Entscheidungsstichwort (Thema)
Zwangsmittelfestsetzung als Ermessensentscheidung
Leitsatz (NV)
1. Die Festsetzung eines Zwangsmittels zur Durchsetzung eines auf Vornahme einer Handlung (hier: Abgabe der Steuererklärung) gerichteten Verwaltungsakts ist eine Ermessenentscheidung (Bestätigung der bisherigen Senatsrechtsprechung), die einer Begründung bedarf (wenigstens durch formularmäßige Bezugnahme auf die Androhung).
2. Eine -- begründete -- Ermessensentscheidung (1.) liegt nicht vor, wenn die Beschwerdebehörde unter Hinweis auf den bloßen Vollzugscharakter der Festsetzung es ausdrücklich ablehnt, nach Ermessensgesichtspunkten zu entscheiden (Ermessensunterschreitung).
Normenkette
AO 1977 §§ 333, 5; FGO § 102
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war letzter Geschäftsführer und späterer Liquidator einer GmbH, die -- nach Ablehnung des vom Kläger gestellten Antrags auf Eröffnung des Konkursverfahrens mangels Masse -- von Amts wegen im Handelsregister gelöscht wurde. Nachdem das beklagte und revisionsbeklagte Finanzamt (FA) die GmbH vergeblich zur Abgabe verschiedener Steuererklärungen aufgefordert hatte, richtete es eine entsprechende Aufforderung, die sich auch auf Einreichung des Jahresabschlusses ... erstreckte, an den Kläger. Nach Ablauf der gesetzten Frist drohte das FA dem Kläger die Festsetzung von Zwangsgeldern an, die es später unter erneuter Androhung festsetzte. Die entsprechende Verfügung ist bestandskräftig geworden. Nachdem auch die erneute Androhung unbeachtet blieb, verfügte das FA die Festsetzung entsprechender Zwangsgelder. Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Klägers wurde zurückgewiesen. In der Beschwerdeentscheidung heißt es:
"Ist der Bescheid, mit dem das Zwangsgeld angedroht wurde, bestandskräftig geworden, so bildet dieser Verwaltungsakt die Rechtsgrundlage für die Festsetzung. Die Fest setzung eines angedrohten Zwangsgeldes beruht auf keiner (erneuten) Ermessensentscheidung, sondern ist der durch besonderen Verwaltungsakt erfolgende Vollzug der vorhergehenden Androhung ... Gründe, die für die Rechtswidrigkeit der Festsetzungsverfügungen sprechen könnten, hat der Bf nicht vorgetragen ... "
Das Finanzgericht (FG) wies die gegen die letzten Zwangsgeldfestsetzungen und die Beschwerdeentscheidung gerichtete Klage mit der Begründung ab, die Festsetzung des Zwangsgeldes sei nicht zu beanstanden; entgegen der Rechtsprechung des erkennenden Senats bedürfe es hier nach § 333 der Abgabenordnung (AO 1977), wie in der Beschwerdeentscheidung ausgeführt, nach erfolgter Androhung keiner erneuten Ermessensentscheidung.
Mit seiner Revision wendet der Kläger sich gegen die Rechtsauffassung des FG. Er rügt ferner, das FG habe verkannt, daß das FA für sein Tätigwerden örtlich nicht zuständig gewesen sei.
Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung und die angefochtenen Verwaltungsakte aufzuheben und die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist zulässig, insbesondere -- noch -- ausreichend begründet (§ 120 Abs. 1 und 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --). In der Sache selbst führt sie zur Aufhebung der Vorentscheidung und der angefochtenen Verwaltungsakte (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO). Die Zwangsgeldfestsetzungen in der Fassung der Beschwerdeentscheidung können keinen Bestand haben, weil ihnen -- in der bezeichneten Fassung -- keine Ermessensentscheidung zugrunde liegt, letztere aber, entgegen der Ansicht der Vorinstanz, erforderlich war. Auf die weitere Revisionsrüge des Klägers kommt es nicht an.
Die Frage, ob die Festsetzung eines Zwangsmittels zur Durchsetzung eines auf Vornahme einer Handlung -- hier: Abgabe von Steuererklärungen usw. -- oder auf Duldung oder Unterlassung gerichteten Verwaltungsakts (§ 328 Abs. 1 AO 1977) nach fruchtlos gebliebener vorheriger Androhung (§ 332 Abs. 1 und 2 AO 1977) eine Ermessensentscheidung darstellt, wird unterschiedlich beantwortet. Das FG Berlin hat sie verneint (Urteil vom 25. Januar 1988 VIII 389/87, Entscheidungen der Finanzgerichte 1988, 395; zustimmend Klein/Orlopp, AO, 4. Aufl. 1989, § 333 Anm. 2; vgl. auch Dumke in Schwarz, AO, § 333 Anm. 6 a), der erkennende Senat hat sie hingegen bejaht (Urteil vom 11. August 1992 VII R 90/91, BFH/NV 1993, 346; ebenso Schwarz in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, 9. Aufl., AO § 333 Anm. 7; Tipke/Kruse, AO/FGO, 15. Aufl., AO § 333 Tz. 3).
Der Senat hält auch nach Überprüfung an seiner Rechtsauffassung fest. Der Wortlaut von § 333 AO 1977 (" ... setzt ... das Zwangsmittel fest") zwingt nicht zu der Annahme, daß die Festsetzung -- ein gesonderter Verwaltungsakt -- keine Ermessensentscheidung, sondern nur der durch weiteren Verwaltungsakt erfolgende Vollzug der vorangegangenen Anordnung sei. Das gesamte Verfahren nach §§ 328 ff. AO 1977, auch die Festsetzung des Zwangsmittels, steht unter Ermessensgesichtspunkten (vgl. auch Schwarz in Hübsch mann/Hepp/Spitaler, a.a.O., Anm. 5). Die Finanzbehörde hat ein Handlungs-(Entschließungs-) und ein -- durch die Androhung begrenztes -- Auswahlermessen; sie kann von einer Festsetzung ganz oder teilweise absehen. Im Hinblick auf die vorangegangene Androhung bedarf es allerdings in der Regel keiner besonderen Ausführungen zur Begründung der Festsetzung (in diesem Sinne wohl Dumke in Schwarz, a.a.O., der eine erneute "ausdrückliche" Ermessensentscheidung für entbehrlich hält). Wenn keine besonderen Umstände vorliegen, mag sogar die Bezugnahme auf die Androhung genügen, wie sie bei der Festsetzung durch das FA hier -- formularmäßig -- erfolgt ist. Fehlt es aber selbst an einer solchen Begründung, so ist die getroffene Entscheidung grundsätzlich ermessensfehlerhaft (z. B. Senat, Urteil vom 30. April 1987 VII R 48/84, BFHE 149, 511, 513, BStBl II 1988, 170). Ebenfalls liegt ein Ermessensfehler -- in Form der Ermessensunterschreitung -- vor, wenn die Behörde das Ermessen, das ihr nach dem Gesetz eingeräumt ist, überhaupt nicht ausübt. Denn den Zweck einer Ermächtigung berücksichtigen -- § 5 AO 1977 -- heißt auch, von der Ermächtigung Gebrauch machen (vgl. etwa Kühn/Kutter/Hofmann, AO/FGO, 16. Aufl. 1990, AO 1977 § 5 Bem. 4, zu a; Koch/Scholtz, AO, 4. Aufl. 1993, § 5 Rz. 8/2). Auch insoweit unterliegt die nach Ermessen zu treffende Entscheidung, in der Gestalt, die sie zuletzt gefunden hat (Senat, Urteil vom 26. März 1991 VII R 66/90, BFHE 164, 7, 9, BStBl II 1991, 545; Szymczak in Koch/Scholtz, a.a.O., § 368 Rz. 7), der gerichtlichen Nachprüfung gemäß § 102 FGO.
Den hiernach zu stellenden Anforderungen entspricht die als letzte Verwaltungsentscheidung maßgebende Beschwerdeentscheidung nicht. Die Beschwerdebehörde hat es ausdrücklich abgelehnt, eine Ermessensentscheidung zu treffen, weil sie die vorangegangene Androhung als allein maßgebende "Rechtsgrundlage" angesehen hat. Sie hat damit erklärtermaßen eine Ermessensentscheidung unterlassen. Dementsprechend fehlt eine Begründung für eine Ausübung des Ermessens. Die -- beiläufig -- zur Rechtmäßigkeit der Androhung angegebenen Gründe sind insoweit unbehelflich. Da nicht nur eine (Ermessens-)Entscheidung mit dem Ergebnis einer Festsetzung entsprechend der Androhung möglich, das Ermessen also nicht auf Null reduziert war und das Gericht keine eigenen Ermessenserwägungen anstellen darf, nötigt der vorliegende Ermessens- (und Begründungs-) Mangel dazu, dem Hauptantrag der Revision zu entsprechen. Die Finanzbehörden sind hierdurch freilich grundsätzlich nicht gehindert, erneut unter Ermessensgesichtspunkten über die Festsetzung des angedrohten Zwangsgeldes zu entscheiden. Einwendungen gegen die Rechtmäßigkeit einer etwa bestandskräftig gewordenen Anordnungsverfügung -- hier etwa aus Gründen der Zuständigkeit -- wären in diesem Verfahren ausgeschlossen (Senat, Urteil vom 20. Oktober 1981 VII R 13/80, BFHE 135, 141, 143 f., BStBl II 1982, 371).
Fundstellen
Haufe-Index 420355 |
BFH/NV 1995, 754 |