriften auf dem Investitionszulagenantrag 1992 und auf Steuererklärungen 1992 bis 1997 nicht beanstandet habe. Dem FA habe sich anhand der Unterschriften nicht aufdrängen müssen, dass nicht der Geschäftsführer, sondern nur rechtsgeschäftlich bevollmächtigte Personen gehandelt hätten.
Entgegen der Auffassung der Klägerin stehen diese Ausführungen im Einklang mit den als Divergenzentscheidungen benannten Urteilen des BFH vom 14. September 1999 III R 78/97 (BFHE 189, 273, BStBl II 2000, 37) und des FG des Landes Brandenburg vom 1. Juni 1999 3 K 212/97 I (Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 1999, 915) und vom 19. Januar 1999 3 K 455/97 I (EFG 1999, 491).
Im Urteil in BFHE 189, 273, BStBl II 2000, 37 (unter 2. und 2. b cc) hat der BFH einen vom FA geschaffenen nachhaltigen Vertrauenstatbestand "auf Grund mehrerer besonderer Umstände" und "bei zusätzlichen, ein schützenswertes Vertrauen begründenden Verhaltensweisen von Behörden" angenommen, der es "nach Treu und Glauben ausnahmsweise verbietet, dem Kläger … ein Verschulden am nicht fristgerechten Eingang des Investitionszulageantrags … anzulasten". Das FG des Landes Brandenburg hat im Urteil in EFG 1999, 491 eine Wiedereinsetzung der Finanzbehörde für rechtmäßig gehalten, weil für sie "eindeutig ersichtlich" war, dass die Unterschrift nicht vom gesetzlichen Vertreter stammte. Im Urteil in EFG 1999, 915 hat es einen Wiedereinsetzungsgrund darin gesehen, dass die Finanzbehörde auf die "ins Auge springende Fehlerhaftigkeit der Unterschrift nicht hingewiesen hat, obwohl mehrfach --nämlich im Rahmen der Sonderprüfung, der Nachschau und spätestens beim Erlass des Bescheides …-- dazu Anlass (bestanden habe)".
Das FG hat im Streitfall mit der Formulierung, Wiedereinsetzung sei ausnahmsweise nur dann zu gewähren, wenn wegen wiederholten und vorwerfbaren Fehlverhaltens des FA in den Vorjahren ein Vertrauenstatbestand geschaffen worden sei, diese sachverhaltsbezogenen Ausführungen in einen abstrakten Rechtssatz umgesetzt. Ihnen ist nämlich gerade nicht zu entnehmen, dass jeder Fehler des FA in der Vergangenheit Anlass für einen die Wiedereinsetzung rechtfertigenden Vertrauenstatbestand gibt. Vielmehr liegt die Betonung in allen Fällen auf einem besonderen Fehlverhalten des FA, das den Fehler des Steuerpflichtigen derart überlagert, dass er ihm nicht mehr vorgehalten werden kann (vgl. Klein/Brockmeyer, Abgabenordnung, 8. Aufl., § 110 Rz. 17).
Dementsprechend hat das FG die Umstände des Streitfalles auf ein überlagerndes Fehlverhalten des FA untersucht und ist zu dem Ergebnis gelangt, dem FA habe sich nicht aufdrängen müssen, dass nicht der Geschäftsführer, sondern nur eine rechtsgeschäftlich bevollmächtigte Person den Antrag unterschrieben habe. Diese Bewertung gehört zur Rechtsanwendung und ist damit grundsätzlich der revisionsrechtlichen Überprüfung entzogen. Ein die Zulassung der Revision rechtfertigender schwerwiegender Fehler, der geeignet ist, das Vertrauen in die Rechtsprechung zu beschädigen (z.B. BFH-Beschluss vom 14. Februar 2002 VII B 141/01, BFH/NV 2002, 798), ist nicht ersichtlich.
Das FG weicht auch nicht von dem Rechtsgrundsatz im BVerfG-Beschluss vom 2. September 2002 1 BvR 476/01 (BStBl II 2002, 835) ab, dass die Voraussetzungen für die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht überspannt werden dürften, da die Gewährleistung des effektiven Rechtsschutzes durch Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes eine Auslegung und Anwendung der die Einlegung von Rechtsbehelfen regelnden Vorschriften gebiete, welche die Beschreitung des eröffneten Rechtsweges nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwerten.
Es ist nicht ersichtlich, dass der Verschuldensmaßstab, den das FG seiner Entscheidung über die Versagung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zugrunde gelegt hat, diesem Grundsatz widerspricht. Das BVerfG selbst hat in dem genannten Beschluss den in ständiger Rechtsprechung der obersten Gerichte angewendeten Prüfungsmaßstab der subjektiv vorwerfbaren Außerachtlassung der zumutbaren Sorgfalt anerkannt. Allerdings fordert es, bei Anwendung dieses Maßstabes auch ein etwaiges offenkundig nachlässiges Fehlverhalten der Behörde zu prüfen und zu berücksichtigen. Dem ist das FG nachgekommen, indem es untersucht hat, ob das FA die fehlerhafte Unterschrift auf dem Zulagenantrag hätte erkennen und rechtzeitig beanstanden können. Wenn es als Ergebnis dieser Rechtsanwendung zu der Feststellung gelangt, dass ein vorwerfbares Fehlverhalten der Behörde nicht vorliegt und deshalb auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand geboten ist, so liegt darin keine Abweichung von den vom BVerfG modifizierten Anforderungen an den Verschuldensmaßstab, sondern allenfalls fehlerhafte Rechtsanwendung. Keinesfalls ist diese Entscheidung jedoch objektiv willkürlich oder doch so greifbar gesetzwidrig, dass das Vertrauen in die Rechtsprechung nur durch eine höchstrichterliche Korrektur dieser Entscheidung wiederhergestellt werden könnte (vgl. BFH-Beschluss vom 28. Juli 2003 III B 125/02, BFH/NV 2003, 1445).
Fundstellen
Haufe-Index 1244323 |
BFH/NV 2004, 1619 |
BBK 2005, 7 |
AO-StB 2004, 435 |