Leitsatz (amtlich)
Für die Schätzung des gemeinen Werts nichtnotierter Anteile an Kapitalgesellschaften ist vom Einheitswert des Betriebsvermögens der Gesellschaft auszugehen. Von dem Einheitswert sind die Schulden abzuziehen, die mit dem Betriebsvermögen in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen und die bei der Einheitsbewertung nicht berücksichtigt worden sind. Das gilt auch für Schulden, die richtigerweise schon bei der Einheitsbewertung hätten berücksichtigt werden müssen; denn der Feststellungsbescheid über den Einheitswert des Betriebsvermögens der Gesellschaft ist nicht Grundlagenbescheid für die Anteilsbewertung.
Normenkette
AO § 218 Abs. 2; BewG i.d.F. vor dem BewG 1965 § 13 Abs. 2
Tatbestand
Die Klägerin zu 1. ist eine GmbH. Der Kläger zu 2. ist an dem Stammkapital der Klägerin zu 1. mit 20 v. H., seine Ehefrau, die Klägerin zu 3., ist mit 80 v. H. beteiligt. Das FA (Beklagter und Revisionsbeklagter) hat den gemeinen Wert der Anteile an der Klägerin zu 1. zum 31. Dezember 1959 für 100 DM Nennkapital auf der Grundlage eines Vermögenswerts von 216 v. H. und eines Ertrags-Hundertsatzes von - 15 v. H. auf 170 DM festgestellt. Bei der Ermittlung des Vermögenswerts hat es einen Schuldabzug für Verpflichtungen aus Pensionszusagen gegenüber den beiden als Geschäftsführer tätigen Gesellschaftern nicht zugelassen.
Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg.
Das FG begründete seine Entscheidung im wesentlichen damit, daß nach der Rechtsprechung ein Schuldabzug aufgrund einer Pensionszusage nur zulässig sei, wenn diese Zusage ernsthaft gemeint sei. Bei Versorgungszusagen an Gesellschafter-Geschäftsführer von Kapitalgesellschaften, deren Anteile sich ausschließlich in der Hand von Ehegatten befänden, sei eine Ruhegehaltszusage nur dann ernsthaft gemeint, wenn nach den Umständen damit gerechnet werden könne, daß der Gesellschafter-Geschäftsführer zur vorgesehenen Zeit tatsächlich ausscheide. In diesem Sinn bestehe keine ernsthafte Versorgungsverpflichtung der Klägerin zu 1. gegenüber ihren Gesellschafter-Geschäftsführern; denn diese hätten es in der Hand, ob und wann sie in den Ruhestand treten wollten.
Die Kläger rügen mit ihrer Revision, das FG habe verkannt, daß nach der jüngsten Rechtsprechung des BFH auch bei einer an beherrschende Gesellschafter-Geschäftsführer gegebenen Pensionszusage die Ernsthaftigkeit der Zusage nicht mehr in Abrede gestellt werde. Sie beantragen das Urteil des FG aufzuheben und den gemeinen Wert der Anteile je 100 DM Nennwert auf 84 DM festzustellen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Auf die Revision wird die Vorentscheidung aufgehoben.
Nichtnotierte Anteile an Kapitalgesellschaften, deren Wert nicht aus Verkaufspreisen abgeleitet werden kann, sind mit dem gemeinen Wert zu bewerten. Der gemeine Wert ist unter Berücksichtigung des Vermögens und der Ertragsaussichten der Gesellschaft zu schätzen (§ 13 BewG). Der Senat hat in ständiger Rechtsprechung anerkannt, daß das in den VStR 1960 in Abschn. 76f. geregelte sogenannte Stuttgarter Verfahren ein wertvolles Hilfsmittel zur Ermittlung des gemeinen Werts von Anteilen an Kapitalgesellschaften sei; durch dieses Verfahren werde außerdem die Einheitlichkeit der Bewertung gewährleistet (vgl. BFH-Urteil III R 135/67 vom 18. Dezember 1968, BFH 95, 266, BStBl II 1969, 370). Nach dem Stuttgarter Verfahren ist für die Bestimmung des Vermögenswerts vom Einheitswert des Betriebsvermögens der Gesellschaft auszugehen. Schulden, die mit dem Betriebsvermögen in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen und die bei der Einheitsbewertung nicht berücksichtigt wurden, sind vom Einheitswert abzuziehen (Abschn. 77 Abs. 1 VStR). Das gilt auch für Schulden, die bei der Ermittlung des Einheitswerts des Betriebsvermögens rechtsirrtümlich nicht vom Rohvermögen abgezogen wurden. Denn der Feststellungsbescheid über den Einheitswert des Betriebsvermögens der Kapitalgesellschaft ist nicht Grundlagenbescheid im Sinn des § 218 Abs. 2 AO für die Anteilsbewertung. Folglich können bei der Feststellung des gemeinen Werts der Anteile auch noch Schulden geltend gemacht werden, die richtigerweise schon bei der Einheitsbewertung des Betriebsvermögens der Gesellschaft hätten berücksichtigt werden müssen. Soweit sich aus dem BFH-Urteil III 396/58 S vom 19. Dezember 1960 (BFH 72, 241, BStBl III 1961, 92) etwas anderes ergibt, hält der Senat daran nicht mehr fest.
Die Klägerin hat ihren Gesellschafter-Geschäftsführern Ruhegehaltszusagen gegeben. Ein Schuldabzug für diese Zusagen ist bei der Einheitsbewertung des Betriebsvermögens der Kläger zum 1. Januar 1960 nicht erfolgt. Deshalb müssen die sich aus der Ruhegehaltszusage ergebenden Schuldverpflichtungen bei der Ermittlung des Vermögenswerts im Rahmen der Anteilsbewertung berücksichtigt werden, wenn es sich um ernstzunehmende Verbindlichkeiten handelt. Dabei sind im Verhältnis von Gesellschaft und Gesellschafter-Geschäftsführer strengere Anforderungen an die steuerliche Anerkennung zu stellen als im Verhältnis zu Dritten, die an der Gesellschaft nicht beteiligt sind. So hat die Rechtsprechung die Ernsthaftigkeit einer Ruhegehaltszusage einer GmbH an ihren beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführer abgelehnt, weil den beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführer niemand zwingen kann, zu dem vereinbarten Zeitpunkt in den Ruhestand zu treten. Damit ist die rechtliche Bindung aus einer derartigen Ruhegehaltszusage keinesfalls stärker als aus einem Pensionsversprechen mit freier Widerruflichkeit.
Die Klägerin zu 3. ist aufgrund ihrer Beteiligung von 80 v. H. an der GmbH (der Klägerin zu 1.) eindeutig beherrschende Gesellschafter-Geschäftsführerin. Aber auch für den Kläger zu 2. trifft dies zu, obwohl er nur mit 20 v. H. am Stammkapital der GmbH beteiligt ist; denn er beherrscht die GmbH zusammen mit seiner Ehefrau. Diese einheitliche Beurteilung der Einwirkungsmöglichkeit der Kläger zu 2. und zu 3. auf die Klägerin zu 1. verstößt nicht gegen Art. 6 Abs. 1 GG. Diese Verfassungsnorm verbietet zwar, Ehegatten gegenüber Ledigen zu benachteiligen. Sie schließt aber nicht aus, daß die Ehe Anknüpfungspunkt für wirtschaftliche Rechtsfolgen sein kann, soweit diese Rechtsfolgen der Natur eines geregelten Lebensverhältnisses angemessen sind (Entscheidungen des BVerfG Bd. 9 S. 237 [247]). Es entspricht durchaus der Natur und dem Wesen der Ehe, daß Ehegatten, die alleinige Gesellschafter einer GmbH sind, bei Ausübung ihrer Gesellschaftsrechte ungeachtet der Beteiligungsquote des einzelnen Ehegatten gleichgerichtete Interessen verfolgen und deshalb gleichgerichtet handeln. Die Veräußerungsfiktion des § 10 Abs. 2 Satz 1 BewG, von der die Anteilsbewertung grundsätzlich auszugehen hat, steht dieser Auffassung nicht entgegen, weil die Frage des Schuldenabzugs nach den am maßgebenden Feststellungszeitpunkt bestehenden tatsächlichen Verhältnissen zu beurteilen ist und nicht unter Berücksichtigung des Veräußerungsfalles. Auch der Beschluß des Großen Senats des BFH Gr. S. 2/71 vom 8. November 1971 (BFH 103, 440, BStBl II 1972, 63) steht dem nicht entgegen.
Wenngleich das Ausscheiden eines beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführers zu dem vorgesehenen Pensionszeitpunkt nicht erzwungen werden kann, so besteht für die Gesellschaft doch eine Belastung für den Fall, daß der Gesellschafter-Geschäftsführer wegen Eintritts der Arbeitsunfähigkeit seine Tätigkeit nicht mehr ausüben kann. Im Fall der Zusage einer Altersversorgung ist das Invaliditätsrisiko mit eingeschlossen. Aus diesem Grund hat der BFH im Urteil I 193/62 S vom 15. Dezember 1965 (BFH 84, 557, BStBl III 1966, 202) für die Ertragsbesteuerung anerkannt, daß bei Zusage eines Ruhegehalts durch eine Kapitalgesellschaft an ihren beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführer eine Rückstellung wegen des ernsthaft bestehenden Invaliditätsrisikos zulässig sei. Denn von einem höheren Lebensalter an sei aus biologischen Gründen, die der Willkür entzogen seien, damit zu rechnen, daß der Gesellschafter-Geschäftsführer seine Tätigkeit nicht mehr ausüben könne. Der I. Senat vertrat deshalb in dieser Entscheidung die Auffasung, für die Berechnung der Höhe der Rückstellung müsse im Regelfall davon ausgegangen werden, daß der Zusageempfänger ab dem 75. Lebensjahr die Rente beanspruchen müsse.
Die Rechtslage für die Anerkennung einer verbindlichen Pensionszusage ist im Ertragsteuerrecht und im Bewertungsrecht dieselbe (vgl. § 6a Abs. 1 EStG und § 62a Abs. 1 BewG). Der erkennende Senat hat sich deshalb für die Einheitsbewertung des Betriebsvermögens schon im Urteil III R 58/66 vom 18. April 1969 (BFH 96, 317, BStBl II 1969, 608) der Auffassung des I. Senats angeschlossen, daß bei einer Ruhegehaltszusage durch eine Kapitalgesellschaft an einen beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführer anerkannt werden muß, daß dem Grunde nach eine ernsthafte Verpflichtung zur Zahlung des Ruhegehalts besteht. Für die Höhe des nach § 62a BewG zu berechnenden Schuldabzugs kann jedoch nicht der Inhalt der Zusage zugrunde gelegt werden. Vielmehr ist ungeachtet dieses Inhalts davon auszugehen, daß eine ernsthafte Verpflichtung zur Zahlung einer Rente grundsätzlich erst ab dem 75. Lebensjahr besteht (vgl. Gürsching-Stenger, Kommentar zum Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, § 104 BewG 1965 Anm. 26 a). Der Einwand des FA, bei der Klägerin zu 1. liege ein Ausnahmefall vor, steht dem Schuldabzug dem Grunde nach nicht entgegen. Denn ein Ausnahmefall könnte es allenfalls rechtfertigen, für den Leistungsbeginn ein anderes Alter als die Vollendung des 75. Lebensjahres zugrunde zu legen (vgl. BFH-Entscheidung I 195/65 vom 25. September 1968, BFH 93, 385, BStBl II 1968, 810).
Das FG ist von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen. Seine Entscheidung ist deshalb aufzuheben. Die Sache ist nicht spruchreif, weil es an den erforderlichen Feststellungen für den Schuldabzug fehlt. Sie wird daher zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen.
Fundstellen
Haufe-Index 413140 |
BStBl II 1972, 515 |
BFHE 1972, 148 |