Leitsatz (amtlich)
Die maßgebliche Beteiligung von stillen Gesellschaftern einer offenen Handelsgesellschaft an einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung muß bei der Beurteilung einer finanziellen Eingliederung der Gesellschaft mit beschränkter Haftung in die offene Handelsgesellschaft (im Wege mittelbarer Beteiligung) außer Betracht bleiben.
Normenkette
UStG 1951 (1967) § 2 Abs. 2 Nr. 2
Tatbestand
Die Klägerin ist kraft Umwandlung zum 31. Dezember 1971 Rechtsnachfolgerin der A-GmbH. Daneben bestand im Jahr 1961 eine weitere Gesellschaft, die A-OHG, die ihren Herstellungsbetrieb an die Gesellschaft mit beschränkter Haftung verpachtet hatte. Die offene Handelsgesellschaft hatte drei Gesellschafter. An ihrem Handelsgewerbe waren 27 weitere Personen als atypische stille Gesellschafter beteiligt.
Am Stammkapital der Gesellschaft mit besschränkter Haftung waren zwei der drei persönlich haftenden Gesellschafter der offenen Handelsgesellschaft mit Anteilen von zusammen 16,4 v. H. beteiligt. Den Rest des Stammkapitals von 83,6 v. H. hielten neun der 27 atypischen stillen Gesellschafter der offenen Handelsgesellschaft. Die Geschäftsführung oblag den beiden am Stammkapital beteiligten persönlich haftenden Gesellschaftern der offenen Handelsgesellschaft sowie einem der neun stillen Gesellschafter. In der Gesellschafterversammlung gewährten 100 DM des Stammkapitals eine Stimme.
Das Finanzamt (Beklagter) hatte die Gesellschaft mit beschränkter Haftung bis zum 30. September 1961 als eine von der offenen Handelsgesellschaft beherrschte Organgesellschaft (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 des Umsatzsteuergesetzes 1951 - UStG 1951 -) behandelt. Nachdem durch das Elfte Gesetz zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes (11. UStÄndG 1961) vom 16. August 1961 (BGBl I 1961, 1330, BStBl I 1961, 609) § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG 1951 mit Wirkung vom 1. Oktober 1961 geändert worden war (Einführung der sog. 75 v. H.-Grenze), hat das Finanzamt das Vorliegen einer Organschaft verneint. Nach seiner Auffassung sind die gesetzlichen Eingliederungsmerkmale nicht gegeben, da die Anteile und Stimmrechte der atypischen stillen Gesellschafter nicht berücksichtigt werden könnten. Es veranlagte demgemäß für den Zeitraum vom 1. Oktober bis 31. Dezember 1961 die Gesellschaft mit beschränkter Haftung (Rechtsvorgängerin der Klägerin) als selbständige Unternehmerin zur Umsatzsteuer. Der Einspruch blieb erfolglos.
Das Finanzgericht hat die Klage abgewiesen, mit der die Klägerin geltend gemacht hatte, die Gesellschaft mit beschränkter Haftung sei kein selbständiger Unternehmer gewesen.
Mit der Revision rügt die Klägerin unrichtige Anwendung des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG 1951: Das Finanzgericht habe bei Würdigung des Gesellschaftsvertrages der offenen Handelsgesellschaft verkannt, daß die persönlich haftenden wie die stillen Gesellschafter eine Familieneinheit bildeten, aus der sich gleichgerichtete Interessen ergeben hätten; die offene Handelsgesellschaft sei nur die äußere Form, hinter der sich eine Familiengesellschaft verberge. Aus der Rechtsprechung zur Unternehmereinheit zwischen einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung und einer atypischen stillen Gesellschaft folge, daß auch im vorliegenden Fall die Beteiligungen der atypischen stillen Gesellschafter mitzurechnen seien.
Die Klägerin beantragt, den Umsatzsteuerbescheid 1961 aufzuheben.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist unbegründet.
Gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG 1951 i. d. F. des 11. UStÄndG 1961 war in der Zeit vom 1. Oktober 1961 bis 31. Dezember 1967 eine juristische Person dann Organgesellschaft, wenn sie dem Willen eines Unternehmers derart untergeordnet war, daß sie keinen eigenen Willen hatte. Dies setzte voraus, daß die juristische Person nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das Unternehmen des Organträgers eingegliedert war. Jedoch galt diese Voraussetzung als nicht erfüllt, wenn dem Unternehmer nicht mehr als 75 v. H. der Anteile an der juristischen Person gehörten oder wenn ihm nicht mehr als 75 v. H. der Stimmrechte zustanden.
Organträger kann nur e i n Unternehmer sein und nicht eine Mehrzahl von Einzelpersonen oder Gesellschaftern (vgl. Eckhardt/Weiß, Umsatzsteuergesetz, 1967, § 2 Abs. 2 Tz. 11; Hartmann/Metzenmacher, Umsatzsteuergesetz - Mehrwertsteuer -, Kommentar, 6. Aufl., E § 2 Tz. 246 und 249). Im Hinblick auf die gesetzlichen Eingliederungsmerkmale und die tatsächlichen Beteiligungsverhältnisse käme in erster Linie als Organträger nur ein aus der offenen Handelsgesellschaft und den neun an der Gesellschaft mit beschränkter Haftung beteiligten stillen Gesellschaftern gebildeter Zusammenschluß in Betracht. Ein derartiger, von der Klägerin als Familiengesellschaft bezeichneter Zusammenschluß - etwa in der Rechtsform einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts - scheidet jedoch als Organträger aus, da er als Innengesellschaft nicht Unternehmer i. S. des § 2 Abs. 1 UStG 1951 ist.
Eine Eingliederung der Gesellschaft mit beschränkter Haftung in die offene Handelsgesellschaft ist zu verneinen. Zwar ist für die Abhängigkeit einer juristischen Person von einer offenen Handelsgesellschaft nicht erforderlich, daß die Personengesellschaft an der juristischen Person selbst beteiligt ist; es genügt, wenn die Anteile ganz oder teilweise ihren Gesellschaftern zustehen (Urteile des Reichsfinanzhofs vom 30. November 1934 V A 687/33, RStBl 1935, 660; vom 12. Juli 1940 V 426/38, RStBl 1940, 910, sowie Urteil des Bundesfinzhofs vom 17. April 1969 V R 123/68, BFHE 95, 558, BStBl II 1969, 505). Die neun stillen Gesellschafter, die rund 84 v. H. der Anteile an der Gesellschaft mit beschränkter Haftung halten, waren jedoch nicht Gesellschafter der offenen Handelsgesellschaft, sondern dieser nur durch gesonderte Verträge rein obligatorischen Inhalts verbunden. Sie wirkten, weil nicht an der offenen Handelsgesellschaft als Gesellschafter beteiligt, an deren Willensbildung nicht mit. Mangels Einbindung der (atypischen) stillen Gesellschafter in die Willensbildung der offenen Handelsgesellschaft konnte bei dieser kein Wille gebildet werden, vermöge dessen die offene Handelsgesellschaft den entscheidenden Einfluß in der Gesellschaft mit beschränkter Haftung hätte sicherstellen können. Die neun stillen Gesellschafter, die an der Gesellschaft mit beschränkter Haftung maßgeblich beteiligt waren, waren nicht gehindert, bei dieser einen von dem Willen der offenen Handelsgesellschaft abweichenden Willen durchzusetzen.
Sofern eine solche Sachlage gegeben ist, führt - auch über den entschiedenen Fall hinaus - eine mittelbare Beteiligung keine Eingliederung herbei. Die maßgebliche Beteiligung von stillen Gesellschaftern einer offenen Handelsgesellschaft an einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung muß bei der Beurteilung einer finanziellen Eingliederung der Gesellschaft mit beschränkter Haftung in die offene Handelsgesellschaft (im Wege mittelbarer Beteiligung) außer Betracht bleiben.
Der Hinweis der Klägerin, daß im Körperschaftsteuerrecht eine Organschaft auch dann angenommen werde, wenn die GmbH-Anteile zum Sonderbetriebsvermögen eines atypischen stillen Gesellschafters gehörten, ermöglicht keine andere Beurteilung, da der Unternehmerbegriff des Umsatzsteuerrechts gegenüber dem ertragsteuerrechtlichen Begriff des Mitunternehmers wesensverschieden (Urteil des Bundesfinanzhofs vom 22. Mai 1969 V R 28/66, BFHE 96, 149, BStBl II 1969, 603) und da der Begriff der Organschaft in beiden Rechtsgebieten nicht dekkungsgleich ist.
Die Frage, ob umgekehrt die offene Handelsgesellschaft in die Gesellschaft mit beschränkter Haftung eingegliedert war, stellt sich nicht; das Rechtsinstitut des organschaftsähnlichen Verhältnisses ist inzwischen aufgegeben (Urteil vom 7. Dezember 1978 V R 22/74, BFHE 127, 262, BStBl II 1979, 356).
Fundstellen
BStBl II 1980, 20 |
BFHE 1979, 557 |