Entscheidungsstichwort (Thema)
Steuerliche Betriebsprüfung Verfahrensrecht/Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Ob eine Versäumnis entschuldbar erscheint (§ 168 Abs. 2 AO), ist eine Rechtsfrage. Im übrigen ist die Festsetzung des Verspätungszuschlages eine Ermessensentscheidung, die von den Steuergerichten nur daraufhin nachgeprüft werden kann, ob eine Ermessensverletzung, beurteilt nach den Verhältnissen im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung, vorgelegen hat (vgl. Gutachten des Bundesfinanzhofs Gr.S. D 1/51 S vom 17. April 1951, BStBl 1951 III S. 107, Slg. Bd. 55 S. 277).
Ein Angehöriger der steuerberatenden Berufe kann sich bei verspäteter Abgabe seiner eigenen Steuererklärungen nicht darauf berufen, daß die Steuererklärungen seiner Mandanten bevorzugt zu erledigen seien.
Das Finanzamt kann einen Verspätungszuschlag gemäß §§ 93, 95 AO nachträglich auch dann herabsetzen, wenn gegen die Festsetzung bereits ein Rechtsmittel (Beschwerde, Berufung, Rechtsbeschwerde) eingelegt ist.
Normenkette
AO §§ 93, 95, 168 Abs. 2
Tatbestand
Streitig sind Zulässigkeit und Höhe eines dem Bf. zur Einkommensteuer 1954 auferlegten Verspätungszuschlages im Sinne von § 168 Abs. 2 AO.
Der Bf. - ein Steuerberater - gab seine Einkommensteuererklärung 1954 erst am 23. April 1956 ab. Die allgemeine Erklärungsfrist war am 15. Mai 1955 abgelaufen, während den Angehörigen der steuerberatenden Berufe Fristverlängerung bis 30. September 1955 gewährt worden war. Erst nachdem dem Bf. vom Finanzamt ein Erzwingungsgeld in Höhe von 20 DM angedroht worden war, begehrte er im Dezember 1955 eine weitere Fristverlängerung bis 31. Januar 1956, die ihm auch bewilligt wurde. Als der Bf. trotzdem die Erklärung erst im April 1956 abgab, setzte das Finanzamt einen Verspätungszuschlag in Höhe von 550 DM fest, der (abgerundet) 5 v. H. der festgesetzten Einkommensteuer (11.117 DM) entsprach.
Mit der hiergegen eingelegten Beschwerde machte der Bf. geltend, die verspätete Abgabe beruhe auf seiner Arbeitsüberlastung und einer Behinderung durch eine langwierige Furunkulose im Herbst 1955. Er habe außerdem die Erklärungen seiner Mandanten gegenüber seiner eigenen Steuererklärung bevorzugt erledigt. Der Zuschlag sei ohnehin mit Rücksicht auf seine fünf "unversorgten" Kinder zu hoch festgesetzt.
Die Beschwerde wurde von der Oberfinanzdirektion als unbegründet zurückgewiesen.
Nach Einlegung der Berufung - am 19. Juni 1958 - berichtigte das Finanzamt auf Grund einer Betriebsprüfung gemäß § 222 AO den Einkommensteuerbescheid 1954 und setzte hierbei den Verspätungszuschlag auf 465 DM herab, weil sich das Einkommen des Bf. gemindert hatte. Der herabgesetzte Betrag entsprach wiederum 5 v. H. der berichtigten Steuer (9.317). Gegen diese Festsetzung legte der Bf. erneut Beschwerde ein und beantragte gleichzeitig, das Berufungsverfahren über seine erste Beschwerde auszusetzen.
Das Finanzgericht entsprach diesem Antrag nicht und wies die Berufung des Bf. gleichfalls als unbegründet zurück. Es führte im wesentlichen aus: Der Bf., der im übrigen seine Berufung nicht weiter begründet habe, habe die Einkommensteuererklärung 1954 schuldhaft verspätet abgegeben. Er könne die Fristversäumnis nicht mit seiner angespannten Arbeitslage und seiner Erkrankung an Furunkulose entschuldigen. Wenn er den Umfang seiner Geschäftsbeziehungen derart ausweite, daß er nicht in der Lage sei, innerhalb der allgemeinen Verlängerungsfrist für steuerberatende Berufe die angefallenen Arbeiten für seine Mandanten und für sich selbst zu erledigen, so habe er dies zu vertreten. Auch die Höhe des Zuschlages liege bei Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Bf. und der gesamten Umstände im Rahmen des zulässigen Ermessens. Eine Erledigung der Hauptsache sei durch die Neufestsetzung des Zuschlages nicht eingetreten, da die Neufestsetzung nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs V 260/55 U vom 24. Januar 1956 (BStBl 1956 III S. 100, Slg. Bd. 62 S. 271) nicht zulässig gewesen sei.
Mit der Rb. rügt der Bf., daß sich das Finanzgericht nicht mit seiner Eingabe vom 25. November 1958 (der Berufungsbegründung) auseinandergesetzt habe. Diese mache er zum Gegenstand des Rechtsbeschwerdeverfahrens. Das Finanzgericht irre außerdem, wenn es bei Minderung des Einkommens eine Herabsetzung des prozentualen Zuschlages nicht zulasse. Nach seinen Feststellungen aus Handakten seiner Mandanten habe das Finanzamt für im März 1956 eingereichte Steuererklärungen keinen Zuschlag erhoben und für im Juli 1956 abgegebene Erklärungen bei einem Einkommen von 27.550 DM nur einen Zuschlag von 50 DM festgesetzt. Hieraus ergebe sich, daß der im Streit befangene Zuschlag zweifellos unangemessen sei und die Festsetzung im Widerspruch zum Grundsatz der Gleichmäßigkeit stehe.
Entscheidungsgründe
Die Rb. führt aus prozessualen Gründen zur Aufhebung der Vorentscheidung.
Nach § 168 Abs. 2 AO kann das Finanzamt dem Steuerpflichtigen einen Zuschlag bis zu 10 v. H. der endgültigen festgesetzten Steuer auferlegen, wenn er die Frist zur Abgabe der Steuererklärung nicht wahrt und die Fristversäumnis nicht entschuldbar erscheint. Die Vorinstanz hat zutreffend hervorgehoben, daß die Frage der Entschuldbarkeit eine Rechtsfrage ist (vgl. hierzu Urteil des Reichsfinanzhofs VI A 591/36 vom 6. November 1936, Slg. Bd. 40 S. 214). Wird die Entschuldbarkeit verneint, so kann das Finanzamt den Zuschlag festsetzen. Es handelt sich insoweit, wie das Finanzgericht ohne Rechtsirrtum ausgeführt hat, um eine Ermessensentscheidung, die von den Steuergerichten und damit auch vom erkennenden Senat nur daraufhin nachgeprüft werden kann, ob eine Ermessensverletzung (Ermessensmißbrauch oder Ermessensüberschreitung), beurteilt nach den Verhältnissen im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung, vorgelegen hat (vgl. im einzelnen Gutachten des Bundesfinanzhofs Gr.S. D 1/51 S vom 17. April 1951, BStBl 1951 III S. 107, Slg. Bd. 55 S. 277).
Dem Finanzgericht ist, was die Festsetzung des Zuschlages dem Grunde nach betrifft, in vollem Umfange beizutreten. Die Vorinstanz hat ohne Verstoß gegen das materielle Recht, den Akteninhalt und die Verfahrensvorschriften festgestellt, daß der Bf. die Frist zur Abgabe der Einkommensteuererklärung 1954 schuldhaft versäumt hat. Wenn er sich auf die bevorzugte Erledigung der Erklärungen seiner Mandanten und seine Furunkulose beruft, so vermögen diese Einwände eine Entschuldbarkeit nicht zu begründen. Mit Recht hat das Finanzgericht darauf hingewiesen, daß die mehrmaligen Fristverlängerungen den Belangen des Bf. ausreichend Rechnung getragen haben. Er kann sich auch nicht darauf berufen, daß in späteren Veranlagungszeiträumen die allgemeinen Erklärungsfristen für steuerberatende Berufe auf einen längeren Zeitraum erstreckt wurden. Die im Ermessen der Finanzverwaltung liegenden Maßnahmen richten sich nach den in den einzelnen Veranlagungszeiträumen jeweils gegebenen Verhältnissen. Diese können durchaus unterschiedlich sein. Der Bf. kann daraus keinen Anspruch auf eine weitere Fristverlängerung für den Veranlagungszeitraum 1954 herleiten. Die Vorinstanz hat vielmehr mit Recht hervorgehoben, daß gerade er als Angehöriger der steuerberatenden Berufe bemüht sein mußte, seinen eigenen steuerlichen Verpflichtungen pünktlich nachzukommen. Auch bei sorgfältiger Berücksichtigung der Interessen seiner Mandanten war er durchaus in der Lage, seine Steuererklärung mindestens bis zum Ablauf der ihm gewährten Frist (31. Januar 1956) einzureichen. Einem Steuerberater muß im übrigen zugemutet werden, die Interessen seiner Mandanten dann zurückzustellen, wenn es darum geht, eigene öffentlich-rechtliche Pflichten dem Staate gegenüber zu erfüllen. Einen allgemeinen Grundsatz, wie ihn der Bf. beachtet haben will, daß die Interessen der Mandanten grundsätzlich den eigenen Rechtspflichten vorgehen, gibt es nicht.
Auch die Höhe des Zuschlages ist gerechtfertigt. Mit zutreffender Begründung hat die Vorinstanz darauf hingewiesen, daß der Verspätungszuschlag zu bemessen sein muß, daß er ein wirksames Druckmittel darstellt. Bei der Höhe des vom Bf. im Jahr 1954 bezogenen Einkommens ist in der Festsetzung des Zuschlages auf 5 v. H. des Steuerbetrages = 550 DM auch bei Berücksichtigung des Personenstandes des Bf. keine Ermessensverletzung zu erblicken. Mit Recht hat auch die Vorinstanz bei der Höhe des Zuschlages den Umstand berücksichtigt, daß der Bf. wiederholt Steuererklärungen verspätet abgegeben hat und auf die Folgen einer Säumnis hingewiesen worden war. Nach alledem hält sich die Festsetzung des Finanzamts sowohl dem Grunde wie der Höhe nach in den Grenzen von Recht und Billigkeit. Wenn der Bf. in der am 28. Februar 1961 eingegangenen Rechtsbeschwerdebegründung einwendet, das Finanzgericht habe sich mit seiner Berufungsbegründung vom 25. November 1958, die nach den Feststellungen des Senats am gleichen Tage beim Finanzgericht eingegangen, aber durch unerklärliche Umstände am 26. November 1958 zu einer im gleichen Hause befindlichen anderen Behörde gelangt ist, nicht auseinandergesetzt, so handelt es sich hierbei um die Rüge eines Verfahrensmangels (vgl. Urteile des Reichsfinanzhofs V A 837/27 vom 18. Juli 1928, Steuer- und Wirtschaft 1928 Nr. 495, und VI A 708/36 vom 30. September 1936, RStBl 1936 S. 1076). Mit diesem Einwand kann er aber nicht mehr gehört werden, da die Rechtsbeschwerdebegründungsfrist bereits am 13. Februar 1959 abgelaufen war und Nachsichtgründe nicht gegeben sind (§§ 289 Abs. 2, 290 Abs. 1, 296 Abs. 2 AO). Schließlich geht auch die Ansicht des Bf. fehl, daß der Grundsatz der Gleichmäßigkeit verletzt sei. Er kann sich hierzu nicht auf die aus seinen Handakten aufgezeigten Beispiele berufen, da für die richtige Ausübung des Ermessens grundsätzlich die Verhältnisse im Einzelfall maßgebend sind.
Trotzdem muß die Vorentscheidung aus prozessualen Gründen aufgehoben werden. Wenn das Finanzgericht meint, die im Laufe des Berufungsverfahrens erfolgte Herabsetzung des Verspätungszuschlages auf 465 DM habe keine Auswirkung auf den Streitfall, so kann dem nicht beigetreten werden. Es ist zwar richtig, daß, wie die Entscheidung des Bundesfinanzhofs V 260/55 U vom 24. Januar 1956 (a. a. O.) zum Ausdruck gebracht hat, ein Verspätungszuschlag, der auf einer endgültigen, d. h. mit Rechtsmitteln nicht mehr anfechtbaren Steuer beruht, nicht mehr nachträglich heraufgesetzt werden kann, wenn sich die Steuer auf Grund eines gemäß § 222 AO berichtigten Bescheides erhöht. Gleichwohl ist das Finanzamt befugt, den festgesetzten Zuschlag gemäß § 93 in Verbindung mit § 95 AO nachträglich herabzusetzen, wenn es der Auffassung ist, daß die ursprüngliche Festsetzung nicht mehr gerechtfertigt ist. Es handelt sich hierbei um eine Ermessensentscheidung, die weitgehend auf der Beurteilung tatsächlicher Verhältnisse beruht. Der Senat ist der Auffassung, daß das Finanzamt in der nachträglichen Anpassung des Verspätungszuschlages an die berichtigte Einkommensteuer 1954 eine Verfügung im Sinne der §§ 93, 95 AO getroffen hat. Hierzu war es auch noch im Laufe des Berufungsverfahrens befugt. Der erkennende Senat hat im Beschluß IV 401/51 U vom 11. Dezember 1951 (BStBl 1952 III S. 24, Slg. Bd. 56 S. 58) ausgesprochen, daß die Zurücknahme eines angedrohten Erzwingungsgeldes auch noch im Rechtsbeschwerdeverfahren zulässig ist. Was dort für einen Finanzbefehl gilt, muß gleichermaßen für die Festsetzung der Ungehorsamsfolge in Form eines Verspätungszuschlages Geltung haben. Grund dieser Erkenntnis ist die überzeugung, daß bei Beschwerdeentscheidungen, bei denen es um die Nachprüfung reiner Ermessensakte geht, die Stelle, die das Ermessen ausübt, auch nachträglich befugt sein muß, die bessere Erkenntnis an die Stelle ihrer ursprünglichen Ermessensausübung zu setzen (vgl. hierzu Berger, Die Reichsabgabenordnung nach ihren Schwerpunkten für die Praxis, § 304 AO, Anm. 1). Der Senat ist der Auffassung, daß in der nachträglichen Herabsetzung des Verspätungszuschlages im Einkommensteuerberichtigungsbescheid 1954 die ursprüngliche Festsetzung nur inhaltlich (materiell) der Höhe nach geändert worden ist, ohne daß die formelle Bestandskraft der Erstverfügung berührt worden ist. Die Zweitverfügung vom 19. Juni 1958 hat die Erstverfügung in Höhe von 85 DM (Differenz zwischen 550 DM und 465 DM) rechtsgestaltend (konstitutiv) abgeändert. Der änderungswille des Finanzamts (der verfügenden Behörde) ergibt sich eindeutig aus der sachlichen Verbindung der Festsetzung im Berichtigungsbescheid 1954, der seinerseits die Einkommensteuer 1954 geändert hat. In Höhe des verbleibenden Zuschlagsbetrages liegt in der Zweitverfügung nur eine deklaratorische Wiedergabe der Erstverfügung. Daraus folgt, daß sich die Hauptsache im Streitfall in Höhe von 85 DM erledigt hat. Die vom Bf. gegen die Zweitverfügung eingelegte Beschwerde ist mit Rücksicht auf die vorhergehenden Ausführungen nur als Wiederholung des bereits gegen die Erstverfügung vorgebrachten Beschwerdebegehrens anzusehen. Soweit der Zuschlag ermäßigt worden ist, liegt eine Beschwer des Bf. nicht vor; soweit aber die Festsetzung aufrechterhalten wurde, ist ein neuer selbständiger Beschwerdegrund nicht gegeben, so daß die zweite "Beschwerde" als förmliches Rechtsmittel gegenstandslos ist. Die Vorentscheidung war deshalb wegen prozessualen Rechtsirrtums aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Die Berufung gegen die Beschwerdeentscheidung der Oberfinanzdirektion ist mit der Maßgabe als unbegründet zurückzuweisen, daß der Rechtsstreit in der Hauptsache in Höhe von 85 DM erledigt ist.
Im Kostenpunkt ändert sich nichts, da die Kostenentscheidungen so zu treffen waren, wie sachlich zu entscheiden gewesen wären, wenn sich die Hauptsache nicht teilweise erledigt hätte (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs VII 134/54 S vom 26. November 1958, BStBl 1959 III S. 53, Slg. Bd. 68 S. 141, und Berger, Der Steuerprozeß, § 309 AO, S. 543). Zu diesem Zwecke wurde die Höhe des Zuschlages im ursprünglichen Umfang (550 DM) sachlich geprüft. Maßgebend für die Kostenauferlegung sind im vorliegenden Fall die materiellen Verhältnisse, wie sie sich im Zeitpunkt der Festsetzung des Zuschlages bis zum Tage der Beschwerdeentscheidung ergeben haben (vgl. hierzu Urteil des Bundesfinanzhofs IV 27/52 U vom 17. April 1952, BStBl 1952 III S. 152, Slg. Bd. 56 S. 389, für die Hauptsachenerledigung beim Arrestverfahren). Auch die Streitwertfeststellungen bleiben unverändert. Der Streitwert der Rb. war nach dem Interesse des Steuerpflichtigen zur Zeit der Einlegung der Rb. festzustellen. Dies konnte nach der Sachlage nur der herabgesetzte Zuschlag von 465 DM sein.
Fundstellen
BStBl III 1961, 542 |
BFHE 1962, 761 |
BFHE 73, 761 |
StRK, AO:168 R 2 |
NJW 1962, 80 |