Entscheidungsstichwort (Thema)
Geschäftsführerhaftung wegen Lohnsteuer
Leitsatz (NV)
1. Der wegen der Lohnsteuerrückstände einer GmbH als Haftungsschuldner in Anspruch genommene Geschäftsführer der GmbH kann sich nicht damit entlasten, er habe sich in der Gesellschaft nicht durchsetzen und deshalb deren steuerliche Verpflichtungen nicht erfüllen können.
2. Zur Ermessensausübung.
Normenkette
AO 1977 §§ 34, 69, 191 Abs. 1
Tatbestand
Streitig ist die Rechtmäßigkeit eines gegen die Klägerin ergangenen Lohnsteuerhaftungsbescheids.
Die Klägerin gründete im Jahr 1977 zusammen mit Herrn St sowie einem weiteren Gesellschafter eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Zu gemeinsam vertretungsberechtigten Geschäftsführern wurden die Klägerin und St bestellt. Die GmbH wurde gegründet, nachdem ein Anfang 1977 gestellter Antrag des Ehemannes der Klägerin, der bis dahin ein gleichartiges Einzelunternehmen betrieben hatte, auf Eröffnung des Konkursverfahrens mangels Masse abgewiesen worden war.
Die für die Monate Juni, Juli und August 1979 von der GmbH angemeldeten Lohnsteuer- und Kirchensteuerabzugsbeträge in Höhe von insgesamt 64 417,15 DM wurden nicht entrichtet. Am 26. September 1979 wurde über das Vermögen der GmbH das Konkursverfahren eröffnet.
Mit Haftungsbescheid vom 3. Januar 1980 nahm der Beklagte (das Finanzamt - FA -) die Klägerin - ebenso wie zunächst auch Mitgeschäftsführer St - wegen der rückständig gebliebenen Lohn- und Kirchensteuerabzugsbeträge für die Monate Juni bis August 1979 nebst Säumniszuschlägen in Höhe von insgesamt 65 876,15 DM in Anspruch (§§ 34, 69 der Abgabenordnung - AO 1977 -). Den Haftungsbescheid gegen St hat das FA später zurückgenommen.
Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage hat das FG abgewiesen. Es hat ausgeführt, der Einwand der Klägerin, daß aufgrund interner Vereinbarung der Mitgeschäftsführer St für die steuerlichen Angelegenheiten der GmbH zuständig gewesen sei, könne nicht durchgreifen. Der Mitgeschäftsführer St habe - wie von der Klägerin selbst vorgetragen - mit Ablauf Juni 1979 seine Geschäftsführertätigkeit niedergelegt. Angesichts dieser Situation habe sich die Klägerin nunmehr auch um die Erledigung der laufenden steuerlichen Angelegenheiten der GmbH kümmern müssen; denn wegen der Niederlegung der Geschäftsführung durch St sei die intern - ausdrücklich oder konkludent - getroffene Abrede über die Arbeitsteilung (Zuständigkeit des St für die steuerlichen Angelegenheiten der GmbH), falls eine solche überhaupt bestanden habe, gegenstandslos geworden.
Die Klägerin könne sich auch nicht mit ihrer fehlenden Vorbildung für die Ausübung einer Geschäftsführertätigkeit entlasten. Wer sich zum gesetzlichen Vertreter eines Unternehmens bestellen lasse, übernehme damit auch öffentlich-rechtliche Pflichten. Darüber müsse er sich informieren und für deren Erfüllung Sorge tragen. Die ordnungsgemäße Beachtung der gesetzlichen Vorschriften müsse von dem Geschäftsführer eines Gewerbebetriebs verlangt werden (vgl. auch Urteil des BFH vom 20. April 1982 VII R 96/79, BFHE 135, 416, BStBl II 1982, 521). Im übrigen wisse jeder Arbeitnehmer - und dies sei die Klägerin früher auch gewesen -, daß die Lohnsteuer vom Lohn des Arbeitnehmers einbehalten werde und vom Arbeitgeber an das FA abzuführen sei.
Die Inanspruchnahme der Klägerin sei auch unter Ermessensgesichtspunkten nicht zu beanstanden. Das FA habe zunächst den Mitgeschäftsführer St in gleicher Weise für die Nichtabführung der strittigen Abzugsbeträge als verantwortlich angesehen und deshalb auch gegen ihn einen Haftungsbescheid erlassen. Erst nach Bekanntwerden der Niederlegung der Geschäftsführung durch St mit Ablauf Juni 1979 habe es den gegen den ihn ergangenen Haftungsbescheid aufgehoben. Eine unrichtige Ausübung des Auswahlermessens liege daher insoweit nicht vor. Ebenso beinhalte es keinen Ermessensverstoß, daß das FA den Ehemann der Klägerin nicht zur Haftung herangezogen habe. Dies hätte nämlich, da dieser nicht gesetzlicher Vertreter gewesen sei, vorausgesetzt, daß er als Verfügungsberechtigter der GmbH nach außen hin aufgetreten sei (vgl. § 35 AO 1977). Dafür ergebe sich aber aus dem Vorbringen der Klägerin nichts.
Mit der Revision verfolgt die Klägerin das Klagebegehren weiter. Sie rügt unrichtige Anwendung von §§ 34, 69 AO 1977.
Ihre Bestellung zum Geschäftsführer sei als Scheingeschäft (§ 117 BGB) nichtig gewesen. Sie - die Klägerin - sei auch nicht als Geschäftsführer tätig gewesen oder aufgetreten. Die Geschäftsführung sei durch den Mitgesellschafter St und ihren Ehemann ausgeübt worden. Die Wahrnehmung der steuerlichen Angelegenheiten sei nach einer internen Arbeitsverteilung ausschließlich Sache des St gewesen. Dieser habe sich seinen steuerlichen Pflichten durch die - im übrigen rechtlich unwirksame - Niederlegung der Geschäftsführung Ende Juni 1979 nicht entziehen können. Seine steuerlichen Verpflichtungen hätten vielmehr auch nach dem Juni 1979 fortbestanden.
Schließlich sei die GmbH liquiditätsmäßig auch nicht in der Lage gewesen, die fraglichen Steuerabzugsbeträge an das FA abzuführen. Denn sie habe seit Ende Juni 1979 über keinerlei Mittel zur Tilgung irgendwelcher Verbindlichkeiten mehr verfügt. Dies habe das FG verkannt (Hinweis auf das Urteil des BFH vom 26. April 1984 V R 128/79, BFHE 141, 443, BStBl II 1984, 776).
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Das FG hat unter zutreffender Würdigung der Einwendungen der Klägerin, die weitgehend mit dem Revisionvorbringen übereinstimmen, die Klage gegen die Inanspruchnahme als Haftungsschuldner für die Lohnsteuerrückstände Juni mit August 1979 mit Recht abgewiesen.
1. Der Fall unterliegt gemäß Art. 97 § 11 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung (EGAO 1977) den Regelungen der AO 1977, weil der haftungsbegründende Tatbestand nach dem 31. Dezember 1976 verwirklicht wurde; das gilt auch hinsichtlich der Lohnkirchensteuer (vgl. § 14 des Kirchensteuergesetzes - KiStG - im Land Nordrhein-Westfalen i.V.m. Art. 4 des AO-Anpassungsgesetzes Nordrhein-Westfalen, GVBl NW 1975, 436 bzw. 1976, 473).
2. In der Sache selbst ist das FG zutreffend davon ausgegangen, daß die Klägerin als in das Handelsregister eingetragener Geschäftsführer der GmbH verpflichtet war, die von der GmbH einbehaltene Lohn- und Lohnkirchensteuer an das FA abzuführen, und daß sie im Umfang der schuldhaften Nichterfüllung dieser Pflicht dem FA gegenüber neben der GmbH persönlich haftbar ist (§§ 69, 34 AO 1977). Die Bestellung der Klägerin zum Geschäftsführer war kein Scheingeschäft i.S. des § 117 BGB, weil sie gerade vorgenommen wurde, um die GmbH mit einem Geschäftsführer auszustatten, nachdem der Ehemann der Klägerin hierfür nicht in Frage kam. Die Bestellung war also ernstlich gewollt. Daß sie weitgehend oder in erster Linie zur Täuschung Dritter vorgenommen wurde, genügt nicht zur Annahme eines Scheingeschäfts. Der Einwand, die Klägerin sei nur pro forma - also als ein Strohmann ihres Ehegatten und des Mitgeschäftsführers St - als Geschäftsführer eingesetzt gewesen, kann deshalb keinen Erfolg haben (vgl. Urteile des BGH vom 9. Oktober 1956 II ZB 11/56, BGHZ 21, 378, und vom 22. Oktober 1981 III ZR 149/80, NJW 1982, 569; vgl. Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 46. Aufl., Anm. 1, 2c zu § 117). Das FG hat auch zutreffend ausgeführt, der GmbH-Geschäftsführer könne sich nicht damit entschuldigen, daß ein anderer die Geschäfte der GbmH geführt und dabei die Unregelmäßigkeiten, die die Steuerverkürzung bewirkten, begangen habe. Wenn der Geschäftsführer die Geschäftsführung durch einen anderen duldet, so hat er durch geeignete Aufsichtsmaßnahmen dafür zu sorgen, daß dieser die steuerlichen Verpflichtungen der GbmH ordnungsgemäß und rechtzeitig erfüllt. Auch eine lediglich nominell zum Geschäftsführer bestellte Person kann sich nicht damit entlasten, sie habe keine Möglichkeit gehabt, innerhalb der Gesellschaft ihre rechtliche Stellung als Geschäftsführer zu verwirklichen und die steuerlichen Verpflichtungen zu erfüllen.
Dies gilt sinngemäß auch für den weiteren Einwand der Klägerin, nicht sie sei aufgrund einer internen Geschäftsverteilung für die Wahrnehmung der steuerlichen Belange der GmbH zuständig gewesen, sondern St. Eine solche Geschäftsverteilung könnte, falls St im Haftungszeitraum noch Geschäftsführer gewesen wäre, haftungsrechtlich allenfalls dann von Bedeutung sein, wenn sie verbindlich in schriftlicher Form erfolgt wäre (vgl. Urteil in BFHE 141, 443, BStBl II 1984, 776). Daß dies geschehen sei, ist nicht einmal vorgetragen und im übrigen den revisionsrechtlich verbindlichen Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) nicht zu entnehmen. Schon aus diesem Grund ist der geltend gemachte Gesichtspunkt einer Geschäftsverteilung haftungsrechtlich ohne Bedeutung.
3. Die Inanspruchnahme der Klägerin als Haftungsschuldner beruht schließlich nicht auf einer fehlerhaften, sachwidrigen Ermessensausübung (vgl. § 191 Abs. 1 AO 1977).
a) Abgesehen davon, daß das FA - nach den revisionsrechtlich verbindlichen Feststellungen des FG - zunächst den Mitgeschäftsführer St ebenfalls in Haftung genommen hatte, war die Inanspruchnahme der Klägerin auch deshalb ermessenskonform, weil der Mitgeschäftsführer St seine Geschäftsführertätigkeit - wie unstreitig - zum 30. Juni 1979 niedergelegt hatte, was - entgegen der Auffassung der Revision - zivilrechtlich möglich und rechtswirksam war (vgl. Baumbach/ Hueck, GmbH-Gesetz, 14. Aufl., Anm. 38 zu § 38, mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des BGH). Die Realsierung des Haftungsanspruchs gegen St wäre also nicht einmal hinsichtlich der Lohnsteuer für Juni 1979 möglich gewesen, da diese Steuerschuld erst am 30. Juni 1979 entstanden ist. Die weiteren Lohnsteuerrückstände (Juli und August 1979) sind erst nach dem 30. Juni 1979 entstanden und fällig geworden (vgl. § 38 Abs. 2 und § 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes - EStG -). Das FA hat deshalb nach Bekanntwerden der Niederlegung der Geschäftsführertätigkeit den Haftungsbescheid gegen den Mitgeschäftsführer St wieder zurückgenommen. Es war - wie sich auch aus der Einspruchentscheidung ergibt - seitdem in seinem Auswahlermessen beschränkt.
b) Die - von der Revision als rechtsfehlerhaft vermißte - Inanspruchnahme des Ehegatten der Klägerin hätte, da dieser nicht Geschäftsführer der GmbH gewesen ist, vorausgesetzt, daß der Ehemann nach außen als Verfügungsberechtigter der GmbH aufgetreten wäre (§ 35 AO 1977). Hierfür ergibt sich - wie das FG zutreffend ausgeführt hat - aus dem Vorbringen der Klägerin nichts. Es spricht vielmehr sogar alles für das Gegenteil: Denn der Ehemann sollte wegen seiner steuerlichen Unzuverlässigkeit nach außen gerade nicht als Geschäftsführer in Erscheinung treten, vielmehr möglichst im Hintergrund tätig bleiben. Bei dieser Sachlage fehlte es an den Voraussetzungen des § 35 AO 1977, so daß eine Inanspruchnahme des Ehemannes dem FA nicht möglich war oder - jedenfalls - rechtlich nicht durchzusetzen gewesen wäre.
c) Schließlich geht auch der - in der Revision erstmals erhobene - Einwand der zur Tilgung der Lohnsteuerschulden nicht ausreichenden Liquidität der GmbH ins Leere. Denn die Liquiditätslage spielt bei der Lohnsteuer - anders als bei der Umsatzsteuer - keine Rolle (ständige Rechtsprechung des BFH). Die Klägerin verkennt hier - wie auch ihr Hinweis auf das Urteil in BFHE 141, 443, BStBl II 1984, 776 offenbart - die Rechtslage bei der Lohnsteuer einerseits und der Umsatzsteuer andererseits. Diese Rechtslage ist unterschiedlich.
Nach alledem erweist sich die Entscheidung des FG im Ergebnis und in der - sehr ausführlichen - Begründung als zutreffend.
Fundstellen
Haufe-Index 415208 |
BFH/NV 1988, 6 |