Entscheidungsstichwort (Thema)
Gewerbesteuer Sonstiges Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Aus dem Grundsatz, daß das Finanzamt nach Treu und Glauben an eine in einem konkreten Einzelfalle gegebene Zusage gebunden sein kann, darf nicht gefolgert werden, daß auch eine durch eine "bindende" Zusage einer dem Finanzamt übergeordneten Behörde oder durch eine Ministerialentschließung für eine Gruppe von Fällen getroffene Regelung unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben bindend sein kann.
Normenkette
GewStG § 2 Abs. 1; GG Art. 20 Abs. 3, Art. 80; StAnpG § 1
Tatbestand
Der Bf., ein Friseurmeister, betrieb in den Streitjahren 1958 und 1959 als Inhaber einer Konzession des European Command Exchange System (EES) in X. und in Y. je ein PX-Friseurgeschäft. Seit 1959 war er außerdem als Vertreter in Friseurbedarfsartikeln und ab Dezember 1959 auch als Inhaber eines weiteren Friseurgeschäfts tätig.
Für die Erhebungszeiträume 1958 und 1959 setzte das Finanzamt einheitliche Gewerbesteuermeßbeträge von 340 DM und 212 DM fest. Dabei rechnete es den in den PX-Geschäften erzielten Gewinn zum Gewerbeertrag.
Der Bf. ist der Ansicht, er sei zwar - seit 1959 - mit dem Ertrag aus seiner Vertretertätigkeit und dem freien Friseurgeschäft gewerbesteuerpflichtig, nicht jedoch mit dem Ertrag aus den PX-Geschäften, da er insoweit nicht als selbständiger Unternehmer anzusehen sei. Vor allem aber müsse er nach den Grundsätzen von Treu und Glauben für die Erhebungszeiträume 1958 und 1959 insoweit von der Gewerbesteuer freigestellt werden, weil sein Bevollmächtigter als Beauftragter einer Interessengemeinschaft der EES-Konzessionäre schriftlich und mündlich mit dem Bundesminister der Finanzen verhandelt habe und den Konzessionären im Oktober 1957 die Freistellung von der Gewerbesteuer aus Rechtsgründen in Aussicht gestellt worden sei, weil besonders das Bayerische Staatsministerium der Finanzen die Finanzämter durch Finanzministerialentschließung vom 30. April 1958 (L 1400 - 1/36 - 41959I, Gewerbesteuer-Kartei L 1400 Blatt 20) angewiesen habe, die Konzessionäre ab 1. Januar 1958 nicht mehr zur Gewerbesteuer heranzuziehen. Diese Entschließung sei dem Beauftragten der Interessengemeinschaft zur Kenntnis gegeben und an ihn, den Bf., weitergeleitet worden. Er habe sich hinsichtlich seiner Preiskalkulation auf diese Information verlassen. Wenn nunmehr die Finanzverwaltung auf Grund des Urteils des Bundesfinanzhofs IV 159/59 U vom 12. Mai 1960 (BStBl 1960 III S. 331, Slg. Bd. 71 S. 221) auch für die Kalenderjahre 1958 und 1959 die Gewerbesteuerpflicht bejahe, verstoße sie gegen den Grundsatz von Treu und Glauben.
Einspruch und Berufung des Bf. blieben ohne Erfolg. Das Finanzgericht hielt den Bf. unter Berufung auf das bezeichnete Urteil des Bundesfinanzhofs für grundsätzlich gewerbesteuerpflichtig. Es nahm an, ein Verstoß gegen Treu und Glauben liege nicht vor. In der für den inneren Dienstgebrauch bestimmten Ministerialentschließung sei keine verbindliche Zusage an die Steuerpflichtigen zu sehen. Eine verbindliche Zusage könne nur im Rahmen eines bestimmten Steuerfalles gegeben werden, weil erst damit ein konkretes Vertrauensverhältnis zwischen dem Finanzamt und dem Steuerpflichtigen begründet werden. Ein Vertrauensverstoß wegen Selbstbindung der Verwaltung durch die Anweisung sei nicht gegeben, weil die Verwaltung unter dem Zwang der höchstrichterlichen Rechtsprechung ihre rechtsirrige Anweisung widerrufen und damit nur innerhalb der ihr nach Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG) obliegenden Pflicht gehandelt habe. Etwaige im Einzelfall durch den Widerruf der Anweisung gegebene unbillige Härten seien im Erlaßverfahren, nicht aber im Verfahren über die Festsetzung des Gewerbesteuermeßbetrags zu berücksichtigen. Insoweit wären Anträge über die hebeberechtigte Gemeinde und das verwaltungsgerichtliche Verfahren zu verfolgen.
Nach dem der Senat durch Bescheid die Rb. als unbegründet zurückgewiesen hatte, wurde auf Antrag des Bf. mündlich verhandelt.
In der mündlichen Verhandlung machte der Bf. noch geltend, er habe im finanzgerichtlichen Verfahren vorgetragen, die maßgeblichen Vertreter der Ministerien hätten sich bindend bereiterklärt, die EES-Konzessionäre von der Gewerbesteuerpflicht freizustellen. Dafür sei der Zeuge P. benannt worden. Er habe schon mit der Rb. gerügt, daß dieser Zeuge nicht gehört worden sei. Eine solche bindende Zusage eines Ministeriums könne nicht anders behandelt werden als die Zusage eines einfachen Finanzbeamten.
Entscheidungsgründe
Die Rb. des Bf. ist nicht begründet.
I. -
II. - In sachlicher Hinsicht bleibt der Senat bei seiner in dem Urteil IV 159/59 U dargelegten Ansicht, daß der Bf. als EES- Konzessionär eine selbständige Tätigkeit ausgeübt hat. ......
III. - Dem Finanzgericht ist zuzustimmen, daß ein Verstoß gegen Treu und Glauben nicht vorliegt. Die Rechtsprechung hat anerkannt, daß dieser Grundsatz auch im Steuerrecht gilt und daß dementsprechend die Finanzämter an eine Zusage, die sie für einen Steuerfall gegeben haben, gebunden sein können. Dabei ist aber das Bedenken aufgetaucht, ob die Finanzämter an dem Gesetz zuwiderlaufende Zusagen gebunden sein können. Die Rechtsprechung hat deshalb eine Reihe von Erfordernissen aufgestellt, die vorliegen müssen, um eine bindende Zusage annehmen zu können. Hier interessiert insoweit nur, daß es sich um einen bestimmten Sachverhalt, den der Steuerpflichtige dem Finanzamt in seiner eigenen Steuerangelegenheit unterbreitet (Urteil des Bundesfinanzhofs VI 269/60 S vom 4. August 1961, BStBl 1961 III S. 562, Slg. Bd. 73 S. 813), und um eine zweifelhafte Rechtsfrage handeln muß (Urteile des Bundesfinanzhofs I 176/57 U vom 18. November 1958, BStBl 1959 III S. 52, Slg. Bd. 68 S. 137; VI 269/60 S).
In der Tat unterliegt die Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben im öffentlichen Recht besonderen Eigentümlichkeiten. Während sich im privaten Rechtsverkehr die einzelnen Staatsbürger auf der Basis der Gleichordnung gegenüberstehen und in ihrem Verkehr untereinander Verantwortung nur für ihr eigenes Verhalten tragen, also auch dieses Verhalten kraft der Grundsätze von Treu und Glauben gegebenenfalls gegen sich gelten lassen müssen und dabei lediglich ihre eigenen Belange beeinträchtigen, über die sie - in der Regel - frei verfügen können, ist im öffentlichen Recht auf der einen Seite die Verwaltung als Wahrerin der Interessen der Allgemeinheit beteiligt, die nach Art. 20 Abs. 3 GG an Gesetz und Recht gebunden ist. So hebt Schüle, Verwaltungsarchiv, Band 38 S. 400 ff., mit Recht hervor, daß der Grundsatz von Treu und Glauben in erster Linie auf den privaten Rechtsverkehr abgestellt sei, daß es bei den öffentlich-rechtlichen Beziehungen an der für den Privatrechtsverkehr typischen inneren Nähe der Beteiligten und der damit verbundenen Entwicklung eines besonderen Vertrauensverhältnisses fehle und daß sich das Verwaltungsrecht durch besondere Strenge auszeichne, so daß die Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben im Verwaltungsrecht nicht ohne weiteres angebracht sei. Forsthoff, der diese Einwendungen für beachtlich hält (Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 8. Aufl., 1. Band S. 155), glaubt zwar, der Grundsatz von Treu und Glauben sei im öffentlichen Recht anzuwenden, ihm seien aber Grenzen gezogen, soweit übergeordnete soziale Schutzzwecke dadurch vereitelt würden; grundsätzlich werde man annehmen müssen, daß Anforderungen, die sich aus dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung ergäben, vor dem Rechtsgrundsatz der Wahrung von Treu und Glauben den Vorrang hätten. Wenn eine Behörde einen rechtswidrigen Zustand, den sie längere Zeit geduldet habe, beende, könne die Berufung auf Treu und Glauben nicht durchdringen (Hinweis auf Oberverwaltungsgericht Münster, Verwaltungsrechtsprechung, Band 6 S. 305). Das müsse um so mehr gelten, wenn sich die Behörden mit Rücksicht auf den Betroffenen zur Duldung des Zustandes bewogen gesehen hätten. Giacometti, Allgemeine Lehren des rechtsstaatlichen Verwaltungsrechts, Band 1 S. 221, hält (für das schweizerische Recht) bei ganz klarem Wortlaut des Verwaltungsrechtssatzes die Berücksichtigung des Vertrauensmoments Treu und Glaube, auch wenn dies erforderlich erscheine, nicht mehr für möglich, weil damit ein Einbruch in den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung erfolgen würde.
Diesen Erwägungen hat die bezeichnete Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs auch im Rahmen des Steuerrechts, allerdings in einer sich aus den Besonderheiten des Steuerrechts ergebenden einschränkenden Weise, Rechnung getragen, indem sie einerseits auch die Verwaltung an die Beachtung der Grundsätze von Treu und Glauben bindet und andererseits zu verhindern sucht, daß die Bindung der Verwaltung an das Gesetz aufgeweicht und damit der Willkür und der Verletzung des Gleichheitssatzes Vorschub geleistet wird. Solche Erwägungen rechtfertigen besonders die von der Rechtsprechung entwickelte Forderung, daß es sich, soll der Grundsatz von Treu und Glauben angewendet werden, um ein konkretes Verhältnis zwischen dem Steuerpflichtigen und dem Finanzamt handeln muß, bei dem allein sich eine Vertrauenssituation bilden kann. Der VII. Senat des Bundesfinanzhofs hat in dem Urteil VII 95/58 U vom 2. Dezember 1959, (BStBl 1960 III S. 127, Slg. Bd. 70 S. 341) ausgesprochen, daß zwar auch der Grundsatz von Treu und Glauben ein die Verwaltung bindender Rechtssatz sei, daß es sich aber um jeweils einzeln zu prüfende Fälle handeln müsse, die "so außergewöhnlich gelagert sind", daß die Geltendmachung des gesetzlich bestehenden Abgabenanspruchs mit dem allgemeinen Rechtsempfinden "unvereinbar" sei.
Von diesen Grundsätzen ausgehend liegt die Annahme nahe, daß eine die Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben erfordernde Sachlage nicht nur dann vorliegen könne, wenn es sich nicht um die Regelung eines Einzelfalles, sondern einer konkreten Gruppe von Fällen handelt, wie das bei der Interessengemeinschaft der EES-Konzessionäre der Fall ist. Denn wenn schon die Zusage einer untergeordneten Stelle eine Bindungswirkung habe, müsse dies erst recht bei den obersten Landesbehörden, die mit Weisungsbefugnis für die untergeordneten Instanzen ausgestattet seien, der Fall sein. Die notwendige Folge wäre aber dann, daß nicht nur in einem Einzelfalle die Nachprüfbarkeit der Rechtsanwendung einer Verwaltungsstelle durch die hierzu befugten Gerichte wegen des Grundsatzes von Treu und Glauben praktisch aufgehoben wäre, sondern daß für einen ganzen Komplex eine generelle, im praktischen Ergebnis für die Gerichte bindende Festlegung vorläge, die einer gesetzlichen Regelung nahekäme. Damit wäre einmal das an bestimmte Voraussetzungen gebundene Verordnungsrecht von Verwaltungsbehörden (vgl. Art. 80 GG) praktisch in unkontrollierbarer Weise erweitert und damit in die Legislative eingegriffen und zum anderen das verfassungsmäßige Recht der Rechtsprechung auf die Kontrolle der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung beeinträchtigt. Der Senat ist deshalb der Auffassung, daß die Ausdehnung und entsprechende Anwendung der von der Rechtsprechung für die Bindung an Zusagen und Erklärungen des Finanzamts im Einzelfall entwickelten Grundsätze auf die eine Gruppe von Einzelfällen regelnden Anweisungen der den Finanzämtern vorgesetzten Finanzbehörden mit Art. 20 GG nicht vereinbar wäre. Wollte man anders entscheiden, so müßte man auch den Steuerrichtlinien bindende Kraft verleihen und damit die Grenzen zwischen Rechtsprechung, Verwaltung und Gesetzgebung verwischen. Etwaige Zusagen von Ministerien können daher immer nur als unter dem Vorbehalt erteilt angesehen werden, daß die Gerichte nicht anders entscheiden. Ob die Ministerien mit einer derartigen vorweggenommenen Gesetzesauslegung eine ebenfalls vorweggenommene Anpassungsregelung wegen sachlicher Härte (§ 131 AO) verbinden könnten, braucht im vorliegenden Falle nicht entschieden zu werden, da eine Regelung nach § 131 Abs. 2 AO hier nicht zu der Zuständigkeit der Finanzbehörden gehört hätte, wie sich aus den Ausführungen unter IV ergibt.
Da mithin die beteiligten Finanzministerien keine bindende Zusage erteilen konnten, kann es auch keine Rolle spielen, ob sie eine solche erteilen wollten, so daß es auf die beantragte Vernehmung des Zeugen P nicht mehr ankommt und dahingestellt bleiben kann, ob der Zeuge überhaupt zu der Beweisfrage, so wie sie der Bf. in der mündlichen Verhandlung formuliert hat, benannt worden war.
IV. Es ist, wie das Finanzgericht ebenfalls mit Recht ausgeführt hat, eine andere Frage, ob die hier vorliegenden Umstände einen Erlaß der Steuer rechtfertigen, daß aber diese Frage nicht geprüft werden kann, weil ein eventueller Erlaß Sache der zur Festsetzung und Erhebung der Gewerbesteuer zuständigen Gemeinden (Art. 108 Abs. 3 Satz 4 GG in Verbindung mit § 131 Abs. 3 AO) wäre und nur im Verwaltungsrechtswege nachgeprüft werden könnte.
Das Finanzgericht befindet sich im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs. Der I. Senat hat zu dieser Frage in dem Urteil I 101/60 S vom 9. Januar 1962 (BStBl 1962 III S. 238, Slg. Bd. 74 S. 641) eingehende Stellung genommen. Der IV. Senat hat sich dieser Auffassung in der Entscheidung IV 162/62 S vom 8. November 1962 (BStBl 1963 III S. 143, Slg. Bd. 76 S. 390) angeschlossen. Er bleibt auch jetzt bei dieser Ansicht.
Der gegenwärtig zu entscheidende Fall liegt insofern noch eindeutiger als die bisher entschiedenen Fälle. Während es damals um eine Frage ging, die auf die an sich von den Finanzämtern vorzunehmende Festsetzung des Steuermeßbetrages von Einfluß war (vgl. § 131 Abs. 1 Satz 2, Zweite Alternative der AO), also auf den Abschnitt des Steuerfestsetzungsverfahrens, der an sich den Finanzbehörden zur Verwaltung übertragen war, handelt es sich hier um die Frage, ob die Steuer überhaupt einzuziehen ist (vgl. § 131 Abs. 1 Satz 1 AO), als eindeutig um eine Frage, die in das Verfahren über die Festsetzung der Steuer selbst gehört.
Fundstellen
Haufe-Index 411171 |
BStBl III 1964, 311 |
BFHE 1964, 218 |
BFHE 79, 218 |