Leitsatz (amtlich)
Der Senat teilt die Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 26. Januar 1968 VII C 6.66), daß die Vorschriften des Gerichtsverfahrens über die Ablehnung eines Richters auf Prüfer im Prüfungsverfahren nicht entsprechend anzuwenden sind; dies gilt auch bei Prüfungen nach dem Steuerberatungsgesetz.
Normenkette
ZPO § 42 ff.
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) unterzog sich im Jahre 1978, nachdem er zuvor zwei Steuerbevollmächtigtenprüfungen nicht bestanden hatte, zum dritten Male der Prüfung. Vorsitzender des für ihn zuständigen Prüfungsausschusses IV bei der Beklagten und Revisionsbeklagten (Oberfinanzdirektion - OFD -) war der Leitende Regierungsdirektor A, der im Jahre 1975 als Beisitzer Mitglied des Prüfungsausschusses II gewesen war, vor dem der Kläger die Prüfung nicht bestanden hatte.
Die schriftlichen Prüfungsarbeiten des Klägers in der dritten Prüfung wurden zweimal mit der Note ausreichend (4) und einmal mit der Note ungenügend (6) bewertet. Bei der Ladung zur Ablegung der mündlichen Prüfung wurde dem Kläger mitgeteilt, daß Vorsitzender des für ihn zuständigen IV. Prüfungsausschusses der Leitende Regierungsdirektor A sei.
Aus den schriftlichen und mündlichen Prüfungsleistungen errechnete sich eine Endnote von 4,49, so daß der Prüfungsausschuß die Prüfung als nicht bestanden wertete.
Mit seiner Klage machte der Kläger geltend, daß der Prüfungsausschuß IV fehlerhaft besetzt gewesen sei, weil dessen Vorsitzender bereits einmal als Beisitzer in einer für ihn - den Kläger - zuständigen Prüfungskommission tätig geworden sei. Das sei ein wesentlicher Verfahrensfehler.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Es wertete den Vortrag des Klägers, der Ausschußvorsitzende habe bereits an der erfolglosen Steuerbevollmächtigtenprüfung 1975 mitgewirkt, dahin gehend, daß damit die Voreingenommenheit des Ausschußvorsitzenden geltend gemacht und ein Verstoß gegen den Grundsatz der Chancengleichheit gerügt werde. Wende man, so meinte das FG, wie es die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung tue, die Vorschriften des Gerichtsverfahrensrechts über die Ablehnung eines Richters auf Entscheidungen von Prüfungsausschüssen entsprechend an, so sei Voraussetzung für die Rüge der Voreingenommenheit eines Prüfers, daß eine tatsächliche Befangenheit bestanden habe. Die bloße Besorgnis der Befangenheit könne nicht zur Fehlerhaftigkeit der Prüfungsentscheidung führen (Urteil des Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG - vom 26. Januar 1968 VII C 6.66, BVerwGE 29, 70; Oberverwaltungsgericht - OVG - Hamburg, Beschluß vom 10. Dezember 1969 OVGBs I 97/69, Neue Juristische Wochenschrift 1970 S. 910 - NJW 1970, 910 -; OVG Lüneburg, Urteil vom 13. März 1973 VA 76/71). Voraussetzung für die Rüge der Voreingenommenheit sei, daß diese schlüssig behauptet werde, d. h., daß der Kläger konkrete Tatsachenbehauptungen aufstellen müsse, aus denen auf eine Voreingenommenheit des Prüfers konkret geschlossen werden könne. Denn bei der Beurteilung dieser Frage sei nicht der Standpunkt des Prüflings maßgeblich, sondern die objektive Würdigung des zu ermittelnden Sachverhalts (Niehues, Schul- und Prüfungsrecht, 1. Aufl., 1976, Anm. 399, 400). Nach der dort zitierten Rechtsprechung reiche es für die Annahme der Fehlerhaftigkeit eines Prüfungsverfahrens allein nicht aus, daß ein Prüfer an der Prüfung teilgenommen habe, der den Prüfling bereits in einer früheren, nicht bestandenen Prüfung geprüft habe. Der Prüfer habe in den beiden Prüfungen über verschiedene Sachverhalte zu entscheiden. Lägen Anhaltspunkte für eine Voreingenommenheit des Prüfers nicht vor, so könne nicht einfach unterstellt werden, daß der Prüfer aufgrund seiner Teilnahme an einer früheren Prüfung des Prüflings diesem gegenüber voreingenommen sei. Im Streitfalle habe der Kläger keine Tatsachen dargetan, die den Schluß auf eine Voreingenommenheit des Ausschußvorsitzenden zuließen. Die Verfahrensrüge der fehlerhaften Besetzung des Prüfungsausschusses sei damit unbegründet.
Wolle man in der Besetzung des Prüfungsausschusses einen Verfahrensmangel sehen, so könnte der Kläger diesen nicht mehr mit Erfolg rügen. Nach dem entsprechend anwendbaren § 43 der Zivilprozeßordnung (ZPO) verliere eine Partei das Ablehnungsrecht wegen Besorgnis der Befangenheit dann, wenn ihr die Ablehnungsgründe bekannt seien und sie sich in eine gerichtliche Verhandlung einlasse und dort Anträge stelle. Der Kläger habe an der mündlichen Prüfung in Kenntnis der Mitwirkung des Leitenden Regierungsdirektors A als Ausschußvorsitzender teilgenommen, ohne dessen Mitwirkung zu beanstanden. Damit habe er ein etwa bestehendes Rügerecht wegen Besorgnis der Befangenheit verloren.
Mit seiner Revision trägt der Kläger vor, daß er sein erstinstanzliches Vorbringen in vollem Umfange aufrechteihalte.
Der Kläger rügt die Auffassung des FG, der Prüfungsausschuß sei in der Person des Ausschußvorsitzenden richtig besetzt gewesen. Er führt aus, die Ansicht des FG, er - der Kläger - habe nichts dafür vorgetragen, daß eine tatsächliche Befangenheit vorgelegen habe, sei fehlerhaft. Die Voreingenommenheit ergebe sich daraus, daß der Ausschußvorsitzende die gesamte Prüfungsakte einschließlich der erfolglosen Vorprüfung, an der er mitgewirkt habe, zur Verfügung habe. Die Kenntnis des negativen Prüfungsergebnisses der Vorprüfung habe Einfluß auf den Beurteilungsspielraum des Ausschußvorsitzenden gehabt. Er habe maßgeblich und bei gleichem Stimmenverhältnis sogar entscheidend das Prüfungsergebnis beeinflußt. Die Schlüssigkeit der Rüge der Voreingenommenheit ergebe sich aus dem Prüfungsverlauf. Die Meinung des FG, bei Wiederholungsprüfungen habe der Prüfer unabhängig vom Ergebnis der ersten Prüfung nur über die in der Wiederholungsprüfung gezeigten Leistungen zu entscheiden, sei deshalb nicht richtig. Das FG könne dem Ausschußvorsitzenden nicht unterstellen, er habe kein Erinnerungsvermögen. Dieses sei bei einem hohen Beamten der OFD in hervorragendem Maße ausgebildet. Demzufolge sei bereits die Person des Ausschußvorsitzenden von seiner beruflichen Qualifikation her ein Indiz dafür, daß er aufgrund der Kenntnis der negativen Prüfungsergebnisse in der Vergangenheit in bezug auf die Person des Klägers voreingenommen gewesen sei.
Die Ausführungen des FG zur analogen Anwendung des § 43 ZPO im Prüfungsverfahren lägen neben der Sache.
Der Kläger beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und ihn erneut zur Prüfung zuzulassen.
Die OFD beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision (vgl. § 115 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO - i. V. m. Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs - BFH-EntlastG -) ist unbegründet.
Nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats sind Prüfungsentscheidungen höchstpersönliche Werturteile, die sich einer vollen gerichtlichen Nachprüfung entziehen. Den Prüfungsausschüssen steht ein Beurteilungsspielraum zu, der von den Gerichten nur daraufhin nachgeprüft werden kann, ob allgemeingültige Bewertungsmaßstäbe außer acht gelassen worden sind oder sachfremden Erwägungen Raum gegeben worden ist, ob von unzutreffenden Tatsachen ausgegangen worden ist und die für die Prüfung maßgeblichen Verfahrensbestimmungen eingehalten worden sind (vgl. Urteil vom 24. August 1976 VII R 17/74, BFHE 120, 106, BStBl II 1976, 797).
Das FG hat im Ergebnis zu Recht keinen Mangel des Prüfungsverfahrens darin gesehen, daß der Vorsitzende des Prüfungsausschusses bei einer der vorangegangenen und nicht bestandenen Prüfungen des Klägers Mitglied des Prüfungsausschusses gewesen ist. Das VBerwG hat in dem vom FG zitierten Urteil VII C 6.66 dargelegt, daß es nach rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht erforderlich sei, die Vorschriften des Gerichtsverfahrens über die Ablehnung eines Richters (§§ 42 bis 46 ZPO) im Prüfungsverfahren, in dem derartige Vorschriften nicht bestehen, entsprechend anzuwenden. Es hat ausgeführt: "Da die Besorgnis der Befangenheit eines Richters nur für das gerichtliche Verfahren, nicht jedoch für das Prüfungswesen in Betracht kommt, kann über die Voreingenommenheit eines Prüfers nur unter objektiver Würdigung der tatsächlichen Umstände und nicht vom Standpunkt des Prüflings her entschieden werden. Die subjektive Auffassung einer Prozeßpartei von der Befangenheit eines Richters betrifft die Besetzung des Gerichts und nicht die Entscheidung der Hauptsache; dagegen ist die Voreingenommenheit eines Prüfers für die Hauptsache streitentscheidend."
Der Senat schließt sich dieser auch vom FG zugrunde gelegten Rechtsauffassung des BVerwG an. Die vom Kläger erhobene Rüge betrifft danach nicht einen (auf die entsprechende Anwendung der §§ 42 ff. ZPO gestützten) Verfahrensfehler, sondern den materiell-rechtlichen Vorwurf, daß der Ausschußvorsitzende ihm gegenüber bei seiner Prüfungsentscheidung voreingenommen gewesen sei.
Der Senat stimmt mit dem BVerwG auch darin überein, daß es trotzdem ein Anliegen des Rechtsstaats ist, daß der Prüfling die Voreingenommenheit eines Prüfers bei der Anfechtung der Prüfungsentscheidung geltend machen könne. Die materiell-rechtliche Rüge der Voreingenommenheit des Ausschußvorsitzenden bei der Prüfungsentscheidung ist danach im Zusammenhang damit zu prüfen, ob der Ausschußvorsitzende sachfremden Erwägungen Raum gegeben hat, indem er nämlich den Kläger wegen seiner Voreingenommenheit anders beurteilt hat als die anderen Bewerber. Über diese Frage kann, wie das BVerwG zutreffend entschieden hat, nur unter objektiver Würdigung der tatsächlichen Umstände und nicht von der subjektiven Auffassung des Prüflings her entschieden werden.
Dem FG ist darin zu folgen, daß aus der Teilnahme des Prüfungsausschußvorsitzenden an den vorangegangenen und nicht bestandenen Prüfungen des Klägers nicht auf dessen Voreingenommenheit geschlossen werden kann. Es gibt keinen Erfahrungssatz, daß Ausschußmitglieder bei einer Wiederholungsprüfung dem Bewerber gegenüber voreingenommen seien. Eine solche Voreingenommenheit käme etwa dann in Betracht, wenn der Prüfer sich über den Bewerber abfällig geäußert hätte. Der Kläger hat aber, wie das FG festgestellt hat, keine Tatsachen dargetan, die geeignet wären, eine Voreingenommenheit zu begründen. Dies gilt auch, soweit er zur Begründung der Voreingenommenheit des Ausschußvorsitzenden geltend macht, daß dieser die Prüfungsakten kenne und deshalb auch wisse, daß er bereits zweimal die Prüfung nicht bestanden habe. Wäre diese Auffassung des Klägers richtig, dann müßte man, was völlig abwegig wäre, alle Prüfer von Wiederholungsprüflingen als voreingenommen ansehen.
Da das FG zutreffend zu dem Ergebnis gekommen ist, daß eine Voreingenommenheit des Ausschußvorsitzenden tatsächlich nicht besteht, kann es nicht darauf ankommen, ob der Kläger sein Rügerecht in entsprechender Anwendung des § 43 ZPO verloren habe. Denn auch zur vorzeitigen Geltendmachung der behaupteten Voreingenommenheit hätte die subjektive Besorgnis des Klägers nicht ausgereicht. Es kommt hinzu, daß die das Gerichtsverfahren betreffenden §§ 42 ff. ZPO, wie bereits ausgeführt, im verwaltungsrechtlichen Prüfungsverfahren nicht anwendbar sind.
Fundstellen
Haufe-Index 73195 |
BStBl II 1979, 593 |