Entscheidungsstichwort (Thema)
Ausnahmsweise Wiedereinsetzung in versäumte Frist nach Ablauf eines Jahres
Leitsatz (NV)
Auch nach Ablauf eines Jahres nach Versäumnis einer Frist kommt ausnahmsweise Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Betracht, soweit die maßgeblichen, für eine Wiedereinsetzung sprechenden Tatsachen vor Ablauf der Jahresfrist für das Gericht erkennbar sind oder die Rechtzeitigkeit des Rechtsbehelfs allein aus in der Sphäre des Gerichts liegenden Gründen nicht innerhalb der Jahresfrist i.S. des § 56 Abs. 3 FGO geprüft worden ist (Anschluss an BFH-Urteil vom 26. März 1997 II R 28/96, BFH/NV 1997, 859).
Normenkette
FGO § 56 Abs. 3
Gründe
Die Beschwerde ist unzulässig.
Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) hat die Beschwerde nicht innerhalb eines Monats nach Zustellung des angefochtenen Urteils am 18. November 1999 eingelegt; ihr Antrag vom 6. März 2001 auf Wiedereinsetzung in die versäumte Frist hat keinen Erfolg.
a) Nach § 56 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) kann nach einem Jahr seit dem Ende der versäumten Frist ―wie im Streitfall― Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt oder ohne Antrag bewilligt werden, außer wenn der Antrag vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war. Unter höherer Gewalt ist ein außergewöhnliches Ereignis zu verstehen (z.B. Krieg, Stillstand der Rechtspflege, Naturereignis), das die Klägerin unter den gegebenen Umständen auch bei äußerster, nach Lage der Sache von ihr zu erwartender Sorgfalt an rechtzeitiger Antragstellung gehindert hätte (Bundesfinanzhof ―BFH―, Beschluss vom 20. Juli 1989 V S 4/89, BFH/NV 1990, 590).
Darüber hinaus gewährt die Rechtsprechung nach Ablauf der Jahresfrist ausnahmsweise Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zum einen in den Fällen, in denen Wiedereinsetzung auch ohne Antrag in Betracht kommt, soweit die maßgeblichen, für eine Wiedereinsetzung sprechenden Tatsachen vor Ablauf der Jahresfrist für das Gericht erkennbar sind (vgl. BFH-Urteile vom 28. Februar 1978 VII R 92/74, BFHE 124, 487, BStBl II 1978, 390, unter IV. 3., und vom 15. Mai 1996 X R 99/92, BFH/NV 1996, 891). Zum anderen wird Wiedereinsetzung gewährt, wenn die Rechtzeitigkeit des Rechtsbehelfs allein aus in der Sphäre des Gerichts liegenden Gründen nicht innerhalb der Jahresfrist geprüft worden ist (BFH-Urteil vom 26. März 1997 II R 28/96 BFH/NV 1997, 859). Voraussetzung für eine solche Wiedereinsetzung ist aber, dass eine die Wiedereinsetzung rechtfertigende Lage bereits vor Ablauf der Jahresfrist gegeben war (Urteil in BFHE 124, 487, BStBl II 1978, 390, unter IV. 3.). Danach müssen die maßgeblichen, für eine Wiedereinsetzung sprechenden Tatsachen vor Ablauf der Jahresfrist aus den dem Senat vorliegenden Akten erkennbar sein (Urteil in BFH/NV 1996, 891).
b) Nach diesen Grundsätzen liegen die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung i.S. des § 56 Abs. 3 FGO nicht vor.
Höhere Gewalt als Hindernis für die Wahrung der Frist kommt schon nach dem eigenen Vortrag der Klägerin nicht in Betracht, weil das von ihr behauptete "Abhandenkommen" der nach eigenem Vortrag rechtzeitig abgesandten Nichtzulassungsbeschwerde nicht zu den außergewöhnlichen Umständen gehört, die von dem Rechtsbegriff "höhere Gewalt" erfasst werden. Auch die nach der Rechtsprechung ausnahmsweise zu gewährende Wiedereinsetzung aufgrund (Mit-)Veranlassung der Fristversäumnis (hinsichtlich des Wiedereinsetzungsantrags) durch das Finanzgericht (FG) kommt im Streitfall nicht in Betracht, weil Anhaltspunkte dafür, dass das Abhandenkommen der Beschwerdeschrift auf einem Verhalten des FG beruhen könnte, weder den Akten noch dem Vortrag der Klägerin zu entnehmen sind.
Im Übrigen kann ein selbst innerhalb der Jahresfrist gestellter Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 56 Abs. 2 Satz 2 FGO nur Erfolg haben, wenn die Tatsachen, die die Wiedereinsetzung rechtfertigen, substantiiert vorgetragen werden. Da sich die Klägerin darauf beruft, dass die Beschwerdeschrift vom 13. Dezember 1999 rechtzeitig innerhalb der Rechtsmittelfrist zur Post gegeben worden sei und hiernach ―auf dem Postweg oder beim FG, mithin außerhalb des Verantwortungsbereichs des Prozessbevollmächtigten― verloren gegangen sein müsse, hätte sie die Tatsachen, aus denen sich die rechtzeitige Aufgabe des fristwahrenden Schriftsatzes zur Post ergibt, vollständig vortragen und glaubhaft machen müssen (vgl. BFH-Entscheidungen vom 17. Februar 1987 IV R 115/86, BFH/NV 1988, 780; vom 21. Februar 1995 VIII R 76/93, BFH/NV 1995, 989; vom 19. Juni 1996 I R 13/96, BFH/NV 1997, 120; vom 26. Februar 1998 III R 66/97, BFH/NV 1998, 1231; vom 3. Januar 1995 VII B 134/94, BFH/NV 1995, 704, 705; vom 23. Januar 2001 VI B 62/99, BFH/NV 2001, 928). Dazu hätte die Klägerin z.B. Auszüge aus dem Fristenkontrollbuch und dem Postausgangsbuch ihres Prozessbevollmächtigten vorlegen oder eine eidesstattliche Versicherung der Person, die den Brief in den Briefkasten eingeworfen hat, beibringen können (vgl. im Einzelnen Beschluss in BFH/NV 1998, 1231). Dies ist nicht geschehen. Mit der bloßen Mitteilung, das Sekretariat des Prozessbevollmächtigten habe den Beschwerdeschriftsatz zum Briefkasten gebracht, sind die eine Wiedereinsetzung rechtfertigenden Tatsachen nicht ausreichend bezeichnet.
Fundstellen
Haufe-Index 673045 |
BFH/NV 2002, 503 |