Leitsatz (amtlich)
1. Vorschrift 3 zu Abschn.XVI GZT kann nur angewandt werden, wenn eine einzige Haupttätigkeit in bezug auf die Bestandteile einer (Maschinen-)Kombination feststellbar ist. Fehlt es daran, so ist die Kombination ggf. in Anwendung von ATV 3 zu tarifieren.
2. Zur Tarifierung eines Videoturms in einem Bildkommunikationssystem.
Normenkette
GZT Tarifnr 85.15 Tarifst A-3-b-2-cc; GZT Tarifnr 85.15 Tarifst A-4; GZT Tarifnr 85.13; GZT Abschn. 16 Vorschr. 3; GZT Abschn. 16 Vorschr. 5; GZT ATV 3b; GZT ATV 3
Tatbestand
I. Die beklagte Oberfinanzdirektion (OFD) erteilte der Klägerin eine verbindliche Zolltarifauskunft (vZTA) über ein V-Bildkommunikationssystem, bestehend aus Videoturm, Kamerastation, Bedienungstableau und "Codec" (Coder/Decoder), Ursprungsland USA, das zur Bildübertragung über das Fernsprechnetz verwendet werden soll. Nach der vZTA sind die vier baulich selbständigen Einheiten getrennt zu tarifieren. Streitig ist allein die Tarifierung des Videoturms. Diesen Turm, der in einem 52 x 38 x 47 cm großen Gehäuse eine Farbfernsehkamera (zur Aufnahme der vor dem Turm befindlichen Person), zwei Farbmonitoren, je für Empfang und Darstellung des gesendeten Bildes (oder Sendevorbereitung), und zwei elektronische Bildspeicher enthält, ordnete die OFD als Fernsehempfangsgerät mit eingebauter Bildröhre der Tarifst. 85.15 A III b 2 cc des Gemeinsamen Zolltarifs (GZT) zu, weil die kennzeichnende Haupttätigkeit dieser Gerätekombination von den zwei Fernsehempfangsgeräten und der Fernsehkamera ausgeübt werde, von denen die ersteren charakterbestimmend seien. Diese Tarifauffassung bestätigte die OFD in ihrer Entscheidung über den Einspruch der Klägerin, mit dem diese die Zuordnung des Videoturms zur Tarifst. 85.13 B --als elektrisches Gerät für die drahtgebundene Telegraphentechnik-- erstrebte. Die OFD führte aus, die Tarifnr. 85.15 erfasse nicht nur Empfangsgeräte für Fernsehsendungen, sondern alle Geräte, die zum Empfang im Rahmen des Fernsehens übertragener Signale geeignet seien, auch solche, bei denen die Bildübertragung über Draht oder Kabel erfolge. Mit Bauelementen der drahtgebundenen Telegraphentechnik sei der Videoturm nicht ausgestattet. Er sei an der eigentlichen Fernsehübertragung von Bildern nicht beteiligt, dafür sorge vielmehr das Codec-Gerät (Tarifstelle 85.13 B GZT).
Mit der Klage wird geltend gemacht, der Videoturm, der eine funktionelle Einheit mit dem Bedienungstableau bilde, sei nur für die drahtgebundene Nachrichtenübermittlung in Form von Bildern vorgesehen --auch seitens der Post-- und geeignet. V sei der Prototyp eines Bildtelefons. Die technische Weiterentwicklung mache eine erweiterte Auslegung des Begriffs der Telegraphentechnik --unter Einbeziehung bildschirmorientierter Kommunikationssysteme-- erforderlich. Es treffe nicht zu, daß der Videoturm an der eigentlichen Fernübertragung von Bildern nicht beteiligt sei, denn über Koaxialkabel sei eine Kommunikation zwischen Videotürmen (unter Weglassung der nur zur Verbilligung zwischengeschalteten Codec-Geräte) möglich. Die Tarifstelle 85.13 B bezeichne die Gerätekombination am genauesten. Im übrigen seien Monitore und Fernsehkamera --gängige Geräte der Consumer-Technik-- nicht charakterbestimmend, zumal sie im Verhältnis zum Ganzen nur untergeordneten Wert hätten. Wesentlich sei vielmehr der Elektronikteil (u.a. mit elektronischen Schaltungen). Zumindest sei die Tarifstelle 85.13 B über die Allgemeine Tarifierungsvorschrift --ATV-- 4 anzuwenden.
Die OFD trägt vor, für die Tarifierung einer Gerätekombination komme es nicht auf den Wert der Einzelteile, sondern auf die das Ganze kennzeichnende Haupttätigkeit an (Vorschrift 3 zu Abschn.XVI GZT). Gegenüber der Fernsehkamera seien die Monitoren nach Anzahl, Umfang und technischem Aufwand überwiegend und charakterbestimmend. Zwar möge eine Kommunikation von Videoturm zu Videoturm möglich sein, doch werde der Austausch zwischen den einzelnen Teilnehmern aus wirtschaftlichen Gründen stets unter Zwischenschaltung des Codec-Geräts stattfinden.
Entscheidungsgründe
II. Die Klage ist nicht begründet, denn die allein streitige Tarifierung des Videoturms gemäß der nur insoweit angefochtenen vZTA ist im Ergebnis richtig.
1. Eine selbständige tarifliche Behandlung des Videoturms (und der anderen Teile des Systems, deren Tarifierung nicht angegriffen ist) schiede aus, wenn es sich bei dem V-Bildkommunikationssystem insgesamt um eine zolltariflich als (funktionelle) Einheit zu behandelnde Ware oder --ebenfalls insgesamt-- um eine nach der das Ganze kennzeichnenden Haupttätigkeit zu tarifierende Gerätekombination handelte. Indessen geht die angefochtene vZTA mit Recht davon aus, daß das ganze System keine Kombination im Sinne von Vorschrift 3 in Verbindung mit Vorschrift 5 zu Abschn.XVI GZT ist, im Hinblick auf die unterschiedlichen Funktionen der einzelnen Teile auch keine funktionelle Einheit im Sinne der als Erkenntnismittel bei der Auslegung des GZT heranzuziehenden Erläuterungen zum Zolltarif (ErlZT) --hier: ErlZT zu Abschn.XVI Teil I Randziffer 63-- und der dazu entwickelten Rechtsprechung (Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften --EuGH--, Urteile vom 15.Dezember 1977 Rs.60/77, EuGHE 1977, 2453, 2462, vom 9.Februar 1984 Rs.60/83, EuGHE 1984, 671, 680 f., und vom 7.Oktober 1985 Rs.163/84 und Rs.223/84, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 1986, 388 und 389 f.; Senat, Urteil vom 3.Februar 1981 VII K 9/80, BFHE 133, 140, 143). Auch die Klägerin teilt diese Auffassung.
2. Der Videoturm wird als solcher von keiner Tarifstelle des GZT unmittelbar erfaßt. Wegen der verschiedenen Funktionen seiner einzelnen Teile kann er auch nicht als funktionelle Einheit im zolltariflichen Sinne angesehen werden. Zwar stellt er sich als Gerätekombination dar, jedoch nicht als eine solche, die gemäß Vorschrift 3 in Verbindung mit Vorschrift 5 zu Abschn.XVI GZT zu tarifieren wäre. Der entgegengesetzten Auffassung sowohl der Klägerin als auch der OFD, die beide, wenn auch mit unterschiedlicher Begründung und unterschiedlichem Ergebnis, Vorschrift 3 zu Abschn.XVI für anwendbar halten, kann der Senat nicht folgen.
a) Die Klägerin hat sich zwar nicht unmittelbar auf die vorbezeichnete Vorschrift gestützt, wohl aber ausgeführt, der Turm werde zutreffend als Gerätekombination gewertet; als solche müsse er, gegebenenfalls in Anwendung der ATV 3a, der Tarifstelle 85.13 B GZT zugewiesen werden. Dieses Vorbringen kann nur dahin verstanden werden, daß die Klägerin meint, nach der den ganzen Turm --die Kombination-- kennzeichnenden Haupttätigkeit liege ein elektrisches Gerät für die drahtgebundene Telegraphentechnik (Tarifnr. 85.13) vor. Das ist nach Ansicht des Senats nicht richtig. Über die Tarifierung eines zur Übertragung von Bildinhalten an andere Videotürme über Koaxialkabel bestimmten Videoturms braucht der Senat nicht zu entscheiden. Zu tarifieren ist vielmehr der Videoturm eines V-Bildkommunikationssystems, bei dem die Bildübertragung statt über teure Koaxialkabel über das (der Tarifstelle 85.13 B zugewiesene) Codec-Gerät erfolgt, nach der von der Klägerin eingereichten Beschreibung "Herz des Bildkommunikationssystems V", dessen "technische Innovationsleistung" enthaltend. In diesem System, dessen Tarifierung Gegenstand der vZTA ist, übernimmt das Codec-Gerät die Funktion der Bildübertragung, unbeschadet der von der OFD nicht ausgeschlossenen technischen Möglichkeit einer Kabelübertragung von Turm zu Turm. Auch diese bei der Abfertigung anhand der Beschreibungen feststellbare (normale) Bestimmung des Videoturms zum Zusammenwirken mit dem Codec-Gerät gehört zu den für die Tarifierung maßgebenden objektiven Kriterien (vgl. Senatsurteil vom 6.August 1985 VII K 11/84, BFHE 144, 309, 311). Unter Zugrundelegung dieser Kriterien kann der Turm nicht als Gerät für die drahtgebundene Telegraphentechnik angesehen werden. Auch wenn das Bedienungstableau, dessen getrennte Tarifierung die Klägerin im übrigen nicht angegriffen hat, in die Betrachtung einbezogen würde, ergäbe sich wegen des Fehlens der Waren der Tarifstelle 85.13 B GZT kennzeichnenden Merkmale (zu ihnen ErlZT zu Tarifnr. 85.13 Teil I Randziffern 1, 32, 45; Senat, Urteil vom 29.Juli 1986 VII K 11/85, BFHE 147, 390) keine andere Beurteilung.
Eine "erweiternde Auslegung" des zolltariflichen Begriffs der Telegraphentechnik, wie sie die Klägerin vertritt, kann nicht in Betracht gezogen werden. Sie verbietet sich angesichts des klaren Wortlauts der Tarifvorschrift (vgl. Senatsurteil vom 28.Oktober 1966 VII 207/64, BFHE 87, 165, 167; EuGH-Urteil vom 18.März 1986 Rs.58/85, HFR 1987, 43 - Spinnfäden nur aus Polyglykolsäure).
b) Die Vorschrift 3 zu Abschn.XVI GZT kann im Streitfalle auch nicht in der von der OFD vertretenen Weise angewendet werden. Die OFD geht in den angefochtenen Bescheiden davon aus, daß "die Haupttätigkeit" der Gerätekombination von den Fernsehempfangsgeräten (mit Bildröhre) --Tarifstelle 85.15 A III b 2 cc-- und der Fernsehkamera --Tarifstelle 85.15 A IV-- ausgeübt werde, mithin die Tarifnr.85.15 zutreffe, innerhalb welcher der Videoturm gemäß ATV 5, 3b wie die (charakterbestimmenden) Fernsehempfangsgeräte zu tarifieren sei. Der Senat teilt zwar die Auffassung, daß diese Geräte und die Fernsehkamera gleichwertig zu beurteilende Funktionen ausüben, bedeutendere als die elektronischen Bildspeicher des Videoturms. Eine Anwendung der Vorschrift 3 zu Abschn.XVI GZT in Verbindung mit ATV 3 hält der Senat indessen nicht für möglich. Aus der Gleichwertigkeit der Funktionen von Empfangsgeräten und Kamera ist zu schließen, daß eine das Ganze kennzeichnende Haupttätigkeit nicht feststellbar ist, was in der vZTA übrigens selbst zum Ausdruck kommt. Damit fehlt es an "der" (einen) das Ganze kennzeichnenden, unmittelbar zu einer Zollinie --hier: einer Tarifstelle innerhalb der Tarifnr. 85.15-- führenden (Haupt-)Tätigkeit, Voraussetzung für die Anwendung der Vorschrift 3 zu Abschn.XVI.
3. Die Gerätekombination Videoturm ist, unter Berücksichtigung ihrer funktionellen Bestandteile, ohne das zolltariflich nicht maßgebende Gehäuse, mangels einer vorrangigen Tarifvorschrift unmittelbar gemäß ATV 5, 2b Satz 3, 3b zu tarifieren. Keine vorrangige Vorschrift enthält die Auffangposition für in Kapitel 85 anderweit weder genannte noch inbegriffene elektrische Maschinen, Apparate und Geräte --Tarifnr. 85.22--. Die Einreihung in diese Tarifnummer scheidet aus, weil die einzelnen Teile des Videoturms für unterschiedliche Verwendungszwecke geeignet sind, der Turm somit nicht als einheitliche Ware angesehen werden kann (vgl. zur Auffangposition in Tarifst. 84.52 B EuGH-Urteil in EuGHE 1984, 671, 681; dazu Lux in Bail/Schädel/Hutter, Zollrecht, F II 2 Rz.21a). Die in der Kombination enthaltenen Monitoren sind keine Sende-Empfangsgeräte, sondern (reine) Fernsehempfangsgeräte (mit eingebauter Bildröhre) der Tarifstelle 85.15 A III b 2 cc; diese Tarifstelle umfaßt nicht nur Geräte, die für den Empfang drahtlos übertragener Fernsehbilder geeignet sind, sondern auch solche, mit denen --wie mit den Monitoren des Videoturms-- durch Kabel übertragene Signale aufgenommen werden können (vgl. ErlZT zu Tarifnr. 85.15 Teil I Randziffer 12; Senatsurteil vom 9.März 1982 VII K 16/81, BFHE 135, 365, 367), nicht nur Geräte zum Empfang von Fernsehsendungen, sondern auch Fernsehgeräte für industrielle Zwecke (ErlZT, a.a.O., Randziffer 22). Die Fernsehkamera gehört zur Tarifstelle 85.15 A IV, die elektronischen Bildspeicher sind der Tarifstelle 92.11 B II zuzuordnen (vgl. auch ErlZT, a.a.O., Randziffer 23). Keine dieser Tarifstellen enthält eine genauere Warenbezeichnung (vgl. ATV 3a). Charakterbestimmender Bestandteil der Kombination sind die Fernsehempfangsgeräte. Das ergibt sich aus ihrer Anzahl, ihrem Umfang und ihrer die ganze "Empfangsseite" abdeckenden Funktion im Gesamtsystem (vgl. zu diesen Tarifierungsmaßstäben ErlZT zu ATV 3 Teil I Randziffer 17). Der Umstand, daß sie zu den "gängigen Geräten der Consumer-Technik" rechnen mögen, beeinträchtigt nicht ihre den vorbezeichneten Kriterien zu entnehmende charakterbestimmende Bedeutung (vgl. Senatsurteil vom 3.Juli 1984 VII K 4, 12-13/82, BFHE 141, 388 391 --Radiouhren--). Auch ihr nach Darstellung der Klägerin untergeordneter Wert nimmt ihnen nicht diese Bedeutung. Der Wert kann zwar bei der Ermittlung des charakterbestimmenden Bestandteils herangezogen werden (vgl. ErlZT, a.a.O.); vorrangig ist indessen auf Kriterien wie die Bedeutung der Bestandteile bei der Verwendung der Geräte abzustellen (Senatsurteil in BFHE 141, 388, 390). Der Videoturm ist damit, wie in den angefochtenen Bescheiden im Ergebnis richtig angenommen, gemäß ATV 3b wie seine charakterbestimmenden Bestandteile zu tarifieren und der Tarifstelle 85.15 A III b 2 cc GZT zuzuweisen. Für eine Anwendung der ATV 4 ist kein Raum (vgl. Senatsurteil vom 29.Oktober 1985 VII R 164/82, BFHE 144, 500).
Fundstellen
Haufe-Index 61931 |
BFHE 150, 244 |
BFHE 1987, 244 |
HFR 1987, 539-540 (ST) |