Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Ein Vertrag über gleichbleibende, regelmäßig wiederkehrende Geldleistungen, die dem Berechtigten auf Lebenszeit zustehen, verliert die Rechtsnatur als Leibrentenvertrag im Sinn von §§ 10 Abs. 1 Ziff. 1, 22 Ziff. 1 a EStG nicht allein dadurch, daß zusätzlich eine sogenannte Währungsklausel vereinbart wird, die sicherstellen soll, daß auch bei Währungsschwankungen wirtschaftlich gleichwertige Leistungen erbracht werden.
Normenkette
EStG § 10 Abs. 1 Ziff. 1, § 22/1/a
Tatbestand
Die Steuerpflichtigen (Stpfl.) begehrten, für das Streitjahr 1962 als Sonderausgaben 21.875 DM abzuziehen. Das Finanzamt (FA) sah in der Zahlung eine Leibrente und setzte gemäß § 10 Abs. 1 Ziff. 1 EStG in Verbindung mit § 22 EStG nur den Ertragsanteil mit 3.500 DM als Sonderausgaben ab.
Der Einspruch und die Berufung blieben ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) stellte den folgenden Sachverhalt fest: Die steuerpflichtige Ehefrau und ihre Schwester hatten von ihrer Mutter ein Hausgrundstück geschenkt erhalten. Die Mutter hatte sich den lebenslangen Nießbrauch am Grundstück vorbehalten. Für den Fall, daß die Beschenkten das Grundstück veräußerten, verzichtete die Mutter gleichzeitig auf den Nießbrauch und bedang sich dafür eine jährliche als "Zinsen" bezeichnete Zahlung von 5 v. H. des Kaufpreises aus. Das Grundstück wurde im Jahre 1962 für 1 Mio. DM veräußert; davon entfielen auf jede Tochter 500.000 DM.
Das FG, dessen Urteil in "Entscheidungen der Finanzgerichte" 1966 S. 269 veröffentlicht ist, nahm an, die "Zinsen" aus dem Kaufpreis seien für die Mutter Leibrentenzahlungen. Es führte im einzelnen aus, die streitigen Bezüge der Mutter seien nicht Kapitalerträge, da sie nicht für ein auf bestimmte Zeit zur Nutzung überlassenes Kapital gezahlt würden. Die Mutter habe in dem notariellen Vertrag auf den Nießbrauch verzichtet für den Fall, daß die Töchter das Grundstück veräußerten; der Nießbrauch sei also unter einer auflösenden Bedingung bestellt worden. An die Stelle des Nießbrauchs sei nach dem Verkauf des Grundstücks die Zahlung von jährlich 5 v. H. des Kaufpreises getreten. Die Kaufsumme habe den Töchtern zur freien Verfügung gestanden, sie hätten nicht etwa den Kaufpreis ihrer Mutter geschuldet. Wenn die jährlichen Zahlungen von 5 v. H. des Kaufpreises im notariellen Vertrag als "Zinsen" bezeichnet seien, so sei das unzutreffend. Ein Nießbrauch an dem Kaufpreis sei begrifflich undenkbar. Rechtlich schuldeten die Töchter der Mutter eine Leibrente, weil die geschuldeten 5 v. H. des Kaufpreises jährlich gleichbleibend auf die Lebenszeit der Mutter zu zahlen seien.
Entscheidungsgründe
Die Revision, mit der die steuerpflichtigen Eheleute Verfahrensmängel und Verletzung des sachlichen Rechts rügen und beantragen, die streitigen Zahlungen voll als Sonderausgaben abzusetzen, ist unbegründet.
Ein Verfahrensmangel liegt nicht vor. Die Stpfl. hatten beim FG eine weitere Sachaufklärung nicht beantragt, sondern im Schriftsatz vom 13. September 1965 nur erklärt, die Mutter habe inzwischen die Sicherstellung des Kapitals, das die Grundlage ihres Nießbrauchs bilde, verlangt; die Verhandlungen würden in Kürze dazu führen, daß das Kapital durch eine Hypothek gesichert werde. Den Hinweis auf diese Verhandlungen konnte das FG unbeachtet lassen, weil sie die Zukunft betrafen und insoweit ohne Bedeutung für die Streitfrage waren. Das FG brauchte lediglich den Sachverhalt für das bereits abgeschlossene Streitjahr 1962 festzustellen, da rückwirkende vertragliche Vereinbarungen steuerrechtlich nicht zu beachten sind (vgl. z. B. Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - I 145/60 U vom 29. November 1960, Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Bd. 72 S. 179 - BFH 72, 179 -, BStBl III 1961, 67; I 223/60 U vom 31. Januar 1961, BFH 72, 571; BStBl III 1961, 209).
Sachlich brauchte das FG den von den Stpfl. behaupteten Nießbrauch am Kaufpreis nicht anzuerkennen. Es konnte ohne Rechtsverstoß die Vereinbarung in dem notariellen Vertrag dahin würdigen, daß die Mutter für den Verzicht auf den Nießbrauch am Grundstück nach der Veräußerung eine Rente erhalten solle, die mit 5 v. H. des Kaufpreises bemessen wurde. Die im November 1965 unter den Beteiligten vereinbarte dingliche Sicherung des Anspruchs der Mutter führt nicht notwendig zu einer anderen rechtlichen Beurteilung für das Streitjahr 1962.
Zutreffend konnte das FG auch die Verpflichtung der Stpfl. als Leibrentenverpflichtung würdigen. Der Begriff Leibrente entspricht im Steuerrecht dem bürgerlichen Recht (vgl. z. B. Urteile des BFH VI 105/61 U vom 29. März 1962, BFH 75, 96, BStBl III 1962, 304; VI 330/63 U vom 5. April 1965, BFH 82, 312, BStBl III 1965, 359; IV 67/61 S vom 16. September 1965, BFH 83, 568, BStBl III 1965, 706). Eine Leibrente muß auf einem Rentenstammrecht beruhende wiederkehrende, fest begrenzte und gleichmäßige Leistungen auf die Lebensdauer des Berechtigten zum Gegenstand haben. Das ist hier der Fall, wie das FG einwandfrei dargelegt hat.
Leistungen aus Leibrenten können nach § 10 Abs. 1 Ziff. 1 in Verbindung mit § 22 Ziff. 1 EStG 1955 (und später) nur mit dem Ertragsanteil im Sinne von § 22 Ziff. 1 EStG als Sonderausgaben abgesetzt werden. Auf der anderen Seite braucht der Empfänger die Bezüge aus einer Leibrente nur mit dem Ertragsanteil als Einkünfte zu versteuern.
Die Sonderregelung für Leibrenten gilt allerdings nicht für der Höhe nach schwankende Leistungen. Solche Leistungen können unter Umständen als "dauernde Lasten" beim Leistenden voll als Sonderausgaben abgesetzt werden und führen unter Umständen beim Empfänger in voller Höhe zu "wiederkehrenden Bezügen" im Sinne von § 22 Ziff. 1 EStG. Im Streitfall schwankten die Jahresleistungen nach den für das Streitjahr 1962 geltenden Vereinbarungen der Höhe nach nicht. Die im Jahre 1965 getroffenen Vereinbarungen sind, wie gesagt, für das Streitjahr ohne Bedeutung. Im übrigen ändern durch die heute bei längerfristigen Vereinbarungen allgemein übliche Währungsklausel Leibrentenvereinbarungen nicht ohne weiteres ihre Rechtsnatur. Der Senat hat im Urteil VI 95/62 U vom 11. Oktober 1963 (BFH 77, 747, BStBl III 1963, 594) eine Rente als Leibrente anerkannt, wenngleich die einzelnen Rentenleistungen der Höhe nach an das Gehalt eines Staatsbeamten gebunden waren. In diesen Fällen soll gerade die Gleichmäßigkeit der Leistungen dadurch sichergestellt werden, daß unabhängig von der Währungsentwicklung ein in etwa gleichbleibender wirtschaftlicher Wert zugewendet wird. Diese überlegung ist auch für die Vereinbarung von Währungsklauseln in Leibrentenverträgen maßgebend. Solche Klauseln allein machen darum einen Leibrentenvertrag nicht zu einem Vertrag anderer Art.
Fundstellen
Haufe-Index 412387 |
BStBl III 1967, 179 |
BFHE 1967, 395 |
BFHE 87, 395 |